DIE Zeitschrift für Erwachsenenbildung

Mit Migranten lernen

Interkulturelle Fortbildung für zivilen Dialog in der Verwaltung

Gerhild Brüning

Historisch betrachtet ist Migration stets eine Quelle für gesellschaftliche Innovation, soziale Mobilität, lebendige Wirtschaftsentwicklung sowie kulturelle und geistige Blüte. Auch heute ist die Vielfalt der Menschen und die Ausdifferenzierung der Lebenslagen Potenzial und Herausforderung zugleich. Um die Entfaltung dieser Potenziale zu unterstützen, sind Öffnungsprozesse der Menschen, v.a. aber der strukturell-organisatorischen Ebenen notwendig. Hierzu erprobt das Grundtvig-Projekt EICP eine Weiterbildung für Verwaltungen, die interkulturelle Kompetenz zu einem Thema der Organisationsentwicklung macht.

Irritationen und Konflikte entstehen in der Verwaltung besonders in Bereichen mit Publikumsverkehr. Für Migrant/inn/en ist das Aufsuchen der Verwaltung und die daraus entstehende Interaktion zumeist keine freiwillige Entscheidung. Sie haben keine Wahlmöglichkeit. Ihre Kontaktaufnahme mit der Behörde dient häufig der existentiellen Selbsterhaltung. So geht es z. B. um den Aufenthaltsstatus, um die Unterstützung der Integration (Förderung von Spracherwerb) oder um die Notwendigkeit der materiellen (Sozial-)Hilfe. Gerade in existentiellen Notsituationen sehen sich Bürger/innen in ihren Belangen unzureichend unterstützt oder unangemessen abgefertigt. Migrant/inn/en fühlen sich oft und schnell missverstanden und als »Bürger zweiter Klasse« behandelt.

Amtsmitarbeitende haben dagegen häufig das Gefühl, als »Sündenbock« für vorgegebene Verwaltungsanweisungen und unrealistische Erwartungen der »Kunden« herhalten zu müssen. Wiederkehrende problematische Kontaktsituationen belasten beide Seiten. Sie führen zu Diskriminierungserfahrungen seitens der Migrant/inn/en und Klagen über »schwierige Klientel« seitens der Amtsmitarbeitenden.

Diese Konflikte sind Ausdruck dessen, dass die Schnittstelle des Handelns von Bürger und Verwaltung durch unterschiedliche Motive, Verhaltensmuster, Interessen und durch Machtungleichheit geprägt ist.

Im Bereich der öffentlichen Dienstleistungen sind die Behörden als Subsystem der Gesellschaft die unmittelbaren Ansprechpartner einer immer heterogener werdenden Migrantengesellschaft. Verwaltungen sind die Ausführenden der gesetzlichen Bestimmungen. Sie geben die Bedingungen des Zusammenlebens an die Bürger weiter und regeln sie gleichzeitig. Die staatliche Gesetzgebung umreißt den Rahmen, in dem sich Mehrheit und ethnische Minderheiten zu bewegen haben. Allerdings ist der Rahmen für die Zugewanderten sehr viel enger gezogen als für Angehörige der Mehrheitsgesellschaft.

Die herkömmliche Verwaltungsausbildung ist stark auf die Vermittlung positiven Rechts und verwaltungsadäquater Sachbearbeitung zugeschnitten. Soziale und personale Kompetenzen, die zur Verbesserung des Kontaktes mit den Bürgern beitragen und die Person, nicht aber den »Fall« in den Mittelpunkt stellen, kommen bislang zu kurz. Hierfür schließt interkulturelle Weiterbildung eine Lücke.

Viele Kommunen und Kreise befinden sich seit einigen Jahren in einem strukturellen Wandel. Unter dem Aspekt der Kundenorientierung findet eine Verwaltungsmodernisierung statt, die ein verändertes Qualifikationsprofil der Professionellen erfordert. Hierzu gehört der kompetente Umgang mit »Kunden« anderer Ethnien als selbstverständliche Schlüsselqualifikation.

Eine hierzu geeignete interkulturelle Weiterbildung erprobt das am DIE angesiedelte Grundtvig-Projekt European Intercultural Competence Programme (EICP). Es will Weiterbildung und interkulturelle Öffnung von Verwaltungen verschränken. In EICP werden Amtsleitungen, Verwaltungsangestellte und Vertreter von Migrantenorganisationen in die verschiedenen Programmteile einbezogen, teils in gemeinsamen, teils in getrennten Weiterbildungen. Auf diese Weise soll ein ziviler Dialog initiiert werden, in dem die beteiligten Partner/innen ihre individuellen Erfahrungen, (Problem-)Wahrnehmungen und Interessen einbringen können. Die grundlegende Idee des Konzepts des zivilen Dialogs beruht darauf, dass das politische System einer Demokratie durch gleichberechtigte Teilhabe und Mitwirkung aller immer wieder hergestellt und Mehrheit und Minderheiten in Kontakt gebracht werden müssen.

Dabei arbeitet EICP mit folgendem Begriff interkultureller Kompetenz:

Unter interkultureller Kompetenz bei Personen ist die Kompetenz zu verstehen, mit Personen aus anderen Kulturen akzeptierend und wertschätzend zu kommunizieren, zu kooperieren und zusammenzuleben. Dazu gehört eine Handlungskompetenz, die u.a. verbunden ist mit Selbstreflexion, Ambiguitätstoleranz, kommunikativer Kompetenz und Auseinandersetzungsbereitschaft; daneben ist aber auch vielfältiges Wissen u. a. über Bedingungen und Auswirkungen von Wanderungsbewegungen wie auch die ökonomische, psychische und soziale Situation von Migranten.

Interkulturelle Kompetenz von Mitarbeitenden der Verwaltung ermöglicht einen bürgernahen Service, verringert Konflikte zwischen Dienstleistern und Kunden, verbessert die Arbeitszufriedenheit der Verwaltungsangestellten, sichert die Qualität der Dienstleistungskultur und erhöht die öffentliche Anerkennung der Institution.

Interkulturelle Kompetenz der Verwaltungen ist als interkulturelle Öffnung bzw. Orientierung zu verstehen. Der häufig anzutreffende Defizitblick auf die Zugewanderten und assimilatorische Erwartungen werden der gesellschaftlichen Realität längst nicht mehr gerecht.

»Migranten nehmen als Vertreter zivilgesellschaftlicher Organisationen teil.«

Interkulturelle Öffnung in der Verwaltung setzt die Bereitschaft zu Veränderungen voraus. Diese Prozesse müssen in einer gleichzeitigen, sich gegenseitig bedingenden Top-down- und Bottom-up-Strategie erfolgen. Organisationsentwicklung und Personalentwicklung ergänzen sich hier. Um eine nachhaltige interkulturelle Neubestimmungen der Verwaltungskultur zu initiieren, müssen Amtsleitungen den Nutzen erkennen, den interkulturelle Kompetenz einbringt.

EICP erprobt sein Konzept in Bochum, Mülheim/Ruhr und Bielefeld. Die beteiligten Migrant/inn/en werden nicht als Repräsentanten ihrer »Kultur« ausgewählt. Das könnte zur Funktionalisierung der Personen führen, was bei Konzepten von »Begegnungsseminaren« als Gefahr eingeschätzt wurde. Migrant/in-n/en nehmen vielmehr als Vertreter zivilgesellschaftlicher Organisationen wie Ausländerbeiräten und Migrantenvereinen teil.

In gemeinsamen (cross-culture-)Seminaren wird ein Austausch ermöglicht, bei dem vor dem Hintergrund unterschiedlicher Sichtweisen und Lebenslagen (Verwaltungsangestellte, Migrant/innen) geübt werden kann, Erfahrungen, Deutungen, Missverständnisse, Konflikte etc. aus kultureller, politischer, struktureller und sozialer Perspektive zu betrachten. Es ist für die meisten Teilnehmenden eine ungewohnte Vorgehensweise, sich durch Übungen in die Situation eines anderen hineinzuversetzen. Positive (Lern-)Erfahrungen und gesteuerte Auseinandersetzungsmöglichkeiten führen so zu konstruktiven und gleichberechtigten Aushandlungsprozessen. Dadurch wird es möglich, auf der Begegnungsebene auch Themen wie Macht und Ausgrenzung anzugehen.

Um die Forderung nach Partizipation authentisch sichtbar zu machen, wurde in dem Projekt auch die Seminarleitung interkulturell und interdisziplinär besetzt. Das hat zur erhöhten Akzeptanz des Konzepts wie der leitenden Personen beigetragen.

Wie die Projekterfahrungen zeigen, ist das Interesse am Austausch über die beiderseitigen Erfahrungen erheblich. Es wurde der Wunsch geäußert, die Workshops je zur Hälfte mit Migrant/innen und Verwaltungsangestellten zu besetzen, was aus organisatorischen Gründen nicht immer gelang. Das Interesse, gemeinsam Lösungsvorschläge zu offensichtlichen und immer wiederkehrenden Problemen im Kontakt von Migrant/inn/en und Verwaltungsangestellten im beruflichen Alltag zu erarbeiten, war überraschend groß und die Liste der Verbesserungsvorschläge entsprechend lang. Dabei zeigte sich, dass das Interkulturelle bei den Problemlösungen oft eine nachgeordnete Rolle spielt, weil die Lösungen sich für alle Bürger/innen – nicht nur für die Nicht-Deutschen – als Verbesserungen erwiesen.

In einem weiteren Schritt wurden Empfehlungen erarbeitet, was die Verwaltung selbst tun kann, um zu einem besseren Miteinander zu kommen. Diese Empfehlungen wurden den Dezernenten und Personalverantwortlichen überreicht und z. T. bereits umgesetzt.

Der Anstoß zur Erweiterung der Verwaltungsmodernisierung kam aus der Kommune selbst, und zwar seitens der VHSen. Sie begleiten die Implementierung der Ergebnisse in die Verwaltung. Damit tragen sie zur Organisationsentwicklung