DIE Zeitschrift für Erwachsenenbildung

Lernprozess von unten

Hannelore Ratzeburg über die Erfolgsgeschichte des Frauenfußballs und das mühsame Gendering im Deutschen Fußball-Bund (DFB)

Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) ist mit mehr als 6,5 Millionen Mitgliedern und 26.000 Vereinen der größte Sportverband der Welt. An seiner Spitze – in Präsidium und Vorstand – stehen 37 Männer und eine Frau, Hannelore Ratzeburg. Die Hamburgerin macht seit Jahrzehnten – als Spielerin, Trainerin und Funktionärin – den Weg für das frei, was Weltfußball-Chef Sepp Blatter inzwischen programmatisch verkündet: Die Zukunft des Fußballs ist weiblich. Mit dem DFB-Vorstandsmitglied für Frauenfußball sprach Dr. Peter Brandt (DIE).

Hannelore RatzeburgDIE: In der Milch-Werbung spielt ein Mädchen die Jungs beim Fußball an die Wand – im besten prime time TV. Wie konnte das passieren?

Ratzeburg: Der Frauenfußball hat eine rasante Erfolgsgeschichte erlebt. Bis 1970 war er vom DFB verboten. Damals spielten wir Fußballfrauen unsichtbar im Hintergrund. Motiviert durch Studenten- und Frauenbewegung haben wir uns den Platz erkämpft, die Strukturen sind erst nach und nach gewachsen. Mit dem Gewinn der Weltmeisterschaft 2003 hat der Frauenfußball in Deutschland seinen bisher größten Höhepunkt erlebt. Seither ist er wichtigster Frauensport; er wird für mediale Inszenierungen entdeckt und von der Werbewirtschaft wahrgenommen.

DIE: Deuten wir die Entwicklung des Frauenfußballs einmal als verbandlichen Lernprozess. Ein mühsamer Marsch durch die Institutionen, rein bottom up ?

Ratzeburg: Im Wesentlichen ja. Aber es kamen uns bestimmte Konstellationen zu Hilfe. Die UEFA hat 1972 entschieden, dass es in Europa keine separaten Frauenfußball-Verbände geben sollte. Sie reagierte damit auf Entwicklungen in England und Italien. Der DFB konnte damals nicht anders, als sich für Belange von Fußballfrauen zu öffnen.

DIE: Der DFB hat noch immer nicht den Ruf, zu den beweglichsten Organisationen zu gehören. Klinsmann zwingt ihn ja geradezu in einen Lernprozess. Wie haben Sie die organisationale Lernfähigkeit des DFB erlebt?

Ratzeburg: Als Dach von 21 Landesverbänden ist die Beweglichkeit natürlich eingeschränkt. Und eine Organisation ist immer so lernfähig wie die Menschen in ihr. Da gibt es Funktionäre, die nur Söhne haben, und solche, die auch Töchter haben. Letztere waren für die Belange des Frauenfußballs stets aufgeschlossener. Sicher – es hat bis 1995 gedauert, dass Frauenfußball formal ein Ressort des Vorstands geworden ist.

DIE: Wo sähen die Söhne-Funktionäre den Frauenfußball am liebsten?

Ratzeburg: Heute würde niemand von denen uns Frauen mehr wegdiskutieren wollen. Aber in der ersten Zeit nach der Legalisierung 1970 gab es paternalistische Tendenzen der Art, dass man uns Schutzräume anbot: zweimal dreißig Minuten Spielzeit, Schutzhand vor der Brust, Spielerlaubnis nur bei Sonnenschein und auf Rasen.

DIE: Spielen die Frauen heute nach den Männerregeln?

Ratzeburg: Die Frauen haben keine eigene Regeln nötig, sie spielen nach den Menschenregeln. Uns ist medizinisch nachgewiesen worden, dass die Belastung des normalen Fußballbetriebs für Frauen zumutbar ist.

DIE: Die Menschenregeln von heute sind die Männerregeln von früher? So viel Patriarchat war nie.

Ratzeburg: In Amerika gilt Fußball als unmännlich. Soccer ist das softe – frauengeeignetere – Pendant zum Football. Die Regeln wären demnach auch nur regional als Männerregeln ausgeprägt ...

DIE: Was ist anders, wenn Frauen Fußball spielen?

Ratzeburg: Es ist weniger hart, weniger schnell. Frauen können nicht so weite Pässe schlagen.

DIE: Klingt mehr nach einer Negativ- Definition auf der Folie des Männerfußballs ...

Ratzeburg: Nein, nein. Wir sind gegen diese defizitäre Sicht des Frauenfußballs.

DIE: Dann versuchen Sie doch mal positive Adjektive zu finden!

Ratzeburg: OK, er ist fair, offensiv, motiviert. Frauen stehen schneller wieder auf. Er ist schlicht sympathisch. DIE: Manche behaupten, er habe einen höheren ästhetischen Wert als Männerfußball.

Ratzeburg: Das habe ich 1995 als frisch gebackene Vorstandsfrau auch gesagt; da haben die Männer bereut, dass sie mich soeben gewählt hatten.

DIE: Was bringt Mädchen und Frauen zum Fußball? Warum sollten sie ihn spielen wollen?

Ratzeburg: Wir sind doch keine Missionarinnen! Heute gibt es keinen Rechtfertigungsdruck mehr. Die Mädchen lernen Fußball als einen ganz normalen Sport kennen. Sechs von zehn Mädchen wollen heute spielen lernen. Wir arbeiten daran, für sie die Spielmöglichkeiten zu verbessern.

DIE: Was muss in Deutschland in Sachen Frauenfußball noch passieren?

Ratzeburg: Frauenfußball muss als Chance für die Regionen noch deutlicher herausgestellt werden: Regionale Zentren wie Bad Neuenahr oder Sindelfingen profitieren von den jeweiligen Bundesligamannschaften. Das ist aber noch ausbaufähig. Wir bieten als Verband Workshops für die Bundesligisten an, in denen sie lernen, in der Region Partner zu gewinnen, den Frauenfußball als sympathische Marke zu kommunizieren.

DIE: ... eines der zahlreichen Weiterbildungsangebote im Fußball.

Ratzeburg: Ein Lernangebot ganz anderer Art ergibt sich im Zuge der WM 2006: Wir mussten als Verband zur Abwicklung der Meisterschaft zahlreiche Mitarbeiter einstellen, für die wir nach 2006 keine unmittelbare Verwendung mehr haben. Wir bieten den Frauen-Bundesligisten an, sich mithilfe dieser Menschen strukturell zu professionalisieren. Die WM-Mitarbeiter des DFB bringen ihr Know-how direkt in die Liga und werden übergangsweise sogar noch vom DFB bezahlt.

DIE: Wann sehen wir die erste Trainerin in der Fußball-Bundesliga der Männer?

Ratzeburg: Wir ermutigen unsere Spielerinnen, sich als Trainerin eine Zukunftschance im Fußball zu erarbeiten. In den entsprechenden Trainer- Lehrgängen, z.B. an der Kölner Sporthochschule, zählen die Frauen zu den besten Absolvent/inn/en.

DIE: Das kennen wir aus anderen Bildungszusammenhängen ...

Ratzeburg: Also wenigstens theoretisch könnte eine dieser Frauen Felix Magath als Trainer des FC Bayern nachfolgen. Aber wichtiger wäre mir, dass sich die Vereine der Männer-Bundesliga dem Frauenfußball öffnen. Der FC Bayern hat den Schritt gerade gemacht, bei Werder Bremen würde ich ihn mir wünschen. Wir müssen den Hype um die Frauen-Nationalmannschaft endlich auch auf die Frauen- Bundesliga lenken.

DIE: Der Lernprozess Frauenfußball wäre also bei weitem noch nicht abgeschlossen. Danke, Frau Ratzeburg, für das Gespräch.