DIE Zeitschrift für Erwachsenenbildung

Die Fußball-Weltmeisterschaft als Lernzumutung

Aus dem pädagogischen Tagebuch

Jochen Kade

Wenn die Fußball-Weltmeisterschaft begonnen hat, gilt für alle Beteiligten der Ernst des Spiels, das Gewinnen oder Verlieren. Die lange Zeit der Vorbereitung, des Trainierens, des Lernens ist im Wesentlichen beendet. Der Blick zurück auf die Erwartungen, auf die Aufgeregtheiten der Vorbereitungszeit und die Rolle des Pädagogischen in ihr aber lohnt auch noch bei Erscheinen dieses Heftes kurz vor Ende der WM. Der Autor zeigt, wie auf zwei Ebenen die Vorbereitung von pädagogischen Metaphern, von Lernzumutungen und Lernerwartungen durchdrungen war: auf der Ebene der Bevölkerung sowie im engsten Umfeld der Nationalmannschaft. Jürgen Klinsmann kann ein Lied davon singen.

Als Anfang 2003 von der Europäischen Union beschlossen wurde, 2004 zum »Europäischen Jahr der Erziehung durch Sport« (EYES) zu machen, hatte man bei dieser Initiative vor allem an Jugendliche gedacht. Sie sollten für sportliche Werte wie Toleranz, Fair Play und Teamgeist gewonnen werden. Dazu sollte auf die Bedeutung des Sports für die Entwicklung der Persönlichkeit sowie die soziale Integration aufmerksam gemacht werden.

Und es sollte durch den Themenschwerpunkt »Erziehung durch Sport« dieser in die Bereiche Bildung und Erziehung stärker einbezogen werden, nicht zuletzt unter Hinweis auf die sportlichen Großereignisse des Jahres wie die Fußball-Europameisterschaft in Portugal, die Olympischen Spiele und die Paralympics in Athen. Über 180 Projekte von Bildungs- und Sporteinrichtungen wurden auf lokaler, regionaler, nationaler und europäischer Ebene gefördert. Zur zentralen Steuerung ihres Ablaufes und ihrer Umsetzung wurden nationale Koordinierungsstellen eingerichtet, auch in Deutschland.

Als man zur tatkräftigen Unterstützung dieser Kampagne prominente Sportler wie »Fußball-Weltmeister« Jürgen Klinsmann gewann, ahnte man noch nicht, dass dieser ab August 2004 Bundestrainer der Deutschen Fußball- Nationalelf sein würde. Was ihn damals neben seinem Vorbildcharakter auf Grund der vergangenen Fußballerfolge für diese Aufgabe vor allem prädestinierte, war sein Engagement zur Förderung der sozialen Entwicklung von Kindern im Rahmen der von ihm gegründeten Stiftung »Agapedia«. Hingewiesen wurde auch darauf, dass er sich der deutschen Fußballjugend und der transatlantischen Fußballbrücke widme. Ganz der Kampagne »Erziehung durch Sport« entsprechend wurde über Klinsmann zunächst als eine Art Erzieher von Jugendlichen berichtet. Er erzählte von eigenen Lernprozessen und eröffnete Straßenfußballturniere.

In dem Maße, in dem die Fußball-Weltmeisterschaft näher rückte, und insbesondere seit 2006, verschob sich die Aufmerksamkeit. Es ging nicht mehr um das Thema »Erziehung durch Sport«, sondern um Erziehung und Lernen im Zusammenhang mit Sport, spezieller: mit der Fußball-Weltmeisterschaft. Auch traten die Jugendlichen als Adressaten in den Hintergrund, in den Vordergrund trat die erwachsene Bevölkerung; und zwar nicht nur diejenigen, die direkt am Fußballspiel beteiligt sind, sondern die gesamte (deutsche) Bevölkerung als diejenigen, die von dem Großereignis Fußball- Weltmeisterschaft betroffen sind. Von einer zentralen institutionellen Steuerung der Lernerwartungen durch eine Einrichtung des Sports – wie etwa durch das Büro der Deutschen Sportjugend (DSJ) in Frankfurt – konnte allerdings nicht die Rede sein. An die Stelle getreten waren einerseits unterschiedliche dezentral agierende Einrichtungen, andererseits die Massenmedien. Sie wurden zu vielstimmig agierenden Zentren eines naturwüchsig, aber mit gewisser Zwangsläufigkeit im Kontext der (Vorbereitung zur) Fußball-WM entstehenden »Nationalen Bildungswerks«.

Bald wurde deutlich, dass die WM 2006 mit dem Motto »Die Welt zu Gast bei Freunden« von Anbeginn an im Kontext von Pädagogik stand. Schon das Motto zeigte, dass dabei an ein anspruchsvolles Betreuungsprogramm gedacht war. Über die Fußballspiele hinaus mussten die Funktionäre, die Betreuer und vor allem die ‚Schlachtenbummler’ gastfreundlich aufgenommen und angemessen in vielfältiger Hinsicht versorgt werden. Die WM sollte als Medium nationaler Selbstdarstellung genutzt werden. An ihrer Durchführung sollten (Vor-)Urteile gegenüber Deutschland korrigiert werden. Es sollte vor den Augen der Weltöffentlichkeit unter Beweis gestellt werden, dass in Deutschland Fremde nicht als Fremde, sondern als Freunde betrachtet würden, also von Fremdenfeindlichkeit, von Voreingenommenheiten oder gar Hass gegenüber Ausländern überhaupt nicht die Rede sein könne.

Dieses (Multi-Kulti-)Programm praktizierter Aufgeschlossenheit für andere Völker, um nicht zu sagen: praktizierter Fremdenliebe, war an personale Voraussetzungen gebunden, die in der Bevölkerung wenn überhaupt, nur zum Teil selbstverständlich gegeben waren. Um Verständigung und Verständnis zu sichern, mussten Sprachkenntnisse verbessert oder zumindest alltagsrelevante Grundkenntnisse erworben werden. Es musste kulturelles Basiswissen über die Sitten, Gebräuche, Eigenarten und das Verhalten der fremden Kulturen, mit denen man vor allem in Kontakt kam, angeeignet werden. Und es musste neben Gastfreundlichkeit auch – im Zeichen interkulturellen Austauschs – der Umgang mit Fremden gelernt werden, und dies unter erschwerten Bedingungen insofern, als die Fremden im Stadion nicht als Freunde, sondern als Gegner auftreten würden. Aus einer fremdenfeindlichen Nation sollte, so formulierte es der »Spiegel«, ein »sprachgewandtes Land des Lächelns« werden, ein »Volk von Fremdenführern«, aus der »Servicewüste Deutschland« der vollkommene Gastgeber, der Weltmeister in dieser Disziplin.

Die vielfältig von den Volkshochschulen bis zum Gaststättenverband durchgeführten Sprach- und Benimmkurse sind dafür beredter Beleg. Insgesamt wurde die Durchführung der WM zu einem großen, die gesamte Bevölkerung erfassenden Lernprogramm. Selbst das Fan-Sein wurde nicht als selbstverständliche Gegebenheit vorausgesetzt, in dem Sinne, dass man es entweder war oder nicht. Das vom Sportmoderator Gerhard Delling zusammengestellte Langenscheidt-Lexikon »Fußball – Deutsch, Deutsch – Fußball« ist nicht nur an Fans gerichtet, sondern ausdrücklich auch an »solche, die es werden wollen«. Die WM war nicht nur für den engeren Kreis der Interessierten gedacht, sondern als ein Event, in das die ganze Bevölkerung einbezogen, für das sie mobilisiert werden sollte. Damit die Wissens- und emotionalen Voraussetzungen dafür geschaffen werden, bedurfte es des breiten Angebots unterhaltsam aufbereiteter Crashkurse, der zeitgemäßen Form des Nachhilfeunterrichts.

Je näher der Beginn der WM rückte, desto stärker trat die Nationalmannschaft ins pädagogische Fadenkreuz, insbesondere Klinsmann als verantwortlicher Trainer. Als man sich 2004 wegen des Rücktritts von Rudi Völler für Klinsmann trotz der ihm fehlenden Erfahrungen als Trainer entschied, konnte er auf die Erfahrungen und das Charisma einer erfolgreichen Spielerkarriere verweisen, aber auch auf in Amerika im Zusammenhang der Sportvermarktung erworbene Kenntnisse modernen Führungs- und Managementwissens. Vor diesem spezifischen Hintergrund forderte Klinsmann die grundlegende Reformierung des Deutschen Fußball-Bundes (DFB). Personelle Veränderungen, die in Distanz gehen zu den im DFB üblichen internen Rekrutierungswegen, zu milieueingebundenen Aufstiegskarrieren, sollten die Professionalisierung der Arbeit mit der Nationalmannschaft vorantreiben: So wurden etwa Fitnesstrainer aus den USA engagiert.

Klinsmann verknüpfte die erfolgreiche Vorbereitung auf die Weltmeisterschaft eng mit der Reformierung des DFB, insbesondere dessen Verhältnis zur Nationalmannschaft. Er erwartete vom DFB, dass man bisher vertraute Vorstellungen, wie die Nationalmannschaft zu führen sei, aufzugeben und sich auf Neues, auch Irritierendes einzulassen bereit sei. Erwartet wurde also eine hohe Lern- und insofern auch Verlernbereitschaft. Zugleich setzte Klinsmann sich und sein von ihm zusammengestelltes Führungsteam Bierhoff, Löw, Köpke unter einen erheblichen Bewährungs- und Erfolgsdruck.

Nicht die erste, aber die bislang größte pädagogisch mehrfach ausgeflaggte Krise ergab sich ein Vierteljahr vor Beginn der Weltmeisterschaft nach der als demütigend erfahrenen hohen 1:4-Niederlage gegen Italien. Die Fehler, die Klinsmann bei der Aufstellung, der Wahl der Spieltaktik und auch der Vorbereitung vorgeworfen wurden, wurden auf seine fehlenden Erfahrungen, damit auf seine Kompetenzdefizite als Trainer zurückgeführt. Das Wort führten dabei nicht nur die Millionen Experten vor dem Fernseher und die Journalisten, sondern auch Trainer und ehemalige Spielerkollegen. Die Kritik ging so weit, dass Klinsmann die Kompetenz eines Trainers der Nationalmannschaft abgesprochen und seine vorzeitige Entlassung in die Diskussion geworfen wurde. Zugleich wurde ihm fehlende Lernbereitschaft vorgehalten.

Eine Zuspitzung erfuhr die fachliche Kritik, als Franz Beckenbauer, der sich ja nicht nur die Rolle einer obersten Instanz der WM 2006 zuschreibt, sondern auch die ihres »Vaters«, bei Klinsmann im Zusammenhang mit dessen Nichterscheinen auf einer internationalen Trainertagung des DFB ein »Erziehungsdefizit« diagnostizierte. Auf das Verhalten von Kindern in der Schule verweisend, war dabei auch vom »Schwänzen« die Rede. Zugleich fehlte auch nicht der Hinweis darauf, den Vorwurf fehlender Lernbereitschaft bekräftigend, dass Klinsmann durch das Fernbleiben von der Trainertagung die Gelegenheit versäumt habe, sich mit anderen erfahrenen Trainern auszutauschen und von ihnen zu lernen. »Jeder ist für seinen Zuständigkeitsbereich verantwortlich. Und jeder geht mit seinem Bereich so um, wie er erzogen worden ist. Und dass dann da teilweise auch Versäumnisse auftreten, das hat man gesehen. Ich kann’s nur wiederholen: Wenn da Leute sind, die erfahren sind, die schon alles gewonnen haben … und unser Bundestrainer es nicht für möglich hält, bei diesem Workshop dabei zu sein – dann tut mir das leid. Ich weiß nicht, wie oft ich mit ihm gesprochen habe und ihm erklärt habe, dass es an der Zeit ist, in Deutschland zu sein … Aber er macht es, wie er es für richtig findet. Wenn das die Auffassung von seinem Beruf ist, dann muss er auch mit der Kritik leben.«

Klinsmanns Reaktion auf die Kritik ging in unterschiedliche Richtungen: Einerseits betonte er seine grundsätzliche Bereitschaft, aus Fehlern immer wieder neu zu lernen. Er macht diese Offenheit geradezu zu seinem Credo als Trainer.

Andererseits bemühte er sich, den Konflikt mit dem DFB zu deeskalieren, indem er vorzeitig aus Amerika zurückkehrte und familiäre Gründe für das schnelle Abfahren nach der Niederlage in Italien anführte, damit zugleich den Vorwurf eines Erziehungsdefizits zu entkräften suchte. Er insistierte allerdings auf seiner Neukonzeptionierung der Arbeit mit der Nationalmannschaft und darauf, verkrustete Strukturen dort aufzubrechen, wo er sie als unbegründet ansah.

Was ihm wiederholt als opportunistisches Abgehen vom ursprünglichen Reformprogramm vorgeworfen wurde, dass er nicht mehr so wie am Anfang von der grundlegenden Reformierung des DFB spreche, darin muss man wohl das Resultat eines Lernprozesses sehen, den Klinsmann bei der Umsetzung seines Konzeptes gemacht hatte, nämlich die Erfahrung, dass er die Widerständigkeit im DFB und damit dessen Nicht-Bereitschaft, zu lernen, und zugleich die Bereitschaft, die eigenen organisatorischen Machtressourcen einzusetzen, unterschätzt hat. Ein deutliches Zeichen für die Grenzen, die der DFB Klinsmanns tiefgreifenden Veränderungsvorstellungen setzte, wurde im Zusammenhang mit seinem als Tabubruch erfahrenen Vorschlag, einen ihm nahestehenden Hockeytrainer zum sportlichen Leiter des DFB zu machen, sichtbar. Der DFB setzte demgegenüber den Fußballtrainer und ehemaligen Nationalspieler Matthias Sammer durch.

Es gab auch abgeklärtere Stimmen, die keine Erwartungen auf eine (zudem kurzfristige) Machbarkeit des WM-Erfolgs der deutschen Nationalmannschaft durch Pädagogik, durch Lernen und Erziehung, hegten. Sie behielten nicht zuletzt auf Grund der Erfahrungen des Spiels gegen Italien einen klaren Blick für die Schwächen des deutschen Fußballs und insbesondere der deutschen Nationalelf.

Aber auch diese Skepsis gegenüber überzogenen Erwartungen an Pädagogik wurde nicht ohne erzieherische Ambitionen geäußert. So setzte die »Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung « im Nachgang zum verlorenen Italien- Spiel und im Vorausblick auf das Spiel gegen die USA über eine Seite mit Berichten und Gesprächen mit internationalen Fußballtrainern, deren Kompetenz allgemein anerkannt wird, die Überschrift »Verlieren lernen«. Und die »Süddeutsche Zeitung« schrieb unter der Überschrift »Weltmeister im Geiste« den Politikern die Aufgabe zu, der Bevölkerung zu vermitteln, warum eine Nation wie Deutschland es nicht nötig habe, »unbedingt Weltmeister zu werden«.

Die insbesondere durch »BILD« aufgegriffene und verstärkte allgemeine Stimmungslage der Bevölkerung machte das Spiel gegen die USA indes zum Entscheidungsspiel. Klinsmann hatte nach der Niederlage gegen Italien beschwichtigend gesagt, dass die Mannschaft und auch er aus solchen Niederlagen, auch aus den dabei gemachten Fehlern, nur »lernen« könne. Auf der Linie dieser pädagogischen Metaphorik bleibend, ging es um die Überprüfung, ob die Nationalelf die »Lektion«, die ihr im Italien- Spiel erteilt worden ist, gelernt habe. Länderspiele wie das gegen die USA hatten Trainingscharakter, aber sie wurden zugleich zum Prüfstand, nicht des Wissens – wie in der Schule bei Klassenarbeiten –, sondern des Könnens. Das USA-Spiel erlaubte es daher, das Urteil über den Leistungsstand, wie er im Italien-Spiel sichtbar geworden ist, zu relativieren. Er war nicht so schwach, wie man nach diesem Spiel den Eindruck hatte. Man konnte sich also weiter Hoffnungen auf ein erfolgreiches Abschneiden bei der WM machen.

Klinsmann nutzte den Sieg gegen die USA nicht nur als Beweis dafür, dass er mit der Vorbereitung der Nationalelf auf dem richtigen, durchaus Erfolg versprechenden Weg sei. Er wechselte zugleich seine Rolle: Nachdem er zwischenzeitlich, am vehementesten nach der Niederlage gegen Italien, der beständigen Überprüfung und Kritik durch Experten in der (massenmedialen) Öffentlichkeit ausgesetzt war (u.a. »prüfte« DFB-Boss Zwanziger Klinsmanns Fachwissen, wie »Sport- Bild« berichtete), übernahm er nach dem USA-Spiel wieder die Rolle eines Lehrers, der es besser weiß – so wie er aus den USA als Aufklärer und Modernisierer kam.

 Adressat seiner Kritik waren nun die Massenmedien. Klinsmann wechselte aus der Rolle des zu erziehenden und zu belehrenden Schülers, der unter Beweis stellen muss, das er ausreichend gelernt hat, um als kompetent gelten zu können, in die Rolle desjenigen, der berechtigt ist, den Wissens- und Bewusstseinsstand anderer zu bewerten und damit auf Lernbedarf hinzuweisen. Klinsmann verlangte nunmehr auch von den Massenmedien, dass sie sich verändern, damit der Erfolg der Nationalelf nicht gefährdet wird.

Sein eigenes pädagogisches Programm bei der WM-Vorbereitung gewinnt dann wieder deutlichere Kontur bei der öffentlichen Präsentation des von ihm bestimmten Kaders. Die »Süddeutsche Zeitung« diagnostizierte auf der ersten Seite den Abschluss eines »Erziehungsprozesses, in dem traditionelle Kampftugenden belohnt (Robert Huth, Hitzlsperger) und träge Talente abgestraft (Kuranyi, Hinkel) wurden. « Auch wenn der DFB-Chef Mayer- Vorfelder den »Kader als Ergebnis eines zweijährigen Entwicklungsprozesses « aufwertete – näher betrachtet handelt sich um Selektion, eine Entwicklung, die eher nicht stattgefunden hat.

Auch wenn in den Vorbereitungen auf die WM 2006 in Deutschland vielfach pädagogische Denk- und Handlungsmuster aktiviert wurden, sie ist kein pädagogisches Projekt und kann auch nicht als ein solches, im Sinne etwa der Ziele des Europäischen Jahres der »Erziehung durch Sport«, angemessen beschrieben werden. Dazu gehorcht der Fußball inzwischen zu sehr ökonomischen Interessen. Wollte man ihn davon wieder freimachen, so müssten Adressaten pädagogischer Absichten weniger die Jugendlichen als die am Fußball in unterschiedlicher Weise beteiligten Erwachsenen sein, und dies nicht nur im Falle des kriminellen Verhaltens etwa der zahlreichen Wettbetrüger, des reichlich dubiösen Agierens des ehemaligen Bayer-Managers Calmund im Grenzbereich von Legalität und Illegalität oder neuerdings des Skandals um Juventus Turin, den man aber zumindest als »Lehrstück über den zerrissenen italienischen Staat« (SZ) an die pädagogische Semantik anschließen kann.

Vielleicht stehen die Ökonomisierung und die Pädagogisierung des Fußballs und insbesondere der Fußball-WM ja in engem Zusammenhang miteinander. Ihre Ökonomisierung ist verstärkt seit der WM 1994 in den USA zu beobachten. Wenn die FIFA heute alles rechtlich Mögliche – gebremst zunächst nur durch ein Urteil des BGH – daran setzt, die WM von einem öffentlichen gesellschaftlichen Ereignis zu einer exklusiv durch sie vermarktbaren Marke zu machen, – »FIFA-Weltmeisterschaft 2006« –, die es etwa erlaubt, in den Stadien und ihrem Umkreis alle nicht zugelassene Werbung zu verbieten, dann hat sie zwar noch nicht die Macht von Bernie Ecclestone in der Formel Eins, aber sie ist auf dem Weg dahin.

Es mag mehr als ein Zufall sein, dass der missionarische Reformer Klinsmann, der strukturelle Veränderungen des DFB und der Arbeit mit der Nationalmannschaft mit visionärem Gestus angemahnt hat, auf moderne Managementmethoden setzt, die Kompetenz an kontinuierliches Lernen binden und die Schwierigkeiten, mit Niederlagen umzugehen, durch Symbole der Pseudodynamik verklären. Nach seiner Fußballerkarriere hat er sich solche Methoden insbesondere in den USA angeeignet.

Immer dort, wo es, aus welchen Gründen auch immer, um Veränderungen geht, ist die Pädagogik gefragt. Insofern spiegeln die Vorbereitungen der Fußball-Weltmeisterschaft, die mehr sind als nur deren Vorgeschichte, die deutsche Gesellschaft zwischen Reformzumutungen und Reformverweigerung, Niklas Luhmann würde sagen: zwischen lernbereiten kognitiven und lernresistenten normativen Erwartungsmustern. Die massenmediale Inszenierung der Beziehungen zwischen Klinsmann und Co., der Fußball-Nationalmannschaft und dem DFB erhellt ein Zusammenspiel von Lernerwartungen, Lernbereitschaft und Lernwiderständen, das bezogen auf die breite Bevölkerung – zumindest in der Öffentlichkeit – zunächst (noch) eher unsichtbar geblieben ist.

Prof. Dr. Jochen Kade ist Professor für Erziehungswissenschaften an der Universität Frankfurt a.M.