DIE Zeitschrift für Erwachsenenbildung

Strukturen künftiger Migrationssozialarbeit

Das Zuwanderungsgesetz macht eine Restrukturierung und Koordination bestehender Maßnahmen der Migrationssozialarbeit erforderlich. Wolfgang Bosswick trägt hierzu ein ganzes Maßnahmenbündel zusammen, in das Erkenntnisse zweier Gutachten eingeflossen sind, die er für die Zuwanderungskommission und das hessische Sozialministerium erstellt hat. Er empfiehlt eine ständige interministerielle Arbeitsgruppe Integration des Bundes und der Länder. Bestehende Segmentierungen sollen aufgehoben, Verfahren vereinfacht werden. Zur besseren Vernetzung sollen auf kommunaler Ebene Integrationsleitstellen eingerichtet werden. Die Migrationssozialarbeit wäre grundsätzlich zu differenzieren in Regel- Fach- und Spezialdienste.

Wolfgang Bosswick

1. Einleitung

Die heutige Integrationspolitik baut auf über vier Jahrzehnten Ausländerberatung auf, die seit fast zwei Jahrzehnten mit dem Erlass der ersten Richtlinien für die Ausländersozialberatung im Jahre 1984 institutionalisiert wurde und sich inzwischen zu einem breiten Spektrum der Migrationssozialarbeit weiterentwickelt hat. Die Maßnahmen der Migrationssozialarbeit haben sich von den Anfängen der Ausländersozialberatung und Vertriebenenbetreuung vor allem im letzten Jahrzehnt stark ausdifferenziert und stellen heute eine wichtige Grundlage für die Integration von Migranten in die Aufnahmegesellschaft dar. Bei der Umsetzung des neuen Zuwanderungsgesetzes im Integrationsbereich mit dem staatlichen Integrationsangebot von Sprach- und Orientierungskursen wird eine Berücksichtigung der umfangreichen Erfahrungen öffentlicher und privater Träger der Migrationssozialarbeit notwendig sein, auch wenn sich das neue Angebot primär an die Zielgruppe Neuzuwanderer wendet. Dennoch erscheint eine Vernetzung der Angebote des Bundes und der Länder zur Integration von Migranten mit den bestehenden Maßnahmen sinnvoll; notwendig erscheint allerdings auch eine grundlegende Restrukturierung und Koordination der bestehenden Maßnahmen der Migrationssozialarbeit, insbesondere in seiner Vernetzung auf der kommunalen Ebene. Den Städten, Gemeinden und Landkreisen kommt als konkreter Ort des Zusammenlebens eine besondere Verantwortung zu. Die Kommunen haben seit langem in Eigeninitative und mit Unterstützung von Bund und Ländern in ihren Gebietskörperschaften Integrationsmaßnahmen durchgeführt. Hier liegen oft bereits umfangreiche und konkrete Erfahrungen vor, und Integration wird auf kommunaler Ebene inzwischen als zentrale Aufgabe verstanden: „Die erste Grundfunktion städtischer Politik in Europa ist die Integration. Städtische Politik integriert Menschen und Gruppen, Lebensweisen und Kulturen, Ziele und Werte, Interessen und Funktionen” (Deutscher Städtetag 2002, 1).

Der Autor hat diese Aspekte 2001 in einem Gutachten für die Unabhängige Kommission Zuwanderung über die Integrationsmaßnahmen der Wohlfahrtsverbände untersucht, und die Fragen der Koordination auf kommunaler Ebene 2002 in einem Gutachten für das hessische Sozialministerium bearbeitet.

2. Integrationsmaßnahmen der Wohlfahrtsverbände

Das Gutachten für die Zuwanderungskommission belegt eine breite Palette von Maßnahmen für die Integration von Migranten, die in der Bundesrepublik Deutschland durch Träger der Spitzenverbände mit Bundes- und Landesfinanzierung, EU-Zuschüssen, kommunalen und Eigenmitteln sowie ehrenamtlichem Engagement durchgeführt werden. Die in der Erhebung auf Bundes- und Landesebene erfassbare Finanzausstattung für Integrationsmaßnahmen von Trägern der Spitzenverbände summiert sich im Jahr 2000 auf insgesamt fast 309 Millionen DM. Diese Summe, die als gesicherte Untergrenze verstanden werden muss, enthält nicht die umfangreichen Beiträge der Kommunen, die im Rahmen dieser Arbeit nicht erhoben werden konnten, und nicht Integrationsmaßnahmen, die durch andere Träger oder nicht spezifisch für Migranten (Regeldienste) durchgeführt werden.

Durch die Träger, die den Spitzenverbänden der Wohlfahrtspflege angehören – aber auch in erheblichem Umfang durch im Gutachten auftragsgemäß nicht berücksichtigte Träger – werden eine Vielzahl von Integrationsmaßnahmen durchgeführt, die sich seit den Anfängen der Ausländersozialberatung und Vertriebenenbetreuung ausdifferenziert haben. Hier liegt ein umfangreicher Pool an Erfahrungen und Kompetenzen vor, der sich aus der Praxis und der Reaktion auf akuten Bedarf kommend auch in einer weit entwickelten Fachdiskussion niedergeschlagen hat. Die Verbände haben in diesem Prozess ihre Integrationsarbeit weitgehend an die sich entwickelnde Einwanderungssituation angepasst und ihre konzeptionellen Leitbilder entsprechend reformiert. Auch die Finanzierungsträger des Bundes und der Länder haben in den letzten Jahren begonnen, ihre Förderstrukturen umzustellen.

3. Plädoyers

Trotz dieser grundsätzlich – auch im internationalen Vergleich – erheblichen Leistungen, die die Aufnahmegesellschaft für die Integration von Zuwanderern in Deutschland erbringt und die wesentlich zum sozialen Frieden beitragen, muss man eine Reihe von ernsten strukturellen Problemen in diesem Bereich feststellen, die dringend angegangen werden sollten.

3.1 Finanzierungsstruktur

Die bestehenden, sehr komplexen Finanzierungsstrukturen auf Bundes- und Landesebene sollten in bestehenden Zielgruppenbeschränkungen weiter geöffnet und flexibilisiert werden; dabei sollten integrative Ansätze und das Konzept lokaler Koordinationskreise durch die Förderrichtlinien gezielt unterstützt werden. Die Komplexität der Förderstruktur sollte schrittweise durch Umstrukturieren reduziert werden; prioritär sollte jedoch eine Vereinheitlichung der Antrags-, Abrechnungs- und Dokumentationsverfahren als wichtiger Teil der Qualitätssicherung auf Seite der Finanzierungsträger angestrebt werden. Es sollte daher eine ständige interministerielle Arbeitsgruppe Integration des Bundes und der Länder eingerichtet werden, die erstens Informationen zu den verschiedenen Fördermaßnahmen auf Bundes- und Landesebene sammelt, dokumentiert und Maßnahmenträgern zugänglich macht. Zweitens sollte die Arbeitsgruppe in Zusammenarbeit mit Fachvertretern der Verbände und unabhängigen Experten Ausschreibungen, Antrags- und Abrechnungsverfahren sowie Anforderungen an Dokumentation und Qualitätssicherung der Maßnahmen vereinheitlichen. Dabei sollten diese Schnittstellendefinitionen soweit wie möglich an die Verfahren der EU-Kommission angepasst werden, um nationalen Insellösungen vorzubeugen. Drittens sollte die Arbeitsgruppe Reformen und Umstrukturierungen beratend begleiten und unterstützende Maßnahmen in den Finanzierungsträgern herbeiführen. Ausgangspunkt für diese Vereinheitlichung der Schnittstellendefinition kann das Konzept der Koordinationskreise sein, auf deren Ebene Antragsteller einheitliche Antragsverfahren jeweils für Projekt- und Infrastrukturfinanzierungen zwischen den Finanzierungsträgern vereinbaren. In Umstrukturierungsphasen der Finanzierung, zur Förderung von Umstrukturierungen der Maßnahmen und Einrichtungen auf lokaler Ebene und für Innovationen sollten projektorientierte Förderschemata betont werden; es sollten jedoch ausreichend Infrastrukturmittel zur Sicherung der Kontinuität und zur Planungssicherheit der Träger vorgesehen werden.

3.2 Struktur der Migrationssozialarbeit

Die künftige Migrationssozialarbeit sollte in Konzept, Organisation und gesetzlicher Grundlage für die Förderung nach Regeldiensten, Fachdiensten und Spezialdiensten differenziert werden. Zu den Regeldiensten sollte der Teil der bisherigen Migrationsdienste gerechnet werden, der heute schon in der Praxis im Bereich der Regelversorgung aktiv ist.

3.3 Perspektiven der Migrationssozialarbeit

Die Umstrukturierung hin zu einem integrativen Konzept der Migrationssozialarbeit sollte durch eine Reihe von Maßnahmen begleitet und befördert werden.

3.4 Verlagerung auf die kommunale Ebene

Die Verantwortung für die Umsetzung von Integrationsmaßnahmen sollte in die Zuständigkeit der Kommunen verlagert werden. Die Anregung von kommunalen Leitbildern, die Interkulturalität als Selbstverpflichtung transparent machen, ist zu empfehlen.

Zur Förderung der Integration von Migranten sollte eine Integrationsplanung auf kommunaler Ebene durch die Auflage eines Bundesprogrammes für Modellprojekte werden. Die Schwerpunkt der Planung sind Bestandserhebung, Bedarfsermittlung und daraus folgende Maßnahmenplanungen. Wenn eine Integrationsplanung als eigenständiges Feld sozialer Fachplanung nicht durchsetzbar ist, sollten die Belange von Migranten zumindest für die Jugend- und Altenhilfeplanung in ihrer ganzen Breite konsequent einbezogen werden.

3.4.1 Kommunale Integrationsleitstellen

Wichtigstes ausführendes Organ einer Integrationsplanung sollte auf der Ebene der Kommunen und Gebietskörperschaften (kreisfreie Städte, Städte mit Sonderstatus, kreiszugehörige Städte mit besonderem Bedarf und Landkreise) Integrationsleitstellen werden, die in der Verwaltung eingerichtet werden sollten. Bei dieser Maßnahme sollten folgende Empfehlungen berücksichtigt werden:

3.4.2. Flankierende Maßnahmen

Die Einrichtung von kommunalen Integrationsleitstellen sollte durch unterstützende Maßnahmen der Länder und des Bundes flankiert werden, um Innovation anzugregen und Synergieeffekte zu nutzen.

Ein vereinheitlichte Schnittstelle zur Beantragung und Abrechnung von Bundes- und Landesmitteln für Projekte und Infrastrukturförderung im Bereich der Migrationssozialarbeit sollte auf der Ebene der kommunalen Integrationsleitstellen angesiedelt werden. Die Maßnahmenfinanzierung sollte zunehmend über diese Ausschüsse abgewickelt werden (Schleswig-Holsteiner Modell).

Die Maßnahmen und Einrichtungen der Migrationssozialarbeit sollten durch eine einheitliche und optimierte Dokumentationsstruktur sowohl für die Finanzierungsträger als auch in Auszügen für die Fachöffentlichkeit und Nutzer erschlossen werden.

4. Schlusswort

Das empfohlene Maßnahmenbündel kann nur in einem längeren Prozess umgesetzt werden; dieser sollte durch die Schaffung der vorgeschlagenen Gremien auf Bundesebene, durch einen Schwerpunkt für Modellprojekte, durch gesetzliche Vorgaben und Richtlinien und durch politische Zielsetzung gefördert werden. Dies wird in der Umstrukturierungsphase vereinzelt höheren Mitteleinsatz verursachen, mittel- bis langfristig jedoch die bislang aufgewendeten Ressourcen durch gesteigerte Effektivität und Qualität der Migrationssozialarbeit besser für die Integration von Zuwanderern in die deutsche Aufnahmegesellschaft nutzen. Dabei kann der Innovationsschub, der von der Umsetzung des neuen Zuwanderungsgesetzes ausgehen kann, auch notwendige Reformen im Bereich der Migrationssozialarbeit und der Integrationsmaßnahmen für ansässige Migranten anregen. Bei der Förderung der Integration von Neuzuwanderern, die primär durch das Zuwanderungsgesetz angestrebt ist, darf jedoch die Integration der bereits lang ansässigen Migranten in Deutschland nicht vernachlässigt werden. Eine Abstimmung der Maßnahmen des neuen Zuwanderungsgesetzes mit den vielfältigen bestehenden Initiativen auf Landes- und kommunaler Ebene der verschiedenen Träger erscheint nicht nur aus Kostengründen sinnvoll. Gerade in dem breiten Spektrum der bestehenden Migrationssozialarbeit liegt ein umfangreicher Schatz an Erfahrungen, der genutzt werden sollte, um die gegenwärtigen Herausforderungen konstruktiv zu bewältigen: Seit Jahrzehnten ist Deutschland eine Gesellschaft in der Einwanderungssituation, und es gilt, die Chancen dieser Situation zu nutzen und die mit ihr verbunden Probleme zivilgesellschaftlich zu lösen.


Deutsches Institut für Erwachsenenbildung
Oktober 2002

Wolfgang Bosswick, Strukturen künftiger Migrationssozialarbeit. Online im Internet:
URL: http://www.diezeitschrift.de/42002/positionen0.htm
Dokument aus dem Internetservice Texte online des Deutschen Instituts für Erwachsenenbildung
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