Stichwort: »Weiterbildung und demografischer Wandel«
André Schleiter
Was unter dem Stichwort »Demografischer Wandel und Entwicklung« diskutiert
wird, lässt sich auf eine einfache Formel bringen: Die Zahl der jungen Menschen
nimmt immer stärker ab, die Zahl der Älteren nimmt zu. Grund hierfür ist die
sinkende Geburtenrate bei gleichzeitig steigender Lebenserwartung des
Einzelnen. Was wandelt sich mit Blick auf unsere Arbeitswelt? Das
Arbeitskräftepotenzial wird auf lange Sicht erheblich kleiner, älter und
zugleich »weiblicher« sowie kulturell diverser sein, da sich aktivierbare
Personalreserven in erster Linie bei Frauen, Älteren und Personen mit
Zuwanderungsgeschichte finden lassen. Allerdings hat eine Politik zur
Ausschöpfung dieser Reserven ihre Grenzen. Modellrechnungen zeigen, dass der
Prozess der Alterung und Schrumpfung der Erwerbsbevölkerung durch
wirtschafts- und gesellschaftspolitische Maßnahmen zwar in dem Ausmaß seiner
Schärfe beeinflussbar, aber im Ganzen nicht mehr umkehrbar ist. In
Verbindung mit dem Prozess der Globalisierung und der technologischen
Entwicklung wird sich die Arbeitswelt sichtbar verändern:
- Gespaltene Arbeitsmärkte: Während in einigen Branchen, Regionen
und Berufen das Angebot die Nachfrage nach Arbeitskräften übersteigen wird
und die Arbeitslosigkeit sogar noch steigt, wird in anderen Segmenten des
Arbeitsmarkts händeringend nach Arbeitskräften gesucht. Hochqualifizierte
Fachkräfte und Menschen mit unternehmerischem Potenzial werden auch in
Zukunft auf eine starke Nachfrage stoßen, während ungelernte Kräfte es noch
schwerer haben werden, eine Arbeit zu finden.
- Internationale Arbeitsteilung: Auch wenn die Grenzen der
nationalen Arbeitsmärkte nicht von heute auf morgen verschwinden, wird immer
mehr Arbeit ortsunabhängig erledigt werden. Zunehmend müssen insbesondere
Antworten auf die Fragen internationaler Arbeitsteilung gefunden werden.
- Wissensgesellschaft/kreative Projektwirtschaft/flexibilisierte
Erwerbsbiographien: Das produzierende Gewerbe verliert weiter zugunsten
des Dienstleistungssektors an Bedeutung, wobei sich insbesondere die
wissensbasierten Dienstleistungen ausbreiten. Damit werden in Zukunft noch
mehr kreative und innovative »Wissensarbeiter« benötigt, die wiederum immer
weniger in einem lebenslangen »Normalarbeitsverhältnis« stehen werden.
Welches sind die drängendsten Probleme für die Weiterbildung? Die
genannten Entwicklungen verändern das Koordinatensystem, innerhalb dessen wir
Antworten auf die Fragen geben, wer wann, wo und mit welcher Zielsetzung lernt
bzw. sich weiter qualifiziert.
- »Wer?«: Für Menschen im reifen Erwachsenenalter wird es
zur Selbstverständlichkeit werden müssen, weiter dazuzulernen. Die Zahl der
Bildungsnachfragenden über 50 Jahre wird bis 2015 um (je nach Prognose) drei
bis acht Millionen Menschen zunehmen (vgl. Schröder/ Gilberg 2005). Mehr
Menschen werden über einen wachsenden Zeitraum mehr lernen müssen – und auch
aktiv lernen wollen.
- »Wann und wo?«: Im Zuge der Schrumpfung sind praktikable
Versorgungsstrategien mit Weiterbildung zu entwickeln. Dies kann auch
ein verändertes Verständnis von Prinzipien wie etwa dem der
»Grundversorgung« bedeuten (vgl. das »Gespräch« in diesem Heft). und
Weiterbildungseinrichtungen werden sich vergewissern müssen, ob sie
für den Wandel gerüstet sind (vgl. Rohling in diesem Heft). Sie haben
sich auf einem enger werdenden Markt die Teilnehmenden von morgen zu
sichern, um »Weiterbildungsort« bleiben zu können.
- »Wozu?«: Immer schon hatten Lernen und Weiterbildung auch die
Aufgabe, den Einzelnen die notwendigen Qualifikationen für eine berufliche
Tätigkeit zu vermitteln. Alterungsprozesse in der eigenen Belegschaft ebenso
wie bei Kunden stellen Unternehmen vor große Herausforderungen.
kontinuierliche Weiterbildung ist für unternehmen ein Schlüssel für den
Erhalt ihrer Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit (vgl. Jana-Tröller
in diesem Heft). Doch jenseits der betrieblichen Sphäre wird die
Bildungsaktivität der Älteren für die gesamte Gesellschaft wichtig
(vgl. die »Umschau« in diesem Heft).
Im internationalen Vergleich belegt Deutschland bei der Messung von
Weiterbildungsaktivitäten seiner Bürger nur einen Platz im Mittelfeld. Doch
nicht isolierte, mehr oder minder stark subventionierte Einzelkampagnen werden
der Weiterbildung den Durchbruch bringen. Notwendig ist vielmehr eine breit
getragene Diskussion darüber, wie wir einer »kultur des lebenslangen
Lernens« den Weg ebnen können.
André Schleiter ist Projektmanager „Zukunft
der Beschäftigung“ bei der Bertelsmann Stiftung, Gütersloh.