DIE Zeitschrift für Erwachsenenbildung

„Mann sein geht nicht - wenigstens nicht so."

Gespräch mit Walter Hollstein

Klaus Hollstein Was spricht dafür, das Thema Männer und Männlichkeit zu einem öffentlichen Thema zu machen? Was ist der aktuelle Stand von Männerforschung? Was kann die Erwachsenenbildung dazu beitragen, dem gesellschaftlichen und politischen Ziel von Geschlechterdemokratie näher zu kommen? Dr. Walter Hollstein, Professor für politische Soziologie in Berlin, geht seit mehr als 15 Jahren in theoretischer und praktischer Forschung den Problemen männlicher Selbstfindung nach. - Das DIE-Gespräch mit Walter Hollstein (W.H.) über Männerbilder, Männerforschung, Männerbildung führte Angela Venth (DIE).

DIE: Professor Hollstein, ist nach Ihrer Einschätzung heute das tradierte Verständnis von der männlichen Rolle in der Krise?

W.H.: Ja, das ist es mit Sicherheit. Wenn wir ausgehen von der traditionellen Männerrolle, also von Macht, Herrschaft, Leistung, Härte, auch Härte gegen sich selbst, dem Pokerface, von Konkurrenz, Gewalt, dann dürfte eigentlich heute schon deutlich geworden sein, dass mit einem solchen Männerbild kein drittes Jahrtausend zu gestalten ist. Inzwischen ist auch klar, was dieses Männerbild zur Naturzerstörung beigetragen hat. Auch in anderen Bereichen, etwa im sozialen, wird anhand von vielen Beispielen immer manifester, wie fragwürdig und wie gefährlich dieses Bild ist. Wenn ich zum Beispiel Analysen von Verkehrsunfällen nehme, dann ist eindeutig, dass fast alle schweren Verkehrsunfälle von Männern - und da noch einmal vor allem von jungen Männern - verursacht werden. Das lässt sich ganz kausal auf die beschriebene Männerrolle zurückführen. Was auch seit geraumer Zeit nicht mehr einfach hingenommen, sondern problematisiert wird, ist das Verhalten von Männern gegenüber Frauen und Kindern, also Themen wie Gewalt, Vergewaltigung, sexueller Missbrauch, und auch da ist deutlich, dass die traditionelle Männerrolle eigentlich obsolet geworden ist. Ich halte es zunehmend für wichtig, dass man sich auch mal Gedanken darüber macht, was diese Männerrolle wirklich kostet. Schließlich leben wir in einem System, das primär in Kategorien von Kosten denkt.

DIE: Über die ökonomische Seite der Angelegenheit ist noch gar nicht nachgedacht worden. Ist den Männern denn bewusst, dass ihre traditionelle Rolle kritisch wird?

W.H.:  Bewusst dürfte es nur einer noch immer relativ kleinen Minderheit sein. Spüren tun es alle Männer, aber die meisten wollen sich nach wir vor nicht damit auseinandersetzen. Sie verdrängen, oft auch mit psychosomatischen Folgen, oder - was auch immer eine Reaktion auf ein Problem ist - reagieren dann mit Überkompensation, also machen noch ein paar wildere Sprüche oder lassen noch drohender die Muskeln spielen.

DIE:  Ich finde es erstaunlich, dass die unterschiedliche Lebenserwartung der Geschlechter Männer im Moment offensichtlich besonders interessiert und ihre kürzere Lebenserwartung als Alarmzeichen wirkt. Und ich wundere mich, wie sehr es hier um quantitatives Denken geht und nicht um die Qualität von Leben. Ist es so wichtig, sechs Jahre länger zu leben?

W.H.: Na ja, es sind ja fast sieben, manche sprechen auch von acht Jahren. Aber ich würde das nicht unterschätzen. Wenn ich jetzt mal an mich denke: Ich würde schon gerne sechs, sieben Jahre länger leben. Die Menge an Lebenserwartung hat sicherlich etwas mit Lebensqualität zu tun. Also, wenn Mann fragt, warum Frauen im Durchschnitt länger leben, dann hat das sehr wahrscheinlich damit zu tun, dass Frauen im Regelfall ein weiteres Lebensspektrum und viel mehr Interessen haben, jede Frau einen recht großen Freundeskreis hat, was man nur bei ganz wenigen Männern findet, dass Frauen besser entspannen können, sich mehr für musische Dinge interessieren und für den gesamten Bereich von Bildung.

Der Veränderungsdruck wird größer

DIE: Warum sollten sich Männer Ihrer Meinung nach ändern? Was hätten sie denn zu verlieren und was zu gewinnen?

W.H.:  Im traditionellen Männerbild sind noch immer eine ganze Menge Erfolgs- und Karrierechancen angelegt. Wenn ich in die Politik schaue, dünkt mich das am extremsten, wie ein solches Bild immer noch gelebt wird, wie diese Politiker fast strahlend verkünden, dass sie einen 18-Stunden-Tag haben und welch enorme Last sie auf ihren Schultern tragen, und so weiter und so fort. In der Wirtschaft ist es ähnlich. Es ist also nicht so, dass dem traditionellen Männerbild jetzt total der Boden entzogen wäre. Natürlich, wer es lebt, muss riskieren, dann auch eine Menge Einbußen hinzunehmen wie früheren Tod, Krankheit, Stress, weniger Lebensqualität. Vielleicht werden Männer von ihren Kindern und Partnerinnen gelobt, wenn sie sich verändern, aber von der Gesellschaft werden sie doch noch immer für das andere belohnt. Umgekehrt gibt es etwa in der Wirtschaft auch Tendenzen, die dieses traditionelle Männerbild weiter fassen. Was expandiert, sind die Dienstleistungsberufe, und sie erfordern ganz andere Qualifikationen als traditionelle Wirtschaftszweige wie Landwirtschaft oder Schwerindustrie. Da wird primär Kooperationsfähigkeit und Teamfähigkeit, Empathie, Freundlichkeit verlangt, also soziale Qualitäten, und das ist nicht unsere Stärke. Diese Fähigkeiten werden von der Gesellschaft als weibliche Eigenschaften definiert, als etwas, das Frauen im Regelfall besser können. Nicht wenige Arbeitgeber z.B. im Bankenbereich sagen inzwischen auch ganz offen: Wir ziehen Frauen Männern vor. Hier wird mit der Zeit auch ein Veränderungsdruck von außen entstehen, größer werden, wobei es natürlich besser wäre, wenn er von innen käme.

DIE: ... oder von beiden Seiten. Meine nächste Frage haben Sie fast schon mitbeantwortet: Was spricht dafür, Männer und Männlichkeit öffentlich zum Thema zu machen?

W.H.:  Männlichkeit, so wie ich sie beschrieben habe, ist heute, wie immer man das dreht und wendet, eigentlich ein soziales Problem. Bei dem, was sich an Männergewalt äußert, darf man nicht vergessen: „Nur" - und das setze ich jetzt in Anführungszeichen - ein Drittel der Männergewalt wendet sich gegen Frauen und Kinder, zwei Drittel wenden sich also gegen die eigenen Geschlechtsgenossen. Wenn man auf das Beispiel Verkehrsunfälle und Rowdytum, etwa innerhalb und außerhalb von Fußballstadien, also auf Männerprobleme schaut oder - was im Moment gerade aktuell ist - auf das Beispiel Rechtsextremismus: Der ist ja auch ...

DIE: ... männlich konnotiert.

W.H.: Ja, das ist vornehm ausgedrückt. Es ist exklusiv ein männliches Phänomen, und die paar Frauen, die es da gibt, sind Mitläuferinnen, nicht mehr. Und auch hier sollte man einfach mal prüfen, was das alles kostet.

DIE:  Was hat uns denn, wenn wir die Möglichkeit nutzen, solche Anliegen öffentlich zu machen, die Forschung dazu zu sagen? Wie würden Sie den aktuellen Stand der Männerforschung charakterisieren?

W.H.: Es ist natürlich schwierig, das so kurz zu beschreiben. Das wichtigste Ergebnis der Männerforschung ist es, überhaupt einmal Männer zum Gegenstand der Forschung gemacht zu haben. Und Männer damit zumindest ein Stück weit zu zwingen, sich Gedanken über sich selbst zu machen. Wenn man sich auch heute noch männliche Biographien ansieht, dann äußern sich Männer über sich als Wirtschaftsführer, Politiker, Sportheld; aber über sich als Mann und wie schwierig das ist, Mann zu werden und Mann zu sein, reflektiert niemand. Überhaupt: Männer als Männer zu problematisieren, das ist eigentlich das Wichtigste. Und das Zweite: sich eben auch einmal die männliche Sozialisation genauer daraufhin anzusehen, welche zum Teil wirklich furchtbare Dressur es ist, der wir da unterworfen sind und der wir uns natürlich ab einem gewissen Punkt selbst unterwerfen. Dies ist lange Zeit überhaupt kein Thema gewesen. Und das dritte Wichtige, was in letzter Zeit zunehmend zum Thema wird, ist: zu zeigen, dass die Machtseite von Männlichkeit auch eine Ohnmachtseite hat oder der Täteraspekt einen Opferaspekt. Als ich das 1988 zum ersten Mal über Männer geschrieben habe, galt ich bei feministischen Männern als maskulinistisch und frauenfeindlich ...

DIE: Würden Sie denn sagen, dass die Männerforschung in Deutschland schon etabliert ist oder beginnt sie gerade erst?

W.H.: Nein, sicher ist sie nicht etabliert. Ich würde nicht einmal sagen, dass sie - verglichen mit anderen Ländern - überhaupt richtig begonnen hat. Ich will es einmal anders ausdrücken: Von den Publikationen, die über Männer und Männlichkeit hierzulande entstanden sind, stammen sicher mehr als drei Viertel von Leuten, die überhaupt nicht an Hochschulen sind. An den Hochschulen gibt es keinen einzigen Lehrstuhl für Männerforschung. Die wenigen Kollegen, die sich mit dem Thema beschäftigen, tun das aus freien Stücken. Selbst wenn man da auf kleinere Länder schaut, wie die Niederlande oder Dänemark oder die Schweiz, ist man da an den Hochschulen schon weiter.

Männerbewegung - eine Bewegung von unten

DIE: Wie nach der Männerforschung möchte ich Sie auch gern nach der Männerbewegung fragen: Nach Ihrer Schilderung klingt es so, als hätten bewegte Männer irgendwann auch begonnen zu forschen, daher ist die Forschung noch nicht institutionalisiert. Handelt es sich um eine Bewegung von unten?

W.H.: Ja, es ist eine Bewegung von unten, wobei sich das zu ändern beginnt. Bisher war es so, dass Männer, die sich mit diesem Thema beschäftigt haben, selbst in Männergruppen waren oder, etwas hoch gegriffen, aus der Bewegung kamen. Und erst jetzt, wo es etwas mehr zum Thema wird, gibt es auch Männer aus dem akademischen Lager, die auf diesen Zug aufspringen und sich vielleicht über dieses Thema einen Karrieresprung erhoffen.

DIE: Wenn ich mich recht erinnere, habe ich bei Robert W. Connell gelesen, für seinen wissenschaftlichen Kontext und für seine Kultur sei festzustellen, dass sich keine Männerbewegung herausgebildet hat, weil Männer sich nicht positiv für etwas einsetzen könnten, sondern lediglich etwas zu verlieren hätten. Teilen Sie diese Ansicht, wenn Sie unsere Gesellschaft betrachten?


W.H.: Nein, das würde ich so nicht teilen. Es ist sicher richtig, dass Männerbewegung etwas anderes ist als Frauenbewegung. Betty Friedan hat einmal gesagt, die Männerbewegung sei eine stille Revolution. Ich denke nicht, dass wir nur etwas zu verlieren hätten. Wir haben schon auch eine ganze Menge zu gewinnen, ich würde sogar sagen, wir haben mehr zu gewinnen als zu verlieren. Es gibt inzwischen aus Männergruppen einige Untersuchungen, die nachfragen, was denn aus Männern geworden ist, wenn sie in solche Gruppen gegangen sind, wie sie angefangen haben, ihr Leben zu verändern, wie sie zum Teil ein Stück Macht in der Außenwelt aufgegeben haben. Wenn ich das zusammenfasse, dann sprechen alle davon, dass sie ihre Veränderung doch als Gewinn betrachten. Sie verlieren vielleicht an Status, an Macht über andere. Aber das sind wohl auch nicht die Dinge, die ein Leben tragfähig machen. Ich habe unlängst einmal in einem Männerbuch den Satz gelesen, dass noch niemandem auf dem Sterbebett sein Kontostand oder seine Machtposition eingefallen sei, sondern wenn man dann auf sein Leben zurückblicke, seien andere Sachen viel wichtiger, wie z.B. innere Zufriedenheit, Familie, Freunde, die Liebeszeichen, die man gesetzt hat.

DIE: Jetzt möchte ich noch nicht gleich die Bewegung der Männer verlassen, aber darüber hinaus auf das politische Ziel der Geschlechterdemokratie kommen. Ich sehe in dem, was ich so an Männerbewegungen beobachte - wie zum Teil auch so von Männern selbst beschrieben -, durchaus Bewegungsformen unterschiedlicher Art: auch solche, die den Blick auf das andere Geschlecht oder auf Geschlechterdemokratie gar nicht haben, sondern - das sage ich jetzt mit dem kritischen Blick einer Frau - versuchen, aus ihrer Verunsicherung lediglich eine neue Form von sicherer Männlichkeit zu gewinnen, die aber keineswegs eine politische Implikation hat.

W.H.: Ja, das ist sicher richtig. Wenn man von Männerbewegung spricht, handelt es sich nicht um ein einheitliches Gebilde, das war die Frauenbewegung auch nie, sondern es gibt natürlich unterschiedliche Fraktionen. Es gibt sicher immer noch, wenn auch geringfügiger, eine feministische Fraktion. Dann gibt es eine Fraktion - sie ist im Begriff, stärker zu werden angesichts der ganzen verunsicherten Situation von Männern -, die meint, in der solidarischen Männergruppe, mit bestimmten Ritualen, dem Urschrei im Wald und der gegenseitigen Massage sei es doch irgendwie zu schaffen, sich heute noch als Mann zu bewähren. Dann gibt es eine dritte Fraktion, die bereits von Anfang an schon relativ politisch gedacht und sich für Verhältnisse von Gleichstellung eingesetzt hat und die jetzt mit diesem modern gewordenen Begriff der Geschlechterdemokratie operiert.

Voraussetzung von Geschlechterdemokratie: der Blick auf das andere Geschlecht

DIE: Sie haben vor nicht allzu langer Zeit einen Aufruf unterzeichnet, der dafür plädiert, neu mit der Geschlechterdemokratie zu beginnen. Welche Voraussetzungen brauchen wir, wenn das ein Ziel sein soll, an dem beide Geschlechter - und die Männer stärker als früher - mitwirken können?

W.H.: Die wichtigste Voraussetzung wäre natürlich, dass es auch Männern bewusst wird, wie sehr Frauen, was den ganzen materiellen Bereich von Macht, Finanzierung, Entlohnung und so weiter bis hin zur Sozialhilfe angeht, immer noch unterprivilegiert sind. Es braucht sicher auch umgekehrt das Bewusstsein von Frauen, dass die Männerrolle nicht nur vergoldet ist. Mehr gegenseitiges Verständnis ist ganz wichtig und auch ein Pakt von Veränderungswilligen über die Geschlechtergrenzen hinweg. Darüber hinaus bedarf es zur Durchsetzung objektiver Instrumente, ob das nun die Quote ist, ob das jetzt das Gender-Mainstreaming ist, was ja auch ein Stück weit Quote bedeutet u.a.

DIE:  Es ist eine interessante Entwicklung, dass aktuell aus EU-Kontexten mit dem Amsterdamer Vertrag die Vereinbarung
kommt, die Gleichstellung strukturell anzugehen. Auch hier ist es ja Regierungsbeschluss, damit entsprechend umzugehen und dafür zu sorgen, dass sie ressortübergreifend umgesetzt wird.

W.H.: Da bin ich doppelt skeptisch. Zum einen, ob es überhaupt funktionieren wird. Zum anderen, wenn es dann funktioniert, ob es dann nicht eindimensional auf Frauenförderung hinausläuft. Wenn ich so heute auf das schaue, was als Genderforschung verkauft wird, so ist das meist auch nur alter Wein in neuen Schläuchen, das heißt: Frauenforschung mit einem anderen Etikett. Die Relation zum anderen Geschlecht kommt eigentlich nicht vor.

DIE: Das wäre aber wichtig, die Relation, also den Blick auf das andere Geschlecht zu richten?

W.H.: Das wäre genau das Wesentliche. Ich habe allerdings einfach die Befürchtung, dass auch Gender-Mainstreaming nichts anderes ist, als Frauenförderung zu betreiben, wobei nicht hinterfragt wird: Wohin fördern wir denn da? Die Verhältnisse, so wie sie sind, so männergewachsen und männerdominiert, wie sie sind, auch mit den Normen und Abläufen, werden gar nicht reflektiert. Und deswegen habe ich zunehmend Angst, dass Frauen sich jetzt auch häufig jenen Männerstandards angleichen, die man nicht imitieren, sondern abschaffen sollte.

DIE:  Sind das Phänomene, die in der Erwachsenenbildung thematisiert werden sollten? Vielleicht ist es Sache der Politik, für Gleichstellung zu sorgen in einem eher klassischen Sinne, und an anderer Stelle und mit anderen Mitteln wäre zu reflektieren, welche Welt Männer und Frauen eigentlich haben wollen und wie sie miteinander leben wollen in Zukunft. Sehen Sie darin einen Beitrag, den die Erwachsenenbildung leisten könnte?

W.H.: Da würde ich schon einen ganz großen Beitrag sehen, nur bin ich skeptisch, ob dann a.) genügend und b.) die richtigen Männer angesprochen werden. Wenn ich da auch noch einmal abweichen darf: Ich schaue mal hin und wieder in diese Talkshows, die zwischen 12 und 17 Uhr auf den Privatsendern kommen. Da läuft es einem kalt den Rücken herunter, was da junge Männer, meistens aus den unteren Schichten, an Männerbild und an Frauenbild verkünden: Das ist schon makaber. Ich frage mich, wie kommt man an solche Männer überhaupt heran und was kann der Bildungsbereich bei solchen Männern bewirken. Dazu müsste man sich dringlich etwas überlegen. Und noch eines: Ich frage mich auch zunehmend, wohin es mit der Bildung geht. Eigentlich alles, was in unserem Leben im breiteren Sinne das Humane abdeckt, also Erwachsenenbildung, Psychologie, soziale Arbeit, Kirchenarbeit an der Basis, Erziehung in Horten, Kindertagesstätten, die Schulen, das alles ist inzwischen Frauensache. Männer kommen noch vor als Schüler, Klienten usf., aber die inhaltliche Gestaltung übernehmen Frauen. Oben darüber sitzt natürlich meistens noch ein Mann, der die Administration macht, aber ich denke, irgendwann wird es sich rächen, dass Männer sich in diesem ganz wichtigen Bereich zunehmend aus der Diskussion zurückziehen. Letzthin sprach ich mit einer Buchhändlerin, die den Eindruck hat, dass Männer überhaupt nicht mehr lesen, wenn sie denn kommen, kaufen sie sich ein Technik- oder ein Computerbuch. Wer so lebt, der verödet innerlich.

Männer als Thema der Erwachsenenbildung - ein wichtiges Signal

DIE: Sicher wird die Erwachsenenbildung nicht jeden Mann und jede Frau auf der Straße erreichen können, aber es wäre doch schon viel, wenn sensiblere, aufgestörte, unsichere Männer für solche Fragen offen wären. Ich glaube, dafür gibt es auch Signale.

W.H.: Das wollte ich gerade sagen. Wenn Erwachsenenbildung so etwas machen würde, wäre das mal in diesem Lande ein Signal, wie wichtig dieses Thema ist, denn bisher gibt es in Deutschland keine Institution, die sich dessen angenommen hätte, ob das jetzt Männerbildung oder auf einer anderen Ebene Männergesundheit ist: Tabula rasa.

DIE: Glauben Sie denn, dass das Lernen im engeren Sinne ein Bestandteil des Geschlechterverhältnisses ist? Anders gefragt: Ist das Geschlechterverhältnis nicht ein gelerntes? Wenn man ein anderes Geschlechterverhältnis will, muss man dann nicht umlernen? Und wäre dann nicht Erwachsenenbildung genau der angemessene Ort, wo man das könnte?

W.H.: Das würde ich bejahen. Es wäre ganz wichtig, dass auch andere Modelle gezeigt und vorgestellt werden und man auch anfängt, mehr über die Grenzen zu schauen, z.B. was in Skandinavien gemacht oder gelebt wird, oder eben den Niederlanden: Wie gehen dort Frauen und Männer miteinander um, wie gehen Hetero-Männer mit schwulen Männern um? Ich habe immer den Eindruck, wenn ich anderswo bin, ist man da doch ein ganzes Stück weiter, ohne das jetzt idealisieren zu wollen.

DIE:  Es gibt außer der Praxis ja auch eine Wissenschaft der Erwachsenenbildung. Was könnte aus der Männerforschung relevant für die Wissenschaft der Erwachsenenbildung sein, was sollte diese zur Kenntnis nehmen ?

W.H.: Auf jeden Fall die Arbeiten über den männlichen Sozialisationsprozess, und ich fände es ganz wichtig, wenn das dann in konkreten Angeboten der Praxis reflektiert würde. Das halte ich eigentlich im Zusammenhang mit Lernen für das Wichtigste.

DIE: Um dann auch geschlechtsdifferenziert zu untersuchen, zu forschen, zu lehren?

W.H.: Ja, natürlich auch mal zu schauen: Was passiert bei den beiden Geschlechtern unterschiedlich aus welchen Gründen, und wie ist das dann unter Umständen zu beeinflussen oder zu nutzen.

DIE: Es gibt eine Aussage, nach der sich Männer ihrer traditionellen Rolle entsprechend nicht nur ungern helfen, sondern auch ungern belehren lassen. Würden Sie dem zustimmen? Daraus wären doch in der Erwachsenenbildung Konsequenzen zu ziehen, wenn über das Lehren, Lernen und die Art des Vermittelns nachgedacht wird.

W.H.: Da stimme ich schon zu, ich frage mich allerdings gleichzeitig, ob Frauen denn lieber belehrt werden. Da wäre ich
skeptisch. Was ich aus meinen Erfahrungen sagen könnte, kann man auch von Frauen sagen, dass nämlich ein Geschlecht lieber vom gleichen Geschlecht belehrt wird, Männer von Männern und Frauen von Frauen. Ich hatte kürzlich so ein Erlebnis: Ich saß im Zug, musste noch einen Vortrag schreiben. Hinter mir saß ein Mann, direkt parallel saß eine junge Frau. Dieser Mann hat sein Handy programmiert und das war furchtbar laut. Irgendwann habe ich zu ihm gesagt, es tue mir leid, ob er das nicht irgendwie entweder leiser machen oder draußen erledigen könne. Er hat sich entschuldigt, sehr höflich. Dann ist die junge Frau aufgestanden und hat gesagt, das ließe sich auch leiser programmieren und wollte ihm sehr nett erklären, wie es geht. Da ist der völlig ausgerastet und ich dachte: Das ist nun wieder typisch!

DIE:  Das würde also dafür sprechen, in der Erwachsenenbildung nicht nur den Dialog zwischen den Geschlechtern zu inszenieren, sondern eben auch Angebote, die von Männern gemacht und genutzt werden.

W.H.: Wenn man solche Angebote macht, mit Frauen, die dann Männer über Männlichkeit belehren wollen, ist das eine ganz unglückliche Geschichte. Wenn man jetzt Modelle vorstellt und es ist noch eine Frau dabei, neben männlichen Dozenten, okay. Aber das sollten nach Möglichkeit schon Männer für Männer machen, wobei wir dann wieder bei dem Problem sind, dass es natürlich viel mehr Frauen gibt, die sich mit dem Frauen-Männer-Thema beschäftigt haben, als Männer. Dieses Modell wird dann erst realisierbar sein, wenn mehr Männer sich in diesen Bereich begeben und dann auch bereit sind, da etwas zu tun.

Visionen sind nicht die Stärke der Männer

DIE: Haben Sie, was die Befähigung der Männer, die Zukunft des Geschlechterverhältnisses, die Geschlechterdemokratie angeht, selbst ein Wunschbild oder eine Vision?

W.H.: Also Visionen sind ja leider nicht mehr die Stärke der Männer. Darauf haben die Frauen inzwischen fast ein Monopol. Männer sind auf eine sehr banale Art pragmatisch geworden, den bestehenden Verhältnissen funktionärshaft verpflichtet. Da ist es dann auch egal, ob ein Kanzler Kohl oder Schröder heißt. Der eine hat so wenig Visionen wie der andere. Und das setzt natürlich auch Akzente. Wer heute noch als Mann Visionen formuliert, wirkt ja fast wie ein Clown. Ich habe mich da auch etwas angepasst. Ich bin vorsichtiger geworden und zeige kleine Veränderungsschritte auf, die unter heutigen Bedingungen auch zu verwirklichen sind. Begeisternd ist das nicht unbedingt; mich begeistert es auch nicht. Aber wenigstens wird etwas erreicht. Zumindest habe ich noch eine Zielvorstellung, und die lässt sich im Bild von der Geschlechterdemokratie zusammenfassen.

Hinweis: Die jüngste Veröffentlichung von Walter Hollstein: „Potent werden - Handbuch des (neuen) Mannes" erscheint im Frühjahr 2001 bei Huber, Bern & Toronto.

 


Deutsches Institut für Erwachsenenbildung
Oktober 2000

Angela Venth, Walter Hollstein, Mann sein geht nicht - wenigstens nicht so. Online im Internet:
URL: http://www.diezeitschrift.de/42000/gespraech.htm
Dokument aus dem Internetservice Texte online des Deutschen Instituts für Erwachsenenbildung
http://www.die-bonn.de/publikationen/online-texte/index.asp