DIE Zeitschrift für Erwachsenenbildung

„Internationalität" in der Erwachsenenbildung/Weiterbildung

Eine zeitgeschichtliche Skizze

Joachim H. Knoll
Dr. Joachim H. Knoll ist Professor em. für Erwachsenenbildung an der Ruhr-Universität Bochum.

Welche Bedeutung haben die Begriffe „Internationalität" und „international" in Verbindung mit Erwachsenenbildung? Wann und wie haben sie sich entwickelt? Welche unterschiedlichen Verständnisse gab und gibt es in den verschiedenen Regionen, welche Institutionen und Organisationen beschäftigen sich mit der internationalen Dimension von Weiterbildung? - Joachim H. Knoll zeichnet die Entwicklung von Internationalität aus deutscher und europäischer Perspektive nach und skizziert Ansätze, Ziele, Aufgaben und den Bedeutungswandel von internationaler Erwachsenenbildung.

Die Begriffe „Internationalität" und „international" kennzeichnen zunächst einen völkerrechtlichen Zustand zwischen mehreren Staaten, Institutionen oder Verbänden zum Zwecke der Absprachen, der gegenseitigen Unterstützung und Anregung in Fragen der Politik, der Wissenschaft, der Wirtschaft, ohne daß dabei, wie im Falle der Supranationalität, Souveränitätsrechte übertragen oder berührt werden. Internationalität und international in Verbindung mit der Erwachsenenbildung kennzeichnet darüber hinaus, neben vertraglichen Abreden, vor allem eine Stimmung über das Zusammenleben und die Zusammengehörigkeit von Menschen in einem kulturellen Bewußtsein, das die Grenzen des eigenen Staates überschreitet und solchermaßen ein Instrument der Friedenssicherung darstellt. Und gerade dieser letzte Aspekt, der der Friedenssicherung oder Friedensförderung, lenkt auf den Zeitpunkt zurück, da die Erwachsenenbildung erstmals den Gedanken der Internationalität für sich entdeckte. Wir übersehen hier zunächst jene Varianten von Internationalität, durch die zuvörderst eine Weltoffenheit, die sich mit Fortschritt in eins setzt, oder eine praktische Modernität eher im Denken als im Handeln ausgedrückt werden soll.

Internationalität steht in engem Zusammenhang mit der sehnsüchtigen Friedensvision „Si vis pacem para pacem", die sich deutlich der militanten Räson entgegenstellt „Si vis pacem para bellum". Der emphatische Anruf in Schillers Ode „An die Freude": „Seid umschlungen, Millionen", wollte im Zeitgeist des 20. Jahrhunderts mehr als nur das kulturelle und verschwimmende Pathos einer kriegsmüden und in sich und an sich zerbrochenen Generation der Enttäuschten und Besiegten sein, er sollte vielmehr auch den politischen Willen bekräftigen, Kriege in Zukunft zu verhindern, sie durch Gespräche, durch gegenseitigen Respekt unmöglich zu machen. Hierzu ein Beispiel: Das Leipziger Arbeiterbildungs-Institut hatte für den 31.12.1918 um 23 Uhr zu einem Konzert des Gewandhaus-Orchesters eingeladen, so daß pünktlich zum Jahreswechsel „Seid umschlungen, Millionen", der Schlußchor von Beethovens 9. Sinfonie, ertönen konnte. Damit ist eine Tradition in die politische Kultur von Gedenkfeiern eingezogen, die bis auf den heutigen Tag fortwährt.

Eine Weltorganisation für Erwachsenenbildung in den 20er Jahren

Mit diesem ersten Anzeichen von Internationalität liegt in England die von Albert Mansbridge ausgerufene Initiative gleichauf (1919), die der Erwachsenenbildung unter der Bezeichnung „World Association for Adult Education" ein weltweites Gesprächs- und Informationsforum zur Verfügung stellen wollte. Diese Initiative trifft mit ähnlichen internationalen Bestrebungen zusammen, so mit einer „Kommission für internationale geistige Zusammenarbeit" (1921), die dem „Völkerbund" ähnlich assoziiert war wie heute die UNESCO den Vereinten Nationen, hierher gehören auch die karitativ-humanitären Verbände und Organisationen, die grenzüberschreitend Not lindern und Kriegsschäden beseitigen wollten, dabei auch Kennenlernen und gegenseitige Gespräche ermöglichend.

Der deutschen Erwachsenenbildung hat die „World Association for Adult Education" die Überzeugung beigelegt, daß man Fremdes zur Kenntnis nehmen müsse, um das Eigene verbessern zu können. Die 1925 gegründete deutsche Sektion des Weltverbandes hat eine reiche Publizistik entfaltet, darunter auch ein Handbuch, mit dem sich eine internationale Optik in der Erwachsenenbildungsforschung begründet. Die Sektion hat darüber hinaus durch einen regen Bildungstourismus der deutschen Erwachsenenbildung die Ansicht der dänischen und englischen Systeme und Verfahrensweisen nahegebracht.

Aber es gilt zugleich auch die Einschränkung, daß nicht nur in den Namen, sondern auch in den Schriften ein eher akademischer Geist wehte, daß der Weltverband eine Sache vornehmlich von Universitätspädagogen war und die Basis kaum erreichte. Von daher begründet sich auch das Bemühen, Erwachsenenbildungssysteme auslandspädagogisch zu analysieren, wobei freilich die Versuchung nicht ausgeschlossen war, das aus anderen Systemen auszuwählen, was man für beispielhaft und tauglich hielt, um es in das eigene System „einzupflanzen". Von solchem „Umtopfen" hat sich später die Vergleichende Pädagogik ebenso wie die beginnende Vergleichende Erwachsenenbildungsforschung nachdrücklich distanziert.

Reaktionen der Praxis

Wir können zunächst bei der These bleiben, daß sich die wissenschaftliche Pädagogik in den 20er Jahren dem Gedanken der Internationalität öffnete, die Praxis indes davon weithin unberührt blieb. Es wird zu zeigen sein, daß sich dieses Gegenüber nach 1945 ins Gegenteil verkehrt.

Man sollte allerdings bei einem ersten Blick auf die frühe Internationalität nicht übersehen, daß es durchaus Modelle gab, die entweder von ausländischen Beispielen angeregt waren oder mit ausländischen Beispielen koinzidierten. Ich verweise nur auf zwei von ihnen: Einmal erwähne ich hier die „Universitätsausdehnungsbewegung" der Universitäten Berlin und Wien der 70er und 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts, da schien die university extension englischer Universitäten Pate gestanden zu haben. Man könnte zum zweiten auch hinweisen auf die Gründungen von Heimvolkshochschulen im
nördlichen Schleswig-Holstein, die am dänischen Vorbild orientiert sind. Hierher gehörten Leck und Tingleff, nicht Rendsburg, wie Kurt Meissner gezeigt hat; gleichzeitig ließe sich nachweisen, daß auch andere Wege, wie der über die naturromantische und lebensreformerische Jugendbewegung, zu Heimvolkshochschulen geführt haben (Klappholttal von Knud Ahlborn). Ob diese Einrichtungen insgesamt das Epitheton „international" verdienen, steht angesichts ihres oft völkischen Eigensinns denn doch dahin.

Internationalität und Erwachsenenbildung nach dem Zweiten Weltkrieg

Einen letzten Aspekt, der aber bereits auf eine weitere Phase der Internationalität vorweist, nämlich die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, wollen wir an dieser Stelle noch ansprechen, nämlich die Probleme, die mit den Sprachen internationaler Gesprächspartner aufkommen können. In den 20er Jahren, da das Deutsche als Wissenschaftssprache einen bevorzugten Platz einnahm, konnte die internationale Kommunikation über das Deutsche ablaufen, der Weltverband, eindeutig englisch dominiert, und zwar nicht nur sprachlich, sondern auch ideengeschichtlich, hat versucht, das Englische bereits fest zu etablieren, wobei freilich die Veröffentlichungen deutscher Autoren zumeist im Original belassen wurden. Doch schon 1929 haben die deutschen Referenten auf der Weltkonferenz in Cambridge ihre Beiträge in Englisch vorgetragen. Heute kann eine nationale Sprachidentität für das Deutsche in internationalen Bezügen nicht mehr reklamiert werden.

Während sich in der Weimarer Republik Internationalität wesentlich auf den europäischen Kulturzusammenhang gründete, findet nach 1945 eine geographische Öffnung statt, die das Ausmaß und die Dynamik der Internationalität entscheidend veränderte. Amerika war erst 1917 militärisch und politisch in die europäische Geschichte eingetreten, bis dahin war dieses Land in Europa weithin unbekannt, kulturell unbedeutend.

Nach 1945 hat sich US-Amerika als Mittler von Demokratie, Freiheit und einem Lebensstil, der sich durch Erfolg und Unvoreingenommenheit auszuzeichnen schien, auch hierzulande vor die überkommenen Konventionen geschoben und sich politisch und auch zivilisatorisch eindeutig positioniert. Für die ersten Suchbewegungen einer sich neu formierenden Erwachsenenbildung ist die Begegnung mit Amerika neben der mit England von ungemein anregender Wirkung gewesen. Wir folgen hier nicht der grellen Schelte der Re-education-Periode, sondern sehen in den Amerika-Häusern für die Erwachsenenbildung und in den Einrichtungen der GYA (German Youth Activities) für die außerschulische Jugendbildung in der ersten Nachkriegsperiode Stätten internationaler Begegnung, der Öffnung nach außen und der Offenheit gegenüber verschütteten republikanischen Traditionen der 20er Jahre und des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus. Hier muß nicht Geschichte rekapituliert werden, aber es bleibt doch festzuhalten, daß die Besatzungsmächte insgesamt versucht haben, ihre Ansicht von Weltläufigkeit und Weltmächtigkeit mit den Mitteln der Erwachsenenbildung zur Geltung zu bringen.

Die Volkshochschule vor dem Anspruch auf internationale Orientierung

Übersehe ich den Zeitraum einigermaßen flüchtig, so stellt sich im nachhinein der Eindruck ein, daß sich Erwachsenenbildung nach 1945, hier insonderheit die Volkshochschulen, dem Prozeß einer inhaltlichen und damit demokratisch orientierten Öffnung sehr bald zugesellt haben. Die ersten Bezüge von Erwachsenenbildung und Internationalität ließen sich an Themenstellungen der ersten Volkshochschultage ablesen. Und sehe ich auf die verbandseigene Publizistik, zumal auf die von Bert Donnepp herausgegebene Zeitschrift „Volkshochschule im Westen", so sehe ich die nachdrückliche und wiederholte Bezugnahme auf ausländische Modelle, Anregungen und Diskussionen; und es fehlt zudem nicht an Vertretern der Erwachsenenbildung, die sich dem Aufbruch einer europäischen Gesinnung zur Verfügung gestellt haben. In der Generation der damals noch Jüngeren haben sich für den Prozeß internationaler Orientierung vor allem H. Becker, H. Dolff, W. Ebbinghau
sen, K. Meissner, später auch W. Mertineit stark gemacht.

Solche zunächst sich nur subkutan abzeichnende Tendenz der Öffnung von Erwachsenenbildung gegenüber dem Ausland wird dann deutlicher erkennbar mit der kulturellen und wirtschaftlichen Internationalisierung, die mit der Gründung von UNESCO (1945), OECD (1948), Europarat (1949) und EG (1957) eingeleitet wurde. Die Verbindung von Erwachsenenbildung und internationalen Organisationen ergab sich aus dem internationalen Selbstverständnis der Erwachsenenbildung und aus dem Bemühen internationaler Organisationen, Erwachsenenbildung in jenen Bereichen zu fördern, die von nationalen Agenturen allein nicht bewältigt werden konnten. Internationalität bekommt auch in der Erwachsenenbildung einen vermehrten Stellenwert, gegenläufige Tendenzen wollen wir der beschwiegenen Geschichte der deutschen Volkshochschulen zurechnen.

Was wären nun solche Aspekte von vorrangig internationaler Dimension? Aus der Perspektive der UNESCO die Alphabetisierung in Entwicklungs- und Industrieländern, aus der der OECD die Strategien von globaler Bildungsökonomie und praktische Erprobungen von Lifelong Education, aus der des Europarates die der Globalisierung (nicht der Harmonisierung), auch der Popularisierung und der sprachlich-kulturellen Identität in föderalistischen Strukturen, aus der der EG, später dann EU (1992), die Maßnahmen zur beruflichen Eingliederung von Migranten, die Beschulung von Jugendlichen und deren Einbringung in den Arbeitsmarkt, die Vermehrung der schulischen und akademischen Austauschprogramme.

Das sind hier gewiß nur punktuelle Andeutungen von Gegenstandsbereichen und Aufgabenfeldern, deren sich auch hierzulande die Erwachsenenbildung, und zwar nicht nur die der Volkshochschulen, mit unterschiedlicher Intensität angenommen hat. Es belegt sich an dieser Stelle meine zuvor aufgestellte These, daß sich in der Nachkriegszeit im Umkehrschluß zu „Weimar" die Praxis der Erwachsenenbildung stärker als die Wissenschaft für die Internationalität öffnete und zur Verfügung stellte. Die These würde sich noch erhärten, wenn man auf einen Sonderfall hinweist, durch den sich die internationale Arbeit des DVV auszeichnet. Mit dem „Institut für Internationale Zusammenarbeit" besteht ein Instrument der entwicklungspolitischen Bildung, das auch die weitere These stützt, daß die Praxis der Erwachsenenbildung hierzulande sich in den Prozeß der Konstruktion und Rekonstruktion von Erwachsenenbildungssystemen in anderen Ländern und Kontinenten mit hier erworbener Versiertheit einschaltet und eine Bildungshilfe als Entwicklungshilfe praktiziert, die auch durch die Zuwendungen der öffentlichen Hand in ihrer Funktion approbiert ist und ausgezeichnet wird. Zusätzlich sei erwähnt, daß dieses Institut auch das weltweit größte Publikationsorgan zur Erwachsenenbildung mehrsprachig herausgibt: „Adult Education and Development" (seit 1973), in dem das Kunststück gelingt, Wissenschaft und Praxis aufeinander zu be
ziehen und so der breiten Leserschaft mit unterschiedlichen Interessen ein Informationsmedium und eine Plattform aktueller Diskussionen zur Verfügung zu stellen. Es scheint gerade an dieser Stelle wichtig, zu unterstreichen, daß Internationalität stets wechselseitig ausgelegt sein muß, daß die Partner sich austauschen und daß die Rollen - wer gibt, wer empfängt - nicht eindeutig und ein für allemal festgelegt sind. Dabei gilt es den jeweiligen Eigengeist, die kulturellen, religiösen und traditionalen Sonderheiten zu respektieren.

Eine grundsätzliche Rückfrage

Damit kommen wir an einen Punkt, der die Frage nach Sinn und Absicht von Internationalität nahelegt: Was kann, so ist hier zu fragen, Internationalität jenseits einer vermehrten Sensibilität und der wechselseitigen Unterstützung an praktischen Maßnahmen, an handgreiflichen Folgen leisten. Dabei ist sicher Bescheidenheit angezeigt.

In der ersten und anfänglichen „Philosophie" der UNESCO wird als Vision von Internationalität die eine Gesellschaft mit der einen Kultur und gar mit der einen ethischen Verbindlichkeit vorgestellt - also recht besehen ein Rückgriff auf die ewige Sehnsucht nach einem Leben, in dem Brüderlichkeit und Friedfertigkeit regieren. Diese frühe Vision ist zunehmend einer Ernüchterung gewichen. An die Stelle des Konzepts einer restlosen Harmonie tritt das Konzept vom kulturellen Eigengeist, von der subsidiären Verfassung, in der Bildung und Kultur ihren Respekt auch in ihrer Unterschiedlichkeit einfordern. Die Zeiten sind vorbei, es waren die 70er Jahre, da mit Harmonisierungsidealen auch der Bildungsbereich einem gesamteuropäischen Diktat von Einheitlichkeit unterworfen werden sollte. Aber auch das deutsche Erwachsenenbildungssystem bezieht seinen Stellenwert im internationalen Konzert durch den befruchtenden Eigengeist und durch seine föderalistische Besonderheit, die ja der Offenheit nicht im Wege stehen muß, auch nicht einer Offenheit, die die eigenen Traditionen, Philosophien und Konventionen dem Zweifel aussetzt.

Abstract:
The vision of a peaceful coexistence marked the beginning of internationalism in adult education. In 1919 the „World Association for Adult Education" was founded in England as a world-wide platform for discussion and information, followed 1925 by a German section. After 1945 the USA had a forming influence on German Adult Education. At the first meetings of the German „Volkshochschulen" international topics were discussed, these were later taken up explicitely by the Institute for International Cooperation of the German Adult Education Association (IIZ/DVV). With the foundation of UNESCO, OECD and EU connections between adult education and international organisations were strengthened. The former vision of internationality as one society with one culture and one ethical commitment was followed by a concept of cultural diversity and subsidiarity.