DIE Zeitschrift für Erwachsenenbildung

Stadtregion als Lebensraum

Probleme und Visionen

Brigitte Adam

Dr. Brigitte Adam, Dipl.-Ing., ist Wiss. Oberrätin in der Abteilung Raumordnung und Städtebau des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung (BBR) in Bonn.

Wenn die „klassischen“ Unterschiede zwischen Stadt und Region mehr und mehr verschwimmen: Gibt es Modelle und Visionen für eine nachhaltige Entwicklung und Neugestaltung der Beziehungen zwischen Stadt und Umland? Was verhindert die Etablierung stadtregionaler Visionen? – Brigitte Adam skizziert Problemebenen stadtregionaler Zusammenhänge und zeigt Ansätze für städtebauliche, raumplanerische und siedlungsstrukturelle Zukunftsbilder von Stadtregionen auf.

Abstract: Urbanising processes have built up city regions. The borders of large cities can not be identified any longer. The hinterland has increasingly attracted population and companies. Without control, this kind of settlement development causes financial problems to the large cities as well as environmental and structural problems. Although cities and their hinterland are closely linked and although there are clearly visible problems, there is still an evident lack of visions for developing city regions as a whole.

Städte bilden schon lange nicht mehr die Lebensräume ihrer-Bewohnerinnen und Bewohner ab. Die alltäglichen Wege zwischen Wohnung und Arbeitsplatz, Freizeiteinrichtungen und Einkaufszentren sind längst in den meisten Fällen regional, d. h., sie gehen über die Grenzen einzelner Städte hinaus.

Solche individuellen räumlichen Aktionsmuster fügen sich zu komplexen stadtregionalen Verflechtungen zusammen, aus denen einzelne Kommunen nicht herauszulösen sind und die in dicht besiedelten Räumen besonders durch das hohe Verkehrsaufkommen zum Ausdruck kommen. Hinzu kommt, dass die klassischen Hierarchien und Funktionsunterschiede zwischen Städten und ihrem Umland nicht mehr haltbar sind: Zwar sind die großen Städte – bildlich gesprochen die „Kernstädte“ – immer noch maßgebliche Gravitationszentren. Es zeigt sich jedoch deutlich eine Überlagerung durch die gewachsene Anziehungskraft, die die umliegenden Gemeinden auf die Wohnbevölkerung (vgl. Abb.) und auf gewerbliche Standortnachfrager ausüben.

Das trifft deutlich selbst für „monozentrische“ Räume zu (z. B. Hamburg oder München), in denen die Anziehungskraft der Kernstädte weit höher ist als in „polyzentrischen“ Räumen mit mehreren größeren Städten, wie z. B. im Rhein-Main-Gebiet. So wird die gewerbliche Nutzung im Umland von München zusehends und sehr dynamisch durch Zukunftsindustrien wie die Medien- und die Computerbranche geprägt. Aktuell bilden sich dort spezifische Biotechnologie-Standorte heraus.

Besonders anschaulich werden diese Stadt-Umland-Entwicklungen aus der Vogelperspektive, wenn man sieht, wie die „Stadtränder“ unter den ineinander verlaufenden Siedlungsstrukturen und Landschaftsbildern verschwimmen. Besonders dramatische Formen können diese Entwicklungen in den Stadtregionen der neuen Länder annehmen, wo die Zunahme bebauter Siedlungsstrukturen in der Region spürbar einher geht mit der Gefährdung funktionsfähiger städtischer Strukturen im Stadtinneren: Während etwa im Umland Leipzigs große Einzelhandelszentrenund neue Wohngebiete aus dem Boden sprießen,stehen in der Stadt 60.000 Wohnungen leer.

Probleme stadtregionaler Zusammenhänge

Problematisiert werden jene Stadtgrenzen überschreitenden Tendenzen zunächst aus der Sicht des Ressourcenschutzes und aus der finanziellen Sicht der Städte:

Beides – die Problemformulierung aus der Sicht des Ressourcenschutzes wie die aus der finanziellen Sicht der Kernstädte – fließt zusammen in der Kritik daran, dass stadtregionale Entwicklungstendenzen die Erhaltung der Qualitäten „ europäischer Städte“ innerhalb der Kernstädte gefährden. Die europäische Stadt wird von ihren Befürwortern angesichts von Dichte, Mischung und Zentralität als Voraussetzung eines ressourcensparenden Städtebaus, gesellschaftlicher Integration und urbaner Lebensformen gesehen. Die Abwanderung der Bevölkerung und die Verlagerung städtischer Funktionen ins Umland rütteln unweigerlich an diesen Voraussetzungen.

Gegenstimmen führen allerdings Einschränkungen an, mit denen ihrer Ansicht nach die Qualitäten „europäischer Städte“ heute zu versehen sind: So wirke die betriebswirtschaftlich begründete Tendenz zu großen Einheiten im Einzelhandel der Forderung entgegen, unterschiedliche Funktionen kleinräumig zu mischen (Wohnen, Arbeiten, Einkaufen). Außerdem müsse „Dichte“ moderat, unter Berücksichtigung von Wohnqualität und Flächenschutz optimiert werden. In erster Linie stellen sie aber grundsätzlich die Möglichkeiten in Frage, die „europäische Stadt“ quasi gegen den Strom zu erhalten.

Visionen für Stadtregionen

Wenngleich die hier in Grundzügen beschriebenen Probleme stadtregionaler Zusammenhänge unterschiedliche, jeweils individuelle Ausprägungen zeigen und die Frage der Rolle der Kernstädte unterschiedlich diskutiert wird: Fest steht, dass städtische Strukturen und Lebensräume längst Stadtregionen bilden. Dabei müssen die Siedlungsstrukturen nicht als etwas Gegebenes hingenommen werden. Sie sind gestaltbar.

Gleichwohl gibt es heute allenfalls in Ansätzen – oft erst modellhaft und meist wenig verbindlich – stadtregionale Zukunftsvorstellungen, die Stadtregionen ein Gesicht geben, das man sinnlich erfassen und mit dem man sich identifizieren kann:

Was verhindert die Etablierung stadtregionaler Visionen über die Konzentration auf Regionalparks und über das Modellhafte, meist Unverbindliche hinaus?

Auf der einen Seite stehen Kommunen innerhalb der Stadtregionen in Konkurrenz zueinander – in Konkurrenz um Steuerzahler (Haushalte und Betriebe). Auf der anderen Seite gibt es keine interkommunale oder stadtregionale Institution, die diese Konkurrenz überspielen könnte und die in der Lage wäre,

den Dialog um eine konkrete siedlungsstrukturelle Vision in Gang zu setzen und auf die Umsetzung der Ergebnisse hinzuwirken. Hinzu kommen unterschiedlich zu begründende Vorbehalte gegenüber der Formulierung wegweisender Zukunftsbilder in Städtebau und Raumplanung. Damit sind – zunächst abstrakt – wesentliche „Stellschrauben“ angesprochen, von deren Justierung es abhängt, wie stadtregionale Strukturen und Entwicklungen im Zusammenhang und demokratisch gestaltet werden.

Literatur

Becker, Heidede/Jessen, Johann/Sander, Robert (1998): Ohne Leitbild? – Städtebau in Deutschland und Europa. Stuttgart, Zürich

Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (Hrsg.) (2000): Raumordnungsbericht 2000. Berichte, Band 7. Bonn

Krings, Ivo/Nähr, Norbert (1996): Visionen für eine neue Stadt-Landschaft. „Dialog-URBAN“. Diplomarbeit an der TU Hamburg-Harburg

Rautenberg, Thomas (1997): Regionalpark Rhein-Main. In: Raumplanung 97, S. 296-298

Reiß-Schmidt, Stephan (1996): Freiraum als regionale Infrastruktur im

Ruhrgebiet. In: Informationen zur Raumentwicklung, H. 4/5, S. 259-276

Sieverts, Thomas (1997): Zwischenstadt. Bauwelt Fundamente 118. Braunschweig, Wiesbaden

Internet: http://www.stadt2030.de


Deutsches Institut für Erwachsenenbildung
Dezember 2001

Brigitte Adam, Stadtregion als Lebensraum. Online im Internet:
URL: http://www.diezeitschrift.de/12002/stadtregion_als_lebensraum.htm
Dokument aus dem Internetservice Texte online des Deutschen Instituts für Erwachsenenbildung
http://www.die-bonn.de/publikationen/online-texte/index.asp