DIE Zeitschrift für Erwachsenenbildung

Familiengründung als Sollbruchstelle?

Interaktion von Elternschaft und Weiterbildungsteilnahme

Harry Friebel

Die Geburt des ersten Kindes mag für die werdenden Eltern den Besuch eines Geburtsvorbereitungskurses wahrscheinlich machen, doch dann ist es erst einmal vorbei mit der Weiterbildungsteilnahme, jedenfalls für die Mutter. Der Vater wird sich, traditionellen Mustern folgend, auf seine Ernährerrolle stürzen und auf diesem Wege die eine oder andere (berufliche) Weiterbildung mehr mitnehmen. Dass dies noch immer so ist, zeigen die hier vorgestellten Daten der Hamburger Längsschnittstudie »Weiterbildung im Lebenszusammenhang«. Die aktuellen politischen Veränderungen im Blick auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf (Elterngeld, Krippenausbau) sind offenbar auch weiterbildungsrelevant.

Dass Geschlecht und Erwerbsarbeit hochsensibel interagieren, ist allgemein bekannt: Mütter kümmern sich um Kind und Haushalt, sie werden in der Erwerbsarbeit (zumindest zeitweise) nicht mehr gesehen. Väter arbeiten umso mehr und kümmern sich nur geringfügig um die alltägliche Hausarbeit. Trotz aller Modernisierung praktizieren drei Viertel der Paare nach der Geburt des ersten Kindes das traditionelle Modell: Der Vater arbeitet Vollzeit, die Mutter ist nicht erwerbstätig (vgl. Naegele 2006). Aus den verschiedensten Gründen ist also die Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familienarbeit trotz aller Veränderungs- und Wandlungsprozesse hinsichtlich der Lebenszusammenhänge für beide – für Männer und Frauen – problematisch geblieben.

Dass darüber hinaus Geschlecht und Erwerbsarbeit mit einem veränderten (Weiter-)Bildungsverhalten im Falle der Familiengründung interagieren, wird weniger zur Kenntnis genommen. Dieser Zusammenhang bleibt in der aktuellen empirischen Weiterbildungsforschung zumeist ein blinder Fleck.
Eine Ausnahme ist hier die BIBB-Erhebung über Kosten und Nutzen der beruflichen Weiterbildung. Sie liefert ein exemplarisches Zahlenbild: Bezogen auf den Referenzbereich der alten Bundesländer nahmen 2002 in Familienhaushalten mit mehreren Kindern 78 Prozent aller Väter, aber nur 47 Prozent aller Mütter an beruflicher Weiterbildung teil (vgl. Beicht 2005).

Ansonsten bietet die empirische Weiterbildungsforschung kaum erhellende Einblicke in diese Problematik. So können wir im aktuellen Berichtssystem Weiterbildung (IX) zwar nachlesen, dass im Referenzbereich der alten Bundesländer 2003 35 Prozent aller erwerbstätigen Männer (hierzu gehört wohl auch die Mehrzahl der erwerbstätigen Väter) und sechs Prozent aller nicht-erwerbstätigen Frauen (hierzu gehört wohl auch die Mehrzahl aller nicht-erwerbstätigen Mütter) an beruflicher Weiterbildung teilgenommen haben (vgl. BMBF 2006, S. 123)1, aber dennoch bleibt der über vierhundert Seiten lange Gesamtbericht in dieser Angelegenheit äußerst unbestimmt. Ausgesprochen nebulös wird im Berichtssystem IX zwar darauf hingewiesen, dass das Bildungsverhalten im »Zusammenhang mit Lebens- bzw. Berufssituationen zu sehen (ist), die im Vorfeld von Weiterbildung liegen« (ebd., S. 122) und dass »die unterschiedlichen beruflichen Situationen von Männern und Frauen nicht zuletzt auch mit ihrer familiären Rolle zusammen (hängen)«, aber dann brechen die Autoren ihr interessiertes Erkennen über den Gegenstand abrupt ab: »Allerdings sind … die Fallzahlen für statistisch zuverlässige Aussagen unzureichend« (ebd.).

Im Rahmen unserer empirischen Längsschnittstudie »Weiterbildung im Lebenszusammenhang« (vgl. Friebel u.a. 2000; Friebel 2006) sind wir – trotz eines relativ kleinen Samples – dieser Frage nach dem ausgesprochen symmetrischen Auseinanderfallen des Weiterbildungsverhaltens von Mann und Frau, wenn sie Väter und Mütter geworden sind, weiter nachgegangen, weil dieses Untersuchungsfeld offensichtlich auf eine binäre Unterscheidung der Geschlechter mit hierarchisierendem Potenzial verweist. Wir werfen einen prozessualen Blick auf den vermuteten Ausschluss der Mütter aus der Weiterbildung, auf den vermuteten Einschluss der Väter in die Weiterbildung, weil wir dahinter eine prototypisch gestaltete Verdichtung der Merkmale von Mann und Frau auf Vater und Mutter annehmen.

Diese Fragestellung bearbeiten wir hier in zwei Sequenzen: Zunächst zeigen wir Verlaufsmuster der Weiterbildungsbeteiligung auf. Anschließend differenzieren wir die Teilnahme nach inhaltlichen und institutionellen Bereichen.

»Das Sample: Kinder der Bildungsexpansion«

Es ist ein ausgesprochen bildungsgewohnter Personenkreis, den wir seit 1980 bis 2006 in 17 Feldphasen kontinuierlich mit Fragen zur Bildung und Weiterbildung im Kontext von Erwerbsarbeit und Familiengründung forschend begleiten: Ein »Modernitätssample« der Hamburger Schulabschlusskohorte 1979. Ein Viertel (25) des Samples verließ 1979 die allgemeinbildende Schule mit dem Abitur. Das war mehr als eine Verdoppelung der Abiturquote ihrer Eltern (11 %), und in Bezug auf ihre eigenen Kinder erwarten die Samplemitglieder heute eine Abiturquote von vier Fünftel (80 %) – ein außerordentlich ambitioniertes familiäres Bildungsantizipationsprojekt. Auch für den Fall der Chancengleichheit durch Weiterbildung von Mann und Frau, wenn sie Väter und Mütter werden?

Die Sampleangehörigen2 sind aktuell zwischen 42 und 47 Jahre alt; verheiratet sind ca. zwei Drittel, Eltern sind ca. sieben Zehntel. Ihre Weiterbildungsteilnahmehäufigkeit lag im Untersuchungszeitraum kontinuierlich oberhalb der durchschnittlichen Teilnahmequoten in der Bundesrepublik Deutschland (vgl. BMBF 2006; Friebel u.a. 2000).

Das (soziale) Geschlecht ist eine zentrale Strukturkategorie – ein Lebenslaufregime. Inwieweit können wir dies auch bezogen auf Weiterbildungsbeteiligungen und -benachteiligungen annehmen?
Zunächst lässt sich ganz allgemein feststellen, dass im Zuge von Frauenbewegung, Bildungsexpansion und gender mainstreaming ein Wandel der Geschlechterverhältnisse bezogen auf Bildungspartizipation stattgefunden hat. Auf eine Kurzformel gebracht, haben Frauen erheblich nachgeholt hinsichtlich allgemeiner weiterführender Schulabschlüsse, aber bei den Passagen in die Berufsausbildung und in die Erwerbsarbeit werden sie weiterhin erheblich benachteiligt.

Um nun das »doing gender«3 der Weiterbildungsteilnahme im Lebenszusammenhang als soziale Konstruktion anschaulich dokumentieren zu können, haben wir Verlaufsmuster konstruiert. In Abb. 1 wird die Prozesshaftigkeit der Lebensläufe und Weiterbildungspraxen per Kurven symbolisiert. Die fett gezeichnete Kurve im grafischen Feld verweist auf die durchschnittlichen Weiterbildungsteilnahmehäufigkeiten des Gesamtsamples von der 1. bis zu 17. Welle. Die eingefärbten Sockel an der Basis der Grafik informieren über den Prozess der Familiengründung im Sample – hier sind die Anteile der Eltern gewordenen Frauen und Männer des Samples abgetragen. Über die Prozessgrammatik des »doing gender« informieren die beiden anderen Kurven, die die Weiterbildungsteilnahmehäufigkeiten der Mütter bzw. der Väter im Untersuchungsverlauf wellenspezifisch dokumentieren.4 Die Schere zwischen der Weiterbildungsaktivität der Väter und der -abstinenz der Mütter öffnet sich von der 6. bis zur 11. Welle signifikant. Zwischen der 6. und der 11. Welle liegen 7 bis 8 Jahre Lebenslauf. Innerhalb dieses Zeitraums waren die Familien unseres Samples typischerweise dominiert von Kindern im Kleinkindalter. Ab der 12. Welle gleichen sich die Weiterbildungsteilnahmehäufigkeiten wieder leicht an. Der Anteil von Familienhaushalten mit Kleinkindern ist in dieser Phase signifikant reduziert.

Weiterbildungsteilnahme und Elternschaft

Die Abb. 1 zeigt, wie Mütter unter den Bedingungen der jeweiligen Haushaltskonstellation gewissermaßen gefangen sind in einer Verlaufskurve, die Krüger als »prozessuale Diskriminierung« (Krüger 1995, S. 133) beschreibt. Das Geschlecht lagert sich als Strukturkategorie sowohl in die Ausbildungs- und Weiterbildungsprozesse als auch in die Familienbildungsprozesse in typischer Weise ein.

»Familiengründung als zusätzliche Diskriminierung«

Das Geschlecht »Frau« bedeutet beim Übergang in den Beruf »Vorabzüge« in der Verwertung von Bildungsabschlüssen schon vor der Familiengründung und erfährt mit dem biographischen Einstieg in die Elternschaft eine (Soll-) Bruchstelle der Weiterbildung; diese Diskriminierung kommt »dann zusätzlich hinzu«. Krüger fordert deshalb, bezogen auf die Lebensläufe gleichermaßen für Mann und Frau, die Determinanten von Arbeitswelt und Familie zu sehen: „Erst die Verknüpfungsprinzipien beider Institutionen machen die Gegenläufigkeit der Ungleichheitsspirale sichtbar, das positive Aufaddieren von Geschlecht und Familie im Männlichen gegenüber der umgekehrt proportionalen Negativentwicklung im weiblichen Lebenslauf“ (Krüger 1995, S. 144).

Im Rahmen unserer parallel zu den standardisierten Fragebogenbefragungen durchgeführten problemzentrierten Intensivinterviews gaben die Mütter und die Väter typische »Spiegel« ihrer Familiensituation in der Phase der Familiengründung zu Protokoll.

Das soziale Geschlecht (Gender) wirkt als Strukturgeber der Weiterbildungsteilnahme. Die Väter und Mütter praktizieren eine Retraditionalisierung ihrer Geschlechterrollen, also: Bei den Männern dominiert die breadwinner-Perspektive, bei den Frauen die caring-Perspektive (vgl. Friebel 2006, S. 148). Als Biographieträger/innen haben die Mütter und die Väter die Fähigkeit, »Sinn zu produzieren« (Marotzki 1991, S. 190). Ihre jeweils spezifischen Zuwendungen zum Ereignis Familie führen zu spezifischen Sinnproduktionen pro/contra Weiterbildungsteilnahme.

Im Folgenden werden inhaltliche Präferenzen und institutionelle Gelegenheiten der Weiterbildungsteilnahme beobachtet. Angesichts der in den ersten acht Wellen eher geringen Fallzahlen von Familien/Haushalten mit Kindern richten wir hier den zeitlichen Analysefokus auf den Prozess von der 9. (1994) bis zur 17. (2006) Welle.

Arbeitsteilung in Familienhaushalten

Tab. 1 bietet eine phänografische Darstellung zur Arbeitsteilung zwischen den Partnern innerhalb der Familienhaushalte. Gruppieren wir dabei zwei Grundtypen hinsichtlich des entsprechenden Parts der Mütter, dann ergibt sich, dass der Anteil von »Frauen als Hausfrauen und mit geringfügiger Beschäftigung« im Zeitverlauf von knapp zwei Dritteln bis knapp ein Viertel kontinuierlich abnimmt (9. W = 62 %; 13. W = 43 %; 17. W. = 29 %) und der Anteil von »Frauen mit Teilzeit- und mit Vollzeiterwerbstätigkeit« von knapp drei Zehntel auf etwa sechs Zehntel kontinuierlich ansteigt (9. W = 31 %; 13. W = 48 %; 17. W = 59 %) – d.h., das männliche Ernährermodell dispensiert sich teilweise mit den älter werdenden Kindern. Und bezogen auf den Part der Väter dominiert der »Normalfall« Vollzeiterwerbstätigkeit als Realfall fast einschränkungslos – allerdings ist ein leichter Anstieg der Väter mit Teilzeiterwerbstätigkeit im Untersuchungsverlauf zu registrieren (9. W = 2 %; 13. W = 7 %; 17. W = 11 %). Wie verhalten sich zu dieser Prozession der Arbeitsteilung in Abhängigkeit von der Altersschichtung der Kinder die Inhalts- und Institutionsaspekte der Weiterbildungspraxen der Väter und Mütter?

»Ausgrenzungsspirale aus dem Arbeitsmarkt«

Die biographische Perspektivität bezogen auf Weiterbildung verläuft im Untersuchungszeitraum von der 9. bis zur 17. Welle ähnlich geschlechtsspezifisch: Nahezu kontinuierlich beantworten die Väter unsere Frage nach der Weiterbildungsplanung signifikant häufiger positiv als die Mütter. Nur in der 17. Welle sind die Weiterbildungsplanungsquotienten der Väter und Mütter ähnlich hoch.

Fazit: Frauen, die Mütter werden, nehmen signifikant seltener an Weiterbildung teil als Männer, die Väter werden. Die Geburt des ersten Kindes setzt bei den Müttern eine Ausgrenzungsspirale aus dem Arbeitsmarkt (vgl. Cornelißen 2005, S. 215) und der Weiterbildung in Gang, die zudem inhaltlich und institutionell qualifiziert wird: Mütter nehmen seltener an betrieblich-beruflichen Weiterbildungsveranstaltungen teil, sie planen insgesamt seltener den Besuch von Weiterbildungsveranstaltungen. Es ist vermutlich ein Fremd- und Selbstausgrenzungsprozess: Mütter werden weniger durch Weiterbildung gefördert, und sie verlieren möglicherweise an Teilnahmemotivation. Aber gerade weil die Erwerbsarbeitsbiographien von Müttern ausgesprochen diskontinuierlich sind, wäre zum Erhalt ihrer beruflichen Qualifikation eine überdurchschnittlich hohe Beteiligung an Weiterbildung notwendig (ebd., S. 85).

Anmerkungen

1 Die Anteilswerte variieren zwischen der BIBB-Untersuchung und der BSW-Untersuchung deshalb erheblich, weil das BSW eine ausgesprochen enge Definition von Weiterbildungsteilnahme (Seminare etc.) hat, die BIBB-Untersuchung hingegen von einem ausgesprochen weitgefassten Weiterbildungsbegriff (inkl. informelle und selbstorganisierte Lernformen) ausgeht. Interessant sind in beiden Fällen dennoch die bedeutsamen geschlechtsspezifischen Relationen auf der Basis des Merkmals Erwerbstätigkeit.

2 In der ersten Welle befragten wir 252 Personen; in der 17. Welle noch 138 Personen. Die hier dokumentierten Längsschnittdaten zur Entwicklung von der 1. bis zur 17. Welle beziehen sich ausschließlich auf die Personen, die auch an der 17. Welle teilgenommen haben – es sind etwa gleich viel Männer und Frauen. Im Text verwenden wir insgesamt nur die männliche Schreibform (diese Reduktion dient ausschließlich dem besseren Lesefluss). Geschlechtsspezifische Besonderheiten werden thematisiert.

3 Der Begriff des »doing gender« meint in der Frauen- und Geschlechterforschung die aktive Rolle der gesellschaftlichen Subjekte in der beständigen (Re-)Konstruktion des sozialen Geschlechts.

4 In der Tabelle unterhalb der Grafik sind zudem die wellenspezifischen Anteilswerte zur Weiterbildungsteilnahme der Frauen und Männer ohne Kinder dokumentiert.

Literatur

Beicht, U. (2005): Berufliche Weiterbildung von Frauen und Männern in Ost- und Westdeutschland, In: Forschung spezial 10. Bonn (Bundesinstitut für Berufsbildung)

BMBF (2006): Berichtssystem Weiterbildung IX. Bonn/Berlin (BMBF)

Cornelißen, W. (2005): Gender-Datenreport. München

Friebel, H. (2006): Bildung im Lebenszusammenhang – Doing gender. In: WSI-Mitteilungen, H. 3, S. 144–149

Friebel, H. u.a. (2000): Bildungsbeteiligung: Chancen und Risiken. Opladen

Krüger, H. (1995): Prozessuale Ungleichheit, in: Berger, P.A./Sopp, P. (Hrsg.): Sozialstruktur und Lebenslauf. Opladen, S. 133–154

Marotzki, W. (1991): Bildungsprozesse in lebensgeschichtlichen Horizonten. In: Hör-ning, E.M. u.a.: Biographieforschung und Erwachsenenbildung. Bad Heilbrunn, S. 135–181

Naegele, G. (2006), Finanzielle Risiken beim Übergang von der Partnerschaft zur Elternschaft, Dortmund (unveröff. Manuskript)

Dr. Harry Friebel ist Professor für Bildungssoziologie am Department Wirtschaft und Politik der Universität Hamburg