DIE Zeitschrift für Erwachsenenbildung

30 Millionen für vier Millionen – und dann ?

Ein Zwischenruf

Steffi Rohling

Vier Millionen Analphabeten in Deutschland sind ein Skandalon. Endlich hat auch die Bundespolitik dies zur Kenntnis genommen. Rund 30 Millionen Euro wird das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) bis 2012 ausgegeben haben für viele gute Projekte, die sich in der vorgegebenen Programmlaufzeit mit der Erforschung der Ursachen von Analphabetismus, der Verbesserung des Angebotes, des Verbleibs von Analphabeten nach der Teilnahme an einem Weiterbildungskurs, nach guten oder noch besseren Train-the-Trainer-Konzepten und vielem mehr beschäftigen werden. Es geht um Forschung, die bei der Qualitätsentwicklung zukünftiger Alphabetisierungsangebote eine wichtige Rolle spielen und Politik und Öffentlichkeit gleichzeitig auf ein zentrales Bildungsthema aufmerksam machen wird. Davon profitieren selbstverständlich alle, also auch diejenigen, die Alphabetisierungsangebote schon seit Jahren zu ihrem Standardangebot zählen. Neue Forschungsergebnisse werden ihnen die Möglichkeit geben, innovative Ansätze und Methoden in ihren Maßnahmen und in der Fortbildung der Dozent/inn/en zu erproben.

Doch sollte an dieser Stelle auch die Frage erlaubt sein: Warum leitet das BMBF die Mittel nicht an diejenigen Träger, die bereits jahrzehntelange Erfahrung in der Weiterbildung von Analphabeten haben und damit zu Experten auf diesem Gebiet geworden sind? In der Bundesrepublik gibt es eine Reihe von Einrichtungen (darunter zahlreiche Volkshochschulen), die seit mehr als 30 Jahren in der Alphabetisierungsarbeit tätig sind, und das mit großem Erfolg. Viele Bundesländer tragen mit ihrer finanziellen Unterstützung zu diesem Erfolg bei.

Das heißt, es gibt bereits funktionierende Strukturen, es gibt Weiterbildungsangebote und die dazugehörenden Vernetzungen vor Ort, die den Menschen, die nicht ausreichend lesen und schreiben können, erfolgreiche Wege aus ihrer schwierigen Situation aufzeigen. Diejenigen, die professionell im Bereich Alphabetisierung tätig sind, kennen inzwischen wesentliche Erfolgsfaktoren. Sie wissen aber auch, dass entsprechende Maßnahmen Mehrkosten verursachen, die in der Alphabetisierungsarbeit notwendig sind.

Diese Kosten fallen an, weil kleine Lerngruppen eingerichtet werden müssen, um die Möglichkeit zu haben, jeden so zu fördern, wie es für seinen individuellen Lernfortschritt notwendig ist. Oft ist eine Doppeldozentur sinnvoll, um eine ausreichende Betreuung zu gewährleisten. Darüber hinaus ist in den meisten Kursen eine sozialpädagogische Begleitung unabdingbar, da bekanntermaßen Analphabetismus kein in sich geschlossenes Phänomen ist, sondern einhergeht mit anderen sozialen Problemen. Und schlussendlich ist sicher unumstritten, dass für Alpha-Kurse keine üblichen Teilnahmebeiträge erhoben werden können bzw. – anders formuliert – dass hohe Teilnahmebeiträge eine absolute Bildungsbarriere darstellen.

Die Faktoren einer erfolgreichen Weiterbildungsmaßnahme für Menschen, die nicht ausreichend lesen und schreiben können, sind also hinreichend bekannt, sie kosten aber Geld. Geld, das das BMBF nicht in die Hand nehmen kann, weil es nicht in erster Linie für Bildung zuständig ist. Dies sind die Länder. Weil das BMBF sich nun aber stark machen möchte für die Analphabeten, geht es den Umweg über die Forschung. In den Projekten wird deshalb in erster Linie zum Thema Analphabetismus grundsätzlich geforscht. Natürlich gehört zur Forschung auch immer eine Erprobungsphase. Es wird also eine Phase in der Bundesrepublik geben, in der zum Thema Alphabetisierung geforscht wird und zugleich ein breites Angebot vorhanden ist. Doch was passiert, wenn die Projekte zu Ende gegangen sein werden? Natürlich sollen alle Projekte nachhaltig gestaltet sein. Allerdings stellt sich schon zum jetzigen Zeitpunkt die Frage, wie diese Gewährleistung tatsächlich aussieht. Woher sollen die notwendigen Gelder nach der Projektlaufzeit kommen, wenn sie nicht von den öffentlichen Haushalten (Bund / Land) zur Verfügung gestellt werden?

Für jemanden, der nicht lesen und schreiben kann, ist es egal, ob er dies in der Projektphase oder anschließend nicht kann. Für ihn ist das verlässliche, kostengünstige Angebot mit einer sozialpädagogischen Begleitung und nach Möglichkeit einer Doppeldozentur in einer kleinen Lerngruppe wichtig. Gut, dass es das bereits gibt. Noch besser wäre es, wenn die Einrichtungen, die dieses durchführen, nicht so einen schwierigen Kampf um öffentliche Gelder führen müssten.

Steffi Rohling ist Direktorin des Verbands der Volkshochschulen von Rheinland-Pfalz.