DIE Zeitschrift für Erwachsenenbildung

Valorisierung – mehr als ein Gespenst

Gertrud Wolf

Ein Gespenst geht um im Projektbereich der EU, es heißt Valorisierung. Für die einen ist es nur ein Synonym für Begriffe wie Transfer oder Dissemination, die in den Projektanträgen von jeher zu berücksichtigen waren. Für die anderen steht Valorisation für eine ganz neue Generation von Projekten. Wie dem auch sei, in Leonardo-Projekten ist die Valorisierung seit der Antragsphase 2005/2006 verpflichtend. Zukünftig wird ein Valorisierungskonzept für alle EU-Projekte verlangt. Höchste Zeit also, sich auf die Lauer zu legen und das Gespenst aus der Nähe zu betrachten.

Was ist Valorisierung? In den Veröffentlichungen der EU wird darauf verwiesen, dass der Begriff Valorisation (synonym: Valorisierung) aus dem französischen Bildungssystem stammt. In der französischen Sprache ist er in der Tat recht gebräuchlich: »la valeur« = »der Wert« könnte mit »positiver Wertung« übersetzt werden, »valorisation« demnach mit »Wertgebung«, jedoch nicht mit »Wertung«. »Valoriser les efforts d’un client« bedeutet etwa, die Anstrengungen eines Klienten positiv zu werten und zu stärken. Valorisation zielt in diesem Sinne immer auf Entwicklung – und das in allen Bereichen. Ganz anders im Deutschen. Dort wird Valorisierung, wenn überhaupt, im wirtschaftlichen Sinne auf eine Anhebung von i.d.R. Preisen, manchmal auch Gehältern bezogen. Aber auch im Französischen finden sich Konnotationen des Valorsierungsbegriffs im Wirtschaftbereich, z.B. wenn es um die Rentabilität eines Unternehmens geht. Es ist kein Widerspruch, dass Valorisierung sowohl ideelle als auch materielle Aspekte beinhaltet. Insofern ist diese Vokabel ohne weiteres anschlussfähig an den deutschen Begriff »Wert« und lässt sich mit Begriffen wie »Wertsteigerung«, »Inwertsetzung« oder »Aufwertung« übersetzen.

Im Projektbereich zielt »Valorisierung« auf eine konkrete und nachweisbare Nutzung von Projekt- oder Forschungsergebnissen in den verschiedenen Feldern der Berufsbildung. Im Leitfaden für die Leonardo-Projektträger heißt es dazu: »Valorisierung lässt sich beschreiben als Prozess der Verbreitung und Nutzung/Verwertung von Projektergebnissen mit dem Ziel, ihren Wert zu optimieren, ihre Wirkung zu erhöhen und sie in Ausbildungssysteme und -verfahren sowohl auf lokaler/nationaler wie auch auf europäischer Ebene zu integrieren« (EU 2005, S. 1). Mit anderen Worten: Valorisierung zielt auf die kontinuierliche Umsetzung von Projektergebnissen in die Praxis unter Berücksichtigung und Einbeziehung der entsprechenden Ausbildungsverfahren. Der neue Terminus unterscheidet sich dementsprechend von »Transfer« oder »Dissemination«, da er ausdrücklich auf Kontexte der beruflichen Bildung bezogen ist.

Transfer und Valorisierung sind auch insofern keine Synonyme, weil sie in zeitlicher und dynamischer Hinsicht divergieren: Werden in einem ersten Schritt Ergebnisse produziert, die dann in einem zweiten Schritt in andere Zusammenhänge übertragen werden, so spricht man von Transfer. Gegenüber diesem zeitlichen Nacheinander erscheint die Valorisierung als ein das Projekt von Beginn an begleitender Prozess – eben mit beständiger Umsetzung in die Praxis. Damit verschieben sich auch die Aspekte der Kausalität. Während der Transfer nachträglich keinen direkten Einfluss auf den Projektverlauf haben kann, zielt die Valorisierungsstrategie gerade auf eine wechselseitige Einflussnahme, weswegen man auch von der »ex-ante-Valorisierung« spricht.

Strategische Verankerung

Transfer- und Disseminationsstrategien sind – nicht nur in EU-Projekten – meist mehr oder weniger stark ausgeprägte Absichtserklärungen. Ihre Verankerung in den Projektplänen ist oftmals mehr ideeller Natur und nur in Ansätzen ein strategisch geplanter, auf strikte Überprüfbarkeit zielender integraler Bestandteil der Projektkonzeption mit der Möglichkeit von Rückwirkungen. Die Forderung der Europäischen Kommission zielt jedoch darauf, dass Valorisierung auf einer frühzeitigen Analyse der Bedarfe, denen das Projekt entsprechen will, basieren soll. Deshalb ist es auch erforderlich, potenzielle Anwender und Zielgruppen der Projektergebnisse schon in die Projektplanung und während der gesamten Projektlaufzeit aktiv einzubeziehen.

Neu gegenüber dem bisherigen Vorgehen in EU-Projekten ist deshalb auch die Verpflichtung, nicht nur einen Verbreitungsplan zu erstellen, sondern einen Plan, der gemäß dem Valorisierungskonzept sämtliche Tätigkeiten zur Verbreitung, Information, Verwertung und Nutzung der Ergebnisse berücksichtigt (vgl. EU 2005). Dafür sollen im Finanzplan genaue und eindeutige Zuweisungen für die Umsetzung der geplanten Tätigkeiten enthalten sein, was immerhin etwa zehn bis zwanzig Prozent des Gesamtbudgets ausmacht.

Tabelle 1: Geschichte der Valorisierung im Leonardo da Vinci-Programm

Programmphase von Leonardo da Vinci Verwendung des Begriffs »Valorisierung«
LdV I 1995–1999
  • »Valorisierung« wird nicht erwähnt
  • Empfehlungen, LdV I zu evaluieren
    (nicht nur »ein Projekt um des Projekts willen«)
LdV II 2000–2006 erwähnt »Valorisierung«
  • ex-post, 2000–2002
  • ex-ante auf freiwilliger Basis, 2003–2004
  • ex-ante verpflichtend, 2005–2006
nach 2006 erwähnt »Valorisierung« ex-ante und verpflichtend für alle Programme (über LdV hinaus)

Die EU empfiehlt deshalb, dass die Projektträger bereits vor Ausarbeitung eines Valorisierungsplans Antworten auf folgende Schlüsselfragen gefunden haben müssen:

Brauchen Projekte einen Valorisator?

Auch aus der Perspektive des Projektmanagements erscheint die Unterscheidung von Transfer und Valorisation evident. In der traditionellen Aufteilung nach Prozessgruppen wurden die Transferaufgaben sinnvollerweise der Prozessgruppe »Abschluss« zugeordnet. Dem oben geschilderten Verständnis entspricht es allerdings, die Valorisierungsaufgabe quer zu den anderen Prozessgruppen zu denken: nämlich Initierung, Detailplanung, Durchführung und Steuerung. Gleichzeitig erscheint es sinnvoll, Valorisierung als aktiven Bestandteil aller Projektphasen wie Definition, Planung, Durchführung und Abschluss zu betrachten. Die Berücksichtigung der Valorisation in Form einer Querschnittsaufgabe steht jedoch in der Gefahr, überall ein bisschen und nirgends konkret wirksam zu werden. Insofern ist es notwendig, der Valorisation einen festen Platz im Projektmanagement zu sichern. Damit steht die Frage im Raum, ob das Gespenst vermenschlicht werden sollte, also ob Projekte zukünftig neben dem Evaluator vielleicht noch einen Valorisator benötigen.

Führen wir uns noch einmal im Detail vor Augen, welche Aufgaben ein Valorisator zu erfüllen hätte: Sein Hauptziel wäre die Verwertung der Projektergebnisse, zum einen durch ihre Übernahme in Ausbildungssysteme und zum anderen durch ihre Übernahme in die entsprechenden Praxen. Ersteres wäre ein im Wesentlichen politischer Akt, zweites ein im weitesten Sinne kommerzieller. Strategisch kann dies nur gelingen, wenn die Projektergebnisse einen optimalen Nutzen für ihre Zielgruppe aufweisen und der Boden entsprechend bereitet ist. In europäischen Projekten bedeutet dies, dass jedes Land seine spezifischen Bedürfnisse und auch seine spezifischen Rechtslagen im Hinblick auf das Projektziel beschreiben muss. Hier könnten die Indikatoren voneinander abweichen. Zumindest sollte der Valorisierungsplan Raum für die Länderspezifika geben. Insbesondere für die deutschen Projektpartner wird es nicht einfach sein, Valorisationsindikatoren zu finden, die sich innerhalb der streng regulierten Ausbildungsvorschriften realisieren lassen. Das bedeutet, frühzeitig die relevanten Partner nicht nur zu informieren, sondern auch an einen Tisch zu holen, wie z.B. die Industrie- und Handelskammern, die Gewerkschaften etc.

Valorisierung und wissenschaftliche Begleitung

Mittlerweile gehört die mehr oder weniger ausschweifende wissenschaftliche Begleitung zum Standard vieler Bildungsprojekte. Die wissenschaftliche Begleitung ist häufig als ein Prozess gegenseitigen Austauschs und Lernens angelegt. Sie enthält in der Regel Elemente der Evaluation, weist aber ebenso regelhaft deutlich über den Evaluationsauftrag hinaus. Nicht selten gehört es in Projekten daher auch zum Aufgabenspektrum der wissenschaftlichen Begleitung, den Austausch zwischen den beteiligten Akteuren z.B. aus Hochschule, Berufsbildung, Verbänden und Kammern zu moderieren und zu koordinieren.

Für die wissenschaftliche Begleitung ist die Valorisierungsstrategie auch in methodischer Hinsicht von Bedeutung. Die Aspekte der Prozesshaftigkeit und der Rückwirkung erscheinen an verschiedene Forschungstraditionen anschlussfähig, wie beispielsweise die forschende Fortbildung (vgl. Nuissl 1998) oder die Modellprojektforschung (vgl. Zimmer 1997). Hinter diesen Forschungstypen verbirgt sich die Idee, mit Hilfe einer Forschungsmethodik tragfähige Innovationen zu generieren. »Die Aufgabe der wissenschaftlichen Begleitung ist es, das Handeln sowohl zu analysieren, zu beschreiben, zu erklären und zu prognostizieren als auch dessen Veränderungen im Zusammenwirken mit anderen anzuregen und mithelfend zu moderieren. Es geht dabei um die Untersuchung von Veränderungspotenzialen und auch von Widerständigkeitspotenzialen gegen beabsichtigte Veränderungen, um die Einschätzung der Chancen und der Reichweite der Realisierung beabsichtigter Innovationen, um die Reflexion bildungspolitischer Implikationen, um die Abschätzung des Aufwandes und Nutzens der verschiedenen Handlungsstrategien« (Zimmer 1997, S. 31).

In diesem Sinne könnte es die Aufgabe einer an Valorisierung orientierten wissenschaftlichen Begleitung sein, die Determinanten von Praxis zunächst zu isolieren und zu analysieren und im Prozess der Valorisierung auch alle Praxis determinierenden Faktoren im Fokus zu behalten. Eine Ähnlichkeit zu den genannten Ansätzen besteht außerdem in der Schaffung einer weitestgehend authentischen Situation, an der die Beforschten aktive, eingeweihte Beteiligte sind. Was die Valorisierungsstrategie im Vergleich mit den bisherigen Forschungsvarianten auszeichnet, ist die Forderung nach einer konkreten Berücksichtigung der Belange und Ressourcen dieser Zielgruppe. Dies mag für ihre Durchsetzbarkeit ein wichtiges Argument sein.

Valorisierung bald auch in anderen Bildungsbereichen von Bedeutung

Wie für jedes Gespenst gilt also auch für die Valorisierung, dass es seine Schrecken verliert, wenn man es erst einmal genauer betrachtet. Zudem dürfte deutlich geworden sein, dass die Strategien der Valorisation im Vergleich mit herkömmlichen Strategien aufgrund ihrer unmittelbaren Verankerung im Prozessverlauf konkreter und erfolgreicher sein dürften. Valorisierung könnte deshalb auch bald in anderen Bildungsbereichen Bedeutung erlangen. Wirklich innovatives Potenzial wird man sich vor allem von der Forderung erhoffen dürfen, dass die Projekte konkrete Auswirkungen auf Ausbildungspraxen haben sollen. Am Beispiel der Schulbildung lässt sich die Reichweite dieser Forderung vielleicht am besten verdeutlichen: Bisherige Schulprojekte bereichern im Allgemeinen den Schulalltag der Projektnehmer, wirken sich aber selten auf die Ausbildungspraxis von universitärer Lehrerausbildung oder Referendariat aus. Nimmt man den Valorisierungsbegriff jedoch ernst, so wären die entsprechenden Vertreter gefordert, geeignete und effiziente Verfahren der effektiven Nutzung der Projektergebnisse zu schaffen: also deren Umsetzung und Realisierung in Ausbildungsregelungen zu bewirken. Das könnte Leben in die deutsche Bildungslandschaft bringen. Man darf gespannt sein, mit welchen Ketten das Gespenst dann rasselt.

Literatur

EU (2005): Der Valorisierungsplan – Leitfaden für Projektantragsteller. www.eu.int/comm/education/programmes/leonardo/new/valorisation/plan_de.html (Zugriff: 24.02.2006)

Nuissl, E. (1998): Empirie, Theorie und Praxis in der Erwachsenenbildung. www.die-bonn.de/esprid/dokumente/doc-1998/nuissl98_01.htm (Zugriff: 24.02.2006)

Zimmer, G. (1997): Wissenschaftliche Begleitung von Modellversuchen: Auf der Suche nach der Theorie innovativer Handlungen. In: BWP, H. 1, S.27–33