Dirk Koob
Geht es nach dem im April 2008 vom Europäischen Parlament und Rat gebilligten »European Qualifications Framework for Lifelong Learning«(EQF), dann wird immer wichtiger, was jemand tatsächlich weiß und kann. Wo, wie lange oder mit welchen formalen Abschlüssen bestimmte Kompetenzen erworben wurden, soll keine Rolle mehr spielen. Ziel des EQF ist es zunächst, die unterschiedlichen nationalen Qualifikationssysteme zu verbinden, indem national bescheinigte Qualifikationen in eine kompetenzorientierte Einheitssprache übersetzt werden.
Die Systematik des Referenzsystems besteht in der Verbindung dreier Elemente: 1. Niveaustufen, 2. Lernergebnisse (unterteilt in Kenntnisse, Fertigkeiten und Kompetenz [»Kompetenz« meint dabei vor allem Verantwortung und Handlungsautonomie]) sowie 3. die Lernergebnisse spezifizierende Deskriptoren. Die acht Niveaustufen umfassen sowohl ganz grundlegende als auch die i.d.R. mit den höchsten akademischen oder beruflichen Abschlüssen einhergehenden Kenntnisse und Fertigkeiten (vgl. das »Dokument zum Thema« und S. 32/33).
Mit diesem Rahmen soll es leichter werden, zwischen verschiedenen institutionellen Bildungsbereichen sowie nationalen Bildungssystemen hin und her zu wechseln. Mobilität und Transparenz auf dem europäischen Arbeitsmarkt könnten sich durch die Einführung dieses Referenzsystems deutlich steigern.
Über die Ausarbeitung nationaler Qualifikationsrahmen (NQR) soll die Einführung des EQF auf nationaler (aber auch sektoraler) Ebene koordiniert werden. Ein NQR soll also Qualifikationen unter nationalen Gesichtspunkten systematisieren und bis 2010 an den EQF koppeln. Obgleich der EQF keinen Verbindlichkeitscharakter hat, wird den europäischen Staaten empfohlen, bis 2012 in allen individuellen Qualifikations- oder Kompetenzbescheinigungen darauf zu verweisen, welchen Stellenwert Erlerntes im Sinne des EQF besitzt. Deutschland folgt dieser Empfehlung mit der Ausarbeitung des Deutschen Qualifikationsrahmens (DQR) unter der Federführung des Bundesbildungsministeriums (vgl. aus der Arbeitsgruppe DQR den Beitrag von Deißinger, S. 25 ff.).
Für die Erwachsenenbildung ergeben sich mit EQF und DQR drei wesentliche Diskussionsstränge:
Abschließend sei noch eine kritische Anmerkung gestattet. Laut Europäischem Rat soll die EU nicht zuletzt durch die Förderung des lebenslangen Lernens zum wettbewerbsstärksten Wirtschaftsraum der Welt werden (Lissabon-Strategie aus dem Jahr 2000). Der EQF ist somit eingebettet in einen kaum mehr hinterfragten politischen Diskurs, in dem Menschen zunehmend auf ihre ökonomisch verwertbaren Kompetenzen reduziert zu werden drohen. Im EQF ist der Einzelne dann letztlich das, was er auf dem Arbeitsmarkt an verwertbarem und distinktionsfähigem Wissen und Können anzubieten hat. Selbst die hintersten Winkel seines Lebens werden nun daraufhin ausgeleuchtet. Der Einzelne bekommt einen instrumentellen Um-zu-Charakter, ist – existentialistisch formuliert – bloß noch »zuhanden«.
Diese Anmerkung bedeutet mitnichten eine Absage an die hinter dem EQF stehenden Ambitionen. Aber es bleibt eine Herausforderung für die europäischen Staaten, überschießende utilitaristische Tendenzen des EQF im Auge zu behalten. Es sind eben nicht nur Fragen der technischen Umsetzung, die wir im Rahmen der Diskussionen um ein vereinheitlichendes, transnationales Referenzsystem zu beantworten haben. Wir müssen ebenso klären, welches Menschenbild hierüber propagiert wird, und welche Gesellschaft(en) wir eigentlich wollen.
Literatur:
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PD Dr. Dirk Koob ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Programm »Professionalität« am Deutschen Institut für Erwachsenenbildung(DIE).