Strukturen
künftiger Migrationssozialarbeit
Das Zuwanderungsgesetz macht eine Restrukturierung und
Koordination bestehender Maßnahmen der Migrationssozialarbeit erforderlich.
Wolfgang Bosswick trägt hierzu ein ganzes Maßnahmenbündel zusammen, in das
Erkenntnisse zweier Gutachten eingeflossen sind, die er für die Zuwanderungskommission
und das hessische Sozialministerium erstellt hat. Er empfiehlt eine ständige
interministerielle Arbeitsgruppe Integration des Bundes und der Länder.
Bestehende Segmentierungen sollen aufgehoben, Verfahren vereinfacht werden.
Zur besseren Vernetzung sollen auf kommunaler Ebene Integrationsleitstellen
eingerichtet werden. Die Migrationssozialarbeit wäre grundsätzlich zu differenzieren
in Regel- Fach- und Spezialdienste.
Wolfgang Bosswick
1. Einleitung
Die heutige Integrationspolitik baut auf über vier Jahrzehnten
Ausländerberatung auf, die seit fast zwei Jahrzehnten mit dem Erlass der
ersten Richtlinien für die Ausländersozialberatung im Jahre 1984 institutionalisiert
wurde und sich inzwischen zu einem breiten Spektrum der Migrationssozialarbeit
weiterentwickelt hat. Die Maßnahmen der Migrationssozialarbeit haben sich
von den Anfängen der Ausländersozialberatung und Vertriebenenbetreuung vor
allem im letzten Jahrzehnt stark ausdifferenziert und stellen heute eine
wichtige Grundlage für die Integration von Migranten in die Aufnahmegesellschaft
dar. Bei der Umsetzung des neuen Zuwanderungsgesetzes im Integrationsbereich
mit dem staatlichen Integrationsangebot von Sprach- und Orientierungskursen
wird eine Berücksichtigung der umfangreichen Erfahrungen öffentlicher und
privater Träger der Migrationssozialarbeit notwendig sein, auch wenn sich
das neue Angebot primär an die Zielgruppe Neuzuwanderer wendet. Dennoch
erscheint eine Vernetzung der Angebote des Bundes und der Länder zur Integration
von Migranten mit den bestehenden Maßnahmen sinnvoll; notwendig erscheint
allerdings auch eine grundlegende Restrukturierung und Koordination der
bestehenden Maßnahmen der Migrationssozialarbeit, insbesondere in seiner
Vernetzung auf der kommunalen Ebene. Den Städten, Gemeinden und Landkreisen
kommt als konkreter Ort des Zusammenlebens eine besondere Verantwortung
zu. Die Kommunen haben seit langem in Eigeninitative und mit Unterstützung
von Bund und Ländern in ihren Gebietskörperschaften Integrationsmaßnahmen
durchgeführt. Hier liegen oft bereits umfangreiche und konkrete Erfahrungen
vor, und Integration wird auf kommunaler Ebene inzwischen als zentrale Aufgabe
verstanden: Die erste Grundfunktion städtischer Politik in Europa
ist die Integration. Städtische Politik integriert Menschen und Gruppen,
Lebensweisen und Kulturen, Ziele und Werte, Interessen und Funktionen
(Deutscher Städtetag 2002, 1).
Der Autor hat diese Aspekte 2001 in einem Gutachten für die
Unabhängige Kommission Zuwanderung über die Integrationsmaßnahmen der Wohlfahrtsverbände
untersucht, und die Fragen der Koordination auf kommunaler Ebene 2002 in
einem Gutachten für das hessische Sozialministerium bearbeitet.
2. Integrationsmaßnahmen der Wohlfahrtsverbände
Das Gutachten für die Zuwanderungskommission belegt eine breite
Palette von Maßnahmen für die Integration von Migranten, die in der Bundesrepublik
Deutschland durch Träger der Spitzenverbände mit Bundes- und Landesfinanzierung,
EU-Zuschüssen, kommunalen und Eigenmitteln sowie ehrenamtlichem Engagement
durchgeführt werden. Die in der Erhebung auf Bundes- und Landesebene erfassbare
Finanzausstattung für Integrationsmaßnahmen von Trägern der Spitzenverbände
summiert sich im Jahr 2000 auf insgesamt fast 309 Millionen DM. Diese Summe,
die als gesicherte Untergrenze verstanden werden muss, enthält nicht die
umfangreichen Beiträge der Kommunen, die im Rahmen dieser Arbeit nicht erhoben
werden konnten, und nicht Integrationsmaßnahmen, die durch andere Träger
oder nicht spezifisch für Migranten (Regeldienste) durchgeführt werden.
Durch die Träger, die den Spitzenverbänden der Wohlfahrtspflege
angehören aber auch in erheblichem Umfang durch im Gutachten auftragsgemäß
nicht berücksichtigte Träger werden eine Vielzahl von Integrationsmaßnahmen
durchgeführt, die sich seit den Anfängen der Ausländersozialberatung und
Vertriebenenbetreuung ausdifferenziert haben. Hier liegt ein umfangreicher
Pool an Erfahrungen und Kompetenzen vor, der sich aus der Praxis und der
Reaktion auf akuten Bedarf kommend auch in einer weit entwickelten Fachdiskussion
niedergeschlagen hat. Die Verbände haben in diesem Prozess ihre Integrationsarbeit
weitgehend an die sich entwickelnde Einwanderungssituation angepasst und
ihre konzeptionellen Leitbilder entsprechend reformiert. Auch die Finanzierungsträger
des Bundes und der Länder haben in den letzten Jahren begonnen, ihre Förderstrukturen
umzustellen.
3. Plädoyers
Trotz dieser grundsätzlich auch im internationalen
Vergleich erheblichen Leistungen, die die Aufnahmegesellschaft für
die Integration von Zuwanderern in Deutschland erbringt und die wesentlich
zum sozialen Frieden beitragen, muss man eine Reihe von ernsten strukturellen
Problemen in diesem Bereich feststellen, die dringend angegangen werden
sollten.
3.1 Finanzierungsstruktur
Die bestehenden, sehr komplexen Finanzierungsstrukturen auf
Bundes- und Landesebene sollten in bestehenden Zielgruppenbeschränkungen
weiter geöffnet und flexibilisiert werden; dabei sollten integrative Ansätze
und das Konzept lokaler Koordinationskreise durch die Förderrichtlinien
gezielt unterstützt werden. Die Komplexität der Förderstruktur sollte schrittweise
durch Umstrukturieren reduziert werden; prioritär sollte jedoch eine Vereinheitlichung
der Antrags-, Abrechnungs- und Dokumentationsverfahren als wichtiger Teil
der Qualitätssicherung auf Seite der Finanzierungsträger angestrebt werden.
Es sollte daher eine ständige interministerielle Arbeitsgruppe Integration
des Bundes und der Länder eingerichtet werden, die erstens Informationen
zu den verschiedenen Fördermaßnahmen auf Bundes- und Landesebene sammelt,
dokumentiert und Maßnahmenträgern zugänglich macht. Zweitens sollte die
Arbeitsgruppe in Zusammenarbeit mit Fachvertretern der Verbände und unabhängigen
Experten Ausschreibungen, Antrags- und Abrechnungsverfahren sowie Anforderungen
an Dokumentation und Qualitätssicherung der Maßnahmen vereinheitlichen.
Dabei sollten diese Schnittstellendefinitionen soweit wie möglich
an die Verfahren der EU-Kommission angepasst werden, um nationalen Insellösungen
vorzubeugen. Drittens sollte die Arbeitsgruppe Reformen und Umstrukturierungen
beratend begleiten und unterstützende Maßnahmen in den Finanzierungsträgern
herbeiführen. Ausgangspunkt für diese Vereinheitlichung der Schnittstellendefinition
kann das Konzept der Koordinationskreise sein, auf deren Ebene Antragsteller
einheitliche Antragsverfahren jeweils für Projekt- und Infrastrukturfinanzierungen
zwischen den Finanzierungsträgern vereinbaren. In Umstrukturierungsphasen
der Finanzierung, zur Förderung von Umstrukturierungen der Maßnahmen und
Einrichtungen auf lokaler Ebene und für Innovationen sollten projektorientierte
Förderschemata betont werden; es sollten jedoch ausreichend Infrastrukturmittel
zur Sicherung der Kontinuität und zur Planungssicherheit der Träger vorgesehen
werden.
3.2 Struktur der Migrationssozialarbeit
Die künftige Migrationssozialarbeit sollte in Konzept,
Organisation und gesetzlicher Grundlage für die Förderung nach Regeldiensten,
Fachdiensten und Spezialdiensten differenziert werden. Zu den Regeldiensten
sollte der Teil der bisherigen Migrationsdienste gerechnet werden, der heute
schon in der Praxis im Bereich der Regelversorgung aktiv ist.
- Neuzuwanderer und Migranten mit besonderen Integrationsschwierigkeiten
sollten im Rahmen des Regelangebotes auf einen Migrationsfachdienst zurückgreifen
können, der sich im Wesentlichen aus den heutigen Diensten für Flüchtlinge,
ausländische Arbeitnehmer und Aussiedler zusammensetzt. Um auf Veränderungen
im Anteil der einzelnen Zuwanderergruppen flexibel reagieren zu können,
erscheint es sinnvoll, die heute noch getrennten Abteilungen wo möglich
auch räumlich zu einem Fachdienst zusammenzufassen.
- Für Problemlagen, die die Kompetenzen von Migrationsfachdiensten
und allgemeinen Regeldiensten (auch bei erfolgter interkultureller Öffnung)
übersteigen, werden Spezialdienste notwendig sein (Musterbeispiel: Behandlungszentrum
für Folteropfer).
- Die Einbeziehung der Migrationssozialarbeit mit Fach- und
Spezialdiensten in die allgemeine Regelversorgung bedeutet die Notwendigkeit
einer geregelten Finanzierung für diese Dienste.
3.3 Perspektiven der Migrationssozialarbeit
Die Umstrukturierung hin zu einem integrativen Konzept der
Migrationssozialarbeit sollte durch eine Reihe von Maßnahmen begleitet und
befördert werden.
- Die Segmentierung der
Migrationsdienste nach den traditionellen Zielgruppen sollte konzeptionell
und institutionell aufgehoben werden; lediglich im Bereich der
Beratung in den Fachdiensten wird eine Differenzierung in vier Beratungszielgruppen
(Personen mit ungesichertem Aufenthalt, Drittstaatler mit gesichertem
Aufenthalt, EU-Bürger und Aussiedler) empfohlen.
- Eine zentrale Rolle des Konzepts
nimmt die interkulturelle Öffnung der Regeldienste in den Verbänden
und öffentlichen Einrichtungen ein, verstanden als gezielte Reduzierung
der Barrieren, die Migranten von der Inanspruchnahme der sozialen Dienstleistungen
abhält, sowie als fachliche und soziale Vorbereitung der Mitarbeiter auf
Migranten.
- Für diesen Prozess besteht
einen großer Fortbildungsbedarf vor allem in der öffentlichen Regelversorgung;
hier sind Vernetzungen und Querschnittsinitiativen zwischen Praktikern
der Migrationssozialarbeit und Praktikern der Regeldienste notwendig;
Jugendliche mit Migrationshintergrund sollten für eine Ausbildung im sozialen
Bereich oder in der öffentlichen Verwaltung angeregt und unterstützt werden,
um qualifizierte Mitarbeiter mit Migrationshintergrund in den Regeleinrichtungen
beschäftigen zu können.
- Interkulturalität sollte
als Bestandteil von Qualitätsmanagementmodellen von Einrichtungen, die
Migranten in ihrem Klientel haben, verlangt werden.
3.4 Verlagerung auf die kommunale Ebene
Die Verantwortung für die Umsetzung von Integrationsmaßnahmen
sollte in die Zuständigkeit der Kommunen verlagert werden. Die Anregung
von kommunalen Leitbildern, die Interkulturalität als Selbstverpflichtung
transparent machen, ist zu empfehlen.
Zur Förderung der Integration von Migranten sollte eine
Integrationsplanung auf kommunaler Ebene durch die Auflage eines
Bundesprogrammes für Modellprojekte werden. Die Schwerpunkt der Planung
sind Bestandserhebung, Bedarfsermittlung und daraus folgende Maßnahmenplanungen.
Wenn eine Integrationsplanung als eigenständiges Feld sozialer Fachplanung
nicht durchsetzbar ist, sollten die Belange von Migranten zumindest für
die Jugend- und Altenhilfeplanung in ihrer ganzen Breite konsequent einbezogen
werden.
3.4.1 Kommunale Integrationsleitstellen
Wichtigstes ausführendes Organ einer Integrationsplanung sollte
auf der Ebene der Kommunen und Gebietskörperschaften (kreisfreie Städte,
Städte mit Sonderstatus, kreiszugehörige Städte mit besonderem Bedarf und
Landkreise) Integrationsleitstellen werden, die in der Verwaltung
eingerichtet werden sollten. Bei dieser Maßnahme sollten folgende Empfehlungen
berücksichtigt werden:
- Die kommunale Leitstelle sollte eine klare Kompetenz
zugewiesen bekommen; empfohlen werden Federführung von ämterübergreifenden
Maßnahmen, Informationspflicht der anderen Ämter und Anhörungsrecht der
Integrationsleitstelle bei integrationsrelevanten Maßnahmen.
- Zur Vorbereitung und Einrichtung einer Integrationsleitstelle
sollte mit professioneller und wissenschaftlicher Beratung ein Leitbild
Integration der Kommune ausgearbeitet werden, in dem die Leitideen,
- Die Vorbereitung und Einrichtung der Integrationsleitstelle
sollte durch Öffentlichkeitsarbeit unterstützt werden; dazu empfehlen
sich öffentliche Hearings unter Einbeziehung der im Integrationsbereich
tätigen Träger und des Ausländerbeirats sowie öffentliche Stellungnahmen
des Oberbürgermeisters oder Landrats. Ein wichtiges Ziel der Öffentlichkeitsarbeit
ist zusätzlich zum Erreichen einer öffentlichen Akzeptanz die Kommunikation
der Zielsetzung und Arbeit der Integrationsleitstelle in die Verwaltung.
- Die kommunalen Ausländerbeiräte sollten in Konzeption und
Arbeit der Integrationsleitstelle eingebunden werden; dabei sollte darauf
geachtet werden, dass das ehrenamtliche Engagement von Wohnbürgern
mit Migrationshintergrund eingeworben, gefördert und berücksichtigt wird.
- Die Integrationsleitstelle sollte nach Möglichkeit mit
einem Haushaltsansatz für eigene Integrationsmaßnahmen ausgestattet werden
oder zumindest bei der Vergabe von integrationsrelevanten Leistungen und
Maßnahmen der Kommune beteiligt werden; dies ist notwendig, um innovative
Maßnahmen anstoßen zu können und die Kooperation freier Träger mit der
Leitstelle zu fördern.
- Die Integrationsleitstelle sollte sich an regionalen Netzwerken
beteiligen; hier sind insbesondere Kooperationen mit benachbarten Leitstellen
sowie im Integrationsbereich bestehende Netzwerke der Verbände zu nennen.
- Die Integrationsleitstelle sollte einen lokalen Koordinationskreis
unter ihrer Federführung aufbauen, in dem die Träger der relevanten Maßnahmen
in der Gebietskörperschaft vertreten sind. Die Maßnahmenträger sollten
Förderanträge zunächst in den Koordinationskreis einbringen und die Aufgabenverteilung
abstimmen; Anträge, die im Konsens unterstützt werden, sollten durch den
Koordinationskreis an die zuständige Förderinstitution weitergereicht
werden. Der Koordinationskreis sollte auch Kooperationen der Träger hinsichtlich
Urlaubsvertretungen, Abstimmung der Angebote und gemeinsamer Nutzung von
Ressourcen (zentrale Beratungsstellen) anregen und fördern.
- Die Arbeitsfelder und die Kompetenzen der Integrationsleitstelle
sollten im regulären Fortbildungsbereich für Verwaltungsmitarbeiter
berücksichtigt werden; dabei sollten Fortbildungen für Verwaltungsmitarbeiter
im Integrationsbereich nicht defizitorientiert, sondern als selbstverständlicher
Teil des Qualitätsmanagements und der Organisationsentwicklung angegangen
werden.
- Die kommunale Integrationsleitstelle sollte als Dienstleister
für die Gesamtverwaltung und als Innovationsmotor für eine "kundenorientierte"
Verwaltung genutzt werden; eine interkulturell kompetente und geöffnete
Verwaltung kommt auch Randgruppen der einheimischen Bevölkerung zu Gute.
- Die Koordinationstätigkeit der Integrationsleitstelle sollte
mit einer Bestandserhebung und Dokumentation bestehender Integrationsmaßnahmen
und Einrichtungen vorbereitet werden.
- In der laufenden Arbeit der Integrationsleitstelle sollte
eine inhaltliche Evaluation von Maßnahmen und eine Erfolgskontrolle
der Koordinationsaktivitäten durchgeführt werden. Dabei sollten interne
Evaluation und Selbstbewertung mit gelegentlichen Untersuchungen von unabhängigen
Experten verbunden werden.
- Integrationsmaßnahmen sollten prinzipiell die vorhandenen
Ressourcen der Zielgruppe aufgreifen und einen Empowerment-Ansatz
verfolgen: Fähigkeiten und Ressourcen und Engagement der Migranten aufgreifen,
Migrantenselbstorganisationen und -vereine einbinden. Dies kann z.B. durch
das Angebot von Fortbildung und Multiplikatorenschulung für Migrantenvereine
(Rhetorik, Zeit- und Projektmanagement, Öffnung der Migrantenvereine in
die Aufnahmegesellschaft) umgesetzt werden.
- Integrationsmaßnahmen sollten möglichst einen gemeinwesenorientierten
Ansatz verfolgen und die ansässige deutsche Bevölkerung und deutsche Institutionen
mit einbeziehen; dies bezieht sich insbesondere auf Information und Kommunikation
über Integrationsmaßnahmen, aber auch auf eine interkulturelle Öffnung
der Regelinstitutionen und der Verwaltungsbehörden.
- Integrationsmaßnahmen sollten möglichst nicht für eine
ethnisch oder kulturell definierte Zielgruppe konzipiert werden, sondern
sich an lebenslagenbezogenen Problemen orientieren. Von diesem Grundsatz
sollte jedoch in Einzelfällen abgewichen werden, wenn zurückgezogene Migrantengruppen
erreicht werden müssen. Hier können als Einstieg in übergreifende Integrationsmaßnahmen
ggf. auch ethnisch orientierte Vorläufermaßnahmen vorgesehen werden, um
Migranten zu erreichen und zu mobilisieren.
- Integrationsmaßnahmen sollten möglichst nicht für eine
durch den Rechtsstatus definierte Zielgruppe konzipiert werden, sondern
sich übergreifend an die Wohnbevölkerung mit längerfristigem Aufenthalt
wenden; die in den Neufassungen der Richtlinien für die Ausländersozialberatung,
der BVA-Projekte zur Gemeinwesenarbeit und des Kinder- und Jugendhilfeplans
erfolgte Aufhebung der Zielgruppentrennung sollte so weit wie möglich
umgesetzt werden. Ausnahmen sind nur sinnvoll, wenn ein spezifischer Bedarf
einer bestimmten Zielgruppe vorliegt (z.B. im Bereich der Beratung zu
Ausländerrecht).
- Sprachvermittlungsmaßnahmen in Kindergarten und Schule
sollten die Elterngeneration mit einbinden (Beispiele: "Mama lernt
Deutsch", HIPPY-Projekte). Die Maßnahmen sollten unter Beteiligung
von Fachleuten für Deutsch als Fremdsprache (DAF) konzipiert und umgesetzt
werden.
- Die Öffnung der Institution Schule sollte durch gezielte
Maßnahmen unterstützt werden: Kooperationsprojekte Schule Integrationsleitstelle
in Zusammenarbeit mit engagierten Lehrern und einem Moderator aus der
Migrationssozialarbeit; Fortbildungsveranstaltungen für Lehrerkollegien;
Förderung der Elternarbeit mit Familien mit Migrationshintergrund.
- Maßnahmen im Übergang Schule-Beruf sollten die Elterngeneration
mit einbinden, um eine bessere Information der Eltern, eine Steigerung
der Ausbildungsorientierung und eine Unterstützung der Jugendlichen durch
das Elternhaus zu erreichen.
- Die Öffnung der Einrichtungen von Sportvereinen für die
Nutzung durch nicht im Verein eingebundene Zielgruppen sollte angestrebt
werden. Die Vereinsarbeit ansässiger Sportvereine sollte gezielt zur Einbindung
von Migranten, z.B. für Angebote im Bereich der aktuellen Jugendkultur
(Basketball, Inline, Skater) gefördert werden.
3.4.2. Flankierende Maßnahmen
Die Einrichtung von kommunalen Integrationsleitstellen sollte
durch unterstützende Maßnahmen der Länder und des Bundes flankiert werden,
um Innovation anzugregen und Synergieeffekte zu nutzen.
- Bei der Auflage von Förderprogrammen sollte besonderes
Augenmerk auf die Nachhaltigkeit von Maßnahmen und die Überleitung
und Verwertung von Projektergebnissen in die Regelstruktur gelegt werden;
dieser Aspekt sollte bei Ausschreibungen, Richtlinien und Förderentscheidungen
eine wichtige Rolle spielen.
- Die Bundesländer sollten eine bundesweite Länderinitiative
zur Harmonisierung der Ausschreibungs-, Antrags-, Abrechnungs-, Dokumentations-
und Berichtsverfahren im Bereich der Integrationsmaßnahmen anregen; diese
Initiative könnte nach dem Modell oder unter Ausweitung der ARGEFLÜ mit
Hinzuziehung eines externen Expertengremiums umgesetzt werden. Die zu
erarbeitenden Standards sollten auch zu den Standards der EU-Projektausschreibungen
kompatibel sein. Dieses Regelwerk sollte in der Entwicklungsphase an Modellprojekten
getestet werden.
- Unter Beteiligung von Experten aus Wissenschaft und Praxis
und in Kooperation mit Fachleuten der Trägerverbände sollten landesweites
Fortbildungsprogramme für Mitarbeiter kommunaler Integrationsleitstellen
entwickelt und durchgeführt werden.
- Die kommende Einführung von Sprach- und Orientierungskursen
in Bundeszuständigkeit sowie die Umsetzung einer etwaigen Richtlinienkompetenz
des Bundes für Integrationsmaßnahmen sollte unter Berücksichtigung der
Erfahrungen in den Ländern und Kommunen erfolgen. Bei der Umsetzung dieser
Neuerungen sollten zusätzlich zu Experten auf Bundesebene auch Empfehlungen
von Praktikern auf Landes- und Kommunalebene eingeholt, systematisch ausgewertet
und berücksichtigt werden.
- Zur Umsetzung von Integrationsmaßnahmen in Bundeszuständigkeit
sollte der Bund eine Inventarisierung und Evaluation von Maßnahmenanbietern
und -trägern auf kommunaler Ebene anregen und fördern; Ziel dieser
Inventarisierung sollte unter anderem sein, den Zielgruppen der Maßnahmen
Kriterien für die Auswahl von Anbietern und einen Überblick über das regional
verfügbare Angebot (z.B. im Sprachkursbereich) zu geben.
- Auf Bundesebende bestehende Zielgruppenbeschränkungen bei
Fördermaßnahmen sollten weiter geöffnet und flexibilisiert werden; dabei
sollten integrative Ansätze und das Konzept lokaler Koordinationskreise
durch die Förderrichtlinien gezielt unterstützt werden. Die Komplexität
der Förderstruktur sollte schrittweise durch Umstrukturieren reduziert
werden; prioritär sollte jedoch eine Vereinheitlichung der Antrags-, Abrechnungs-
und Dokumentationsverfahren als wichtiger Teil einer Qualitätssicherung
auf Seiten der Finanzierungsträger angestrebt werden. Es sollte daher
eine ständige interministerielle Arbeitsgruppe Integration des Bundes
und der Länder eingerichtet werden, die erstens Informationen zu den verschiedenen
Fördermaßnahmen auf Bundes- und Landesebene sammelt, dokumentiert und
Maßnahmenträgern zugänglich macht. Zweitens sollte die Arbeitsgruppe in
Zusammenarbeit mit Fachvertretern der Verbände und unabhängigen Experten
Ausschreibungen, Antrags- und Abrechnungsverfahren sowie Anforderungen
an Dokumentation und Qualitätssicherung der Maßnahmen vereinheitlichen.
Dabei sollten diese Schnittstellendefinitionen soweit wie möglich an
die Verfahren der EU-Kommission angepasst werden, um nationalen Insellösungen
vorzubeugen. Drittens sollte die Arbeitsgruppe Reformen und Umstrukturierungen
beratend begleiten und unterstützende Maßnahmen in den Finanzierungsträgern
herbeiführen. Ausgangspunkt für diese Vereinheitlichung der Schnittstellendefinition
sollte das Konzept der Koordinationskreise unter Beteiligung kommunaler
Integrationsleitstellen sein.
Ein vereinheitlichte Schnittstelle zur Beantragung und Abrechnung
von Bundes- und Landesmitteln für Projekte und Infrastrukturförderung im
Bereich der Migrationssozialarbeit sollte auf der Ebene der kommunalen Integrationsleitstellen
angesiedelt werden. Die Maßnahmenfinanzierung sollte zunehmend über diese
Ausschüsse abgewickelt werden (Schleswig-Holsteiner Modell).
Die Maßnahmen und Einrichtungen der Migrationssozialarbeit
sollten durch eine einheitliche und optimierte Dokumentationsstruktur sowohl
für die Finanzierungsträger als auch in Auszügen für die Fachöffentlichkeit
und Nutzer erschlossen werden.
4. Schlusswort
Das empfohlene Maßnahmenbündel kann nur in einem längeren
Prozess umgesetzt werden; dieser sollte durch die Schaffung der vorgeschlagenen
Gremien auf Bundesebene, durch einen Schwerpunkt für Modellprojekte, durch
gesetzliche Vorgaben und Richtlinien und durch politische Zielsetzung gefördert
werden. Dies wird in der Umstrukturierungsphase vereinzelt höheren Mitteleinsatz
verursachen, mittel- bis langfristig jedoch die bislang aufgewendeten Ressourcen
durch gesteigerte Effektivität und Qualität der Migrationssozialarbeit besser
für die Integration von Zuwanderern in die deutsche Aufnahmegesellschaft
nutzen. Dabei kann der Innovationsschub, der von der Umsetzung des neuen
Zuwanderungsgesetzes ausgehen kann, auch notwendige Reformen im Bereich
der Migrationssozialarbeit und der Integrationsmaßnahmen für ansässige Migranten
anregen. Bei der Förderung der Integration von Neuzuwanderern, die primär
durch das Zuwanderungsgesetz angestrebt ist, darf jedoch die Integration
der bereits lang ansässigen Migranten in Deutschland nicht vernachlässigt
werden. Eine Abstimmung der Maßnahmen des neuen Zuwanderungsgesetzes mit
den vielfältigen bestehenden Initiativen auf Landes- und kommunaler Ebene
der verschiedenen Träger erscheint nicht nur aus Kostengründen sinnvoll.
Gerade in dem breiten Spektrum der bestehenden Migrationssozialarbeit liegt
ein umfangreicher Schatz an Erfahrungen, der genutzt werden sollte, um die
gegenwärtigen Herausforderungen konstruktiv zu bewältigen: Seit Jahrzehnten
ist Deutschland eine Gesellschaft in der Einwanderungssituation, und es
gilt, die Chancen dieser Situation zu nutzen und die mit ihr verbunden Probleme
zivilgesellschaftlich zu lösen.
Deutsches Institut für Erwachsenenbildung
Oktober 2002
Wolfgang Bosswick, Strukturen künftiger Migrationssozialarbeit.
Online im Internet:
URL: http://www.diezeitschrift.de/42002/positionen0.htm
Dokument aus dem Internetservice Texte online des Deutschen Instituts für
Erwachsenenbildung
http://www.die-bonn.de/publikationen/online-texte/index.asp