DIE Zeitschrift für Erwachsenenbildung

Katalysatoren neuer Politikmodelle

TeamerInnen in der gewerkschaftlichen Bildung

Claus-Dieter König
Claus-Dieter König ist Referatsleiter für Mitbestimmung und gewerkschaftliche Bildungsarbeit bei der GEW Hessen.

Was müssen KursleiterInnen, ReferentInnen, TeamerInnen in der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit können? Welche spezifischen Voraussetzungen und Kompetenzen sollen sie haben, worin unterscheiden sie sich von anderen Bildungsbereichen? - Claus-Dieter König beschreibt den Charakter und die Funktion gewerkschaftlicher Bildung und stellt idealtypische Anforderungen und Kompetenzen zusammen.

 1. Eine zentrale Funktion gewerkschaftlicher Bildung ist die Funktionärsschulung. Gewerkschaftliche Bildung muß zur Professionalisierung der Arbeit der ehrenamtlichen Funktionäre beitragen. Gerade die häufig unprofessionelle Gestaltung von Arbeitsprozessen und Gremiensitzungen erhöht die Belastung der einzelnen Funktionäre bei gleichzeitig geringer Effektivität. Deshalb gehören Inhalte und Methoden wie Selbst- und Zeitmanagement, Projektplanung und -controlling, Gestaltung von Sitzungen, Mitarbeiterführung, Rhetorik und Moderation zum Standardrepertoire gewerkschaftlicher Bildung. TeamerInnen müssen diese Methoden beherrschen und vermitteln können.

Das Projekt „Gewerkschaftliche Bildungsarbeit" in der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft hat ein Konzept „Vorstandstraining/Vorstandsberatung" entwickelt. Dabei sollen Vorstandsgremien (insbesondere Kreisvorstände) die formellen und informellen Strukturen ihrer eigenen Arbeit analysieren und Methoden zu deren Verbesserung erlernen. Die teilnehmenden Vorstände tragen manchmal eine lange Geschichte ausgetragener, aber auch latenter und ungelöster Konflikte mit sich. Hier benötigen TeamerInnen konfliktmoderierende Kompetenzen und müssen fähig sein, gruppendynamische Prozesse zu erkennen und zu bearbeiten.

2. Die politische Grundposition der Gewerkschaften ist im Kern radikaldemokratisch: Alle Mitglieder der Gesellschaft sollen an den sie betreffenden Entscheidungen über die Gestaltung der Gesellschaft mitwirken können. Daraus folgt ein Anspruch an demokratische innere Strukturen und hohe Partizipationsmöglichkeiten der einzelnen Mitglieder an den relevanten Entscheidungen - dahinter bleibt die Realität leider häufig zurück.

Die Bildungsarbeit bietet die Möglichkeit - fern vom Entscheidungsdruck in Gremien und von formellen Hierarchien - , die Mitglieder partizipativ in Willensbildungsprozesse einzubeziehen.

Folglich müssen die TeamerInnen partizipative didaktische Methoden kennen und anwenden können. Das sind z.B. die Moderationsmethode (Metaplan) und das Modell Zukunftswerkstatt.

3. Traditionell gestalteten die Gewerkschaften ihr Verhältnis zu den eigenen Mitgliedern orientiert an deren beruflicher Realität. Dieses Verhältnis war und ist weitgehend geprägt von der Einbindung der Gewerkschaften in das stark formalisierte System der Tarifauseinandersetzungen. Deswegen sind die Mitglieder einerseits die „kämpfende Masse", die über die Ziele der anstehenden Tarifauseinandersetzungen informiert sein muß. Andererseits werden sie in ihrer Eigenschaft als Träger gewerkschaftlich erkämpfter Rechte juristisch betreut.

An die TeamerInnen stellt dies die Anforderung, stets ein Insiderwissen über die aktuellen oder anstehenden Tarifauseinandersetzungen zu haben. Sie müssen über umfassende und jeweils konkret auf die Zielgruppe der Bildungsmaßnahme zugeschnittene arbeits- bzw. dienstrechtliche Kenntnisse verfügen.

Doch hat sich der Bezug der Gewerkschaften zu ihren Mitgliedern weiter ausdifferenziert. Leider gibt es hier bislang keine genauen Zielvorstellungen. Insbesondere ist nicht zielgerichtet bearbeitet, was die zunehmende Individualisierung für gewerkschaftliche Politik bedeutet: Sie wird von den Gewerkschaften als Bedrohung ihrer klassischen Politikmuster wahrgenommen. Diese versuchen deshalb häufig, mit der Bildungsarbeit gegenzusteuern, indem bewußt Angebote zur individuellen Weiterbildung (nicht selten bewußt auf die Freizeit bezogen) oder zur individuellen Bewältigung beruflicher und privater Probleme gemacht werden. Um solche Angebote zu legitimieren, wird oft argumentiert, daß sie die Mitglieder an die Gewerkschaft binden. Diese Mitgliederbindung bleibt jedoch nur formal, wenn kein konkreter Bezug zur gewerkschaftlichen Politik hergestellt wird.

In der Frage, wie der Bezug auf das Individuum in der Bildungsarbeit inhaltlich mit der Formulierung von Politikzielen verbunden werden kann, liegt ein Schlüssel zur Innovation gewerkschaftlicher Ziele, Themen und Politikmuster.

4. Gewerkschaftliche Politik hat die Aufgabe, Katalysator der notwendigen Neuformierung eines kollektiv handelnden Subjektes zu sein. Dieses muß fähig sein, ein Gegengewicht zur „geistig-moralischen Wende" und zur neoliberalen Wirtschaftsideologie zu bilden. Hier erhält die gewerkschaftliche Bildungsarbeit eine Schlüsselposition.
Dafür muß sie die politische Kommunikationsrichtung umkehren. Statt zum „Sender" politischer Inhalte wird sie zum „Empfänger" der Berichte ihrer Mitglieder (und Nichtmitglieder) über deren persönliche Wahrnehmung ihrer Lebenslagen. Sie organisiert einen Kommunikationsprozeß unter den Mitgliedern als Austausch über ihre Situation. Mitglieder erkennen dabei, wo sie gemeinsame Interessen formulieren können und wo sie Konflikte untereinander austragen oder aushalten müssen. Andererseits organisiert sie die Kommunikation zwischen Individuum und Organisation. Politische Inhalte und Ziele werden aus den Lebensberichten herausdestilliert und in partizipativen Prozessen zusammengefaßt. Ziel ist es, realitätsnahe Ziele und Methoden gewerkschaftlicher Politik zu entwickeln, aus denen heraus die Institution Gewerkschaft wieder politisch handlungsfähig wird.

Gewerkschaftliche Bildungspolitik - so verstanden - greift also die „Pädagogik der Unterdrückten" (Paulo Freire) auf.

Hieraus ergeben sich weitreichende Anforderungen für TeamerInnen:

TeamerInnen müssen eine Einfühlsamkeit in die Lebensrealität anderer nicht nur selbst besitzen, sondern fähig sein, eine Atmosphäre des Austausches zu schaffen, in der die Teilnehmenden weitestgehend offen ihre Situation darstellen können. Dazu gehört es, die Teilnehmenden in einer undogmatischen Analyse der gesellschaftlichen Bedingtheit ihrer Lebenssituation anleiten zu können. Eine Voraussetzung dafür ist ein tiefgehendes Verständnis gesellschaftlicher Strukturen. Sie müssen wissen, wie Macht aus dem Alltagshandeln heraus entsteht und in dieses wieder hineinwirkt, um fähig zu sein, mit den Teilnehmenden zusammen die Möglichkeiten widerständigen Handelns in ihrem Alltag zu entwickeln. Sie müssen verstehen, wie Alltagsbewußtsein und Ideologievermittlung über Medien etc. zusammenhängen, um gezielt Fragen stellen zu können, die die Teilnehmenden erkennen lassen, daß vieles, was sie bisher unhinterfragt für selbstverständlich gehalten hatten, doch anders sein könnte.

Den Beitrag reflektierend kann ich nur hoffen, daß kein/e potentielle/r TeamerIn ihn liest. Denn mit so hohen Anforderungen konfrontiert, wäre ich sofort entmutigt und würde es ablehnen, diese Aufgabe auch noch ehrenamtlich zu übernehmen. Deswegen ist die wichtigste Kompetenz immer noch die Bereitschaft, sich mit Mut und Freude in neue und herausfordernde Situationen begeben zu wollen, Fehler machen zu können und nicht die Hoffnung zu verlieren, es beim nächsten Mal besser zu machen.