DIE Zeitschrift für Erwachsenenbildung

Lernen mit »Konzept«

Ein interdisziplinäres Gespräch über die Lehren aus PISA

Die Frage nach dem »Lernen lernen« nach PISA – und die sich daraus ergebenden Konsequenzen für die Erwachsenenbildung – hat drei Leibniz-Institute an einen Tisch geführt, vertreten durch ihre jeweiligen Direktoren: Prof. Dr. Manfred Prenzel, Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaft an der Universität Kiel und Mitglied des deutschen PISA-Konsortiums 2000, Prof. Dr. Henning Scheich vom Leibniz-Institut für Neurobiologie in Magdeburg und Prof. Dr. Ekkehard Nuissl von Rein vom Deutschen Institut für Erwachsenenbildung in Bonn, ebenfalls ein Institut der Leibniz-Gemeinschaft. Mit ihnen sprach Dr. Peter Brandt (DIE).

Henning Scheich, Manfred Prenzel, Ekkehard Nuissl von Rein, v.l.n.r.

DIE: Ist das Kompetenz-Konzept der PISA-Studie auf das lebenslange Lernen ausgerichtet?

Prenzel: Unter der zentralen Idee von »Literacy« firmieren die Grundkompetenzen, die nötig sind, um in einer Kultur handlungsfähig zu werden und an ihr teilhaben zu können. PISA hat mit der Lesekompetenz einen Schlüsselbereich erfasst, weil nach wie vor der größte Teil des Wissens über Texte zugänglich ist, schriftliche und mündliche. PISA misst die Kompetenz, aus Texten unterschiedlicher Textsorten Informationen zu entnehmen, sie zu interpretieren und zu reflektieren. Zu erkennen, was in einem Text steckt und was der Autor will, ist eine Voraussetzung dafür, in allen möglichen anderen Bereichen von »Welt« Anschluss halten zu können. Bei der mathematischen Kompetenz wird besonders das Modellieren betont, also das Durchdringen und Übersetzen von Sachverhalten in andere – präzise – Darstellungsformen, um Probleme zu lösen. Und die naturwissenschaftliche Kompetenz wird gefasst als Verständnis grundlegender naturwissenschaftlicher Konzepte und Denk- wie Arbeitsweisen. Ein solches Verständnis ist eine Voraussetzung für die Teilhabe an einer durch Naturwissenschaft und Technik geprägten Kultur und damit für lebenslanges Lernen.

Nuissl: Die Kompetenz-Betrachtung der PISA-Studie ist stark angelsächsisch geprägt. Sie fragt weniger nach dem angeeigneten »Stoff«, sondern nach der prozeduralen Komponente, der Aneignungskompetenz. Weil man in Deutschland eine andere Tradition hat, sind die PISA-Ergebnisse ein wenig »ungerecht«. Aber inzwischen sagen auch die Deutschen, es müsse primär darum gehen, sich etwas anzueignen, und nicht so sehr um die Kompetenz im Inhaltlichen. Ich frage mich aber zweierlei: Erstens: Gibt es eine inhaltsneutral erwerbbare Kompetenz des Lernens? Und zweitens: Verlieren wir hinter dem angelsächsischen Kompetenzbegriff nicht die emanzipatorischen Ziele von Bildung, die in Deutschland immer wichtig waren? Wir lernten einmal für eine menschengerechte Gesellschaft.

DIE: Die angelsächsische Lesart von »Kompetenz« eröffnet aber eher Chancen für den Diskurs mit den Neurowissenschaften, Herr Scheich...

Scheich: Das stimmt. Zu konzeptgebundener Bildung und prozeduralen Betrachtungsweisen kann die Neurowissenschaft unmittelbar etwas sagen. »Konzepte« spielen für das lebenslange Lernen die größte Rolle. Wenn man gelernt hat, Konzepte zu entwickeln – exemplarisch anhand von Wissen oder prozedural im eigenen Erleben – dann kann man das extrapolieren. Aber man muss erst einmal gelernt haben, Konzepte zu entwickeln. Und damit befasst sich die moderne Kognitionsneurobiologie. Sie fragt, wie eigentlich Konzepte im Nervensystem oder durch neuronale Mechanismen verankert werden. Konzepte, die in irgend einer Weise erklärend sind und die immer auch Hypothesen für Neues enthalten, für Kommendes, die einem ermöglichen neue Dinge einordnen zu können. Das ist prädiktiv. Und insofern meine ich, dass der Akzent bei Bildungszielen ganz eindeutig auf den Fähigkeiten liegen sollte, Konzepte zu erarbeiten und Konzepte zu erkennen.

DIE: Wie geht denn das?

Scheich: Sprache und Lesen sind unersetzbar die zentrale Art des Wissenserwerbs. Im Gegensatz zu Bildmedien hat Sprache inhärent bereits einen sinnstiftenden Destillationsvorgang vollzogen von Objekten der Erfahrung und Wahrnehmung auf eine Ebene, wo sie bereits in irgendeiner Weise konzeptionell gefasst werden.

Nuissl: Aber das ist doch z.B. bei Filmen noch stärker der Fall. Mir tritt ein in sich relativ geschlossenes System entgegen. Es ordnet die Bilder, hat die gesprochene Sprache dazu, es ist verdichtet in Form einer fortlaufenden Erzählung und so für mich unentrinnbar.

Scheich: Nein, ein Film bleibt immer eine Primärinformation, aus der die interessierende Sinnfrage herausdestilliert werden muss. Sie ist nicht expliziert. Das gesprochene Wort eines Filmes erklärt ja nicht das Bild. Anders die Sprache: Ein Aussagesatz enthält die Information, die mich interessiert, im Zweifelsfall direkt und kann unmittelbar in meine Konzeptebene übertragen werden.

Nuissl: Für Pädagogen ist es interessant zu wissen, an welcher Stelle man einen Film geeignet einsetzt, um ein Thema zu strukturieren und für die Erfahrungen und Interessen der Leute greifbar zu machen. Filme liegen auf einer sehr hohen Verarbeitungsstufe, die es individuell schwierig machen, bewusst die Information zu bekommen, aber unbewusst ist sie auf jeden Fall da. Daher sind die Botschaften bildnerischer Medien meiner Meinung nach wesentlich durchgeformter als die sprachlicher Art.

Scheich: Zur Verdeutlichung des Konzepts »Entwicklung« ist das Medium Film natürlich unschlagbar.

DIE: Was sind die entscheidenden Konzepte?

Scheich: Abstrakte Begriffe, die man auf fast alle Erfahrungs- und Wissensbereiche anwenden kann. Nehmen Sie etwa »Zeit« oder eben »Entwicklung«.

Prenzel: PISA nimmt die Konzepte sehr, aber die Disziplinen etwas weniger ernst. In der Mathematik-Erhebung werden die Schüler nicht nach Teilgebieten wie Geometrie, Algebra usw. gefragt, sondern nach übergreifenden Ideen, z.B. »Raum und Form«, »Ungewissheit/Zufall« oder »Veränderung/Wachstum«. Modelle von »Wachstum« kann man auf ganz unterschiedlichen Komplexitätsebenen fassen. Die deutsche Bildungstradition hat immer sehr auf die disziplinäre Struktur geachtet und dabei die »big ideas« übersehen, die als Gliederungsprinzip eine viel stärkere Unterstützung der Kompetenzentwicklung ermöglichen. In den Niederlanden und den skandinavischen Ländern sind Schule und Hochschulen eher daran ausgerichtet. Ähnlich kann man übrigens auch an die Kunst herangehen oder an die Geschichte oder die Geografie.

Scheich: Wir müssen einmal fragen, wie wir eigentlich Konzepte aus Texten destillieren. Von extremen Legasthenie-Problemen her wissen wir, dass die Transition zwischen einem durch Zeichen visualisierten Text und den Konzepten keineswegs eine selbstverständliche Aufgabe ist. Die Systematik und Variationen der Zeichenfolgen müssen in einer gewissen Geschwindigkeit hintereinander integriert werden und umgesetzt werden in etwas, das den Sprachkortex interessiert. Es gibt tatsächlich zwischen den sekundären Kortex-Arealen, die die visuellen Muster analysieren, und den sprachrelevanten Arealen ein paar Zwischenstationen im hinteren Okzipital-Übergangsbereich zum Parietallappen. Die vermitteln zwischen den Ebenen. In welcher Weise ist unklar, aber es ist klar, dass extreme Fälle von Legasthenie Defekte in diesen Bereichen haben.

DIE: Wollen Sie einen solchen Defekt bei allen Leseschwachen der PISA-Studie vermuten?

Scheich: Ich will mal eine Hypothese wagen: Es könnte ja sein, dass hier veränderte Gewohnheiten im Umgang von Eltern und Kindern durchschlagen. Kinder kriegen weniger vorgelesen als früher und wollen auch nicht so richtig lesen. Durch zu wenig Übung entwickelt sich die Fähigkeit nicht mehr richtig, zwischen visueller Wahrnehmung und Sprachzentrum zu vermitteln.

Prenzel: Ich bin bei dieser Vermutung etwas skeptisch, würde aber an dem Punkt mitgehen, dass das frühe Vorlesen einen starken motivationalen Effekt hat. Wir sollten uns aber noch mal die Evidenzen der PISA-Studie vor Augen führen. Dort ist herausgekommen, dass es starke Interkorrelationen zwischen den Kompetenzen gibt, unterschiedliche Textsorten zu verstehen. Schülerinnen und Schüler, die Schwierigkeiten mit kontinuierlichen Texten haben, also z.B. mit narrativen Texten, haben ebensolche Schwierigkeiten mit nicht-kontinuierlichen Texten, z.B. Tabellen oder Legenden von Abbildungen. Wir sollten daher die Unterstützungsmaßnahmen nicht nur auf narrative Texte ausrichten.

Scheich: Aber Ihre These spricht doch eher dafür, dass das eine am anderen hängt, und demnach egal wäre, was konkret unterstützt würde. Dass die Sprachkompetenz formunabhängig ist.

Nuissl: Das würde ich auch sagen. Das Zusammenfallen der geringeren Kompetenz auf allen Formebenen bei der gleichen Person erinnert mich an die faszinierende Feststellung, dass wenn ein Erwachsener aktiv ist, er es immer überall ist. Wer viel liest, ist auch aktiv in Vereinen.

Scheich: Genauso das Aufmerksamkeitsmangel-Syndrom. Das bezieht sich immer auf alles.

Prenzel: Bei PISA fällt auf, dass wir hohe Korrelationen über die drei Kompetenzbereiche (Mathematik, Naturwissenschaften und Lesen) haben. Möglicherweise beschäftigen sich die Menschen, zumindest mit 15 Jahren, doch nicht so bereichsspezifisch mit Segmenten von Welt. Sie sind vielmehr entweder offen für alles oder eben nicht offen. Das führt zu Fragen innerhalb der Fachdidaktiken.

Scheich: Als Mediziner bin ich für »Ausfälle« zuständig und würde hier ein generalisiertes Problem vermuten an irgendeiner eher basalen Stelle. Möglicherweise im eben beschriebenen Transformationsprozess.

Prenzel: Ich will noch zur Kopplung von sozialer Herkunft und Kompetenz kommen, die es in allen PISA-Ländern gibt. Es liegt ja auf der Hand, dass unterschiedliche anregungsreiche Milieus andere Entwicklungschancen ausprägen. In Deutschland ist die Kopplung aber besonders ausgeprägt. Die Effekte, die PISA feststellt, sind nicht alleine von der Schule produziert. Doch scheinen die Schulen hier Milieunachteile schlechter zu kompensieren als in anderen Ländern.

Scheich: Aber wo ist der Unterschied zwischen einem Dorf in Oberbayern und einem Dorf in Lappland?

Nuissl: Förderung und Einstellung.

Scheich: Der soziale Hintergrund.

Prenzel: Hier kann man das PISA-Programm noch ein ganzes Stück weitertreiben. Es gibt für mich eine Reihe von Dingen, die bisher nicht erfragt sind: wie Kulturen mit Lernen umgehen oder mit Problemlösen zum Beispiel. Solche Aspekte über Fragebögen zu erfragen, ist sehr schwierig, weil die Fragen ja immer aus einer kulturellen Perspektive gelesen und die Antworten zwischen Kulturen nur mit Vorbehalt verglichen werden können. Aber mein Verdacht geht dahin, dass es erhebliche Unterschiede in übergeordneten Herangehensweisen an Lernen oder an Probleme gibt; Aspekte, die nicht auf der technischen Ebene von Didaktik liegen, sondern eher die Art und Weise betreffen, wie man miteinander umgeht.

Scheich: Beschämen von Schülern!

Prenzel: Oder ein Mathematiklehrer, der einen Schüler vorführt, der Nachmessen für einen Beweis hält. Er nimmt sieben andere Schüler dran, die es besser wissen. Wie will er denn Lernen bewirken? Doch nicht dadurch, dass sieben andere signalisieren: »was bist du für ein Idiot Natürlich ist das Messen kein Beweis, aber für diesen Schüler ein erster Zugang und eine Chance, dass er den Unterschied begreift. In Deutschland neigt man dazu, vieles vor einem überhöhten pädagogischen Anspruch abzuwerten. Man beklagt sich, dass die Kinder nicht lesen. Das tun die Leute in Skandinavien auch. Aber was machen sie? An einer Schule, die ich besucht habe, ist jeden Morgen um acht Uhr in allen Klassen eine halbe Stunde Lesezeit. Man setzt sich hin und liest. Das ist an einer deutschen Schule unvorstellbar.

Scheich: Die Organisation der Schule steht ja solchen Dingen entgegen. Diese Lehrpläne...

Prenzel: ... sollten so knapp werden wie die skandinavischen, 20 Seiten mit den wichtigen Sachen.

DIE: Wir werden hier weder Lehrpläne umschmieden noch herausfinden, wo der eigentliche Unterschied zwischen dem oberbayerischen und dem lappländischen Dorf liegt. Aber lassen sich trotz aller Unklarheiten nicht doch ein paar Dinge festhalten, was sich in der Bildungspraxis ändern muss, konkret in der Erwachsenenbildung?

Nuissl: Die Familienbildung kann dazu beitragen, frühkindliche Sozialisationen lesefreundlicher zu gestalten. Eltern haben ein großes Interesse zu lernen, wie sie vermeiden helfen, dass ihre Kinder ähnlich abschneiden wie die PISA-Getesteten. Wie sie die Lernfähigkeit, die Offenheit ihrer Kinder unterstützen können.

Prenzel: Vielleicht kann man auch über den Umweg von Themen wie Umwelt und Gesundheit kommen. OECD-Länder stellen Indikatoren für öffentliche Gesundheit oder Umwelt auf. Die internationalen Vergleiche sehen da ähnlich aus wie bei PISA. Gibt es in jeder Gesellschaft so etwas wie ein Syndrom von Problemlösekompetenz, bereichsübergreifend? Lernen ist im Prinzip nicht unabhängig von Gesundheit und Umwelt. Dann könnten das doch Themen sein, über die man kontrovers diskutieren und zum Lernen vorstoßen kann. Und diese Themen betreffen die Menschen in hohem Maße.

Nuissl: Gesundheit ist auch der expandierende Weiterbildungsbereich der letzten zwanzig Jahre – weiblich. Über »weibliche Gesundheit« kann man heute ganze Bildungsprogramme fahren. Die müsste man jetzt verbinden mit den PISA-Ergebnissen: »Du bist gesund, dein Kind ist gesund, deine Familie ist gesund – was gehört dazu

Scheich: Eltern, vor allem Mütter, haben ein hohes Verantwortungsbewusstsein. Man müsste sie mit der Bildungsfrage packen können.

Nuissl: Familienbildung, auch jenseits kirchlicher Trägerschaft, könnte sich diesen Bereich erschließen.

Prenzel: Welche Fragen beschäftigen die Mütter heute?

Nuissl: Die Kinder spielen nur Computerspiele oder sehen fern.

Scheich: Männer wollen ja leider nur im Beruf erfolgreich sein.

Nuissl: Das lehrt ja auch PISA: Jungen lesen nicht, wie sollen sie dann später offene und problemorientierte Leute sein?

Prenzel: Die Ergebnisse bei Jungen sind bestürzend. Früher hat man immer bedauert, dass sich Mädchen wenig für Naturwissenschaften interessieren. Heute sollte man eher nachfragen, warum Jungen nicht lesen wollen.

Nuissl: Sonderprogramme für Jungen zum Lese- und Bildungsverhalten wären also richtig, aber sie passen absolut nicht in die gegenwärtigen Strukturen.

Prenzel: Ein Leseförderungsprogramm für Jungen wäre wieder der direkte Weg, aber er funktioniert nicht. Wir müssen sie etwas anderes, z.B. Lokal- oder Schulradio machen lassen. Da wollen sie etwas sagen, schreiben es sich auf und lesen es ab. Sie fangen plötzlich an zu lesen. Sie merken überhaupt nicht, dass sie lesen!

Scheich: Das geht nur immer indirekt.

DIE: Kann man hoffen, dass die PISA-Generation durch spätere Einflüsse, z.B. das Lernen im Beruf, noch viel kompensieren wird?

Nuissl: Grundsätzlich kann unser duales Berufsbildungssystem trotz aller Probleme sicher noch einiges Positives beitragen. Aber im kompensatorischen Sinne im größeren Umfang eigentlich nicht. Bei 50 Prozent Teilnahme an Erwachsenenbildung in Deutschland muss ich damit rechnen, dass auf der Seite derjenigen, die nicht in Weiterbildungen gehen, mit Sicherheit die 25 Prozent Benachteiligten der PISA-Generation sind. Die Erwachsenenbildung ist ja ein gebranntes Kind, was komplementäre Funktionen angeht. Sie hat immer die Aufgabe gehabt, das gerade zu biegen, was in der Erstausbildungsphase schiefgelaufen ist: das Nachholen von Schulabschlüssen, die Spezialisierung in der Ausbildung, das Korrigieren sozialer Benachteiligung. Aber seit dem Krieg hat sich die Erwachsenenbildung in Deutschland so entwickelt, dass sie die Schere noch weiter verstärkt. Auch weil sie nicht in der Lage ist, bei der Entwicklung neuer Begriffe von Bildung gegenzusteuern. Deshalb sind die Maßnahmen zu korrigieren und zu kompensieren extrem begrenzt. Ich habe da eine eher pessimistische Einstellung.

DIE: Was erwarten Sie von der Lehrerfortbildung?

Scheich: Es gibt derzeit eine Bewegung von der Basis her: Lehrer greifen von sich aus zu Weiterbildungsangeboten, in denen sie etwas über die biologischen Grundlagen des Lernens erfahren, über die wir in der Zwischenzeit eine Menge wissen. Alle sind im Moment am Gehirn interessiert. Man darf natürlich nicht vor die Lehrer treten und sagen, ihr müsst euch weiterbilden. Einfach mal diesem Impfkeim einsetzen, sie über Hirnforschung oder Psychologie interessieren, auf einem sehr indirekten Wege.

Prenzel: In professionellen Zusammenhängen kann man noch relativ leicht das Lernen anregen. Das gilt auch für Lehrer. Aber mir wäre der Zugriff auf die Lehrer zu eindimensional. Es ist eine Herausforderung an alle und betrifft auch die Medien. Sie könnten eine epistemische Auseinandersetzung mit der Welt vorleben, wozu es bereits gute Ansätze gibt.

Nuissl: Ich glaube auch, dass die Kultur sich ändern muss, wir müssen ein anderes Verständnis davon haben, was für Menschen wichtig ist. Die bisherige curriculare Struktur basiert ja auf der Vorstellung, dass die Anhäufung von Wissen für die Gesellschaft und das Individuum wichtig ist. Da hat PISA zu Recht gegengehalten. Die Kompetenzorientierung verschafft den jungen Menschen einen besseren Zugang zur Wirklichkeit. Was man in der Erwachsenenbildung tun kann, ist, gemeinsam herauszuarbeiten, wo denn die wesentlichen Paradigmenwechsel in unserer Kultur liegen müssen und dann eine Akzeptanz für das schaffen, was wichtig ist beim Menschen. Die Stoffgliederung kommt dann ganz automatisch.

DIE: Wie bewerten Sie die PISA-Rezeption?

Nuissl: PISA führt derzeit zu bildungspolitischen Konsequenzen, die sich so kausal eigentlich gar nicht aus den Ergebnissen begründen lassen.

Prenzel: Es ist gut, dass die OECD begonnen hat, Bildung als wichtigen Indikatorbereich zu beobachten, der neben wirtschaftlichen Indikatoren steht. So gewinnen wir ständig Aufmerksamkeit für den Bildungsbereich .

Scheich: Das sollten wir begrüßen. Es ist gut, dass die Diskussion durch die Katastrophe in Gang gekommen ist.

DIE: Ich danke Ihnen sehr herzlich.


Deutsches Institut für Erwachsenenbildung
Juli 2003

Peter Brandt, Ekkehard Nuissl von Rein, Manfred Prenzel, Henning Scheich, Lernen mit »Konzept«
Online im Internet: URL: http://www.diezeitschrift.de/32003/gespraech.htm
Dokument aus dem Internetservice Texte online des Deutschen Instituts für Erwachsenenbildung
http://www.die-bonn.de/publikationen/online-texte/index.asp