DIE Zeitschrift für Erwachsenenbildung

»Deutschland hat ‚A’ gesagt«

Eine ernstgemeinte Rezeption des Europäischen Qualifikationsrahmens (EQR) könnte Übergänge vereinfachen

Dr. Georg R. Hanf leitet den Arbeitsbereich Internationales Monitoring und Benchmarking / Europäische Berufsbildungspolitik am Bundesinstitut für Berufsbildung. Für die deutsche Seite hatte er an der überarbeiteten Fassung des Europäischen Qualifikationsrahmens mitgewirkt, die am 5. September 2006 von der Europäischen Kommission vorgelegt wurde. Am 14. November haben sich die Bildungsministerder Europäischen Union auf den Kommissionsvorschlag verständigt.
Darüber, wie es in Deutschland in Sachen Qualifikationsrahmen weitergehen könnte, spekulierte mit ihm Dr. Peter Brandt (DIE).

DIE: Herr Hanf, werden Übergänge im Bildungsbereich durch die Einführung eines Europäischen Qualifikationsrahmens erleichtert?

Hanf: Indem der EQR Qualifikationen eindeutig bestimmten europaweit verwendeten Niveaus zuordnet, schafft er Transparenz und Klarheit. Er macht Lernaktivitäten besser aufeinander beziehbar. Dabei werden Übergänge innerhalb des nationalen Systems wie auch transnationale Übergänge einfacher.

DIE: Der EQR setzt auf Freiwilligkeit. Geben Sie eine Prognose ab, mit welcher Bereitschaft in Deutschland der Rezeptionsprozess vorangetrieben werden wird?

Hanf: Im Papier der Europäischen Kommission ist von einem Zeithorizont bis 2011 die Rede. Ab dann sollen Qualifikationsnachweise einen Verweis auf das entsprechende EQR-Niveau erhalten. Vorab müssen aber die nationalen Qualifikationssysteme an den Rahmen angekoppelt werden, was bis 2009 abgeschlossen sein soll. Soweit die Theorie. Die Bundesregierung praktiziert inzwischen eine Orientierung an diesen Terminen. Im Moment gibt es positive Signale von allen Seiten. Zunächst waren ja vor allem die Arbeitgeber auf den Zug aufgesprungen. Sie versprachen sich u.a. eine bessere Anerkennung des Meisters im europäischen Ausland. Deutschland hat »A« gesagt, jetzt muss es auch »B« sagen.

DIE: Die Situation ist in Deutschland aufgrund der föderalen Struktur besonders komplex. Welche institutionelle Basis braucht der nationale Prozess?

Hanf: Der EQR sieht ein »nationales Zentrum« vor, das die Beziehung zwischen dem nationalen Qualifikationssystem und dem EQR unterstützt und koordiniert und insbesondere die gewachsenen Qualifikationen des Landes verbindlich EQR-Niveaus zuordnet, also etwa die abgeschlossene Sekundarstufe I dem Niveau 1 oder einen Masterstudiengang dem Niveau 7. So ein Akteur muss natürlich von Bund und Ländern gemeinsam getragen werden. Nach Auflösung der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung (BLK) soll es ja immerhin noch weiter Ad-hoc-Vereinbarungen zwischen Bund und Ländern geben... Dann wären natürlich auch die Sozialpartner und Vertreter aller Qualifikations-Subsysteme zu beteiligen.

DIE: Auch der Weiterbildung?

Hanf: Nun, der EQR definiert Niveaus von Kompetenzen, soweit sie in Qualifikationen eingeschlossen sind. So sollen insbesondere diejenigen Subsysteme einbezogen sein, die formale Qualifikationen strukturieren. Dazu zählen die Berufsbildung und die Hochschulen. Inwieweit die allgemeinbildenden Schulen in den Prozess einbezogen werden, ist noch völlig offen.

DIE: Die Weiterbildung bietet doch in erheblichem Umfang Schulabschlüsse und Zertifikate an. Wieso soll sie nicht einbezogen sein?

Hanf: Sie bietet zwar die entsprechenden Kurse an, aber sie vergibt dabei die Zertifikate Dritter. Und die sind zu beteiligen, also z.B. die Kammern oder die Kultusministerien.

DIE: Werden sich im Jahre 2012 Weiterbildungsangebote in ihrer Ausschreibung auf Kompetenzniveaus nach EQR beziehen?

Hanf: Das ist schwer zu sagen. Bestimmte Elite-Angebote werden wohl noch weiter und erfolgreicher über ihre eigenen Markennamen beworben werden, aber es könnte durchaus sein, dass sich die Drittmittelförderung anderer Angebote an die EQR-Niveaus koppelt.

DIE: Welches waren die deutschen Interessen im letzten Formulierungsprozess, an dem Sie in Brüssel beteiligt waren?

Hanf: Unser Interesse war, dass bei der Auswahl der Deskriptoren nicht nur das Bildungssystem, sondern auch das Berufssystem abgebildet wird. Der EQR sieht ja für Niveaustufen jeweils erforderliche Kenntnisse, Fähigkeiten und Kompetenzen vor. Kenntnisse stehen dabei für Theorie- und Faktenwissen und somit für den Bereich »education«. Fertigkeiten können als Ergebnis von »training« verstanden werden. Bleibt noch der dritte Bereich der Kompetenz: Hier haben wir unsere Handschrift hinterlassen. Dort wird der berufliche Erfahrungsschatz abgebildet, den jemand mitbringt. Wir haben vermieden, dass der EQR allzu bildungssystemlastig wurde.

DIE: »Beruflicher Erfahrungsschatz« hört sich nach einer individualisierten Sicht an, die der EQR doch gerade nicht betreibt. Solche Merkmale können doch unmöglich abstrakt in einer Qualifikation mitgedacht sein. Bei Niveau 8 wird z.B. erwartet, dass der Träger einer Qualifikation – also der Promotion – eine »namhafte Autorität« sei.

Hanf: Das ist nicht individualisiert gemeint, sondern gleichsam als generalisierte Erwartung an Menschen, die eine bestimmte Qualifikation erworben haben. Da müssen sich die Ordnungen in den Subsystemen entsprechend entwickeln. Wenn wir im Bereich der Kompetenz die Berufserfahrung eingebracht haben, dann doch auch deshalb, um unsere Stärken, z.B. den Meister, erkennbar zu halten.

DIE: Der auf dieses Gebiet der Berufserfahrung reduzierte Kompetenzbegriff des EQR irritiert aber doch etwas. Kompetenzen umfassen doch auch Kenntnisse und Fertigkeiten!

Hanf: Ja, da habe ich bis zuletzt noch Mails verschickt, die diese Begriffsverwendung verhindern sollten.

DIE: Danke für das Gespräch.