DIE Zeitschrift für Erwachsenenbildung

»Podcasts« als neues Medienformat der Erwachsenenbildung

Bildung für die Westentasche?

Frank Berzbach

Der Computerhersteller Apple hat von Oktober bis Dezember 2005 weltweit etwa 14 Millionen iPods verkauft, insgesamt in den letzten Jahren 42 Millionen Stück (vgl. TIME Magazine vom 23. Januar, S. 13). In den Industriestaaten muss man daher keinem Twentysomething erklären, was ein iPod ist. Es ist der Name für einen schicken, kleinen und tragbaren MP3-Player, auf dem bis zu 60 Gigabite Daten Platz finden. Das Gerät ist kleiner als eine Zigarettenschachtel, bietet aber Speicherplatz für die größte CD-Sammlung: Nach Angaben des Herstellers lassen sich 15.000 Songs oder 150 Stunden Video auf einem iPod speichern. Aber auf ein solches Gerät lassen sich natürlich nicht nur Madonna oder Mozart kopieren, sondern auch Lesungen, Hörbücher oder Radio- und Videosendungen. Hat der Podcast auch das Zeug zum Bildungsmedium?

Das Kunstwort Podcast ist zusammengesetzt aus iPod und broadcast und bezeichnet Radio- oder Videosendungen, die über eine freie Software umsonst abonniert werden können. Das Produzieren dieser Sendungen ist auch für private Anbieter sehr einfach, außer einem Internetanschluss ist nur eine Soundsoftware notwendig – fertig ist das eigene Radiostudio. Die Anzahl der angebotenen Podcasts ist inzwischen unüberschaubar geworden, auf den Hitlisten der beliebtesten Sendungen wechseln die Plätze täglich.

Eine der größten Anbieterplattformen ist der apple-music-store, der über die iTunes Software angesteuert wird. (Das Programm erwirbt man mit dem Kauf eines iPod oder lädt es sich aus dem Netz.) Schaut man sich die Liste der 100 erfolgreichsten Podcasts dort an, dann findet man neben privaten Anbietern die Sendungen von etablierten Radio- und Fernsehsendern oder von Konzernen. So rangieren die „ARD-Tagesschau", ein „Mercedes-Benz-Podcast" oder Sendungen vom Deutschlandradio, vom WDR oder NDR unter den ersten 100. Die Sendungen lassen sich per Mausklick kostenlos abonnieren und jederzeit kündigen, sie werden täglich herunter- geladen – bei DSL natürlich kein zeitliches Problem mehr – und liegen als Datei bereit. Ob man sich die Daten als Audio- oder MP3-CD brennt oder gleich auf einen tragbaren iPod kopiert, bleibt dem Nutzer überlassen.

Die bisher verhaltene Medienresonanz zum Thema Podcasts in Deutschland täuscht über die große Verbreitung hinweg. In USA ist Podcast zum Wort des Jahres gekürt worden, es hat selbst bird flu ausgestochen. Mit dem Podcasting deutet sich eine kleine Revolution an, von der die etablierten Medien nicht unberührt bleiben werden. Und wenn man im apple-music-store in der Rubrik Podcasts das Wort »Bildung« anklickt, dann wird schnell deutlich, dass diese Medienrevolution auch die Erwachsenenbildung betreffen könnte. Denn auch das Angebot zu Bildung und Erziehung ist nicht mehr zu überblicken, es stammt aber derzeit noch fast vollständig aus den USA und Großbritannien. Der englische »Podcast for Educators« zum Beispiel bietet Pädagogen einen ständigen Überblick über neue Podcasts, dessen Einsatz in Bildungszusammenhängen empfohlen werden kann. Hinter dem US-amerikanischen »Education Podcast Network« verbirgt sich ein qualitativ hochwertiger Radiosender mit einem breiten Themenspektrum allein für die pädagogische Profession. Ein »Podcast for Teachers« wird aus der Bronx in New York gesendet und thematisiert, was die Pädagogen des Stadtteils bewegt, bietet Interviews mit Experten und vieles mehr.

Viele Podcasts widmen sich Problemen der komplizierten Software der Grafikdesign-Welt, die traditionell von Apple-Rechnern dominiert ist. Sehr verbreitet sind aber auch Sendungen zum Sprachenlernen, insbesondere zum Englischlernen. »English as a second language« (ESL) wird produziert vom »Center of Educational Development« in Los Angeles. Dr. Jeff McQuillan aus »beautiful California« dürfte inzwischen einer der erfolgreichsten Englischlehrer geworden sein: Sein ESL-Podcast bewegt sich ständig unter den ersten 20 weltweit, er wird täglich gesendet (bei einer Länge von 15 bis 20 Minuten) und ist immer gleich aufgebaut. Eine kleine Story mit Themen des Alltags wird langsam auf Englisch vorgetragen, im zweiten Teil werden Redewendungen und Vokabeln auf Englisch erklärt. Im letzten Teil wird die Story wiederholt, »in a native rate of speech«. So lernt man ein Hotel zu buchen, Kollegen »in a polite way« zu kritisieren, erfährt die Hintergründe zum Halloween-Feiertag oder das nützliche Vokabular zum »bar-hopping until closing time«. Die unverkrampft pragmatische Art der amerikanischen Unterrichtskultur macht die Sendung hilfreich und unterhaltsam zugleich. Auf der Website des Instituts finden sich Rückmeldungen aus der ganzen Welt.

Auch in Deutschland gehen erste »Edutainment-Portale« online. Im »Abenteuer Lernen«-Podcast berichtet Dr. Luise Maria Sommer (nicht zu verwechseln mit Dr. Sommer der Bravo!) Tipps zum Gedächtnistraining. Auf dem zugehörigen »Podcast Autobahn College« gibt es NLP, Verkaufstraining und Lebenskunst umsonst als Abo.

Die Begeisterung über die hohen Speicherkapazitäten tragbarer MP3-Player und über die kostenlosen neuen Radio- und Videoformate ist verständlich. Dennoch hinterlässt der Fortschritt, wie Karl Kraus es sagte, auch Fußschweiß. Was mitteilungssüchtige Privatpersonen produzieren, kann qualitativ überaus fragwürdig sein. Unterhaltung, Bildung und Trash gehen dabei ineinander über, meist allerdings nicht zum Vorteil der Bildung. Auch die professionellen Anbieter erzeugen bestenfalls indirekte Werbeeffekte, haben aber keine neue Einnahmequelle der aufwendig und oft täglich produzierten Sendungen.

Aus erwachsenenbildnerischer Perspektive betrifft die Verbreitung von Podcasts (noch) primär den Bereich des selbstorganisierten Lernens. Der große Vorteil der Sendungen liegt zur Zeit in ihrer Kostenfreiheit – ein nicht zu unterschätzender Aspekt – sowie in der räumlichen und zeitlichen Emanzipation der Radio- und Videosendungen. Die qualitativ hochwertigen Radiosendungen des Deutschlandfunks, systematische Sprachkurse, anspruchsvolle Hörspiele und Musik lassen sich nun in der Westentasche tragen. Das neue Medienformat tritt somit nicht in Konkurrenz zum Fernsehen oder Radio – die »ARD-Tagesschau« ist einer der erfolgreichsten Podcasts – sondern in Konkurrenz zum Lesen. Auch das längste Hörbuch passt spielend auf den iPod, warum noch selbst lesen? Der passive Rezeptionsvorgang des Zuhörens ist mit dem kreativen des Selbstlesens allerdings nicht zu vergleichen. Für die Entwicklung der Lesekompetenz von Erwachsenen, und auch hier gibt es Defizite, dürfte das Lesen wichtiger sein als das bloße Zuhören. Bei dominanter Nutzung könnte der iPod daher auch zu einem Medium der Faulheit avancieren, wenn er an die Stelle jeglicher ambitionierter Lektüre tritt. Andererseits zeigt der Boom der Hörbücher, dass die Klassiker der Weltliteratur eine Renaissance erfahren, vielleicht dient der iPod hier als Einstiegsdroge. Eine höhere Dosierung bleibt dann der klassischen organisierten Erwachsenenbildung vorbehalten.

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