DIE Zeitschrift für Erwachsenenbildung

Studierende aus Gießen diskutieren Für und Wider des gestuften Studiums

Korsett mit nicht nur schlechten Nebenwirkungen

Das Studieren der Erziehungswissenschaft ist anders geworden an deutschen Universitäten, seit die Bachelor- und Masterstudiengänge eingeführt worden sind. Die DIE-Redaktion hat vier Studierende aus Gießen an einen Tisch gebracht, um Einstellungen zu ihren jeweiligen Studiengängen zu reflektieren und sich über Erwartungen auszutauschen. Fazit: Es wird keineswegs alles schlechter, den zahlreichen Unkenrufen zum Trotz. Das Interview führte PD Dr. Michael Schemmann (Bearb. Dr. Peter Brandt)

DIE: Die erste Frage geht an unsere beiden Zweitsemester aus dem Bachelor-Studiengang: War Ihre Entscheidung für diesen Studiengang auch eine bewusste für diesen Abschluss?

Kohrt: Ich habe Freunde, die haben hier Diplom studiert. Als ich das Pädagogik-Studium zu meinem Magisterstudium Geschichte hinzunehmen wollte, gab es kein Diplom mehr, dann habe ich mich für Bachelor eingeschrieben. Am Anfang hat man so viel Negatives gehört: Das ist verschult, da lernt man nichts mehr, aber ich habe gesagt, ich will mal sehen und bin einfach so ins kalte Wasser gesprungen.

d’Ambrosio: Es gab vorher kaum Informationen. Schließlich ist für alle Beteiligten alles ganz neu. Ich war vorher bei den Hochschultagen mit vielen Fragen im Kopf zu Themenschwerpunkten, Berufschancen, Aufbau des Studiengangs. Alle sagten, sie haben keine Ahnung. Natürlich habe ich auch das Problem gesehen, wenn demnächst nur noch Bachelor-Absolventen auf dem Markt sind. Ich habe mich entschieden für das neue, weil das Diplom eh abgeschafft wird und ausläuft.

DIE: Sehen Sie schon jetzt gravierende Nachteile des Bachelor-Studiengangs?

»... da war der Magister ja nichts dagegen«

d’Ambrosio: Ich empfinde es als nachteilig, dass ich mich bereits vor Studienbeginn entscheiden musste, ob ich später mit Kindern oder mit Erwachsenen arbeiten will. Und ich fühle einen gewissen Druck, schnell abzuschließen. Der Studienplan ist so gedrängt, dass man vieles nicht so intensiv machen kann, wie man vielleicht möchte.

Kohrt: Ich würde auch gerne mehr in andere Seminare gehen, nur kann ich da keinen Schein machen. Dass kein Raum ist für nebenher, schafft auch Ordnung – für Schulabgänger nicht verkehrt. Na ja, und ich kenne auch Diplomer, die ihre Freiräume auch nicht so nutzen und erst für das Examen richtig lernen. Ich nehme hier in den ersten zwei Semestern so viel mit, da war der Magister ja nichts dagegen. Man muss einfach kontinuierlich lernen und behält so auch recht viel.

DIE: Und wie sehen unsere Vertreterinnen traditioneller Studiengänge ihre Freiräume?

Hausam: Bei Diplom und Magister haben wir viel mehr Wahlmöglichkeiten und können nach Interessen selbst Schwerpunkte legen. Ich hatte vier Semester Grundstudium Zeit, mir zu überlegen, ob ich lieber mit Kindern oder Erwachsenen arbeiten möchte. Weil das Studium aber auch so anders ist als die Schule, habe ich auch erst mal zwei Semester zum Reinkommen gebraucht.

»Zwei Semester zum Reinkommen«

Knipp: Ich habe meine Freiräume genutzt, Schwerpunkte zu setzen und intensiv die Bezugsdisziplinen Psychologie und Soziologie reinzuholen. Diese Vielfalt scheint mir bei den Modulen der neuen Studiengänge nicht so gegeben zu sein.

DIE: Wenn Sie die Wahl hätten: Würden Sie heute wieder die gleichen Studiengänge wählen wie damals?

Hausam: Auf jeden Fall. Ein verschultes Studium wäre nichts für mich. Selbstständige Entscheidungen – wie in meinem Magister-Studium – muss man nach dem Studium schließlich treffen können.

Knipp: Ich muss zugeben, dass ich die praxisbezogenen BA-Angebote sogar aktiv mitnehme. Ich gehe jetzt z.B. in die „Didaktik der Weiterbildung“, eine Veranstaltung, die für Bachelor-Studierende ausgeschrieben ist. Und ich habe zwischendurch mit dem Gedanken gespielt, auf Bachelor oder Master zu wechseln. Für mich war ausschlaggebend, dass ich so schnell wie möglich fertig werden wollte. Zu dem damaligen Zeitpunkt ist bei der Studienberatung leider rausgekommen, dass völlig unklar ist, was angerechnet werden könnte und was nicht. Man hat mir insgesamt abgeraten. Nun, jetzt ist auch beim Diplom ein Ende abzusehen. Anders als der Bachelor ist das Studium wissenschaftlich und das bewerte ich positiv. Die BAs haben weniger Möglichkeiten und müssen auch weniger leisten.

d’Ambrosio: Hey, wir schreiben immerhin vier Hausarbeiten im Semester, dazu noch Lerntagebücher und Lernprotokolle.

DIE: Der Bachelor-Studiengang legt viel Wert auf eine innere Strukturierung. Wie erleben Sie das?

d’Ambrosio: Ja, man merkt schon, dass das sinnvoll aufeinander aufbaut – trotz einzelner Wiederholungen.

Kohrt: Das ist schon teilweise absurd. Wenn zwei Module, die mich interessieren, gleichzeitig sind, und ich mit dem Dozenten abmache, dass ich zu dem einen Modul ein Semester später hingehe, dann bin ich raus aus dem schönen Aufbau.

»Wir sind ein Jahrgang«

d’Ambrosio: Das Korsett hat einen schönen Nebeneffekt: Weil alle den gleichen Stundenplan haben, bilden alle »einen Jahrgang«. Man kennt alle 120 Kommiliton/inn/en.
Hausam: In der Erwachsenenbildung/Weiterbildung kennt man sich inzwischen auch, wenn es auch vielleicht länger gedauert hat. Die Einführungsveranstaltung für Erstsemester hat zusammengeschweißt. Auf dem Campus geht das ja eh schnell mit den Kontakten.

DIE: Wie schätzen Sie die Arbeitsmarktchancen von BA-Studierenden ein?

Knipp: Nehmen wir das Beispiel der Erzieherinnen. Dort werden jetzt »Sozialassistentinnen« eingestellt, weil sie eine kürzere Ausbildung haben und billiger sind. Ich habe Sorge, dass es bei uns eine Parallelentwicklung gibt. Solange aber ein Diplomer für das gleiche Gehalt zu arbeiten bereit ist wie der BA-Absolvent, wird man ihn wohl für das Gehalt einstellen, obwohl er qualifizierter ist.

Hausam: Im Bekanntenkreis sagen alle: Wenn man Karriere machen will, ist der Master zwingend erforderlich.
Kohrt: Ja, stimmt, alle, die ich kenne, wollen den Master dranhängen.Die ersten Jahre werden für BA-Absolventen hart werden. Arbeitgeber wollen nur Diplomer und Magister einstellen. Und wenn sie doch einen BA-Absolventen nehmen, wird der unterbezahlt sein.

DIE: Versuchen Sie mal eine Zukunftsprognose: Welche Tätigkeit üben Sie ein Jahr nach Ihrem jeweiligen Abschluss aus?

d’Ambrosio: Ich sehe mich dann in einem Praktikum.

Knipp: Ja, hier stimme ich zu, wir sind doch die »Generation Praktikum«!

Kohrt: Ich schätze, dass ich in den ersten zwei Jahren kurze Verträge habe, die Lücken dazwischen überbrückt mit Praktika.

Hausam: Ich möchte schon eine richtige Anstellung haben. Man muss doch eine konkrete Vorstellung haben!

DIE: Gut, das war zum Schluss noch ein bisschen Understatement von den meisten. Danke Ihnen allen. Und alles Gute für Sie!