DIE Zeitschrift für Erwachsenenbildung

Machen Drittmittel innovationsärmer?

Georg Krücken und Michael Staudt über das Prinzip Drittmittelförderung in Forschung und Weiterbildung


Hochschulforschung ist das Steckenpferd von Dr. Georg Krücken (Jg. 1962). Seit Oktober 2006 hat er den Lehrstuhl für Wissenschaftsorganisation, Hochschul- und Wissenschaftsmanagement an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer inne. Weil seine Professur für fünf Jahre befristet vom Stifterverband und der MLP AG gestiftet wurde, ist er gewissermaßen ­selber ein Kind der Drittmittelförderung.
DIE: Herr Staudt, Ihre Weiterbildungsorganisation finanziert sich in nicht unerheblichem Umfang über Drittmittel. Über welche Anteile an der Gesamtfinanzierung reden wir hier? Wer sind die Zuwendungsgeber? Seit wann sind die Anteile so hoch?

Staudt: Der Anteil an der Gesamtfinanzierung betrug in 2005 etwa zwölf Prozent. Durch die gesteigerte Auftragssituation im Zuge der FIFA-WM 2006 ist er 2006 auf etwa 15 Prozent gestiegen. Zuwendungsgeber sind der Bund, öffentliche Körperschaften und privatrechtliche Unternehmen, Banken und Sparkassen, Versorgungsunternehmen, Behindertenwerkstätten. Die Anteile sind seit 2000 kontinuierlich gewachsen.

DIE: Welche Effekte hat die verstärkte Drittmittelakquise? Wie wirkt sich die Ausrichtung an den Interessen Dritter auf die Profilschärfe der Organisation aus? Verkauft die Volkshochschule Kaiserslautern e.V. in der Drittmittel­akquise ihre Seele?

Staudt: Eindeutig nein! Unserer Einrichtung ist es durch die verstärkte Drittmittelakquise gelungen, die Gesamtfinanzierung auf solide Beine zu stellen. Der Gebührenrahmen war ausgeschöpft, höhere Zuschüsse von Kommune und Land nicht zu erwarten, eine wundersame Teilnehmervermehrung ebenso wenig. Durch die Interessen Dritter kam es im Gegenteil zu einer Profilschärfung nach außen. Für eine klassische Volkshochschule, die seit 1904 exis­tiert und sich ausschließlich über ihr offenes Kursangebot finanzierte, bedeutete eine schärfere Ausrichtung am regionalen Weiterbildungsmarkt zahlreiche Konturzugewinne in unterschiedlichen Bereichen. Durch entsprechende Öffentlichkeitsarbeit und gute Arbeit wurde die Volkshochschule in der Region erst als möglicher Partner in den unterschied­lichsten Dienstleis­tungsfeldern wahrgenommen.

Michael Staudt
Als Initiator zahlreicher Modellprojekte hat er in den letzten Jahren die Finanzierung seiner Einrichtung wieder auf ein tragfähiges Fundament gestellt: Michael Staudt (Jg. 1963) hat Geschichte, Politik und Erwachsenenbildung studiert und ist seit 2002 Direktor der Volkshochschule Kaiserslautern e.V. Drittmittel sind für ihn willkommene Zusatzeinnahmen, die Freiräume für den öffentlichen Bildungsauftrag schaffen und Konturzugewinne ermöglichen.

DIE: Die Drittmittelaktivi­täten haben sie sichtbarer gemacht?

Staudt: Nach 100 Jahren erfolgreicher Daseinsfürsorge und Sicherstellung des Grundangebotes mit Erwachsenen- und Weiterbildung hatte unsere Einrichtung nur eingeschränkte Anziehungskraft auf lukrative Betätigungsfelder und interessante Auftraggeber. Dann hat die Volkshochschule ange­fangen, ihre klassischen Kernkompetenzen einzusetzen, um sich in Geschäftsfeldern zu behaupten, die bisher allein von privaten Weiterbildungsanbietern in der Stadt und der Region besetzt waren. Um ein Beispiel zu nennen: Im Zuge der Fußball-Weltmeisterschaft – Kaiserslautern war Austragungsort – konnten zahlreiche Auftragsmaßnahmen im Sprachschulungsbereich durchgeführt werden, für Servicekräfte, Bus- und Taxifahrer, Bankangestellte und Sicherheitskräfte und konkrete Übersetzungsdienste. Ein halbes Jahr nach der WM haben einige der Auftraggeber die Zusammenarbeit fortgesetzt und ausgeweitet. Denn Volkshochschulen liefern in der Regel hervorragende Qualität zu gerechten Preisen. Dieser finanzielle Vorteil wird von Auftraggebern genutzt, die zuvor nur mit privaten Anbietern zusammengearbeitet haben.

DIE: Herr Krücken, im Forschungsbereich gilt die Erzielung eines hohen Drittmittelanteils als Ausweis von Qualität. Welche Eigenschaften und Kompetenzprofile einer Organisation werden durch Drittmittel-Zuwendungen belohnt?

Krücken: Prämiert werden in erster Linie Vernetzung und Sichtbarkeit. Vernetzung, ob international oder interdisziplinär, gilt als wichtiger Wettbewerbsvorteil bei der Drittmittelakquise. Und Sichtbarkeit heißt: bekannte Forscher, die einen Namen haben und viel publizieren. Übrigens ist für mittelakquirierende Einrichtungen die Anwendungsorientierung kein Muss – dieses Klischee hört man immer wieder gerne. Nein, gerade die DFG fördert auch Grundlagenforschung über Drittmittel. Sicher, in der Bandbreite der Drittmittelgeber sind einige dabei, denen der Anwendungsbezug wichtig ist, aber eben nicht allen.

DIE: Aus Sicht des Zuwendungsgebers: Gibt es eine höhere Effektivitäts- oder Effizienzerwartung bei der Drittmittelvergabe als bei institutioneller Sockelförderung? Beruhen die Erwartungen auf empirisch überprüften Hypothesen?

Krücken: Meines Wissens ist das noch nicht erforscht. Wir können aber schon Effekte beobachten. Drittmittelförderung erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass es nach einem Forschungsprojekt wissenschaftliche Publikationen geben wird. Es werden der Wissenschaft also Leistungsnachweise abverlangt. Dass hierbei manches Mal das Least-Publishable-Unit-Prinzip greift, bringt den unerwünschten Effekt mit sich, dass die Forscher lieber drei kleine Aufsätze als eine Gesamtschau der Ergebnisse publizieren. Ob wir auf das System bezogen durch diese Form der Output-Sicherung qualitativ hochwertigere Publikationen bekommen, kann man kritisch sehen. Übrigens gehen mit steigenden Drittmitteln nicht notwendig sinkende Sockelförderungen einher. Die Fraunhofer-Institute sind hierfür ein Beispiel.

DIE: Wie verändert es Organisationen intern, wenn sie dauerhaft beträchtliche Energien aufbringen, sich auf einem Drittmittelmarkt zu behaupten? Welche Kompetenzen werden en passant aufgebaut?

Krücken: Die Beantragung, Durchführung und Evaluierung von Projekten fördert eine Vielzahl von Kompetenzen, die wir im Wissenschaftsbereich auch dringend brauchen: Steuerungskompetenzen, Kenntnisse im Rechnungswesen, Erfahrungen mit Konfliktregulierung, ständige Beobachtung von Umwelten. In unserem Speyerer Studiengang Wissenschaftsmanagement versuche ich, genau diese Kompetenzen zu entwickeln und weiterzugeben.

DIE: Damit stärken Sie aber nicht die Kernkompetenzen der Forschung ...

Krücken: Ja, schon richtig, damit bekommen wir auch einen ganz anderen Typ Wissenschaftler. Sicher hat das auch seinen Preis, wer weiß: Ein Niklas Luhmann kann bei dem Klima vielleicht nicht nachwachsen. Aber es geht nicht anders. Zudem erforsche ich diese Zusammenhänge, publiziere wissenschaftlich und bin solchermaßen selbstverständlich Teil der Scientific Community.

»Eine Einrichtung kann nie genug davon kriegen.«

DIE: Wie wirkt sich die Ausrichtung an den Interessen Dritter auf die Profilschärfe der Organisation aus? Gibt es einen Punkt, an dem eine Bildungseinrichtung zu viele Drittmittel einwirbt, unscharf wird, zu viele Gesichter hat?

Krücken: Die Gefahr besteht, aber sie wird eigentlich kaum thematisiert. Weil der Drittmittelerwerb ein Leistungsindikator ist, kann eine Einrichtung eigentlich nie genug davon kriegen. Und sie kriegt die Mittel umso leichter, je mehr sie schon bekommen hat – ein selbstverstärkender Effekt. Das Problem, auf das Sie aufmerksam machen, ist aber an Spitzenforschungseinrichtungen nachgewiesen worden. Man konnte zeigen, dass diese Organisationen schließlich zu groß wurden, um weiter Spitzenleis­tungen zu erbringen. Das Wachstum musste kontrolliert werden.

»Größenwahn führt in Abhängigkeiten.«

Staudt: Eine Weiterbildungseinrichtung mittlerer Größenordnung wie die Unsrige muss immer das Machbare im Auge behalten. »Größenwahn« und ungebremste Wachstumsgelüs­te haben schon viele Einrichtungen in Abhängigkeiten geführt, die bei geänderter Auftrags- und Bewilligungslage zu nicht mehr finanzierbaren Personaldecken geführt haben. Allein Antragstellung und Abrechnung von Projekten binden Planungs- und Verwaltungspersonal in nicht unerheblichem Maße.

DIE: Führt eine verstärkte Drittmittelförderung zu einer bunteren Landschaft von Mittelnachfragern? Oder ähneln diese einander immer mehr? Gibt es da Erkenntnisse der Institutionenforschung?

Krücken: Die Antragsvoraussetzungen sind ja überall von den gleichen Begriffen durchdrungen: Interdisziplinarität, Vernetzung, Innovation, Internationalisierung. Antragsteller bedienen diese Begriffe im Rahmen einer Legitimations-Rhetorik und werden dadurch scheinbar immer ähnlicher. Dass die Labels bedient werden, darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass im Endeffekt die Wissenschaftler doch das machen, was sie wirklich interessiert. Ob sich langfristig eine echte Angleichung ergibt, müsste noch untersucht werden. Solche Angleichungsprozesse hat die Institutionenforschung bei Unternehmen beobachtet. In unserem Fall wäre sehr sorgfältig zu unterscheiden, ob die Angleichung top down durch die staatlichen Vorgaben induziert ist oder vielmehr aufgrund mimetischer Prozesse erfolgt, also weil sich Einrichtungen die Profile einander abgucken. Bedauerlich ist, dass die Drittmittelförderung risikoärmere Forschung begünstigt. Vorhaben, bei denen unklar ist, ob es nach drei Jahren ein Ergebnis gibt, haben wenig Chancen auf dem Drittmittelmarkt. Damit wird die Forschung letztlich auch innovationsärmer.

DIE: Wie bewerten Sie aus Sicht der Weiterbildung diese Einschätzungen aus der Forschung, Herr Staudt?
Ist ein hoher Drittmittelanteil im Budget einer Weiterbildungseinrichtung ähnlich imageförderlich wie im Forschungsbereich?

Staudt: Jenseits von jedem Imagegewinn steht für mich immer im Vordergrund, dass eine Volkshochschule einen öffentlichen Auftrag zu erfüllen hat und für die Bevölkerung vor Ort ein verlässlicher Partner sein muss, unabhängig davon, wie altmodisch dies in neoliberalen Ohren klingen muss. Aber was draußen möglicherweise schon sichtbar wird, ist: Durch den geschärften Blick auf drittmittelfinanzierte Projekte werden vorhandene Kernkompetenzen und die Infrastruktur innovativer abgerufen und ausgelastet als bei der alleinigen Konzentration auf das Kerngeschäft.

DIE: Welche Voraussetzungen muss eine Weiterbildungseinrichtung für erfolgreiche Drittmitteleinwerbung mitbringen?

Staudt: In Bezug auf die beantragte Fördersumme lohnt ein nüchterner Abgleich mit den vorhandenen Ressourcen. Weniger mit Blick auf die Förderwahrscheinlichkeit aufwändiger Projekte, sondern vielmehr mit dem Blick auf die Machbarkeit und finanzielle Rücklagendecke auch zur Vorfinanzierung bei schleppendem Eingang der zugesagten Mittel oder bei Rückforderungen. Die Träger- und Rechtsstruktur allein sorgt nicht automatisch für erfolgreiche Geschäfte. Oft wird unterschätzt, dass eine Einrichtung als eingetragener Verein viele Freiräume und geringere Anforderungen hat als eine GmbH oder ein Eigenbetrieb. Projekte im Drittmittelbereich sind für mich Produktbereiche, die die Gesamtfinanzierung absichern, aber nicht tragen. Auslagerungen von Produktbereichen lohnen sich erst ab einer bestimmten Größenordnung.

»Bildungsmanager statt Wissensmanager«

DIE: Wie gehen Sie innerhalb der Organisation mit einer immer kurzfristigeren Taktung von Themenstellungen um? Wie gestaltet sich unter solchen Bedingungen ein Wissensmanagement?

Staudt: Es gibt heutzutage keine Bereiche mehr, die nicht der Schnelllebigkeit ausgesetzt sind. Unsere Einrichtung versteht sich als lernende Organisation, die auf Entwicklungstrends reagieren und sich weiterentwickeln muss. Wir brauchen allerdings keine Wissensmanager, sondern Bil­dungsmanager. Bildung ist mehr als Wissen. Volkshochschulen verstehen sich als Bildungseinrichtungen, die Erwachsenen- und Weiterbildungs­angebote machen. Wissen allein verursacht noch keine Bildung. In diesem Bereich bin ich hoffnungslos altmodisch. Was sich allerdings geändert hat bzw. weiter ändern muss, ist das Anforderungsprofil an das pädagogische Personal. Reine Kursorganisation und standardisierte Planungsaufgaben können Sachbearbeiter effektiver und preiswerter organisieren. Benötigt wird, zugespitzt formuliert, nicht mehr der Pädagoge als Fachbereichsleiter, sondern der Bildungsmanager als wirtschaftlich denkender und entsprechend weitergebildeter Abteilungsleiter. Das ist kein Qualitätsverlust, da das Aufgabenspektrum eines hauptamtlich in der Weiterbildung Tätigen sich heutzutage deutlich über pädagogische Tragweiten erhebt.

DIE: Wieviel mehr Drittmittelanteil vertragen Sie noch?

Staudt: Mit dem derzeitigen Personalstand ist ein Drittmittelanteil in Höhe von 20 Prozent, maximal 25 Prozent realistisch. Dann stellt sich wie für jeden Unternehmer die Frage nach dem unternehmerischen Risiko. Ich für mich beantworte diese Frage eher konservativ. Die Drittmittel bleiben eine Zusatzeinnahme, die der Einrichtung den Freiraum verschafft, auch weiterhin Bildungsangebote zu verträglichen Preisen und auch für benachteiligte Bevölkerungsgruppen gerade im Grundbildungsbereich anzubieten, die für alle anderen Mitbewerber auf dem Weiterbildungsmarkt nicht lukrativ genug sind.

DIE: Wie bewerten Sie beide den Trend zu Drittmittelförderung auf lange Sicht? Ist dies das Steuerungsmodell der Zukunft?

Staudt: Ich wünsche mir keine Wissens-, sondern eine Bildungsgesellschaft. Wenn dieser Anspruch ernst genommen wird, darf Deutschland nicht mehr Investitionsschlusslicht im europäischen Vergleich sein. Aus diesem Grund sehe ich gerade auf Volkshochschulen Bildungsaufgaben zukommen, die mit Drittmittelförderung nicht zu stemmen sind. Allein die Zahl der Bildungsverlierer, Schul- und Ausbildungsabbrecher in Deutschland wird immer größer. Volkshochschulen verschließen sich nicht den veränderten Bedingungen, beweisen mit vernünftigen Strategien innovativen Unternehmergeist, wissen aber immer auch um ihre öffentliche Verantwortung. Die Bildungsgesellschaft ist nicht zum Nulltarif zu haben. Ausreichende Investitionen in diesen Bereich werden sich, da bin ich mir sicher, volkswirtschaftlich positiv auswirken.

Krücken: In der Forschung wird es mittelfristig keine Abkehr vom Drittmittelkonzept geben. Schauen Sie mal nach Berkeley: Die dortige Universität hat innerhalb der letzten dreißig Jahre einen Rückgang der Sockelförderung von 40 auf zehn Prozent erlebt. Da kann doch in Deutschland das Ende der Fahnenstange noch lange nicht erreicht sein. Vielleicht gibt es langfristig eine Änderung. Eine solide Sockelförderung ist gut, um die Unabhängigkeit der Forschung zu sichern. Und wer weiß, wann auf einmal Nischenfächer wichtig werden, die im Moment nur schwer Drittmittel einwerben können. Wer hätte vor zehn Jahren der Islamistik oder der Sinologie die heutige tagesaktuelle Relevanz prophezeit?

DIE: Ich danke Ihnen beiden für das Gespräch.

Das Gespräch führte Dr. Peter Brandt, verantwortlicher Redakteur der DIE Zeitschrift.