DIE Zeitschrift für Erwachsenenbildung

Neue KursleiterInnen braucht das Land?

Verunsicherungen um ein neues Professionsverständnis

Rosemarie Klein

Rosemarie Klein arbeitet als freiberufliche Trainerin für berufliche Bildungsplanung in Dortmund und ist wissenschaftliche Begleiterin im EUROPOOL-Frauenqualifizierungsprojekt „Individualisierung und Flexibilisierung von Lernprozessen in der beruflichen Bildung" in Hattingen.

„Sei teamfähig - aber setz' Dich durch. Sei kooperativ - aber stich Deine Konkurrenten aus": Kursleitende in der Weiterbildung sehen sich mit vielfach veränderten Anforderungen an das Selbst- und Rollenverständnis konfrontiert. - Aus Sicht der wissenschaftlichen Begleitung von Lernprozessen in der beruflichen Weiterbildung untersucht Rosemarie Klein, welche Anforderungen tatsächlich neu sind, und beschreibt „Reaktionstypen" von KursleiterInnen.

Viele KursleiterInnen in der Weiterbildung sind heute ,hauptberufliche Nebenberufler`. Daraus resultierende Verunsicherungen werden verstärkt durch die aktuelle Diskussion um ein neues Professionsverständnis der Lehrenden in der allgemeinen und beruflichen Erwachsenenbildung.

Hinsichtlich der KursleiterInnen neuen Typs finden sich aktuell Aussagen wie:

-  Es wird PädagogInnen in der Zukunft kaum mehr geben.1 Sie werden keine Lehrenden mehr sein, sondern LernbegleiterInnen, Coachs, ModeratorInnen, die Lernprozesse beraten und gestalten.

- Sie werden zu LernexpertInnen in der Steuerung von Lernprozessen und in der Förderung individueller Selbstlernkompetenzen.

- Sie nehmen als ,facilitators` Unterstützungsfunktion für die Selbststeuerung und Selbstorganisation des Lernens wahr.

-  Sie wandeln sich mit dem Einzug des multimedial gestützten Distanzlernens zu ,Tele-TutorInnen` und ,Online-ModeratorInnen`.

-  Durch die Entdeckung des Lernfeldes ,soziales Umfeld` werden sie zu ,InitiatorInnen` und ,SupporterInnen` von Lernprozessen.

Zu einer Aufgabenverschiebung kommt es im engeren Funktionsbereich des Lehrens: Ersetzt durch moderne Lerntechnologien sollen KursleiterInnen die Funktion des Verwaltens von Wissen, auch die der Wissensvermittlung abgeben, statt dessen mehr Verantwortung für die Gestaltung des Lernumfeldes übernehmen.

Bei genauerer Betrachtung wird deutlich, daß sich hier neue Anforderungen und alte Selbstverständlichkeiten mischen. Die Steuerung der Lernprozesse ist keine neue Aufgabe, ebensowenig die Unterstützung im Aufbau einer Selbstlernkompetenz der TeilnehmerInnen. Bei einigen Beschreibern der neuen Anforderungen wird man den Eindruck nicht los, daß sie auf der Folie einer längst überholten Erwachsenenbildungsrealität argumentieren, in der KursleiterInnen in Frontalunterricht ihre Kursabende mit dozierenden Vorträgen gestalten.

Ursachen für veränderte Anforderungen

Die veränderten Anforderungen an die KursleiterInnen ergeben sich in erster Linie aus veränderten Bedingungen der Erwerbsarbeit, aus den daraus resultierenden Veränderungen für die Individuen und nicht zuletzt aus den Möglichkeiten der neuen Lerntechnologien. Die aus gesellschaftlichen Veränderungsprozessen resultierenden Unsicherheiten für das Individuum liegen nicht nur in der Anforderung, sich in komplexeren, dezentralen Strukturen und mehrdimensionalen Entscheidungswelten zurechtzufinden und sich beruflich zu bewegen, sondern auch in den inneren Paradoxien der Anforderungsstrukturen: „Es sieht so aus, als ob von der Arbeitskraft der Zukunft alles gleichzeitig verlangt würde: Breite und Spezialisierung, Anpassungsfähigkeit und Beständigkeit, Innovationskraft und Eifer im Althergebrachten, Durchblick und klaglose Einordnung usf.".2

Gravierender erscheinen mir noch die Paradoxien unserer Konkurrenzgesellschaft in bezug auf die Bedeutung sozialer und personaler Kompetenzen zu sein, die Sprenger3 auf den Begriff bringt: „Sei teamfähig - aber setz' Dich durch. Sei kooperativ - aber stich Deine internen Konkurrenten aus. Identifiziere Dich mit dem Ganzen - aber belohnt wird nur Deine individuelle Leistung. Verhalte Dich gemeinschaftsdienlich - aber optimiere Deine Selbstdarstellung, schließlich muß man Dich ja auch beurteilen!"

Konkretisiert auf die KursleiterInnen heißt dies: Sie sollen ihre TeilnehmerInnen befähigen, die Anforderungen des lebenslangen Lernens in einer diskontinuierlichen Erwerbsbiographie bewältigen zu können. Dazu gehört das Schaffen von Voraussetzungen für ein lebenslanges Lernen: Angebote zum selbstgesteuerten und selbstorganisierten Lernen zu entwickeln, Lernen so zu gestalten, daß es als Bereicherung erfahrbar wird, persönlichkeitsstärkende Angebote zu machen und die Selbst-Lern-Management-Kompetenz der TeilnehmerInnen zu fördern.

Konsequenzen für das Aufgabenverständnis der KursleiterInnen

Rudolf Epping4 unterscheidet für die berufliche Weiterbildung Fachkompetenz, Arbeitsfeldwissen, Pädagogische Kompetenz, letztere als:

-  Didaktische Kompetenz als Befähigung, neue Bildungsinhalte aufgreifen und didaktisch aufbereiten zu können; Bildungskonzepte bewerten, kritisieren, verändern, auch entwickeln; Lernziele aufstellen, beschreiben, überprüfen.

-  Methodische Kompetenz im Sinne von Vermittlungskompetenz. Dazu gehören auch Kenntnisse über das Lernen Erwachsener, über lernförderliche und -hinderliche Faktoren, Kenntnisse über Zielgruppen und die Anwendungskompetenz verschiedener Methoden der Erwachsenenbildung.

-  Sozialkompetenz als Disposition, Lernen/Lehren als ein Geschehen zu begreifen, in dem rational-kognitive und sozial-emotionale Aspekte sich wechselseitig bedingen.

Vergleicht man dieses Anforderungsprofil, das für die 80er Jahre entwickelt wurde, mit aktuellen Anforderungen, so wird deutlich: Es geht nicht um eine Neukonstruktion im Kompetenz- und Aufgabenspektrum von KursleiterInnen, sondern um Anreicherung, Erweiterung und Akzentverschiebungen; dies läßt sich exemplarisch an den im Zusammenhang mit dem lebenslangen Lernen diskutierten Ansätzen zur Förderung selbständigen Lernens verdeutlichen.

Bei aller Unterschiedlichkeit liegt ein gemeinsamer Nenner in der Forderung, daß die Lernenden Aufgaben und Regeln im Lernprozeß stärker eigenverantwortlich bestimmen, daß es also weniger um KursleiterInnenorientierung als um LernerInnenorientierung geht. Daraus folgt: Die „klassische" Funktion nimmt ab, es gibt eher LernberaterInnen, die Lernende in ihrer Eigenständigkeit unterstützen. Es bleiben durchaus klassische Lehrformen wie kurze Inputs, Diskussions- und Präsentationsmoderation, Feedback und Kontrolle. Die Aufgabenschwerpunkte liegen jedoch vermehrt in der Vorbereitung und Gestaltung von Lernprojekten, von Lernmaterial und Lernmedien - zu letzterem werden zunehmend auch moderne Lernmedien gehören. Eine besondere Anforderung, durchaus im Sinne einer Bereicherung, liegt in der Herstellung lernförderlicher Umgebungen, in der situativen Beratung bei Schwierigkeiten Lernender und in begleitenden Angeboten wie z.B. Anleitungen zum selbständigen Lernen, Vermittlung von
Einzelfähigkeiten im Kontext der Förderung von Selbst-Lern-Management-Kompetenz u.ä.

LernberaterInnen sind also weniger die Vermittlungsinstanzen von Wissen, sondern Informationsquellen für Wissen. Lehrkompetenz erfährt eine Erweiterung um Beratungskompetenz. LernberaterInnen sollen Arrangeure eines individualisierten und flexibilisierten Lern-/Lehrprozesses, künftig also auch Designer von Lernumgebungen sein. Design im Sinne einer ästhetischen Strukturierung von Lernumgebungen weist auf eine weitere Veränderung hin: auf den Charakter von Dienstleistung im neuen Rollenprofil des/der Beratenden. LernberaterInnen werden gefordert sein, für Erfolgserlebnisse im Lernen Sorge zu tragen; über bekannte Formen der Erfolgskontrolle hinaus wird es ihre Aufgabe, Instrumente der Selbstkontrolle zu entwickeln, individuelle Lernreflexion zu fördern, eine Feedback-Kultur zu etablieren bis hin dazu, Sekundärfähigkeiten wie Metaplantechnik und Moderation zur Inszenierung von Präsentationen aus Gruppenlernphasen zu fördern. An Bedeutung gewinnen metakognitive Kompetenzen, zu denen ich die Reflexion eigener Denkprozesse zu Beobachtungen, Wahrnehmungen und Erfahrungen als Begründer professioneller Entscheidungen zähle, aber auch Fähigkeiten des Perspektivenwechsels zum Einfühlen in den Ablauf von Lernprozessen.

Reaktions-Typen von KursleiterInnen

Meine bisherigen Beobachtungen und Erfahrungen lassen eine erste, zwangsläufig noch grobe Typenbildung bei den KursleiterInnen zu:

-  Der interessiert-engagierte Typus begreift die Anforderungen als Chance, seine andragogischen Prinzipien endlich realisieren und weiterentwickeln zu können, und grenzt sich deutlich vom ,Schullehrer und Dozenten` ab. Wissensvorsprung und die Macht der Wissensvermittlung sind nicht mehr Gewißheitsträger in seinem professionellen Selbstverständnis und nicht leitend für sein Verhalten. Er eröffnet seinen TeilnehmerInnen ein hohes Maß an Selbstverantwortung für ihren Lernprozeß, begleitet nach dem Motto „soviel Unterstützung wie nötig, so wenig wie möglich" und kämpft innerhalb seiner Tätigkeit für die Herstellung bzw. Verbesserung infrastruktureller Voraussetzungen für eine Individualisierung und Flexibilisierung des Lern-/Lehrsettings.

-  Der skeptisch-neugierige Typus versetzt die Lernenden in ein Wechselbad der Gefühle, indem er einerseits das Innovative dieser Konzeption bekennt und seine damit verbundenen positiven Erwartungen formuliert, gleichzeitig aber mit seiner Skepsis nicht hinterm Berg hält. Für ihn ist mit dieser Orientierung die Balance zwischen Kontinuität und Innovation in seinem Professionsverständnis verlorengegangen. Er wird niemals neue Lerntechnologien (Lernsoftware, CBTs) ungeprüft in seinen Verantwortungsbereich aufnehmen. Erst bei entsprechenden Erfolgserlebnissen (Prüfungserfolge, Außenanerkennung) wird er sich vollständig mit den neuen Rollenanforderungen identifizieren.

-  Der skeptisch-ängstliche Typus mag sich innerhalb des Teams der neuen Entwicklung nicht verschließen, kann sich aber innerhalb der Konzeption nicht verorten. Sein Verhaftetsein im traditionellen Rollenverständnis, oft über lange Jahre praktiziert, läßt ihn die neue Konzeption aus Loyalität zum Arbeitgeber äußerlich akzeptieren, eine innere Bereitschaft stellt sich damit nicht her. Seine Skepsis äußert sich in zahlreichen Appellen an die LernerInnen, seine Kompetenz zu nutzen und in Anspruch zu nehmen. Er wird nicht zum Moderator und Begleiter von Lernprozessen, sondern zum teacher-on-demand.

-  Der skeptisch-ablehnende Typus untermauert seine Ablehnung der Konzeption mit moralischen oder Effizienz-Kategorien und schafft es durch implizite Drohungen, das traditionelle Lehr/Lern-Setting durchzuhalten. Er läßt sich auch durch Teamappelle oder Leitungsvorgaben nicht dazu bewegen, sich auf Neues einzulassen; insbesondere dann nicht, wenn er ein Fach repräsentiert, bei dem ein Austausch des Lehrpersonals aufgrund der Arbeitsmarktlage nur schwer zu realisieren ist.

Die aktuellen Tendenzen der Funktions- und Rollen-Umorientierung stellen für KursleiterInnen also einerseits Herausforderung, nicht selten aber auch Überforderung dar. Die konsequente Umsetzung eines ,Lernberater-Berufsbildes` basiert nicht nur auf dem Ernstnehmen und didaktisch-methodischen Einlösen dessen, was Tietgens als Grundhaltung formuliert hat: daß wir es in der Erwachsenenbildung mit mündigen BürgerInnen zu tun haben. Die darin implizierte Umorientierung zum ,Dienstleister`, der zunehmend notwendiger werdende kompetente Umgang mit neuen Lernmedien, der interdisziplinäre Blick, die Orientierung auf die Förderung weicher Kompetenzen, auf Identitätslernen usf. geht einher mit einem Abschiednehmen von Vertrautem: von der Fachkompetenz als erster und zentraler Kompetenz, von der Alleinverantwortlichkeit für den Lehr-/Lernprozeß, von der Politik der geschlossenen Tür. Sie verlangt darüber hinaus die Abgabe von Professionsmacht und Neudefinition von Professionsverantwortung: Erstere impliziert die gewagte Haltung, sich im Lern-/Lehrprozeß als zweite Instanz sehen zu können; letztere bindet die Mitverantwortung der Lernenden ein und verweist auf neue Grundhaltungen wie:
Lernende haben Stärken und Potentiale, die es zu erschließen gilt; Lernen kann nicht von außen entwickelt, wohl aber angestoßen und gefördert werden; Lerninteressen werden zu Ausgangspunkten für didaktische Entscheidungen; Lernprozeß und Lernergebnis sind gleichermaßen bedeutsam usf.

Dieses Anforderungsbündel wird um so mehr zur Zumutung, als die Arbeitsverhältnisse von KursleiterInnen vielfach instabil sind, der mit dem Einarbeiten in die neuen Strukturen verbundene Zeitaufwand kaum adäquat bezahlt wird und nicht zuletzt die Debatte um selbstgesteuertes und -organisiertes Lernen in ihrer Entgrenzungstendenz der Furcht Nahrung gibt, mit einer derartigen Orientierung an der Auflösung der eigenen Profession aktiv mitzuwirken. In diesem Zusammenhang sei abschließend auf eine andere Ebene von Anforderungen an KursleiterInnen verwiesen: Sie werden als ,LebensunternehmerInnen` in eigener Sache unternehmerische Kompetenzen ausprägen müssen; dazu gehört auch das Marketing eigener Beschäftigungen. Sie werden dem Anforderungsbündel des Aushaltens von Ungleichzeitigkeiten in diesem Existenzmodell kompetent begegnen lernen müssen. Sie werden die Bereitschaft und Befähigung zu lebenslangem Lernen, auch im Sinne eines individuellen Wettbewerbsvorteils, entwickeln und ausprägen müssen.

Vieles von den skizzierten Anforderungen entspricht bereits dem professionellen Selbstverständnis der Kursleitenden. Die Weiterentwicklung des Aufgaben- und Kompetenzspektrums von KursleiterInnen ist abhängig von den Fortentwicklungen der Einrichtungen. Wenn es im Verständnis einer lernenden Organisation im Prozeß der pädagogischen Personal- und Organisationsentwicklung gelingt, einerseits die Kompetenzen aller MitarbeiterInnen aufzugreifen und andererseits die Supportstrukturen zu schaffen, d.h. auch, den KursleiterInnen Fortbildungs-, Beratungs- und Supervisionsmöglichkeiten bereitzustellen, dann wären die Voraussetzungen gegeben, damit die KursleiterInnen ihren Beitrag auf dem Weg in eine unsichere Zukunft übernehmen und leisten können.

Anmerkungen

1 Glaubt man den Vertretern der „Selbstlernwende", werden zukünftig nur noch 2/5 der Lernenden in Bildungseinrichtungen, 3/5 selbstgesteuert lernen. Kritische Stellungnahme von E. Nuissl von Rein 1997. In: G. Dohmen (Hrsg.): Selbstgesteuertes lebenslanges Lernen? Bonn 1997

2 Dieter Mertens: Das Konzept der Schlüsselqualifikationen als Flexibilisierungsinstrument. In: H. Siebert/J. Weinberg (Hrsg.): Literatur- und Forschungsreport Weiterbildung, 1988, H. 22

3 Reinhard K. Sprenger: Das Prinzip der Selbstverantwortung. Wege zur Motivation. Frankfurt/M., New York 1996, S. 226

4 Rudolf Epping: Aufgaben- und Kompetenzspektrum von Lehrkräften in der beruflichen Weiterbildung. Soest: Landesinstitut für Schule und Weiterbildung 1990. Unveröffentlichtes Manuskript.