DIE Zeitschrift für Erwachsenenbildung

Machbar und Erwünscht?!

Selbstgesteuertes Lernen in Zertifikatskursen des Xpert-EDV-Lehrgangssystems

Uwe Feldbusch/Patrick Möser

Ein Problem der Diskussion um das selbstgesteuerte Lernen (SGL) dürfte in der schwierigen breiten Transformierbarkeit in die institutionalisierte Erwachsenenbildungspraxis liegen. Transferprojekte wie das DIE-Projekt »SELBER« (www.die-bonn.de/selber) sind zwar ein ­guter Nährboden für die Entwicklung interessanter Lernangebote. Allerdings bleibt oftmals die Frage nach der konkreten Umsetzung und nach der Nachhaltigkeit des aus der Projektteilnahme erworbenen Wissens für die einzelnen Bildungseinrichtungen offen. Die Verfasser skizzieren ihr – auf der Teilnahme am Projekt SELBER aufbauendes – Vorgehen bei der Einführung von Elementen selbstgesteuerten Lernens in modularisierten und zertifikatsbezogenen Kursen. In einem zweiten Schritt gehen sie der Frage nach, wie die Lernenden mit Angeboten des selbstgesteuerten Lernens umgehen und wie sie diese bewerten.

Aufbauend auf frühe methodische Anregungen im Bereich der konstruktivistischen Didaktik und Lernberatung (vgl. Siebert 1996; Kemper/Klein 1998) finden sich in jüngerer Zeit Publikationen, die beide Teile des Lehr-Lern-Prozesses systematisieren und empirische Daten zu Lernen und Lehren bereitstellen (vgl. Faulstich u.a. 2005). Diese lassen sich als Grundlage für die Entwicklung innovativer Lernangebote nutzbar machen. Weiterhin kann darauf die Kompetenzbildung für die didaktische Gestaltung von Selbstlernmaterialien sowie für die neuen methodischen Fähigkeiten im Bereich der Lernberatung aufbauen.

Ungeklärt erscheint uns allerdings die Frage, wie eine breite Umsetzung der anspruchsvoller werdenden didaktischen Modelle in die Praxis geleistet werden kann. Einen wichtigen Stellenwert nehmen unserer Ansicht nach Projekte ein, wie sie u.a. vom DIE unter den Namen SeGeL und SELBER realisiert wurden. Schwierig dürfte besonders die Umsetzung der in der Projektarbeit gewonnenen Innovationsenergie in die Arbeitszusammenhänge vor Ort sein, also jenseits des jeweiligen Projekts.

Bislang lag das Augenmerk dabei vor allem auf den Bedingungen der Organisation und auf ihren Lernprozessen. Zusätzlich erscheint es nun angebracht, die Rolle des Lehrpersonals genauer in den Blick zu nehmen. Eine Integration der Dozent/inn/en in den Projektverlauf birgt ein bislang im Allgemeinen wenig genutztes Potenzial zur Entwicklung professioneller Kurskonzepte und der damit verbundenen Lernmaterialien in sich. Hierzu ist eine professionelle Qualifizierung des Lehrpersonals im Bereich der Didaktik des selbstgesteuerten Lernens unabdingbar (vgl. Dietrich/Herr 2005).

Unser Projekt, das diesen Ansatz aufgreift, verfolgt das Ziel, das Kursgeschehen mit Phasen selbstgesteuerten Lernens anzureichern. Im Speziellen geht es hierbei um die Entwicklung eines Gegenmodells zu der oftmals statischen Lehr- und Lernkultur in EDV-Kursen. In der Umsetzung interessiert uns besonders die Akzeptanz der neuen Lernformen durch die Teilnehmenden. 

Um diese Ziele zu realisieren, haben wir ein Volkshochschulangebot im Programmbereich »Arbeit & Beruf« durch ausgewählte Elemente des selbstgesteuerten Lernens ergänzt – eine »Einführung in die EDV«, die als Modul des »Europäischen ComputerPass Xpert« angeboten wird.

In einem Zeitraum von drei Monaten wurden zwei Kurse jeweils an zehn Abenden, zweimal pro Woche realisiert. Im Vorfeld wurde bewusst darauf verzichtet, bei der Ausschreibung des Angebotes im VHS-Programmheft einen Hinweis auf selbstgesteuertes Lernen zu lancieren. Damit war die Absicht verbunden, nicht im Vorhinein eine Selektion der Teilnehmenden zu bewirken. Mit der neuen Struktur des Kurses und mit den verwendeten Modulen des selbstgesteuerten Lernens wurden die Teilnehmenden erst zu Beginn der ersten Sitzung konfrontiert.

Die Neukonzeption des Kurses beruht auf drei grundlegenden Überlegungen: Erstens erschien uns eine Lernumgebung angebracht, die den Lernenden eine relativ autonome Entscheidung über ihren zu wählenden Lernweg ermöglicht. Zweitens wollten wir den Lernenden die Möglichkeit bieten, ihre Erfahrungen, ihre Lernstrategien sowie ihre Auseinandersetzung mit dem für sie neuen didaktischen Arrangement auf verschiedene Arten zu dokumentieren (Lerntagebuch, Themenboard usw.), und drittens beabsichtigten wir, Lernberatung in aktives Kursgeschehen zu implementieren.

Der von uns gewählte Schwerpunkt liegt dabei auf der Konzeption der Lernumgebung und besonders auf deren didaktischen Möglichkeiten. Wir haben uns für ein Modell entschieden, das den Teilnehmenden drei unterschiedliche Zugänge ermöglichen soll. Das Angebot bietet die Möglichkeit, praxisorientiert, theoriegeleitet oder systematisch-vergleichend vorzugehen, und soll somit verschiedenen Lerngewohnheiten entgegenkommen. Aufgrund eines von uns konzipierten Einstiegsstimulus konnten sich die Teilnehmenden für einen der drei Wege entscheiden, der im Kursverlauf beibehalten werden sollte. Die große Herausforderung bestand dabei in der Konzeption einer solchen Lernumgebung und der Erstellung der Lernmaterialien. So war es etwa notwendig, dass jeder der drei Lernwege eine differenzierte Lernrezeption möglich machte und gleichzeitig den standardisierten Lehrstoff präsentierte, da die Kurse mit einer Zertifikatsprüfung abgeschlossen werden sollten. Für die Konzeption der Lernumgebung haben wir uns am »Gießener Modell einer Didaktik selbstgesteuerten Lernens« orientiert, das unter Leitung von Hermann Forneck entwickelt worden ist (vgl. Forneck/Springer 2005). Hierbei handelt es sich um ein Gesamtkonzept, in dem verschiedene Lernmaterialien didaktisch miteinander verknüpft sind. Die Lernenden können mit diesen Materialien selbsttätig arbeiten.

Wir verstehen selbstgesteuertes Lernen nicht als Abkehr von erprobten Formen und Möglichkeiten der Didaktik, wir erleben es als Stärkung des Individuums im Verlauf des Lernprozesses. Hierbei geht es uns also nicht um eine mögliche Abwesenheit des Dozenten bei der Steuerung der kursinternen Lernprozesse, sondern um eine differenzierte Form der Strukturierung von Lernsettings. In der von uns vorbereiteten Lernumgebung wurden demnach formale Lernziele ausgegeben und Lernressourcen bereitgestellt. Den Lernenden war es dabei jederzeit möglich, ihren persönlichen Lernfortschritt mit den vielfach eingesetzten selbstevaluierenden Hilfsmitteln zu kontrollieren und durch Wiederholungen zu verbessern. Die von uns zur Verfügung gestellte Lernarchitektur lässt sich durch eine professionelle Strukturierung charakterisieren, die sowohl vorgegebene als auch vom Lernenden zu wählende Wege bereitstellt. Darüber hinaus bietet sie eine interne Differenzierung der Lerngruppe nicht nur in Hinsicht auf unterschiedliche Lerngewohnheiten, sondern auch in Bezug auf verschiedene Lerngeschwindigkeiten und Stufen des Vorwissens. Dies realisieren wir über optionale Lerneinheiten in den Selbstlernmaterialien.

Die konkrete Einbindung in den Kurs erfolgte im Anschluss an eine thematische Einleitung durch den Kursleiter, die jeder Unterrichtseinheit vorgeschaltet war. Daran anschließend wurden die Materialien und Aufgaben für die Selbstlernphase zur Verfügung gestellt. Die Teilnehmenden orientierten sich anhand eines Strukturbildes in der Selbstlernarchitektur und teilten sich während der Selbstlernphasen ihre Zeit individuell ein. Auch ihre Vorgehensweise bei der Bearbeitung der Materialien und bei der Überprüfung des Lernerfolges strukturierten sie selbst. Während dieser selbstgesteuerten Lernphasen zog sich die Kursleitung in die Rolle der »informellen Lernberatung« zurück.

Mit Blick auf die Steigerung der Lernreflexivität erhielten die Teilnehmenden Gelegenheit, ihre Erfahrungen in einem strukturierten Lerntagebuch darzulegen. Gegen Ende jeder Sitzung wurde ausreichend Zeit zur Verfügung gestellt, um Eintragungen zu den Lerninhalten des Tages, zum Lernfortschritt und zur Lernreflexion vorzunehmen.

Für die Datenerhebung sowohl im Vorfeld wie auch nach Abschluss der Kursphase haben wir uns für einen Mix aus qualitativen und quantitativen Elementen entschieden. Den Hauptteil der Datengrundlage bilden Interviews, die mit den Teilnehmenden nach Abschluss der Kursphase geführt wurden. Unser konkretes Interesse lag in der Verdeutlichung der aktiven Erfahrung der Teilnehmenden. Wie bewerten sie das veränderte Kursangebot mit den verwendeten Modulen? Bilden die ausgesuchten Komponenten in ihrer Kombination ein tragfähiges Konzept, das zukunftsweisend sein kann?

Folgende Kernaussagen lassen sich nach Abschluss der Auswertung treffen:

a) Deutliche Akzeptanz der im Kurs integrierten SGL-Module

Im Abschlussfragebogen und in den sich anschließenden Interviews äußerten sich die meisten Teilnehmenden zufrieden mit ihrem persönlichen Lern­erfolg. Es zeigte sich eine allgemein sehr hohe Akzeptanz der erstellten Lernumgebung und der neuen Kursform. Sofern »traditionelle« kursorische Settings der Erwachsenenbildung bekannt waren, wurden die neuen Lernelemente als überlegen bewertet.

b) Positives Erleben der Freiheiten im Lernprozess

Die Elemente der Selbststeuerung (z.B. freie Zeiteinteilung in den Selbstlernphasen und die damit einhergehende individuelle Bearbeitung der einzelnen Themen sowie die Wahl des eigenen Lernwegs) wurden als besonders positiv vermerkt. Trotz bestehender Bedenken, dass die Lernenden von einzelnen praktischen Elementen des selbstgesteuerten Lernens abgeschreckt werden könnten, haben wir festgestellt, dass ihnen die Selbststeuerung der eigenen Arbeitsprozesse entgegenkam. Viele berichteten zudem, dass sie sich während der Arbeit in den Selbstlernphasen ernst genommen fühlten; die Rede war hier vom »erwachsenengerechten Lernen«.

c) Motivation durch aktive Beteiligung

Die Kursteilnehmenden berichteten zudem von einer »aktiveren« und »besseren« Aneignung des Lernstoffes, die das Kursgeschehen geprägt habe. Als verantwortlich hierfür wurde in erster Linie die Möglichkeit genannt, direkten Einfluss auf das Kursgeschehen nehmen zu können. Den eigenen Lernweg anhand der drei aufgezeigten Wege selbst zu wählen, stellte für die Teilnehmenden eine erste Herausforderung dar, die den Weg zu aktivem Handeln öffnete und Motivation für die weitere Struktur des Kurses erzeugte.

d) Mangelnde Akzeptanz des Lerntagebuches und der Lernberatung

Mit Zurückhaltung reagierten die Kursteilnehmenden zumeist auf das Angebot des Lerntagebuchs. Die Möglichkeit, gegen Ende jeder Lerneinheit und nach Abschluss des Kurses Eintragungen vornehmen zu können, wurde nicht von allen genutzt. Als Begründung dafür wurde teilweise Zeitknappheit genannt, teilweise wurde auch prinzipiell in Frage gestellt, ob das Lerntagebuch geeignet sei, hilfreiche Anregungen für die Reflexion des eigenen Lernens zu geben. Lernberatung wurde ebenfalls selten in Anspruch genommen; eine Ausdehnung dieser Möglichkeit wurde in der Regel nicht als nötig angesehen. Gleichzeitig wurde allerdings auf die Lernbegleitung als stabilisierenden, »Sicherheit gebenden« Faktor hingewiesen. Eine genauere Analyse des hierfür verantwortlichen Ursachengeflechts konnte noch nicht geleistet werden.

e) Korrelation zwischen Bildungsgrad und der Affinität zu SGL-Elementen

Durch die fehlende Ankündigung der SGL-Elemente im Kursheft wurde sichergestellt, dass Teilnehmende sämtlicher Bildungsgrade in die beiden Kurse integriert werden konnten. Hier zeigte sich allerdings eine deutliche Korrelation zwischen dem Bildungsgrad und der Affinität zu den SGL-Elementen sowie zwischen Bildungsgrad und Lernreflexivität. Ein höherer Bildungsgrad scheint hier mit einer höheren Präferenz für SGL und einer stärker ausgeprägten begrifflichen und kategorialen Fähigkeit zur Reflexion des Lernens einherzugehen.

Die Erfahrung des Projekts zeigt, dass die Integration von Elementen des selbstgesteuerten Lernens für die Lernenden von großem Nutzen sein kann. Selbststeuerung bietet die Chance zur eigenverantwortlichen Aneignung des Lehrstoffes und erhöht die Motivation im eigentlichen Kursgeschehen. Freiheiten werden von den Teilnehmenden entdeckt und auch bereitwillig genutzt. Den Kursleiter ersetzen kann und will diese neue Lernform allerdings nicht. Er gibt zwar einen Teil der Steuerung an die Lernenden ab, behält sich aber die Möglichkeiten vor, die Materialien zu strukturieren und aufzubereiten. Unter diesen Bedingungen erscheint es wünschenswert, Selbstlernphasen verstärkt in kursorische Lehr-/Lernsettings zu integrieren. Aus den soziodemographischen Aspekten ergibt sich allerdings ein Bedarf nach Kursleitungsfortbildungen, die didaktische und die Lernreflexion betreffende Kompetenzen vermitteln.

Literatur

Dietrich, S./Herr, M. (2005): Support für integrierte Organisations- und Personalentwicklung. In: dies. (Hrsg.): Support für Neue Lehr- und Lernkulturen. Bielefeld, S. 31–57

Faulstich, P./Forneck, H.J./Knoll, J. u.a. (2005): Lernwiderstand – Lernumgebung – Lernberatung. Empirische Fundierungen zum selbstgesteuerten Lernen. Bielefeld

Forneck, H J./Springer, A. (2005): Gestaltet ist nicht geleitet – Lernentwicklungen in professionell strukturierten Lernarchitekturen. In: Faulstich, P. u.a. (2005) (a.a.O.), S. 94–161

Kemper, M./Klein, R. (1998): Lernberatung. Gestaltung von Lernprozessen in der beruflichen Weiterbildung. Baltmannsweiler

Siebert, H. (1996): Didaktisches Handeln in der Erwachsenenbildung: Didaktik aus konstruktivistischer Sicht. Neuwied

 

Uwe Feldbusch (l.) ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Erziehungswissenschaften der Philipps-Universität Marburg und arbeitet als Dozent in der Erwachsenenbildung.

Patrick Möser (r.) hat Erwachsenenbildung an der Justus-Liebig-Universität Gießen studiert und arbeitet als Freiberufler in der Erwachsenenbildung im Raum Gießen/Marburg.