DIE Zeitschrift für Erwachsenenbildung

Finanzierung von Weiterbildung vor Ort

»SICHER IST NUR DER MANGEL«

Mechthild Tillmann ist seit 2000 Leiterin der Rhein-Sieg-Volkshochschule mit Sitz der Geschäftsstelle in der Kreisstadt Siegburg. Neun Städte und Gemeinden des rechtsrheinischen Rhein-Sieg-Kreises haben sich im Volkshochschulzweckverband Rhein-Sieg zusammengeschlossen. Seit ihrem Amtsantritt hat sie innovative Lösungen der Finanzierung erreicht. Für »DIE« legt sie die Karten auf den Tisch, wie sie trotz neuerlich gekürzter Landesmittel einen tragfähigen Haushalt vorlegen kann. Mit ihr sprach Dr. Peter Brandt.

DIE: Am 28. Januar dieses Jahres hat das Land NRW in seinem Haushalt die Landesmittel für die Weiterbildung um pauschal 15 Prozent gesenkt. Wie verkraftet eine Volkshochschule so etwas?

Tillmann: Salopp formuliert: »mit kluger Voraussicht«. Das fiel ja nicht vom Himmel. Schon im Jahr 2002 kündigte die Landesregierung die Zusagen des Weiterbildungsgesetzes auf und kürzte die Zuschüsse um fünf Prozent, berechnet auf der Bemessungsgrundlage von 1999. Seit Mitte des letzten Jahres mehrten sich dann die Anzeichen aus dem politischen Raum, dass auch der geminderte Zuschussbetrag in den Folgejahren nicht zur Verfügung stehen würde. In der Konsequenz gab es eine verbindliche Vorgabe für das pädagogische Personal in der Planung für das jetzt anlaufende Frühjahrssemester: Sparmaßnahmen in den Fachbereichen, die wenig oder gar keine Teilnehmerbeiträge erzielen, und Intensivierung von Angebotsbereichen, die die Teilnehmer stärker finanziell beteiligen.

DIE: Wie bewahren Sie sich angesichts schwankender und von kurzfristigen Entwicklungen der Landeshaushalte abhängiger Zuschüsse so etwas wie Planungssicherheit?

Tillmann: Damit sprechen Sie einen neuralgischen Punkt an. Für 2004 und 2005 gehen wir zunächst von gleich bleibenden Landesmitteln aus. Da die Kommunen auf absehbare Zeit nicht in der Lage sein werden, mehr Finanzmittel für die Pflichtaufgabe »kommunale Weiterbildung« zur Verfügung zu stellen, ist zumindest das Ausmaß des Mangels sicher. Welche Konsequenzen hat das für die Planung? – Wir planen im Wesentlichen nach Erfahrungswerten. Will sagen, Englisch und Spanisch sind stark nachgefragt und werden flächendeckend angeboten. Alle anderen Sprachen werden gebündelt und nur noch zentral mit jeweils einem Anfängerkurs ausgeschrieben. Auf der Strecke bleibt dabei das Postulat der Dezentralität und der Versorgung auch der kleinen Kommunen mit bürgernaher Weiterbildung. »Sicher« ist bei der Konzeptionierung auch, dass die gestalterische Freiheit schmerzhaft beschnitten wird. Darunter leidet zukunftsorientierte Erwachsenenbildung, die sich gleichsam seismografisch an die Bildungsbedürfnisse von morgen annähert. In der Praxis können wir uns keine hervorragenden Referenten mit ausgefallenen Themen mehr leisten, die politische Bildung kommt viel zu kurz, im Schulabschlussbereich muss gekürzt werden.

DIE: Welchen Stellenwert nehmen Landesmittel im Budget Ihrer Volkshochschule ein?

Tillmann: Die alte Idee von der Drittelung der Finanzmittel für Einrichtungen der öffentlichen Weiterbildung hat sich lange selbst überlebt. Konkret sieht das im Jahre 2004 für die Rhein-Sieg-Volkshochschule so aus: Das Land steuert 23,5 Prozent zum Haushalt bei, die neun Kommunen finanzieren mit ihren Beiträgen zum Zweckverband 36,6 Prozent, die restlichen knapp 40 Prozent werden erwirtschaftet. Die letzte Zahl setzt sich aus Teilnehmerentgelten sowie aus sogenannten Drittmitteln zusammen, die ich lieber Eigenmittel nennen würde, weil sie per Akquisition und Vertragsabwicklung in unser Budget fließen.

DIE: Sie müssen Ihr Programm weitgehend den Gegebenheiten des Marktes anpassen. Wie bewahren Sie zugleich das pädagogische Profil?

Tillmann: Marktgängigkeit und Profilschärfung schließen sich nicht aus. Was nachgefragt wird, bieten wir an. Das ist sicher eines der ältesten Gesetze der Marktwirtschaft. Allerdings finden Sie an der Rhein-Sieg-Volkshochschule schon lange keine Kurse mehr wie z. B. »Erwerb des Sportbootführerscheins«. Forciert werden eher Veranstaltungen, die Menschen in allen Lebensbereichen im eigenverantwortlichen Handeln unterstützen. Dazu gehört die gesellschaftliche Teilhabe genauso wie die persönliche Entwicklung und die berufliche Qualifizierung.

DIE: Haben Sie Mittel für die Qualifizierung Ihrer eigenen Beschäftigten?

Tillmann: Ja, wir investieren – um noch einmal einen betriebswirtschaftlichen Terminus zu verwenden – am meisten in unser professionelles Know-how. Als »Alleinstellungsmerkmal« im pädagogischen Profil würde ich die Qualität unseres haupt- und nebenamtlichen Personals, seine Beratungskompetenz und seinen Ausbildungsnachweis nennen. Im Jahr 2002 haben von gut 400 Kursleitenden mehr als ein Viertel an unseren Fortbildungen teilgenommen. Mittlerweile bilden wir das pädagogische Personal anderer Weiterbildungseinrichtungen aus und fort – Bildung auf Bestellung sozusagen. Und da schließt sich der Kreis von Angebot und Nachfrage wieder.

DIE: Verraten Sie den Lesern – und damit vielleicht auch der Konkurrenz – ein paar Tricks, wie Sie intern rechnen?

Tillmann: Am besten lässt sich unsere Konsolidierungsstrategie am intensiven Vernetzen und Ausschöpfen von Kooperations-Ressourcen demonstrieren. Vor etwa drei Jahren noch betrug der Aufwand der VHS für die Sprachkurse für Menschen mit Migrationshintergrund ungefähr 100.000 DM. In der Verantwortung einer neuen Fachbereichsleiterin, die über Netzwerkarbeit und Kooperationsverträge mit den Kommunen und dem Rhein-Sieg-Kreis sowie Schulen und anderen Trägern aus allen Fördertöpfen Mittel akquirierte, steht der Fachbereich heute mit einem Zuschuss von lediglich 2.000 Euro da.

DIE: Entwerfen Sie ein Zukunftsszenario: Wie sieht die öffentliche Finanzierung der Volkshochschulen im Jahre 2010 aus?

Tillmann: Mit solchen Ideen, Vermutungen, Vorstellungen an die Öffentlichkeit zu gehen, ist nicht ganz unproblematisch. In meinem Wunschdenken sehe ich eine Statusaufwertung der Volkshochschule in der regionalen Bildungslandschaft – als kommunales Bildungszentrum. Lebensbegleitendes Lernen hat sich als individuelles Konzept durchgesetzt. Dies wird von Land und Kommune anerkannt und großzügig finanziell unterstützt.

DIE: Aber so rosig sehen Sie vermutlich die Zukunft nicht?

Tillmann: In den zwölf Jahren, in denen ich hauptberuflich an einer Volkshochschule arbeite, sind die Bedingungen kontinuierlich schlechter geworden. Realistisch betrachtet ist keine Besserung in Sicht. Städte und Gemeinden werden in den nächsten sechs Jahren kaum einen finanziellen Aufschwung erfahren, der sofort Geld im entsprechenden Umfang für dringend notwendige Maßnahmen etwa in der Integrationsarbeit bereitstellt oder Bildungsmaßnahmen für junge Erwachsene ermöglicht, die ohne die erforderliche Qualifizierung keinen Zugang zum Arbeitsmarkt erlangen werden. Also gehe ich davon aus, dass die öffentlichen Gelder – sowohl vom Land NRW als auch von den Kommunen – im besten Fall in der jetzigen Höhe erhalten bleiben. Mit Sicherheit werden gleichzeitig die Qualitätsanforderungen für anerkannte Weiterbildung weiter ausformuliert. Dieser Widerspruch wird weiter für Diskussionsstoff sorgen: Bei sinkenden oder stagnierenden Zuschüssen steigen die Leistungsanforderungen an die Einrichtungen sowie die inhaltliche Einflussnahme durch das Land.

DIE: Was ist zu tun, damit die Entwicklung gut ausgeht?

Tillmann: Volkshochschulen müssen lernen, sich zu öffnen und sich horizontal (d.h. mit anderen Volkshochschulen) und vertikal (z.B. mit Fachhochschulen, mit Verlagen, mit Büchereien, mit öffentlichen und privaten Trägern) zu vernetzen. Mein Leitgedanke an der Stelle ist »Co-opetition«, ein aus der Spieltheorie entlehnter Begriff, der eine Kombination von Konkurrenz und Kooperation meint. So wie das Autohaus die Finanzierung und die Versicherung mit dem Fahrzeug verkauft, so könnte Weiterbildung den Kurs, das Lehrbuch und die Fahrkarte im Verkehrsverbund anbieten. Oder sie macht sich Gedanken, ab wann der Konkurrent auf demselben Markt ihr Mitstreiter wird, weil mit gut proportionierten Anteilen beide ihre Kurse durchführen können. Das erproben wir gerade im Netzwerk Integration, das alle – öffentliche, konfessionelle und private – Anbieter von Deutschkursen im Rhein-Sieg-Kreis umfasst. Soeben ist die erste gemeinsame Broschüre erschienen, ein vielsprachiger Auftritt auf einer Website ist eingerichtet und eine gemeinsame Beratungsstelle für alle Träger in Planung.

DIE: Ihr Optimismus in allen Ehren – wenn alles mal so einfach wäre ...

Tillmann: Kostendeckung darf nicht mehr nur unter dem Zwang der Haushaltssicherung kalkuliert werden, sondern muss für alle oberhalb der Grundversorgung angesiedelten Angebote selbstverständlich sein. Rabatte und Sonderangebote füllen in den »schwachen« Monaten unsere Räume, Werbemaßnahmen werden im Verbund mit starken Partnern arrangiert. So lassen sich pädagogisches Profil und Marktgängigkeit in Einklang bringen.

DIE: Danke für das Gespräch.