DIE Zeitschrift für Erwachsenenbildung

Zum »Grimme-Preis Spezial« für Stefan Raab

Zu Unrecht in der Hall of Fame?

weiterer Beitrag

Trotzdem: Fallhöhe gegen die Schwerkraft

Uwe Kamman

Uwe Kammann ist Geschäftsführer des Adolf-Grimme-Instituts

»Schuld ist aber Stefan Raab«: So einfach geht es (und doch wieder nicht), wenn sich die taz über einen klamaukigen Reinfall hermacht wie »Das große Prominenten-Turnen« im ZDF. Schuld, das heißt für das Blatt: Raab hat etwas angestiftet, etwas ermöglicht – mit seinerseits an vielen Stellen verkörperter »halbironischer Haltung« und »semiprofessionell inszeniertem Nervenkitzel«. In ganzironischer Volte fügt die einst basisrebellische Zeitung hinzu: Auch im deutschen Fernsehen sei die Frage der Relevanz »nicht zuletzt eine Frage der Fallhöhe«.

Eine ziemliche Fallhöhe konstatierten Kritiker in diesem Jahr auch beim Grimme-Preis. Eine Auszeichnung mit diesem Renommee, mit dieser Tradition ausgerechnet an jemanden, der sich nicht selten suhlt in der verbalen Gosse, der Studiogäste hemmungslos veralbert oder auch rüde attackiert, der handfeste Klagen einstecken muss, weil er sich auch sichtlich/hörbar unter der Gürtellinie auf Kosten anderer amüsiert (sein spezielles Publikum wohl auch)? Eine öffentliche Belobigung der musterhaften Art für jemanden, der bei »TV total« das Totale des Mediums auch gnadenlos als totalitär versteht und ausnutzt – für sich selbst?

Ja, befand die Preisjury, ja, es geht, trotz zeitweiliger Raab-Rolle als »verbaler Hooligan«. Hat sie sich verhoben, wenn sie dieses Urteil nach gründlicher Erörterung des Befundes wagt – und einfach den Preis-Protagonisten zur multiplen Persönlichkeit auffächert: hier Raab, der rüde Clown, dort Raab, der »mit dem Fernsehen spielt, als Entdecker und Förderer von Musiktalenten« (Preisbegründung)?

Nun, zuallererst ist die Jury mutig, indem sie eine mögliche Provokation in Kauf nimmt, um eine auf den ersten und zweiten Blick höchst unvermutete Auszeichnung zu vergeben. An einer Stelle, wo kaum jemand jene Qualitäten vermutet, die laut Statuten für Grimme-geadelte Sendungen maßgebend sind: nämlich nach Form und Inhalt Vorbild sein zu können für die Fernseh-Praxis. Nur, und das ist beim Streit um die Auszeichnung für Stefan Raab leicht zu übersehen: Das ist das allgemeine Dach der Preis-Formeln.

Weil aber der Grimme-Preis sorgfältiger konturiert und nachhaltiger begründet ist als jede andere Auszeichnung, muss der Blick bei jeder Entscheidung geschärft fokussiert werden, um Tiefenschärfe zu gewinnen. Was im Falle Raab heißt: die Extra-Statuten für den Spezial-Preis sind heranzuziehen – eine seit längerem vorhandene Preissonde, mit der das Besondere gesucht und auch gefunden wird, was sonst auf der klassischen Hauptbühne leicht untergeht oder in den Hintergrund gerät. »Spezial«, das bedeutet nach Buchstabe und Geist eben: jene Persönlichkeiten oder die »Arbeit an Programmen/Sendungen« herauszufiltern, die beispielsweise als »kennzeichnend für neue ästhetische und/oder journalistische Formen der Fernseharbeit« gelten, die »exemplarisch für außergewöhnlich mutige und couragierte Fernsehpublizistik stehen«, die »herausragende künstlerische oder handwerkliche Qualitäten« aufweisen oder die durch »außergewöhnliche programmkonzeptionelle Ideen auffallen«.

Hier hat die Jury zugegriffen. Und, in genau einkreisender Begründung, bei Raab eine besondere Qualität hervorgehoben, die quer steht zu einer nicht selten eher routiniert gehandhabten Einstellung zur Musik im Fernsehen, speziell dann, wenn sie unter dem Etikett des großen »U«, also der Unterhaltung, daherkommt. Wieviel Eintöniges, im wahrsten Sinne, wie viel Klischees, wie viel Abgenudeltes, wieviel rein Kommerzgeprägtes im Spektrum vom Musikantenstadl bis zur Pop-Castingshow – und bislang auch beim Grand Prix de la Chanson.

Genau hier hatte Stefan Raab mit seinem »SSDSGPS – Ein Lied für Istanbul« ein intelligentes, kreatives und nahezu subversives Gegenmodell entwickelt und auch verwirklicht. Wobei das Konzept auch aufging: Mit Max Mutzke wurde ein Sänger entdeckt, der über beachtliche Qualitäten verfügt. Genau damit wurde, gegen jede Erwartung und gegen jedes Klischee, die mediale Hohlform »Spaßgesellschaft« gegen das Instrument »Musik- und Unterhaltungskultur« ausgetauscht. Dazu noch spielend, fast beiläufig, in Richtung sympathischer Untertreibung.

Hier liegt das Modell, auch ein persönliches, das nicht negativ ausgespielt werden sollte gegen das Bild (auch das grinsend selbst erzeugte oder dargestellte) einer Medien-Person, die oft das Schrille bevorzugt. Es geht also nicht um einen Charakter-Preis, sondern um das positive Markieren produktiver Phantasie. Ein dialektisch anmutender Preis, ja, einer, dessen Weg und Wert sich erst auf den zweiten Blick erschließt. Aber damit auch eine Hervorhebung, die belegt, dass der Grimme-Preis in ungewöhnlicher Form auf der Höhe der Zeit sein kann und will, ohne dem Zeitgeist nachzulaufen. Keine mutwillige Beschädigung also unter dem Siegel der Unabhängigkeit der Jury, sondern eine ganz spezifische Auszeichnung, die damit auch belegt, dass es genau diese Unabhängigkeit ist, welche den freien Blick erlaubt – und solcherart Freiheitsräume schafft. Die wiederum sind notwendig, damit ein renommierter Preis lebendig bleibt. Und nicht im Kanon erstarrt.