DIE Zeitschrift für Erwachsenenbildung

Zum »Grimme-Preis Spezial« für Stefan Raab

Zu Unrecht in der Hall of Fame?

Der Protest eines ehemaligen Jurymitglieds und eine Replik des Grimme-Instituts

Vergriffen: Von Grimme zur Chuzpe

Detlef Oppermann

Prof. Dr. Detlef Oppermann ist Verbandsdirektor des VHS-Verbandes Saar

Die Jury des Adolf-Grimme-Preises hat dieses Jahr in ihrer medialen und kulturellen Weisheit eine Entscheidung getroffen, die angesichts ihrer zeitgeistorientierten Modernität kaum noch erstaunt. Stefan Raab und seine Plattform – »Stefan sucht den Super Grand Prix Star« – sind für würdig erachtet worden, den so hochkarätigen wie ehrwürdigen Preis zu erhalten. »Musikalisches Handwerk« weise Raab auf, »Talent als Komponist« besitze er und »subversiv« sei sein Medienkonzept; »man wird eben höchst vergnügsam unterhalten« und finde »junges, frisches Fernsehen auf der Höhe der Zeit«, so die Jury in ihrer Würdigung. Ist dabei vergessen worden, dass der Mann eigentlich für das Format »TV total« steht, womit er sich unendliche Prozesse einheimste? In der Presse las man nur sechs Tage nach der Verleihung des Grimme-Preises, dass es den Medienkünstler und Super-Comic wieder einmal erwischte. Er steht vor Gericht: Widerrechtlicher Eingriff in das Persönlichkeitsrecht, öffentliche Zurschaustellung ohne Einverständnis von Personen und Verstoß gegen das Kunsturhebergesetz, so heißen die Vorwürfe. Freuen werden sich darüber vor allem die Cyber- Yuppies der unbegrenzten Spaßkultur, die nur noch ein Hohnlachen für den sozialen und kulturellen Verfall übrig haben. Werner Tübkes Kennzeichnung einer »Verfallsgesellschaft« greift auch hier.

Erstaunt und verletzt bleiben jene zurück, die gegen den Zeitgeist immer noch glauben, Aufklärung, Humanität und Bildung hätten etwas mit dem Grimme-Preis zu tun – Werte, für die der Preis einst vom Deutschen Volks- hochschul-Verband (DVV) gestiftet wurde. Doch was soll Grimmes Appell an eine humane Kultur noch, wo Verunglimpfung, Geschmacklosigkeit und Zynismus – wie bei Raab – zu entscheidenden kulturellen Werten geworden sind. Einst hatte Adolf Grimmes Entwurf eines christlichen Sozialismus, verbunden mit den Werten von Humanität und politischer Aufklärung, die in den kulturellen Produktionen der Zeit aufscheinen sollten, den DVV dazu angeregt, den Namen Grimmes und sein Wirken in Kultur und Medien für eine Auszeichnung kritischer, bürgerschaftlicher und aufklärerischer Fernsehproduktionen zu verwenden. Es sollte eine Brücke geschlagen werden zwischen dem Bildungsentwurf der Volkshochschulen und einer qualitätsvollen, aufklärenden Fernseharbeit, eine Brücke, die den demokratischen Staat trägt und eine humane Kultur befördert.

Hierzu sollten Journalisten und Erwachsenenbildner in freiem und abwägendem Diskurs TV-Produktionen würdigen, die dieses Konzept vorbildlich erfüllen. Die Unabhängigkeit der Jury – vor allem von Modetrends und Zeitgeistströmungen –, ihre absolute Freiheit der Bewertung hat über viele Jahre hinweg dazu beigetragen, das einzigartige Renommee herauszubilden, das der Grimme-Preis mit gutem Recht beanspruchen konnte. Aber trotz seiner immer noch beispielhaften der nicht erst beim Skandalon der Preiswürdigkeit Raabs eingetreten ist – dies hat sich mir als langjährigem Jurymitglied nur besonders eingeprägt.

Zu fragen ist: Was haben die TV-Konzepte Raabs mit Adolf Grimme zu tun? Jeder, der die Intention des Preises kennt, weiß es: nichts! Oder besser noch, es ist das exakte Gegenteil des Kulturbegriffs Grimmes. Der DVV hat in seiner Zögerlichkeit und Ängstlichkeit vor dem Machtanspruch der journalistischen Medienwelt dazu geschwiegen. Was soll er auch anders tun, will er nicht das Prinzip der absoluten Unabhängigkeit der Jury unterlaufen. Es gab ja zudem Erfreuliches zu vermelden: Der Grimme- Preis in Gold ging an den genialen Komödianten Olli Dietrich und seinen Entwurf »Ditsche« – eine Zeichnung von feiner Humanität und exakter Beobachtung einer vom Neoliberalismus geschlagenen Person. Und dennoch: Eine Entscheidung vermag einen Ruf und ein Konzept zu treffen, das vor derartigem Unsinn geschützt zu werden verdiente. Wie wäre es, um den Nonsens zu steigern, wenn man im nächsten Jahr Desirée Nick oder den selbst nobilitierten Gunther von Hagens preiswürdigte. Die Linie wäre jedenfalls beibehalten.


Trotzdem: Fallhöhe gegen die Schwerkraft

Uwe Kamman

Uwe Kammann ist Geschäftsführer des Adolf-Grimme-Instituts

»Schuld ist aber Stefan Raab«: So einfach geht es (und doch wieder nicht), wenn sich die taz über einen klamaukigen Reinfall hermacht wie »Das große Prominenten-Turnen« im ZDF. Schuld, das heißt für das Blatt: Raab hat etwas angestiftet, etwas ermöglicht – mit seinerseits an vielen Stellen verkörperter »halbironischer Haltung« und »semiprofessionell inszeniertem Nervenkitzel«. In ganzironischer Volte fügt die einst basisrebellische Zeitung hinzu: Auch im deutschen Fernsehen sei die Frage der Relevanz »nicht zuletzt eine Frage der Fallhöhe«.

Eine ziemliche Fallhöhe konstatierten Kritiker in diesem Jahr auch beim Grimme-Preis. Eine Auszeichnung mit diesem Renommee, mit dieser Tradition ausgerechnet an jemanden, der sich nicht selten suhlt in der verbalen Gosse, der Studiogäste hemmungslos veralbert oder auch rüde attackiert, der handfeste Klagen einstecken muss, weil er sich auch sichtlich/hörbar unter der Gürtellinie auf Kosten anderer amüsiert (sein spezielles Publikum wohl auch)? Eine öffentliche Belobigung der musterhaften Art für jemanden, der bei »TV total« das Totale des Mediums auch gnadenlos als totalitär versteht und ausnutzt – für sich selbst?

Ja, befand die Preisjury, ja, es geht, trotz zeitweiliger Raab-Rolle als »verbaler Hooligan«. Hat sie sich verhoben, wenn sie dieses Urteil nach gründlicher Erörterung des Befundes wagt – und einfach den Preis-Protagonisten zur multiplen Persönlichkeit auffächert: hier Raab, der rüde Clown, dort Raab, der »mit dem Fernsehen spielt, als Entdecker und Förderer von Musiktalenten« (Preisbegründung)?

Nun, zuallererst ist die Jury mutig, indem sie eine mögliche Provokation in Kauf nimmt, um eine auf den ersten und zweiten Blick höchst unvermutete Auszeichnung zu vergeben. An einer Stelle, wo kaum jemand jene Qualitäten vermutet, die laut Statuten für Grimme-geadelte Sendungen maßgebend sind: nämlich nach Form und Inhalt Vorbild sein zu können für die Fernseh-Praxis. Nur, und das ist beim Streit um die Auszeichnung für Stefan Raab leicht zu übersehen: Das ist das allgemeine Dach der Preis-Formeln.

Weil aber der Grimme-Preis sorgfältiger konturiert und nachhaltiger begründet ist als jede andere Auszeichnung, muss der Blick bei jeder Entscheidung geschärft fokussiert werden, um Tiefenschärfe zu gewinnen. Was im Falle Raab heißt: die Extra- Statuten für den Spezial-Preis sind heranzuziehen – eine seit längerem vorhandene Preissonde, mit der das Besondere gesucht und auch gefunden wird, was sonst auf der klassischen Hauptbühne leicht untergeht oder in den Hintergrund gerät. »Spezial«, das bedeutet nach Buchstabe und Geist eben: jene Persönlichkeiten oder die »Arbeit an Programmen/Sendungen« herauszufiltern, die beispielsweise als »kennzeichnend für neue ästhetische und/oder journalistische Formen der Fernseharbeit« gelten, die »exemplarisch für außergewöhnlich mutige und couragierte Fernsehpublizistik stehen «, die »herausragende künstlerische oder handwerkliche Qualitäten« aufweisen oder die durch »außergewöhnliche programmkonzeptionelle Ideen auffallen«.

Hier hat die Jury zugegriffen. Und, in genau einkreisender Begründung, bei Raab eine besondere Qualität hervorgehoben, die quer steht zu einer nicht selten eher routiniert gehandhabten Einstellung zur Musik im Fernsehen, speziell dann, wenn sie unter dem Etikett des großen »U«, also der Unterhaltung, daherkommt. Wieviel Eintöniges, im wahrsten Sinne, wie viel Klischees, wie viel Abgenudeltes, wieviel rein Kommerzgeprägtes im Spektrum vom Musikantenstadl bis zur Pop-Castingshow – und bislang auch beim Grand Prix de la Chanson.

Genau hier hatte Stefan Raab mit seinem »SSDSGPS – Ein Lied für Istanbul « ein intelligentes, kreatives und nahezu subversives Gegenmodell entwickelt und auch verwirklicht. Wobei das Konzept auch aufging: Mit Max Mutzke wurde ein Sänger entdeckt, der über beachtliche Qualitäten verfügt. Genau damit wurde, gegen jede Erwartung und gegen jedes Klischee, die mediale Hohlform »Spaßgesellschaft « gegen das Instrument »Musikund Unterhaltungskultur« ausgetauscht. Dazu noch spielend, fast beiläufig, in Richtung sympathischer Untertreibung.

Hier liegt das Modell, auch ein persönliches, das nicht negativ ausgespielt werden sollte gegen das Bild (auch das grinsend selbst erzeugte oder dargestellte) einer Medien-Person, die oft das Schrille bevorzugt. Es geht also nicht um einen Charakter- Preis, sondern um das positive Markieren produktiver Phantasie. Ein dialektisch anmutender Preis, ja, einer, dessen Weg und Wert sich erst auf den zweiten Blick erschließt. Aber damit auch eine Hervorhebung, die belegt, dass der Grimme-Preis in ungewöhnlicher Form auf der Höhe der Zeit sein kann und will, ohne dem Zeitgeist nachzulaufen. Keine mutwillige Beschädigung also unter dem Siegel der Unabhängigkeit der Jury, sondern eine ganz spezifische Auszeichnung, die damit auch belegt, dass es genau diese Unabhängigkeit ist, welche den freien Blick erlaubt – und solcherart Freiheitsräume schafft. Die wiederum sind notwendig, damit ein renommierter Preis lebendig bleibt. Und nicht im Kanon erstarrt.