DIE Zeitschrift für Erwachsenenbildung

Wachstumsbedeutung von Bildung

 

Bildungsökonomische Überlegungen

Björn Paape
Dr. phil. Dr. paed. Dipl.-Kfm. Björn Paape, M.E.S., lehrt Bildungsökonomie am Lehrstuhl für Wirtschaftswissenschaften und Didaktik der Wirtschaftslehre der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen.

 

Worin bestehen die Zusammenhänge zwischen Bildungspolitik, lebenslangem Lernen und wirtschaftlicher Entwicklung? Welche Bedeutung haben Bildungsinvestitionen und ein entsprechendes Bildungsniveau der Bevölkerung für die Volkswirtschaft? – Björn Paape umreißt die bildungsökonomische Frage nach der Wachstumsbedeutung von Bildung in ihrer historischen und aktuellen Dimension und geht auf weiterhin bestehende Probleme bei der Anwendung solcher Überlegungen auf Bildungsplanung und Politikberatung ein.

Abstract:
The discipline of educational economy investigates connections between the educational system and the economical development, between education policy and lifelong learning. In the sixties, the relevance of financial investments in education and learning and their impact on economical growth, the social relevance and the proceeds of immaterial intellectual capital were major topics. In the Federal Republic of Germany, Picht’s alarming prognosis that without drastic changes in education policy and the educational system an "educational catastrophe" would be unavoidable is determining the discussion until today. Still, the problem of transferring the results of educational economy to educational planning and policy has not been solved. As a consequence there is no consistent funding system for lifelong learning in Germany.

 

Nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte sich die Erforschung des wirtschaftlichen Wachstums zu einem zentralen Thema der wirtschaftstheoretischen und wirtschaftspolitischen Literatur. Bedingt durch den Kampf um Wachstumsraten zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit in den Staaten der Europäischen Union hat die Suche nach den Determinanten des wirtschaftlichen Wachstums bis heute nicht an Bedeutung verloren. Die Disziplin der Bildungsökonomie untersucht in diesem Rahmen den Zusammenhang zwischen Bildungswesen und wirtschaftlicher Entwicklung in theoretisch-systematischer Absicht; die Bildungspolitik erhofft sich hiervon wichtige Planungs- und Entscheidungshilfen.

Selbst wenn heute finanzpolitische Restriktionen die bildungspolitische Szene beherrschen, ist die Bildungsökonomie keine Modeerscheinung vergangener Zeiten. Im Gegenteil: Jugendarbeitslosigkeit, Langzeitarbeitslosigkeit und fortschreitende Rationalisierungsanstrengungen der Wirtschaft im Zeichen der Globalisierung signalisieren auch für die kommenden Jahre die Notwendigkeit, sich mit dem komplexen wirtschaftlichen, sozialen und politischen Bedingungsgefüge der Bildungspolitik und insbesondere dem Phänomen des "lifelong learning" auseinanderzusetzen. Die nachstehende Formulierung fasst die besondere Stellung, die dem lebenslangen Lernen hinsichtlich eines Wirtschaftswachstums zugeschrieben wird, zusammen: "Bleibt das Arbeitsvolumen konstant, dann wird das Wachstum des Inlandsproduktes allein bestimmt durch Umstände, die die Arbeitsproduktivität erhöhen: größerer Kapitaleinsatz je Arbeitsplatz, technischer und organisatorischer Fortschritt, Verbesserung der Beschäftigten-, Betriebsgrößen- und Branchenstruktur, bessere Ausbildung der Arbeitskräfte, erhöhte Intensität der Arbeitsleistung. Die meisten Wege zu höherer Arbeitsproduktivität gehen über höhere Investitionen – Investitionen in den Menschen und weniger Investitionen in Sachkapital" (Huisken 1972, S. 306).

Zur Erläuterung dieser Überlegungen soll im Folgenden eine Orientierungshilfe zum Verständnis der Rolle der Bildungsökonomie bei der Aufarbeitung der Zusammenhänge von Bildungspolitik, lebenslangem Lernen und wirtschaftlicher Entwicklung gegeben werden.

Am Anfang der Bildungsökonomie steht der "Wert". Die Bildungsökonomie fragt nach dem Nutzen, dem Ertrag der ökonomischen Potenz der Bildung. Das Denken in Wertkategorien wird nur verständlich, wenn man sich vergegenwärtigt, dass die ökonomische Theoriebildung seit ihrer Entstehung im Kern eine Werttheorie ist. Dies gilt sowohl für die Klassiker der Nationalökonomie wie Smith und Ricardo als auch für die Vertreter der Kritik der politischen Ökonomie wie Marx und Engels. Für Adam Smith ist der eigentliche Schöpfer des gesellschaftlichen Reichtums die Arbeit, mit deren Hilfe die Menschen Güter für den Eigenverbrauch oder den Tausch produzieren. Durch die Arbeit werden damit Werte geschaffen, wobei der Faktor Arbeit aber durch die Mitwirkung der Faktoren Boden und Kapital ergänzt wird. Das Bindeglied ist die klassische Produktionskostentheorie, der zufolge der Preis die Anteile aller drei Produktionsfaktoren decken muss.

In der Bundesrepublik – wie auch in anderen westlichen Ländern – rückte im Laufe der sechziger Jahre eine Fragestellung in den Vordergrund, die als eine der Grundfragen der Bildungsökonomie bezeichnet werden darf: Welche Bedeutung haben Bildungsinvestitionen und ein entsprechendes Bildungsniveau der Bevölkerung einer Volkswirtschaft für deren Wohlstandsmehrung? Dabei hat eine derartige Fragestellung nach der Wachstumsbedeutung von Bildung und nach der gesellschaftlichen Relevanz und den Erträgen eines sogenannten immateriellen geistigen Kapitals – wie die Dogmengeschichte der Nationalökonomie belegt – eine lange Tradition.

Für die Nutzenanalyse von Bildungsinvestitionen ist dabei auf drei Komponenten zu verweisen: Erstens äußert sich der Nutzen in steigender Arbeitsproduktivität und in steigenden Gewinnen (bzw. sinkenden Verlusten); eine zweite Nutzenkomponente wächst den Erwerbstätigen in Form von höheren Löhnen und Gehältern zu; und schließlich erzielt der Staat ein höheres Steueraufkommen bei geringeren Sozialleistungen. Man kann jedoch nur vom Netto-Nutzen sprechen, wenn die Kosten der Investitionen bekannt sind, die den Nutzen abwerfen. Hierzu wäre eine gesonderte Humanvermögensrechnung erforderlich, wobei dies wiederum voraussetzt, dass das gesamte mit der Qualifizierung verbundene Kosten-, Ertrags- und Nutzengefüge bekannt ist.

Bilanzierungsprobleme

Die hier auftretenden Bilanzierungsprobleme können zur Folge haben, dass die Investoren (Staat und Unternehmen) den wahren Wert ihrer Humankapital-Investitionen nicht kennen und sich ggf. auf Teilbilanzen bzw. auf zu kurze Fristen konzentrieren, statt langfristig zu planen und zu berechnen. Auf der zweiten Seite der Kosten-Nutzen-Ebene der Investoren ist die Erwerbsbevölkerung zu finden. Zu den hier anfallenden Kosten gehören alle Formen des Einkommensverzichts sowie die unmittelbaren, im Qualifizierungsprozess anfallenden Ausgaben. Auf einfachem Analyseniveau können hier die aufsummierten Einkommen in einem bestimmten Alter mit und ohne die entsprechende Weiterqualifizierung verglichen werden (vgl. Kau 1998, S. 103). Auch hier liegen die Bilanzierungsprobleme auf der Hand, zumal neben rein monetären Analysefaktoren auch andere Aspekte wie der Erwerb von Sozialprestige durch höherqualifizierte Arbeit zu bilanzieren wären.

In der Bundesrepublik Deutschland hat die Disziplin der Bildungsökonomie im Jahre 1964 durch die Veröffentlichung von "Die deutsche Bildungskatastrophe" (Picht 1964) mit ihrer alarmierenden Analyse des Bildungssystems eine besondere Brisanz erhalten. Picht warnte vor einer "Bildungslücke", die eine sich abzeichnende "technologische Lücke" gegenüber den anderen entwickelten Industrienationen, insbesondere den USA, verstärken würde. Seine Prognose, dass ohne Veränderung der Bildungspolitik und des Bildungswesens eine "Bildungskatastrophe" unausweichlich sei, bestimmt bis heute die öffentliche Diskussion. Aufgrund der starken Betonung des ökonomischen Erfordernisses, eines kontinuierlichen Wirtschaftswachstums, wurden zunächst insbesondere ökonomische Theorieansätze und Untersuchungen herangezogen, um die Reform des Bildungswesens politisch zu begründen und anzuleiten.

Im Rahmen sehr genereller wachstumstheoretischer Annahmen über den Zusammenhang von wirtschaftlichem Wachstum, technischem Fortschritt und Struktur und Niveau der Qualifikation von Arbeitskräften schien es nach Picht erforderlich zu sein, den technischen Fortschritt durch die Veränderung der Qualifikationsstruktur der Arbeitnehmer anzuheben. Dahrendorff leitete das Motiv für verstärkte Anstrengungen im Bildungsbereich anders als Picht nicht so sehr von wachstumstheoretischen und volkswirtschaftlichen Begründungen ab, sondern eher aus dem Anspruch des Grundgesetzes, dass "Bürgerrecht auf Bildung ein soziales Grundrecht aller Bürger" (1965, S. 23) sei.

Bildungsökonomische und auch sozialpolitische Argumentationen, wie sie exemplarisch von Picht und Dahrendorff vertreten wurden, führten schließlich zu der für diesen Zeitabschnitt charakteristischen generellen Konzeption einer "aktiven" (Weiter-)Bildungspolitik. Diese zielte darauf ab, durch eine Expansion des weiterführenden Teils des Bildungssystems, d.h. durch eine Steigerung der Absolventenzahl der weiterführenden Bildungseinrichtungen, den erwarteten qualifikatorischen Anforderungen der Wirtschaft zu entsprechen. In dieser generellen Konzeption ging es nicht um eine Neuorientierung der Lehrpläne der beruflichen Erstausbildung; vielmehr schien es zentrale Aufgabe zu sein, die Übergangsquoten zu den weiterführenden Bildungseinrichtungen zu erhöhen.

Um in diesem Zusammenhang die Bedeutung von lebenslangem Lernen als Prozess der Humankapitalbildung einschätzen zu können, ist es nützlich, eine Analogie zu den natürlichen Ressourcen eines Landes (Ackerland, Erzlager etc.) herzustellen. In unbearbeitetem Zustand und aus sich selbst heraus ergeben diese Ressourcen so gut wie keine brauchbaren Produkte. Nachdem sie jedoch vom Menschen und unter Einsatz von Maschinen und Energie bearbeitet worden sind, erbringen sie "Ernten". Nach der Erschließung bilden natürliche Ressourcen eine Art Kapital, wobei jeder Ressourcentyp einige besondere Eigenschaften aufweist; ihnen ist jedoch die wesentliche Eigenschaft gemeinsam, nach irgendeiner anfänglichen Investition über einen Zeitraum hinweg Güter und Leistungsströme zu erbringen. Der Begriff "Bildung" beschreibt hier die Entwicklung einer natürlichen Ressource zu produktivem "Kapital", welches zu einer Verbesserung der Arbeitsproduktivität und zu erweiterten Leistungsströmen führt.

Bildungsökonomische Überlegungen und Bildungsplanung

Der forcierte Ausbau des weiterführenden Bildungssystems erscheint daher als richtige Strategie zur Sicherung wirtschaftlichen Wachstums einerseits und der Einlösung sozialpolitischer Forderungen andererseits. Dennoch resultieren aus der Anwendung theoretischer bildungsökonomischer Überlegungen auf die konkrete Bildungsplanung und Politikberatung erhebliche Probleme. Bis heute kann keine der bildungspolitischen Grundsatzfragen "wissenschaftlich" gesichert beantwortet werden, sei es die zuverlässige Prognose des Arbeitskräftebedarfs der Wirtschaft, die Lenkung der individuellen Nachfrage nach Weiterbildung oder die Steuerung von Zugang, Durchlauf und Output des Weiterbildungssystems.

Die Folgen hieraus sind von erheblicher Reichweite: So ist die Struktur eines systematischen lebenslangen Lernens und der beruflichen Weiterbildung in der Bundesrepublik mit wesentlich geringeren Konturen behaftet als die Konzeption der beruflichen Erstausbildung. Belegt werden kann dies an der geringen Zahl der Qualifizierungsordnungen im Bereich der beruflichen Weiterbildung mit der Möglichkeit eines zertifizierten Abschlusses.

Auch ein konsistentes Gesamtfinanzierungssystem im Bereich des lebenslangen Lernens besteht nicht. So wird im Umfeld der beruflichen Weiterbildung der Hauptanteil der Investitionen in Humanressourcen durch die Betriebe selbst im Rahmen ihrer Personalrekrutierungspolitik und -entwicklungspolitik betrieben. Der institutionell auf gesetzlicher Grundlage basierte Finanzierungsanteil ergibt sich nach den – steten Änderungen unterworfenen – Bestimmungen des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG). Dabei wird die aus den Solidarbeiträgen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern finanzierte AFG-Weiterbildung inzwischen nur noch für Umschulungen von Arbeitslosen verwendet, was einen kontinuierlichen Abbau von ehemals erbrachten Förderleistungen für berufliche Anpassungs- und Aufbrachten Förderleistungen für berufliche Anpassungs- und Aufstiegsfortbildungen bedeutet. Dieser Abbau wird auch durch das kürzlich in Kraft getretene Aufstiegsfortbildungsgesetz (AFBG) weder im Hinblick auf die Zielgruppenorientierung noch in Bezug auf das bereit gestellte Finanzierungsvolumen und die individuelle Förderhöhe kompensiert. "Der Personenkreis, der in den Genuss von Leistungen aus diesem Gesetz kommen kann, ist eingeschränkt durch die Anknüpfungen an Einkommensgrenzen, ein hohes Mindestzeitvolumen und besteht aus verlorenen Bundeszuschüssen in Höhe von 35% und gewährten Darlehen in Höhe von 65%. Darüber hinaus ist die Höchstdauer der Aufstiegsfortbildungsmaßnahmen festgelegt. Es besteht kein Rechtsanspruch auf Förderung, sondern nur eine Finanzierungsmöglichkeit im Rahmen zur Verfügung stehender Haushaltsmittel" (Kath 1998, S. 78).

Literatur

Dahrendorff, R.: Bildung ist Bürgerrecht. Hamburg 1965

Huisken, F.: Zur Kritik der bürgerlichen Didaktik und Bildungsökonomie. München 1972

Kath, F.: Finanzierung der Berufsbildung. In: Aspekte beruflicher Aus- und Weiterbildung im europäischen Vergleich, hrsg. vom Bundesinstitut für Berufsbildung. Berlin 1998, S.65-100

Kau, W.: Kosten und Nutzen der beruflichen Bildung auf der mikroökonomischen Ebene. In: Aspekte beruflicher Aus- und Weiterbildung im europäischen Vergleich, hrsg. vom Bundesinstitut für Berufsbildung. Berlin 1998, S.101-180.

Picht, G.: Die deutsche Bildungskatastrophe. Freiburg 1964


Deutsches Institut für Erwachsenenbildung
Dezember 1999

Björn Paape, Wachstumsbedeutung von Bildung. Online im Internet:
URL: http://www.diezeitschrift.de/12000/positionen1.htm
Dokument aus dem Internetservice Texte online des Deutschen Instituts für Erwachsenenbildung
http://www.die-bonn.de/publikationen/online-texte/index.asp