DIE Zeitschrift für Erwachsenenbildung

Alles eine Frage der Qualität

Marion Seevers

Gespräch mit Marion Seevers und Klaus Meisel

Eine „Qualitätsdebatte" zwischen Weiterbildungspolitik und support über gegenwärtige Trends der Qualitätsdiskussion, die Rolle der öffentlichen Hand und die Systemqualität insgesamt. Und das nach PISA. Das Gespräch mit Marion Seevers (M. S.), Leiterin der Referatsgruppe Weiterbildung und außerschulische Berufsbildung beim Senator für Bildung und Wissenschaft in Bremen, und mit Dr. Klaus Meisel (K. M.), stellvertretender Direktor des Deutschen Instituts für Erwachsenenbildung, moderierte Dr. Peter Brandt (DIE).

DIE: Nach den Erfahrungen mit der PISA-Studie (und auch nach Erfurt) machen sich alle Sorgen um unser Bildungssystem. Frau Seevers, glauben Sie, dass es auch um unseren Weiterbildungsbereich schlecht bestellt ist?

M. S.: Die zentrale Aussage im PISA-Kontext ist doch, dass wir über Wissen und Lernen weniger informiert sind, als wir dies die ganze Zeit gedacht haben. Das trifft gleichermaßen auf schulische Bildung wie auf Weiterbildung zu. Trotzdem glaube ich, dass Weiterbildung ein Subsystem von Lernen ist, das auf Situationen flexibler reagiert als das Basissystem Schule. Es gibt einen Unterschied, der einen prinzipiellen Vorteil bietet: Weiterbildung ist ein deregulierter Bereich, deutlich bunter und wahrscheinlich auch in der Streubreite bunter als die Schulen und Schulergebnisse. Weiterbildung ist aber auch ein Bereich von Konkurrenzen. Man hat gelernt, worauf es ankommt, um am Markt zu bestehen. Nur Teilnehmende, die sich gut informieren und wohl fühlen, kommen wieder. Das Thema „Qualität" ist in der Weiterbildung vorhanden, weil Einrichtungen hinhorchen, wohin sich der Markt entwickelt und was der Teilnehmer will.

DIE: Weiß denn der Teilnehmer, was er will? Sie haben einmal gesagt, dass Sie die Anspruchshaltung der Kunden kultivieren wollen.1 Sind Kunden inzwischen anspruchsvoll genug?

M. S.: Solche Entwicklungen brauchen meiner Meinung nach größere Zeiträume. Daher stimmt immer noch, was ich damals behauptet habe. Es geht nicht darum, Ansprüche ins Unermessliche zu erhöhen, sondern darum, dass der Kunde diese Ansprüche artikuliert und artikulieren kann. Das bedeutet auch, dass unsere Teilnehmenden Partner sind in diesem Weiterbildungsprozess, eben Kunden. Das bedeutet, dass wir der Tatsache Rechnung tragen, dass sie ihr eigenes Geld investieren, um in diesen Prozess einzutreten. Dass sie Mitsprache haben und darüber selbst bestimmen wollen, wofür sie Lebenszeit einsetzen. Das bedeutet weiter, dass sie informiert sein müssen über die Bandbreite ihrer Wahlmöglichkeiten. Hier muss sich noch einiges tun.

DIE: Herr Meisel, in einem gemeinsamen Aufsatz mit Eva Heinold-Krug2 haben Sie einmal festgestellt, dass die Qualitätsdebatte ein Dauerbrenner in der Profession sei, bei den Trägern und Einrichtungen. Sind wir inzwischen nicht schon so weit, dass wir den Ohrwurm „Qualität" endlich aus dem Kopf haben möchten?

„Wer sich nicht um Qualität kümmert, verschwindet vom Markt" Klaus Meisel

K. M.: Eigentlich haben sich die Profession und die Wissenschaft der Weiterbildung schon lange um Fragen der Qualität gekümmert, bevor die Begriffe „Qualitätsmanagement" und „Qualitätsentwicklung" als Strategien zur Qualitätsverbesserung in der Weiterbildung und ihren Organisationen verstanden wurden - nur mit anderen Überschriften, wenn man so will. Die Debatten um Integration von beruflicher und allgemeiner Bildung, um Schlüsselqualifikationen, den lernzielorientierten Unterricht, eine Modulbildung, die Zertifizierung von Angeboten etc. waren immer auch Auseinandersetzungen um die Gestalt der pädagogischen Qualität. Das hat ja alles etwas mit dem Wunsch nach einer verbesserten Qualität in der Weiterbildung zu tun. Es ging um Qualität von Angeboten, Qualität von Lehre, Qualität von Didaktik. Seit etwa einem Jahrzehnt geht es nun aber umfassender um ein System von Qualitätsentwicklung. Das ist wahrscheinlich das Neue an der Diskussion. Ich glaube daher auch nicht, dass die Akteure das alles nicht mehr hören können. Die alte Daueraufgabe „Qualität" bleibt auch unter dem neuen Blickwinkel eine Daueraufgabe. Und wenn man sich nicht um die Qualität kümmert, wird man unter den heutigen Bedingungen vom Markt verschwinden.

DIE: Nun auch an Herrn Meisel die Frage nach der Qualität unseres Weiterbildungssystems ...

K. M.: Mit welchen Kriterien kann man die Güte von Weiterbildung überhaupt bewerten? Wenn ich wie Frau Seevers nach dem Kriterium von Breite, Vielfalt und Innovationsgehalt des Angebots gehe, ist die Weiterbildung im Vergleich zu anderen Bildungssektoren wirklich sehr gut. Das gilt für die Fläche wie für die Zentren. Unter dem Kriterium von inhaltlicher Qualität einzelner Angebote beobachten wir eine Bandbreite sehr unterschiedlicher Qualitäten. Fragt man nach den Kriterien Organisation und Support, so haben die konzentrierten Anstrengungen der letzten Jahre viel gebracht. Unter dem Kriterium des freien Zugangs - so ist zu befürchten - wird Weiterbildung derzeit etwas eingeschränkter. Denn je mehr die öffentliche Finanzierung reduziert wird, desto bedrohter ist der freie Zugang zur Weiterbildung besonders für bestimmte Adressatengruppen.

DIE: Und die Qualität der Angebote und Einrichtungen?

K. M.: ... misst sich wiederum unterschiedlich: Lernerfolg ist nicht immer gleich Kundenzufriedenheit, der Lernzuwachs ist nicht einfach zu messen, und der Transfererfolg (das, was gelernt worden ist, lässt sich auch transferieren) damit noch nicht gegeben. Wir brauchen hier ein differenzierteres Bild von Qualität. Das gilt für die Organisation unter anderem Blickwinkel ebenso. Hier fragt man nach der Existenz eines Qualitätsleitbilds, nach Support und Lerninfrastruktur, nach der Qualitätsentwicklung für die Lehrenden.

DIE: Sie haben in dem vorhin angesprochenen Aufsatz von einer Renaissance der Zertifizierungsdiskussion gesprochen. Wer hat diese Debatte reanimiert?

K. M.: Die Einrichtungen selbst. Hierzu muss man einmal auf den Verlauf der Qualitätsdiskussion in den letzten zehn Jahren schauen. Der ist grob in drei Phasen verlaufen: Anfang der 1990er Jahre hatten wir das „aufgeregte Geschnattere" (wie Christoph Ehmann es einmal bezeichnete) wegen der ISO-Debatte. Das Gerücht ging um, man könne nur noch EU-Fördermittel erhalten, wenn man ISO-zertifiziert würde. Anschließend haben sich viele - Träger, Organisationen, die Professionellen in der Weiterbildung - gefragt, ob es nicht angemessenere Formen von Qualitätsmanagement für ihre Branche gebe. Man hat Systeme entwickelt, die stark auf Selbstevaluation, auf Prozessorientierung setzten. Man hat viel Energie aufgewandt, aber man konnte in der Regel am Ende dem Kunden gegen-über nichts nachweisen. Und die Zuwendungsgeber - Bund und Länder - haben natürlich ein Interesse daran, ein für den „Bildungsverbraucher" transparentes Bild zu schaffen.

DIE: Was bleibt noch zu tun?

K. M.: Es ist Zeit, eine Zwischenbilanz zu ziehen. Denn was wir in den letzten Jahren erlebt haben, ist für die Weiterbildung etwas Typisches und ungeheuer Produktives: vielfältige Initiativen in Sachen Qualität, träger- und einrichtungsspezifische. Es führt aber einmal mehr die Undurchschaubarkeit des Systems vor Augen, wenn vor lauter Bäumen kein Wald mehr erkennbar ist: Innerhalb von Trägern werden unterschiedliche Qualitätsmodelle entwickelt und gefahren. In der Familienbildung wird etwas anderes ausprobiert als in der allgemeinen Erwachsenenbildung, wieder etwas anderes in der beruflichen Weiterbildung. Nun stellen sich die Fragen: Welche gemeinsamen Entwicklungen lassen sich herauskristallisieren, wie stehen die unterschiedlichen Modelle zueinander, was ist an gegenseitiger Anerkennung möglich? Und: Lässt sich ein gemeinsames Referenzmodell entwickeln? Diejenigen, die Bildung in Anspruch nehmen wollen, verdienen es, zu sehen, welche Organisationen vernünftige Qualitätsentwicklung betreiben.

DIE: Wo hört in diesem Zusammenhang die Verantwortung der Einrichtungen auf, und wo beginnt die Zuständigkeit der öffentlichen Hand?

K. M.: Die Verantwortung für Qualität lässt sich nicht delegieren. Niemand kann das Bemühen um eine bessere Qualität auf den Tag verschieben, an dem die öffentliche Hand Geld für Qualitätsentwicklung bereitstellt. Die Träger und Einrichtungen sind hier in der Verantwortung. Und sie nehmen sie offensiv an, so
weit ich das beurteilen kann. Aber natürlich gibt es auch die öffentliche Mitverantwortung. Die besteht für die Qualitätsentwicklung beispielsweise in der Finanzierung geeigneten Supports oder in der Unterstützung bei der Ausbildung von Personal.

Bremen in „öffentlicher Mitverantwortung"

DIE: In Bremen hat die Politik mit der speziellen Weiterbildungsgesetzgebung die öffentliche Verantwortung für Qualität angenommen. Sie koppeln die Gewährung von Zuschüssen an die Einhaltung von Mindeststandards, die sie durch die landesseitige Anerkennung der Einrichtung dokumentieren. Zunächst geht diese Gesetzgebung vom Verbraucherschutz aus, den Sie im Bereich der Weiterbildung klar als Aufgabe der Politik ansehen. Nun gibt es genügend Stimmen, die auf die Selbstheilungskräfte des Marktes verweisen und die Rolle des Staates in diesem Zusammenhang stark beschneiden wollen.

M. S.: Mir ist nicht klar, warum man die Weiterbildung ausnehmen sollte, wenn es um Verbraucherschutzinteressen geht, wie wir sie in allen Lebensbereichen haben. Das Bremer Modell unterscheidet sich an dieser Stelle nicht. Die Verantwortung für die Einhaltung des Verbraucherschutzes liegt beim Produzenten - in diesem Fall bei der Weiterbildungseinrichtung. Der Gesetzgeber hat bloß die Verantwortung für die Mindeststandards übernommen, die eingehalten werden sollen. So funktioniert das Zusammenspiel überall, und so funktioniert es auch in Bremen.

Wir stellen im Interesse der Bremer Bürger bestimmte Grundanforderungen, die von der Einrichtung eingehalten werden müssen, damit der Kunde das bekommt, worauf er ein Recht hat. Jede Einrichtung kann mehr machen, jede Einrichtung muss mehr machen. Wenn jemand eine Weiterbildung in einer Einrichtung bucht, die vom Land Bremen anerkannt worden ist, kann er sicher sein, dass diese Mindeststandards eingehalten werden. Die Verantwortung für die Qualität insgesamt liegt bei der Einrichtungsleitung. Die hat ein Interesse, diese Qualität im Interesse ihrer Kunden hochzuhalten, damit sie sich am Markt besser bewegen kann. Das Besondere des Bremer Modells ist die Koppelung von Mindeststandards und Eigenverantwortung.

DIE: Sie prüfen die Einhaltung der Mindeststandards durch externe Audits. „Selbstevaluation" scheint nicht gerade Ihr Lieblingswort zu sein.

M. S.: Das stimmt ganz und gar nicht. Allerdings gibt es eine bestimmte Form „radikaler Selbstevaluation" nach dem Motto: Ich kümmere mich als Einrichtung selbst um Qualität, deshalb soll sich die öffentliche Hand insgesamt raushalten. Aus zwei Gründen finde ich diese Haltung nicht in Ordnung: Einmal hat die öffentliche Hand eine Verantwortung - nicht diffus, sondern im eben genannten Sinne. Zum anderen bezahlen wir diese Einrichtung teilweise, wir sind Auftraggeber, Drittmittelgeber. Es sind die Gelder der Bürger, die ihnen über ein bestimmtes System wieder zur Verfügung gestellt werden. Wir müssen prüfen, ob damit vernünftig umgegangen wird. Wohlmeinende Worte, eine unhinterfragte Einschätzung der Einrichtung über ihre Leistungsfähigkeit und die Qualität ihrer Angebote kann in diesem Fall nicht reichen. Alle drei Jahre möchten wir sehen, ob es stimmt. Wenn eine Einrichtung anerkannt sein möchte, d. h. ausgezeichnet von uns vor anderen, muss sie jemanden hereinlassen, der sich das anguckt.

K. M.: Das ist meines Erachtens ein gutes Beispiel für den Begriff „öffentliche Mitverantwortung". Der Staat will wissen, ob mit dem Geld vernünftig umgegangen wird im Interesse derjenigen, für die das Angebot da ist. Aber die Einrichtung muss selbst vernünftige Initiativen entwickeln, um es abzusichern.

DIE: Wie hat die Bremer Gesetzgebung auf die hiesige Weiterbildungsszene gewirkt? Wurden viele Anerkennungsverfahren abschlägig behandelt, oder gibt es gar eine Abwanderung von Weiterbildungsinstitutionen aus Bremen?

M. S.: In Bremen werden Weiterbildungseinrichtungen nicht bedroht, sondern belohnt. Das System funktioniert dadurch, dass wir sagen: Wenn du bereit bist, besonders gut zu arbeiten, sind wir als Land bereit, das anderen gegenüber auch zu dokumentieren. Du bekommst so etwas wie ein Gütesiegel von uns. Es ist attraktiv für die Einrichtung, dieses Gütesiegel von uns zu bekommen. Es gibt eine zunehmende Ausstrahlung dieses Modells insofern, als sich Einrichtungen nach einer Beobachtungszeit melden und anerkannt werden wollen. Es sind selbstverständlich Einrichtungen dabei, die nach der ersten Beratung nicht wiederkommen, denn ein Qualitätsmanagement aufzubauen ist mit viel Arbeit verbunden.

DIE: Sind das eher kleine Einrichtungen, die nicht wiederkommen?

M. S.: Das kann man so nicht sagen. Eher zeichnet sich ab, dass sich Einrichtungen, die sich auf berufliche Bildung spezialisiert haben, der Zertifizierung eher erschließen können, weil sie firmennah arbeiten. In Betrieben sind Zertifizierungen früher als Marktvorteil erkennbar gewesen als in der allgemeinen Weiterbildung. Tatsächlich gibt es aber auch größenabhängige Unterschiede: Manches fällt großen Einrichtungen leichter als kleinen. Nicht aus finanziellen Gründen, sondern weil die Auslastung der Arbeitskraft in ganz kleinen Einrichtungen meistens noch extensiver ist als in größeren. Das hieß für Bremen, dass die kleineren Bildungseinrichtungen - gerade in der politischen Bildung - hart arbeiten mussten, um die Aufbauphase durchzustehen. Mit dem positiven Effekt, dass sich die Leitung mit dem Aufbau des Systems stark identifizierte. Es ist ein Instrument entstanden, das sie in die Lage versetzt, ihre Einrichtung so zu leiten, dass kontinuierlich an Qualität gearbeitet wird. In einer großen Einrichtung wird das anders organisiert.

Sind Kleineinrichtungen bedroht?

K. M.: Kleine Einrichtungen fragen aber m. E. zu Recht: Können sich alle die Testierung/Zertifizierung leisten? Gibt es eine
Art öffentlichen Support für die kleinen Einrichtungen? Es gibt ja kleine Einrichtungen, die sehr innovativ arbeiten, aber finanziell immer an der Grenze sind. Wenn diese Einrichtungen wegfielen, drohte ein Qualitätsverlust für das System.

DIE: Sehen Sie es auch als kritisch an, dass Gutachter in Bremen nicht akkreditiert sein müssen?

K. M: Ich gehe davon aus, dass es sowohl ein Anforderungsprofil als auch akzeptierte Kriterien gibt, nach denen Gutachter tätig werden. Die bisherige Erfahrung zeigt aus meiner Sicht, dass es an dieser Stelle kein Problem gibt.

M.S: Wir haben damals keinen Akkreditierungspool eingeführt, weil wir Angst hatten, einen kleinen Anbietermarkt zu schaffen. Wenn es nur sieben oder acht Leute sind, die durch das Land akkreditiert sind, dann treibt es die Preise hoch. Dann wiederum könnten sich weniger Einrichtungen das Gutachten leisten. Wir probieren es so: Wir geben strikt vor, wie eine Person qualifiziert sein muss, die sich diese Tätigkeit zutraut. Demnächst müssen wir die Gutachter aber besser und kontinuierlich auf unser System schulen.

K. M.: Gutachter und Berater vernünftig zu qualifizieren ist sicher der richtige Ansatz. Und hier sehe ich wieder eine Aufgabe für den Zuwendungsgeber bzw. die öffentliche Hand. Diese Supportleistung muss finanziell unterstützt werden, damit nach gemeinsamen Kriterien beurteilt wird und ein gemeinsames Verfahren vernünftig abgesichert ist. Ein System korporatistischer Qualitätsentwicklung muss man praxistauglich entwickeln. Wenn wir neue kostenintensive Organisationen für Qualitätssicherungsaufgaben aufbauten, spielte weder die Szene noch der Geldgeber mit. Deshalb brauchen wir ein mittleres Maß an Supportleistungen.

DIE: Ist eigentlich das Bremer Modell auf andere Länder übertragbar? Sehen Sie Bremen in einer Vorreiterrolle für andere Länder?

M. S.: Ich glaube, als wir vor einigen Jahren das sogenannte Bremer Modell entwickelt haben, waren wir - verglichen mit der Diskussion in anderen Bundesländern - sehr weit. Da hat sich inzwischen aber viel getan. Bremen nimmt immer noch eine sehr profilierte Position ein, ist aber inzwischen eher „eine Blume in einem Strauß".

DIE: Sie denken jetzt an das sog. niedersächsische Modell?

M. S.: Zum Beispiel. Es gibt dieses Vorhaben, ein Verbundmodell auf Bundesebene zu installieren zur Abstimmung von länderübergreifenden Qualitätsstandards für die Weiterbildung. Vorab sind die Länder gefragt worden, ob sie an diesem Verbundmodell mitmachen möchten. Fast alle Bundesländer sind nun dabei. Es gibt innerhalb des Projektes die Aufgabe, die länderspezifischen Ansätze zu vergleichen und kritisch zu beurteilen. Ich glaube, in diesem Diskurs hat Bremen etwas zu sagen. Wir haben Erfahrungen, die wir einbringen können. Unsere Ausgangssituation ist nicht übertragbar, unsere Ergebnisse schon.

DIE: Aber die Akzeptanz des Modells hängt ja maßgeblich auch an der Beteiligung der Einrichtungen im Vorfeld. Die gelang in Bremen aufgrund der überschaubaren Lage sehr gut. Aber anderswo?

M. S.: Dies habe ich lange selber behauptet, sehe ich aber überhaupt nicht mehr so. Wichtig ist, dass man kommuniziert, was man vorhat. Man hat es mit Partnern zu tun, die über immensen Sachverstand verfügen. Die öffentliche Hand ist deshalb gut beraten, mit der Weiterbildungsbranche einen Diskurs über Qualität zu führen. Diese Kommunikation haben wir in Bremen gesucht und sie ist auch in anderen Bundesländern machbar. Da geht man nicht zu den einzelnen Einrichtungen, sondern zu ihren Zusammenschlüssen. Und außerdem haben wir in Bremen angefangen, als die Qualitätsdebatte in der Weiterbildung insgesamt noch nicht gesellschaftsfähig war. Alle sprachen von den schlechten Ergebnissen in den neuen Bundesländern. Das hat sich alles geändert. Die Akzeptanz für Qualitätssicherung im Interesse der Weiterbildungsteilnehmer ist erheblich gestiegen.

Gemeinsames Referenzmodell der Länder

DIE: Fährt das Boot, in dem Bund und Länder mit dem Verbundprojekt sitzen, in die richtige Richtung?

M. S.: Dass wir uns zusammensetzen und miteinander streiten und Gemeinsamkeiten suchen, ist schon ein unglaublicher Fortschritt. Ob es dann eine einheitliche Lösung für das Bundesgebiet geben wird, weiß ich nicht. Vielleicht sind es weiterhin mehrere Boote, die fahren, - wie in anderen Bildungsbereichen auch. Wichtig erscheint mir, den Diskurs nicht abzubrechen und voneinander zu lernen. Ich hoffe, dass sich Bremen im Diskurs der Bundesländer mit einem Teil seines Ansatzes Gehör verschaffen kann: Wir haben eine starke Grundorientierung des Modells an den herrschenden Qualitätsmanagementsystemen außerhalb der Weiterbildung. Das macht aber auch unser eigentliches Pfund aus: die Kompatibilität. Im Bremer Modell werden prozessorientierte Qualitätsmanagementsysteme aufgebaut, Kernprozesse werden identifiziert und müssen beschrieben werden, das QM-System wird am Leitbild der Einrichtung ausgerichtet, als Leitungsinstrument eingesetzt und über Kennzahlen gesteuert. Dadurch ist das Bremer Modell kompatibel mit den international anerkannten Darlegungsmodellen der DIN EN ISO und EFQM, und die Einrichtungen können ohne Reibungsverluste von unserem regionalen Modell zu einer international anerkannten Zertifizierung kommen. Dies ist ein Vorteil, der vor dem Hintergrund eines zusammenwachsenden Europas und der neuen internetbasierten Lernformen nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Ich bin mir nicht sicher, ob diese schlichte Position konsensfähig sein wird. Ich glaube, dass wir Weiterbildner eher dazu neigen werden, Sonderwege besonders zu schätzen ... Was ich mir vom niedersächsischen Modell und dem Verbundprojekt erhoffe, ist eine wunderbare Detailarbeit an der Frage nach der Qualität von Lernprozessen. Das hatten wir bisher nicht. Ich würde gerne mitmachen und auch unsere Einrichtungen dazu motivieren, sich damit auseinander zu setzen.

K. M.: Man wird dort die Modelle miteinander in Beziehung setzen, um einen Kern, ein gemeinsames Referenzmodell zu entwickeln. Dieses wird sicher mit den in anderen Branchen benutzten Qualitätsmanagementansätzen kompatibel sein. Es wird auch große Teile der in der Weiterbildung gängigen Modelle abbilden. Ob andere Länder den Bremer Weg nachvollziehen, ist unsicher und möglicherweise gar nicht so wichtig. Da gibt es weiterbildungspolitische Grundphilosophien, die man mit einem solchen Projekt nicht über Bord wirft. Ich glaube aber, dass die meisten Bundesländer ein gemeinsames Interesse daran haben, ein Zwischenfazit zu ziehen und im Sinne der Endverbraucher zu gemeinsamen Ergebnissen zu kommen.

DIE: Wie können sich denn Einrichtungen und Träger auf die Situation eines wachsenden Qualitätsdrucks einstellen?

K. M.: Einrichtungen und Träger tauschen sich schon ausführlich aus. Einrichtungen schließen sich in Regionen trägerübergreifend zusammen und bilden Qualitätsringe, in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen etwa, in Bayern und Baden-Württemberg, in der Familienbildung. Neuerdings treffen sich auch die Einrichtungen, die nach dem EFQM-Ansatz arbeiten. Ich wünsche mir, dass man künftig ein Benchmark-System aufbaut, das den Einzeleinrichtungen transparent macht, was andere schon Praktikables entwickelt haben.

DIE: Welchen Support brauchen Einrichtungen?

K. M.: Support bei der Qualifizierung des Personals, eine Art „Qualitätsbeauftragtenausbildung"; finanzieller Support bei Testierungen für Kleineinrichtungen. Und schließlich Support bei der Qualifizierung des pädagogischen Personals, das in der konkreten Kursarbeit, Lehrgangsarbeit, Lernberatungsarbeit steht. Dieses Personal - meistens neben- bzw. freiberuflich - transportiert eigentlich die Qualität und taucht für den Kunden auch als der Vermittler von Qualität auf.

DIE: Führt Qualitätsentwicklung der Organisation und des Personals automatisch zu mehr Teilnehmerzufriedenheit?

K. M.: Tendenziell ja, aber es gibt erst wenig Wirkungsforschung. Und: Kundenzufriedenheit ist zwar wichtig, aber in der Bildung allein auch nicht ausreichend.

DIE: Hat der Sektor Weiterbildung eine angemessene Bedeutung im Rahmen unseres Bildungssystems?

M. S.: Ich finde nein. Nehmen Sie das Stichwort „Lebenslanges Lernen" mit seiner öffentlichen Aufmerksamkeit. Erst schien es, dass der gesamte Bereich der Weiterbildung dadurch präziser erfasst würde: die Bewältigung von Leben, das Zurechtfinden, Orientierungswissen und vieles mehr, was sich außerhalb des engsten Arbeitsplatzes abspielt. Jetzt scheint aber doch nur wieder die berufliche Bildung zuständig zu sein. Immerhin sind wir ein Stück weg von der Wahrnehmung der Weiterbildung als Defizitausgleich und Reparaturbetrieb. Die strukturellen Voraussetzungen, die wir brauchen, sind andiskutiert: Lernzeitkonten, Modularisierungen, eine Entwicklung hin zur Erfassung informellen Lernens, zu Selbstlernagenturen. Mit ihrer Erprobung und Umsetzung wird auch die Bedeutung des Sektors Weiterbildung steigen.

DIE: ... und der Blumenstrauß immer üppiger. Danke Ihnen beiden.

1 www.die-frankfurt.de/esprid/dokumente/doc-2001/seevers01_01.htm
2 „Thesen zum Stand der Qualitätsentwicklung in der Erwachsenenbildung", DVV-Magazin 2001/4


Deutsches Institut für Erwachsenenbildung
Juli 2002

Peter Brandt, Klaus Meisel, Marion Seevers, Alles eine Frage der Qualität. Online im Internet:
URL: http://www.diezeitschrift.de/32002/gespraech.htm
Dokument aus dem Internetservice Texte online des Deutschen Instituts für Erwachsenenbildung
http://www.die-bonn.de/publikationen/online-texte/index.asp