DIE Zeitschrift für Erwachsenenbildung

Stichwort: »Weiterbildung und Zeit«

Peter Brandt

In den Begriffen »Lernen« und »Bildung« schwingen Zeitdimensionen mit: Sie heben, je nach Begriffsverwendung, mehr auf die Gegenwart des Lehr- und Lernhandelns im Hier und Jetzt ab oder auf dessen Woraufhin in einer näheren oder ferneren Zukunft. Implizit schwingt auch die Vergangenheit mit, in der Lernvoraussetzungen grundgelegt und anschlussfähiges Vorwissen erworben worden ist. In der Rede vom »lebenslangen« Lernen gerät die Temporalstruktur sogar zum essentiell Bezeichnenden des Begriffs.

So verwundert es, dass nur selten eine eigentlich pädagogische Befassung mit Zeit erfolgt und die Ausarbeitung eines pädagogischen Zeitbegriffs merkwürdig gering entwickelt ist. Darauf machen von Mollenhauer (1981) bis Schmidt-Lauff (2007) diejenigen Autor/inn/en aufmerksam, die dem Thema in jüngerer Vergangenheit Beachtung geschenkt haben. Möglicherweise wird die Kategorie Zeit als grundlegend, aber eher zu banal erachtet, vielleicht ist aber auch die disziplinäre Zuständigkeit für »Zeit« im wissenschaftstheoretischen Kontext zu unübersichtlich.

Für die physikalische Zeit, die auf den Menschen eine zwingende Kraft auszuüben scheint, scheinen primär die Naturwissenschaften zuständig, hier ist die lineare Zeit ebenso beheimatet (ablesbar etwa am Alter des Alls) wie die zyklische Zeit (als Interpretation der Wiederkehr der Tages-, Mond- und Jahreszeiten). Die Philosophie arbeitet sich an dem Problem ab, dass Zeit zugleich Existenzbedingung als auch Erkenntnisgegenstand ist. Sie fragt, ob Zeit dem Menschen objektiv vorgegeben oder seine subjektive Konstruktion ist. Die Theologie bringt nichtlineare Zeitformen der »Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen« ins Spiel, wie sie etwa im katholischen Eucharistieverständnis, in Vorstellungen »Ewigen Lebens« oder auch in der jüdischen Kabbala ausgeprägt sind (vgl. hierzu die Geschichtsthesen Walter Benjamins mit seinem Entwurf »messianischer Zeit«). Soziologisch betrachtet hat Zeit eine koordinierende und integrierende Funktion für Gesellschaften. Zeit synchronisiert als kollektiver Maßstab soziale Prozesse vom Treffen zweier Liebender bis zur Bundestagswahl. Für kontinuierliche und zyklische Zeit sind hier so nützliche Instrumente wie Kalender und Uhr erfunden worden. Auf die historischen und regionalen Unterschiede der Zeitbestimmung und des Zeiterlebens hat Elias (1984) aufmerksam gemacht. Er definiert Zeit als die beeindruckende Syntheseleistung des Menschen, Dinge zueinander in Beziehung zu setzen, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten passieren.

Die Differenz zwischen kollektiver Zeit und Eigenzeit kennzeichnet einige pädagogische Bearbeitungen des Themas (vgl. Hribernik in diesem Heft). Den Graben zwischen (objektiv) gemessener und (subjektiv) gefühlter Zeit praktisch zu überwinden ist eine pädagogische Herausforderung – überall da, wo Menschen in vorgegebenen Zeitfenstern definierte Inhaltseinheiten mit je unterschiedlichem individuellen Zeiterleben lernen sollen oder wo ohne vorgegebene Zeitinstitutionen Lernen zu gestalten ist. Zudem sind didaktisch die Eigenarten des Lernens in der Zeit zu berücksichtigen (vgl. hierzu Dörpinghaus in diesem Heft oder zahlreiche Veröffentlichungen Karlheiz Geißlers, der z.B. darauf abhebt, dass die Annahme einer auf Gleichmässigkeit bedachten »Zeit-Verfüllung« dem Lernen nicht entspreche).

Die Spannung zwischen Individuum und Kollektiv setzt sich fort, wenn Lernzeiten – in Konkurrenz zu Arbeits-  und Freizeiten – zwischen ökonomischen Interessen, gesellschaftlichen Mustern (reguläre Schulzeit, Ausbildungszeiten, Studiendauer)  und individuellen Möglichkeiten und Präferenzen auszuhandeln sind (vgl. Schmidt-Lauff in diesem Heft). Hier hat in den vergangenen Jahren vermehrt eine Diskussion um Rahmenbedingungen auf staatlicher und betrieblicher Ebene stattgefunden, die weiterbildungsrelevant ist (vgl. exemplarisch Dobischat u.a. 2003).

Schließlich kann Zeit »Gegenstand« des Lernens sein: zunächst als einer der entscheidenden frühkindlichen Lerngegenstände, der Erfahrung von Raum zeitlich nachgeordnet (vgl. Rosa in diesem Heft). Im Erwachsenenalter ist Zeit – oder konkreter: der Umgang mit Zeit –ein Anlass, Bildungsveranstaltungen aufzusuchen (eine Exploration der Angebote haben Bachmayer/Faulstich 2002 publiziert, vgl. auch Faulstich 2003). Die Mehrzahl der Angebote ist auf den Erwerb instrumenteller Techniken gerichtet, Zeitknappheit oder Stress zu bewältigen oder Ruhephasen zu sichern (»Zeitmanagement«). Erwachsenenbildung kann hier Gefahr laufen, sich instrumentalisieren zu lassen. Nur wenige Veranstaltungen zielen auf Zeitreflexivität. Die Anbieterlandschaft ist breit, ein Schwerpunkt liegt im kommerziellen Bereich. Zeitsouveränität als selbstbestimmter Umgang mit einer knappen Ressource dürfte angesichts gesellschaftlicher Beschleunigungstendenzen (vgl. Rosa in diesem Heft) nicht das unwichtigste Bildungsziel sein.

Dr. Peter Brandt ist verantwortlicher Redakteur der DIE Zeitschrift für Erwachsenenbildung.