DIE Zeitschrift für Erwachsenenbildung

Richtig ernst wird es erst noch

Folgenabschätzung der GATS-Verhandlungen für die Weiterbildung

Sebastian Haslinger / Christoph Scherrer

In der seit 2000 laufenden Verhandlungsrunde des internationalen Dienstleistungsabkommens GATS (»General Agreement on Trade in Services«) betreffen die meisten Marktöffnungsforderungen der europäischen Handelspartner im Bildungsbereich die Weiterbildung. Diese wurde zwar 1994 bereits weitgehend für ausländische Anbieter geöffnet, allerdings nur im Bereich der »privat finanzierten« Bildungsdienstleistungen. Nun fordern die USA, Neuseeland und andere Handelsnationen, dass die Beschränkung auf »privat« aufgegeben wird. Noch entscheidender: Sie verlangen auch, dass die staatliche Finanzierung der Weiterbildung GATS-konform gestaltet wird. Brasilien verlangt zudem erleichterten Zugang für Lehrpersonal. Die Autoren geben den Verhandlungsstand wieder und loten seine potenziellen Auswirkungen aus.

Für Dienstleistungen im Bereich der Erwachsenenbildung (GATS-Kategorie 5. D) sind die Europäische Union (EU) und ihre Mitgliedstaaten bereits 1994 relativ umfangreiche Liberalisierungsverpflichtungen eingegangen: Marktzutritt und Inländerbehandlung für die Erbringungsarten 1 (grenzüberschreitende Erbringung), 2 (Nutzung im Ausland) und 3 (kommerzielle Präsenz). Allerdings ist die EU-Verpflichtung auf »privat finanzierte« Bildungsdienstleistungen beschränkt.

Darüber hinaus sind die öffentlich-rechtlichen Bildungsträger noch durch die von der EU eingetragenen »horizontalen« Ausnahmen von den Disziplinen des GATS geschützt: durch (a) die Ausnahmeregelung für den öffentlichen Sektor, (b) die ungleiche Behandlung von Tochtergesellschaften aus Drittstaaten und (c) den Subventionsvorbehalt, d.h., die EU behält sich das Recht auf staatliche Unterstützung von Dienstleistungen vor.

Bei dem derzeitigen Stand können staatliche Weiterbildungsträger und solche mit staatlichem Auftrag trotz privater Anbieter auf dem Markt unbeschadet Weiterbildungsmaßnahmen von öffentlichem Interesse anbieten.

Weiterbildungsanbieter aus EU fremden Drittstaaten haben keinen Subventionsanspruch. Lehrpersonal kann unter Berufung auf das GATS nur in der EU tätig werden, wenn es sich um Spezialisten oder konzernintern versetztes Personal handelt (Erbringungsart 4).

Im Sommer 2002 stellten einige WTO-Mitglieder gegenüber der EU Forderungen zur weiteren Liberalisierung des Bildungssektors einschließlich der Weiterbildung auf. Insbesondere die USA fordern von der EU, die Beschränkung auf »privat finanzierte Ausbildungsleistungen« aufzuheben. Sie schlagen zudem vor, einen neuen Subsektor »Training« in das GATS aufzunehmen. Dieser unterscheidet sich von der Weiterbildung darin, dass es sich mehr um die Vermittlung arbeitsbezogener praktischer Fertigkeiten mit geringem Theorieanteil handelt (vgl. USA o.J.: 2). Angebote hierfür dürften hauptsächlich im Rahmen der betrieblichen Weiterbildung und des praktischen Teils der Berufausbildung angesiedelt sein.

Brasilien fordert darüber hinaus auch die Liberalisierung der Präsenz natürlicher Personen (Erbringungsart 4, vgl. Belgien 2002, S.  38). Auf diese Forderung antwortete die EU im Sommer 2003 mit dem Angebot einer erheblichen Erleichterung für die befristete Arbeitsmigration von Dienstleistungserbringern (vgl. Raza 2006).

Die Folgen einer weiteren Liberalisierung dürften für die Weiterbildung recht unterschiedlich ausfallen:

1. Von einer Annahme der Forderungen werden die Volkshochschulen (VHS) am stärksten betroffen sein. Dabei dürfte die Verpflichtung zur Inländerbehandlung für Zweigstellen nach ausländischem Recht die verhältnismäßig geringste Auswirkung entfalten, sofern darüber hinaus keine Verpflichtungen eingegangen werden. Die Zweigstellen ausländischer Unternehmen werden den nach inländischem Recht gegründeten Tochtergesellschaften gleichgestellt. Dies erleichtert den Marktzugang für Drittstaaten-Unternehmen auf den europäischen Markt, da sie geringere Vorleistungen bspw. bei der Zulassung als Träger von Bildungsmaßnahmen, die staatlich anerkannt oder gefördert werden, erbringen müssen.

Schwerer werden die Übernahme von Verpflichtungen für öffentliche Dienstleistungen sowie eine Aufgabe des Subventionsvorbehalts wiegen. Ohne die Ausnahme für öffentliche Dienstleistungen werden die Möglichkeiten der Quersubventionierung (d.h. die Finanzierung weniger nachgefragter Kurse durch populäre Kurse) stark beschnitten. Fällt der Subventionsvorbehalt weg, dann wird der Subventionsanteil an den Volkshochschulfinanzen zurückgehen. Das kleinere Budget führt einerseits zu einem ausschließlich nach betriebswirtschaftlichen Kriterien zusammengestellten Angebot, d.h., betriebswirtschaftlich nicht tragfähige Kurse werden gestrichen, auch wenn sie volkswirtschaftlich durchaus von Nutzen sind; das dürfte vor allem die allgemeine Weiterbildung betreffen. Da profitable Angebote nach der Liberalisierung anfangs einem starken Wettbewerbsdruck ausgesetzt sein werden, sind zudem kaum noch Gewinne für eine Quersubventionierung zu erwarten. Andererseits muss mit einem erheblichen Anstieg der Kursgebühren gerechnet werden. Das wiederum führt zu einer geringeren Nachfrage und in der Folge zu einem starken Rückgang des Marktanteils der Volkshochschulen.

2. Für berufliche Aufstiegsfortbildungen von Fachschulen, wie beispielsweise Meisterkurse oder solche zum staatlich geprüften Techniker oder Fachwirt, wird sich die Übernahme von Verpflichtungen, sofern es sich um öffentlich finanzierte Angebote handelt, ähnlich auswirken wie für die allgemeine Weiterbildung an Volkshochschulen. Zudem wird hier die Verpflichtung zur Inländerbehandlung für Zweigstellen nach ausländischem Recht eine stärkere Wirkung entfalten, weil in diesem Segment die Zahl der potenziellen Anbieter deutlich höher ist und die bisherigen Subventionen geringer ausfallen.

Allerdings könnte GATS für dieses Segment Vorteile bieten: Die Aufstiegsfortbildungen genießen beispielsweise in handwerklich-technischen Berufen international eine sehr hohe Reputation (vgl. Wagner 2002, S. 28–31). Es können zumindest für einzelne Bereiche gute Exportchancen vermutet werden, falls es gelingt, neue Märkte zu erschließen.

3. Das novellierte SGB III sieht zwei Möglichkeiten vor, Maßnahmen der beruflichen Weiterbildung für Arbeitslose GATS-konform gestalten: Gutscheine und externe Akkreditierung der Weiterbildungsträger. Die

Einführung von Gutscheinen, die der Arbeitslose bei einem geeigneten Träger seiner Wahl einlösen kann, erleichtert den Zugang ausländischer Anbieter zum SGB-III-Markt. Die Zertifizierungsagenturen müssen lediglich eine staatliche Zulassung erhalten. Deshalb können durchaus ausländische Zertifizierungsagenturen in den Markt eintreten. Denkbar ist, dass sich bei ihnen bevorzugt ausländische –womöglich ihnen nahestehende – Weiterbildungsanbieter um Zulassung bemühen könnten. Obwohl bereits vor dieser Novelle durch die Bundesagentur für Arbeit ausländische Weiterbildungsangebote zugelassen werden konnten, dürfte dies nun leichter fallen.

4. Eine umfassende Liberalisierung des Subsektors Weiterbildung bringt transnationalen Konzernen Vorteile. Sie können dann ihre Aktivitäten in der betrieblichen Weiterbildung konzentrieren. Ein im Vergleich zu heute relativ kleiner Mitarbeiterstab genügt für die Durchführung der Weiterbildungsmaßnahmen in allen Konzernteilen weltweit. Es verwundert deshalb nicht, dass die Industrievertreter nahezu unabhängig von ihrem Herkunftsland ähnliche Wünsche zur Öffnung der Weiterbildungsmärkte haben (vgl. Yalçin/Scherrer 2002, S. 19f.). Eine wichtige Rolle spielen hier die grenzüberschreitende Erbringung der Dienstleistung in der Form des E-Learning, die Teilnahme an Kursen von Mitarbeitern im Ausland sowie die Durchführung von Kursen durch ausländisches Lehrpersonal im Inland. Das EU-Angebot des erleichterten befristeten Aufenthalts von qualifiziertem Personal (einschließlich Trainees) dürfte im Wesentlichen den Weiterbildungsaktivitäten transnationaler Konzerne zugute kommen (vgl. Raza 2006).

In den Bereichen Computer und EDV-Systeme dürften Unternehmen aus Fernost und Nordamerika, wie beispielsweise IBM, Cisco, Microsoft oder AT&T, den meisten Nutzen aus einer Liberalisierung ziehen (vgl. Hirtt 2000); hier gibt es z.B. mit SAP auch deutsche Anbieter. Bei Weiterbildung im Bereich der Investitionsgüterindustrie verfügen insbesondere die exportstarken deutschen Maschinenbauer über ein erhebliches Marktpotenzial (vgl. Severing/Fietz 2002: 22f.). Für diesen Weiterbildungszweig dürften von einer weitergehenden Liberalisierung am ehesten positive Wirkungen ausgehen.

Bei einer Streichung des Subventionsvorbehalts oder der Ausnahme für öffentliche Dienstleistungen wird insbesondere staatlichen Einrichtungen erheblich weniger Geld zur Verfügung stehen. Es ist anzunehmen, dass die Länder, die diese Forderungen stellen, die Subventionen nicht ganz abschaffen wollen: Manche von ihnen, wie z.B. die USA, sprechen in ihren Kommuniqués durchaus von der »Wichtigkeit des Staates« im Bildungssektor (vgl. USA o. J.). Die Forderungen zielen eher auf einen Zugang zu den staatlichen Geldern anderer Länder ab.

GATS-konform ist die Finanzierung dann, wenn ausländische Anbieter gleiche Chancen haben, in ihren Genuss zu kommen. Dies kann auf zwei Wegen erreicht werden.

• Zunächst könnten alle Weiterbildungsanbieter direkt staatliche Gelder erhalten (Handelsdeutsch: Subventionen). Die Vergabe der Mittel könnte über ein Ausschreibungsverfahren erfolgen, an dem sich alle inländischen wie ausländischen Anbieter gleichermaßen beteiligen könnten. Den Zuschlag erhielte, wer das günstigste Preis-Leistungs-Verhältnis verspräche. Dieses Verfahren wirft die Frage der so genannten Quersubventionierung auf, weil die staatlichen Mittel nicht für andere Angebote genutzt werden dürften. Ohne Möglichkeit zur Quersubventionierung werden Anbieter mit einem breiten Angebotspektrum dieses nicht halten können, obwohl es im öffentlichen Interesse ist und bezogen auf die Einrichtung sogar kostendeckend wäre (vgl. das oben angeführte Beispiel Volkshochschulen).

• Die effizienteste GATS-konforme Lösung dürfte deshalb wohl ein Zuschuss zu den Kursgebühren an die Weiterbildungsteilnehmer sein. Er kann von der Bedürftigkeit des Teilnehmers sowie von der Art und dem Inhalt des Angebots abhängen. Die zu Bildenden könnten sich dann Bildungsträger ihrer Wahl aussuchen, also auch außerhalb des öffentlichen Sektors. Letzterer verlöre damit letztlich seine Existenzberechtigung.

In beiden Fällen müssten öffentliche mit nichtöffentlichen Bildungsträgern – direkt oder vermittelt über die Teilnehmer – um staatliche Subventionen konkurrieren oder ihre Angebote an der zahlungskräftigen Nachfrage ausrichten und die sich nicht selbst tragenden Kurse einstellen. Letzteres birgt die Gefahr einer Unterversorgung der Bevölkerung mit allgemeinbildenden Kursen.

Noch ist dies Zukunftsmusik, die GATS-Verhandlungen sind längst noch nicht abgeschlossen (vgl. den Beitrag von Blinn, S. 26f.). Solange die Nord-Süd-Kontroversen im Bereich der Agrarverhandlungen nicht in einen Kompromiss münden, ist mit einem Abschluss der Verhandlungsrunde nicht zu rechnen. Doch während in den anderen Bildungsbereichen die staatliche Verantwortung von der Politik betont und entsprechend geringe Bereitschaft signalisiert wird, auf die Forderungen der Handelspartner einzugehen, haben die damalige Bildungsministerin und die Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung (BLK) Liberalisierungen im Weiterbildungsbereich für grundsätzlich verhandelbar erklärt
(E. Bulmahn in der FR vom 8.7.2002; BLK 2002). Zugeständnisse im Rahmen von GATS sind faktisch festgeschrieben. Im Falle ihrer Rücknahme müssten die betroffenen ausländischen Anbieter monetär oder durch weitergehende Liberalisierungsverpflichtungen in anderen Sektoren kompensiert werden. Mithin sollte jetzt, bevor es zu spät ist, das Verhandlungsangebot diskutiert werden.

Literatur

Belgien (2002): Analysis of Requests to all EC, o.O.

BLK (2002): Grundsatzposition zur Behandlung der Bildungsdienstleistungen in den laufenden Verhandlungen im Rahmen der WTO über das GATS. Bonn

Hirtt, N. (2000): Will Education go to Market? URL: www.unesco.org/courier/2000_02/uk/apprend/txt1.htm (Zugriff: 24.02.2006)

Raza, W. (2006): Die GATS-Verhandlungen zur temporären Migration von natürlichen Personen (Mode 4). In: Scherrer, Ch./Fritz, Th./Mosebach, K./Raza, W.: GATS Dienstleistungsliberalisierung. Umwelt-. Transport- und Gesundheitsdienstleistungen. Düsseldorf (Hans Böckler Stiftung), im Erscheinen

Severing, E./Fietz, G. (2002): »weiterbildung worldwide« – deutsche Weiterbildungsanbieter auf internationalen Märkten. In: BWP, H. 6, S. 19–23

USA (o.J.): Communication from the US: Higher (Tertiary) Education, Adult Education and Training. URL: www.usinfo.state.gov/topical/econ/wto99/education1214.htm (Zugriff: 24.02.2006)

Wagner, H.-G. (2002): China – ein Markt für deutsche Bildungsanbieter. In: BWP, H. 6, S. 28–31

Yalçin, G./Scherrer, Ch. (2002): GATS-Verhandlungen im Bildungsbereich, Gutachten für die Max-Traeger-Stiftung. Kassel