DIE Zeitschrift für Erwachsenenbildung

Alphabetisierung und Grundbildung auf der europäischen Agenda

Im Gespräch mit Marijke Dashorst und Tapio Säävälä, Experten der EU-Kommission

Marijke Dashorst, policy officer für adult learning bei der Generaldirektion Bildung und Kultur der EU-Kommission, hatte bereits auf der Abschlusstagung des TRAIN-Projekts (Bericht auf Seite 18) Hoffnungen geweckt, dass sich die EU-Kommission mit Nachdruck dem Thema Alphabetisierung und Grundbildung widmen würde. Im Interview für die DIE Zeitschrift, bei dem sie durch Tapio Säävälä, coordinator policy für school education and key comptences, unterstützt wird, präzisiert sie ihre Vorstellungen. Praktiker und Wissenschaftler sollten die Gelegenheit, dass das Thema seitens der EU derzeit hoch bewertet wird nutzen, um Projektförderungen zu beantragen. Das Interview führten Monika Tröster und Peter Brandt (DIE).  

DIE: Alphabetisierung und Grundbildung sind zu einem wichtigen Punkt auf der europäischen Agenda geworden. Warum?

Dashorst: Der Anteil der 15-jährigen mit geringer Lesekompetenz ist in Europa von 21,3 Prozent im Jahr 2000 auf 24,1 Prozent in 2006 angestiegen. Nach wie vor gibt es in den EUStaaten 80 Millionen Geringqualifizierte und sieben Millionen Schulabbrecher. Deshalb hat die EU verschiedene Aktionen aufgelegt bzw. plant aktuell weitere, um die Mitgliedstaaten zu unterstützen.

DIE: Welchen Stellenwert haben Alphabetisierung und Grundbildung im Rahmen des EU-Aktionsplans für Erwachsenenbildung?

Dashorst: Der Aktionsplan für Erwachsenenbildung konzentriert sich auf jene mit geringer Qualifikation und auf Erwachsene, die keine ausreichende Grundbildung erwerben konnten. Es gibt ein spezielles Verfahren im Aktionsplan, genannt »One-Step-Up-Approach«, das sich auf die Ermittlung bewährter Verfahren konzentriert; wie Menschen erreicht, geführt und motiviert werden, um zumindest als einen ersten Schritt Grundbildung zur Erreichung der Stufe 2 des Europäischen Qualifikationsrahmens zu erwerben.

»Wenigstens Stufe 2«

DIE: Sind zu diesem Verfahren konkrete Aktivitäten geplant?

 Dashorst: Eine öffentliche Ausschreietc. einzustufen? Und delivery: Wird mit der richtigen Botschaft gearbeitet? Welche Tools bzw. Instrumente wurden genutzt, um Zugänge zu Bildungsangeboten zu schaffen? Welche Evaluationsverfahren werden eingesetzt?

DIE: Im Rahmen der Aktivitäten sind doch auch regionale Treffen geplant.

Dashorst: Im Januar 2008 fand in Irland ein Peer Learning Meeting zur Erwachsenenalphabetisierung und -grundbildung statt, an dem Abgeordnete aus Ministerien, Sozialpartner, und Nichtregierungsorganisationen aus 13 Nationen teilnahmen. Eingeladen hatte das Ministry for Education and Training.

DIE: Mit welchem Ergebnis?

Dashorst: Im Mittelpunkt stand die Frage der Teilnehmergewinnung: Welche Anspracheformen gibt es? Wie können Lernende motiviert werden? Darüber hinaus wurde diskutiert, welche neuen Lernformen außerhalb der traditionellen Bildungssysteme entwickelt werden können. Als Empfehlung wurde festgehalten, in den Mitgliedstaaten die Dringlichkeit der Problematik zu thematisieren und Lösungsstrategien zu entwickeln. Um den Bereich zu stärken, soll die Entwicklung von Implementationsstrategien intensiviert werden. Als zentrale Herausforderung wurde auch die Entwicklung von Standards und Berufsbildern benannt. Schließlich wurde noch die Notwendigkeit betont, die Netzwerkarbeit in Europa zu verstärken. Das Thema Alphabetisierung bung für eine Studie zum »One-Step- Up-Approach« wurde kürzlich von der Kommission auf den Weg gebracht. Ziel der Studie, die im Januar 2009 beginnen soll, ist es, effektive Systeme und Good-Practice-Beispiele für Dissemination und Implementierung zu ermitteln.

DIE: Was genau macht »effektive Systeme« oder »Good Practice« aus?

Dashorst: Erfolg stellt sich dann ein, wenn eine Kohärenz, eine Balance zwischen policy making, governance und delivery gegeben ist. Sind beim policy making alle relevanten Stakeholder berücksichtigt? Wie gut funktioniert die Steuerung (governance)? Wie ist die Effektivität der jeweiligen Programme   und Grundbildung von Erwachsenen wird in weiteren regionalen Versammlungen 2009, die von der Kommission organisiert werden, behandelt.

DIE: Welche Bedeutung haben die Empfehlungen zu Schlüsselkompetenzen, die Europäisches Parlament und Rat der EU/Ministerrrat gegeben haben?

Säävälä: Die Empfehlung von Schlüsselkompetenzen definiert präzise die acht Kompetenzen, welche die Menschen zur persönlichen Entwicklung, sozialen Inklusion und zu aktiver Bürgerschaft und zur Beschäftigungsfähigkeit in einer Wissensgesellschaft benötigen. Grundqualifikationen sollten also als ein essentielles Element von Schlüsselkompetenzen angesehen werden, das für jeden Bürger unerlässlich ist und zur Entwicklung von allgemeineren Kompetenzen beiträgt, welche die Menschen ebenfalls benötigen.

DIE: Die verschiedenen Empfehlungen der EU sind sicher sehr sinnvoll und gut gemeint. Wie stellt die EU Kommission sicher, dass auch tatsächlich etwas umgesetzt wird?

Säävälä: Während die Verantwortung für Bildung und Ausbildung ausschließlich bei den Mitgliedsländern liegt, können wir ihre Reformen auf zweierlei Weise unterstützen: einmal mit dem Arbeitsprogramm »Allgemeine und berufliche Bildung 2010«, das Politikentwicklung zum Inhalt hat, und zweitens mit dem Programm »Lebenslanges Lernen«, das konkrete Wege zur Bildung und Ausbildung für eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit aufzeigt. Die politische Arbeit – damit meine ich gemeinsame Ziele, Vergleiche durch Indikatoren und Benchmarks, Austausch von Beispielen guter Praxis und bewährter Verfahren – all das wird von den Mitgliedsländern sehr geschätzt und hat eine Reihe von Politikempfehlungen und gemeinsamen Erfahrungen hervorgebracht, von denen die Länder lernen können. Das Programm »Lebenslanges Lernen« kann Praktiker zusammenbringen, um Sichtweisen und bewährte Verfahren zum Vorteil aller Lerner/ innen jeglichen Alters zu teilen. Die Europäischen Strukturfonds sind wichtig für die Unterstützung der weiteren Entwicklung der Reformen in Bildung und Ausbildung auf nationaler Ebene.

DIE: Zentral im Bereich der Förderung von Grundbildung ist es, die Unternehmen zu überzeugen, in gering qualifizierte Menschen zu investieren. Was ist hinsichtlich der Förderung der Grundbildung am Arbeitsplatz geplant?

Dashorst: Bisher wurde noch kein spezieller Plan entwickelt, jedoch sind die Sozialpartner bei der Umsetzung des Aktionsplans involviert und werden, basierend auf dem Bedarf des Arbeitsmarktes, dazu beitragen, den Erwerb der Grundqualifikationen zu unterstützen. Wenn nötig, könnte ein spezieller Plan entwickelt werden. Workplace literacy ist ein gutes Beispiel, wie Grundqualifikationen erworben werden.

»Wir alle müssen mehr daran arbeiten.«

DIE: Welche besonderen Herausforderungen bestehen aus Ihrer Sicht?

Säävälä: Wir alle müssen mehr daran arbeiten, um aufzuzeigen, wie wichtig Lernen für alle Bürger (einschließlich der Migranten) hinsichtlich des persönlichen Wohlergehens und der sozialen Inklusion ist. Eine breite Basis von Qualifikationen und Kompetenzen ist ebenfalls eine Notwendigkeit für Wettbewerbsfähigkeit und wirtschaftlicher Entwicklung einer jeden Gesellschaft. Um dies umzusetzen, bedarf es jedoch eines längerfristigen Engagements. Weiterhin ist es überaus wichtig, die erzielten Ergebnisse, die durch die Anwendung von Good Practice und bewährter Verfahren zustande gekommen sind, publik zu machen. Hier ist auch hervorzuheben, welchen Beitrag die Erwachsenenbildung geleistet hat. Dies wird dazu beitragen, einen tragfähigen Sektor der Erwachsenenbildung zu schaffen. In Kürze wird es eine Datenbank mit Good-Practice-Beispielen aus dem Bereich Alphabetisierung/ Grundbildung geben.

DIE: Eine der Aktionen ist die Verbesserung des EB-Sektors durch Monitoring, was bisher durch die Kommission erfolgte. Könnten Sie das Monitoring- System und seine Zielsetzung näher erläutern?

Dashorst: Die Teilnahme am lebenslangen Lernen ist, auf das Jahr gesehen, eine von fünf Benchmarks. Die Teilnahme sinkt derzeit leicht auf 9,7 Prozent und ist damit weit vom EUDurchschnitt von 12,5 Prozent entfernt, der bis zum Jahr 2010 erreicht werden soll. In enger Zusammenarbeit mit den Arbeitsgruppen der Erwachsenenbildung versucht die Kommission, Kerndaten für eine bessere Beobachtung des Sektors zu ermitteln. Die ersten Ergebnisse werden bis 2009 erwartet. Um diesen Beobachtungsprozess zu unterstützen, ist ein Glossar von Schlüsseldefinitionen, die in dem Bereich benutzt werden, erstellt worden.

DIE: Welchen Beitrag könnten DIE und andere Nichtregierungsorganisationen leisten, um die Entwicklung zu unterstützen?

Dashorst: Es ist wesentlich, dass durch bestehende Kanäle, wie der European Association for the Education of Adults (EAEA), Praxis auf Politik trifft und Politik auf Praxis. Es ist außerordentlich wichtig, von den Programmen für lebenslanges Lernen, insbesondere Grundtvig, Gebrauch zu machen, um gute Projekte zu entwickeln und miteinander zu teilen. Konferenzen, wie die TRAIN-Konferenz zu organisieren und Repräsentanten aus der Politik und der Praxis über Ergebnisse und deren Ausarbeitung zu informieren. Das DIE könnte dazu beitragen, ein starkes Netz von Forschern auf europäischer und internationaler Ebene zu schaffen, um den Austausch in dem Feld zu strukturieren und die Qualität des Sektors Erwachsenenbildung zu stärken.

DIE: Danke Ihnen beiden für das Gespräch.