DIE Zeitschrift für Erwachsenenbildung

Wie im wirklichen Leben!?

Second Life als Lebens- und Bildungswelt

Richard Stang

Spätestens seit Gewalt verherrlichende Inhalte und Kinderpornographie in Second Life aufgetaucht sind, wissen wir, dass es sich bei dieser virtuellen Welt nicht um eine heile, sondern vielmehr um ein Abbild der realen Welt handelt. Nach Monaten des Medien-Hypes um Second Life scheint eine Reflexionsphase begonnen zu haben, in der die Potenziale und Grenzen dieser Welt in den Blick geraten.

Aber was verbirgt sich hinter Second Life? Technisch betrachtet handelt es sich dabei um ein »Massive Multiplayer Online Game« (MMOG), wobei der Begriff »Spiel« nicht ganz zutreffend ist. Vielmehr ist Second Life eine 3D-Welt, die auf der Internettechnologie basiert und deshalb eher als »Massive Multiparticipant Online Space« (MMOS) zu bezeichnen ist. Diese virtuelle Welt wird von Avataren (grafischen Stellvertretern) besiedelt, die einen Nutzer in der realen Welt repräsentieren. Mitte Mai 2007 waren 6,5 Mio. »Bewohner« eingetragen (im Oktober 2006 war es erst eine Mio.!), von denen je nach Tageszeit täglich bis zu 40.000 aktiv sind – mit steigender Tendenz.

Second Life wurde 2003 von der Betreiberfirma Linden Lab eingerichtet und kann seither besiedelt werden. Das Flanieren in dieser Welt ist kostenlos. Wer Land kaufen will, muss allerdings real in die Geldbörse greifen und Lindendollars, die »Landeswährung« für reale Dollars erwerben. Eine monatliche Grundsteuer fällt dann ebenfalls an, wie im richtigen Leben eben. Mitte Mai 2007 wurden täglich ca. 1,5 Mio. reale Dollar in Second Life umgesetzt. Inzwischen haben viele Firmen, aber auch Kultur- und Bildungseinrichtungen Second Life als Marketingplattform entdeckt und Dependancen eröffnet.Campus: Second Life

Die Faszination, die von Second Life anscheinend auch für viele ältere Anwender ausgeht, dürfte auf der sozialen Interaktion mit anderen »Bewohnern« beruhen und auf der Möglichkeit, eigene Inhalte einzustellen. Das soziale Handeln ohne reale Konsequenzen – wenn es einem zu bunt wird, loggt man sich einfach aus –, die Inbesitznahme fremder Welten und nicht zuletzt das Spiel mit Identitäten sind sicher Elemente, die den Einstieg in diese virtuelle Welt für viele reizvoll machen.

Dies erscheint auch unter der Bildungsperspektive interessant. Probehandeln in ungewohnten Umgebungen und das Sich-Auseinandersetzen mit Neuem gehören von jeher zur Gestaltung pädagogischer Prozesse. Auch wenn Second Life kein didaktisch gestalteter Raum ist, könnte es in Zukunft ein Raum für informelle Lernprozesse werden, der neue Optionen für Bildung eröffnet. Ein Problem liegt derzeit allerdings in der Kommunikation in Second Life, die über Chat realisiert wird, was komplexe Kommunikation sehr erschwert. Reale Sprachkommunikation ist für die Zukunft zwar geplant, wird aber sicher noch auf sich warten lassen.
Trotzdem zeigt sich schon heute, welchen Stellenwert Second Life im realen Leben hat. Musikbands präsentieren ihre Songs zuerst in Second Life, Politiker führen dort Wahlkampf, Botschaften oder Bibliotheken bieten ihren Service an. Wie sich dies in Zukunft weiter entwickeln wird, lässt sich derzeit nicht absehen und ist vielleicht auch nicht so interessant. Viel interessanter ist das Phänomen, das sich dahinter verbirgt.

Mit Plattformen wie Second Life oder den Entwicklungen, die sich hinter dem Schlagwort Web 2.0 verbergen, wird deutlich, dass mediale Repräsentation für viele Menschen immer mehr an Bedeutung gewinnt und dass immer mehr Aktivitäten in diese Richtung gehen. Aus pädagogischer Perspektive ist bislang kaum reflektiert, welche Auswirkungen dies auf Bildungsprozesse hat. Ebenfalls kaum im Blick ist die Frage, wie sich dieses Phänomen auf die digitale Spaltung der Gesellschaft auswirkt. Eines lässt sich allerdings anhand der Erfahrungen aus Second Life heute schon konstatieren: Die soziale Spaltung wird sich auch in der virtuellen Welt perpetuieren, denn ohne Geld lässt sich auch dort nur ein eingeschränktes Leben führen, und die Technik, die man braucht, um überhaupt darin aktiv zu werden, kostet auch ihr Geld. Von daher wundert es nicht, dass die Mediennutzungsdaten deutlich machen, dass das Internet das Medium der gut Gebildeten und finanziell gut Gestellten ist, während das Fernsehen das Leitmedium der sozial Benachteiligten ist. Während sich die einen in virtuelle Exkursionen begeben, sitzen die anderen auf dem Sofa.