DIE Zeitschrift für Erwachsenenbildung

Vielschichtige gemeindebezogene Arbeit

Nicht-hauptberufliche Mitarbeit in der Evangelischen Erwachsenenbildung

Petra Neddermeyer-Wienhöfer
Petra Neddermeyer-Wienhöfer ist pädagogische Mitarbeiterin bei der Landesgeschäftsstelle der Evangelischen Erwachsenenbildung Niedersachsen in Hannover.

Welche Konstellationen bestimmen die Arbeitssituation von nicht-hauptberuflichen oder ehrenamtlichen MitarbeiterInnen in der Evangelischen Erwachsenenbildung? _ Petra Neddermeyer-Wienhöfer stellt Typen von MitarbeiterInnen vor, skizziert Dimensionen ihres Selbstverständnisses und ihres erwachsenenpädagogischen Handelns und umreißt die wichtigsten Elemente von Fortbildung.

Die Arbeitsbedingungen in der Erwachsenenbildung haben sich in den letzten Jahren wesentlich geändert. Wie jüngste Studien und Gutachten1 belegen, wechseln die Themen rasch, und langfristige Curricula treten zurück hinter besonders attraktive Veranstaltungen, die ausreichend Teilnahmeinteresse wecken. Der Aufwand pro Veranstaltung ist damit höher geworden, die Dauer der Veranstaltungen wird kürzer, und damit vermehrt sich die Planungsarbeit. Für jene, die Veranstaltungen leiten, steigen die Ansprüche. Methodenwechsel ist zum Standardrepertoire geworden, weil er inzwischen zur standardisierten Erwartung der KursteilnehmerInnen gehört. Gleichzeitig sinkt die Verbindlichkeit rapide, die üblicherweise mit der Anmeldung zu einer Bildungsveranstaltung eingegangen wird. „Für das Lehrpersonal in der Erwachsenenbildung bedeutet dies, daß der Alltag immer mehr aus permanenten Unsicherheiten, schnellen Umstellungsnotwendigkeiten, wechselnden Orientierungsbedürfnissen bestehen wird."2 Zugleich haben sich die Rahmenbedingungen für die Tätigkeit der Hauptberuflichen verändert. Im Vordergrund steht weniger die Konzeption von Bildungsintentionen, sondern das Management pädagogischer und organisatorischer Angelegenheiten. Verwaltungsarbeit und Koordinierungsaufgaben erhöhen sich da, wo keine Stellen nachbesetzt werden. Diese Verlagerung der Tätigkeiten hat wiederum Auswirkungen auf die Fortbildung und Betreuung der nebenberuflichen und ehrenamtlichen KursleiterInnen.

Solche Rahmenbedingungen prägen gleichsam alle Träger der Erwachsenenbildung. Im folgenden soll beleuchtet werden, welche spezifischen Konstellationen darüber hinaus in der Evangelischen Erwachsenenbildung (EEB) wirken und die Arbeitssituation der nicht-hauptberuflichen MitarbeiterInnen bestimmen. Ferner soll umrissen werden, welche Rückschlüsse daraus zu ziehen sind und wie diese in die Konzeption von Fortbildungen einfließen können.

Karin R., ausgebildete Hauswirtschaftsmeisterin, lebt mit ihrem Mann, den drei Kindern und der Schwiegermutter auf einem Bauernhof. Sie begann ihre Tätigkeit in der Erwachsenenbildung mit der Gründung und Leitung einer Eltern-Kind-Gruppe in ihrer Gemeinde vor neun Jahren, qualifiziert heute als Honorarkraft Frauen in der Tagesmütter-Ausbildung und leitet Kurse im Kreativbereich.

Annemarie G., ausgebildete Lehrerin, ist seit vielen Jahren Ortsvorsitzende eines evangelischen Frauenverbands, sie leitet ehrenamtlich Frauengesprächskreise in ihrer Gemeinde, organisiert und plant Vortragsveranstaltungen und leitet einmal jährlich eine Seniorenstudienfahrt.

Gisela R., Kirchenkreissozialarbeiterin mit halber Stelle im Diakonischen Werk, ist Beauftragte für Erwachsenenbildung im Kirchenkreis, berät Kirchengemeinden, kirchliche Gruppen und Einrichtungen, gibt MitarbeiterInnen Hilfestellung in der Konzeption von Kursen und Seminaren und ist selbst Kursleiterin im Frauenbildungsbereich.

Diese drei typischen Personenskizzen veranschaulichen die breite Palette von Arbeitsverhältnissen und Engagementformen in der EEB, die vom „klassischen Ehrenamt" über die engagierte, freiwillige Mitarbeit (mit und ohne Aufwandsentschädigung) bis zur Honorartätigkeit reichen.

Wie umfangreiche empirische Daten von 1991 zeigen,3 engagieren sich in der EEB größtenteils Frauen mittleren Alters mit gehobenen schulischen Abschlüssen und akademischen Berufsausbildungen. Ein Drittel von ihnen ist erwerbstätig. Die durchschnittliche Dauer der Tätigkeit beträgt mehr als neun Jahre und beansprucht durchschnittlich ein regelmäßiges wöchentliches Zeitvolumen von sechs Stunden, d.h., die Tätigkeit ist mit einer längerfristigen, stabilen und zeitaufwendigen Perspektive verbunden. Auffällig ist der hohe Anteil zusätzlicher Engagements im Rahmen der evangelischen Kirche. Die Tätigkeit ist häufig in den sozialen Nahbereich der Gemeinde eingebunden, was darauf hinweist, daß das Engagement für die EEB und für andere Aufgabenbereiche im evangelischen Raum als eine Einheit erlebt wird. Die nicht-hauptberuflichen Mitarbeiterinnen leisten eine vielschichtige gemeindebezogene Arbeit, die zum größten Teil unentgeltlich oder gegen eine Aufwandsentschädigung erfolgt. Nur ein Fünftel aller MitarbeiterInnen arbeitet ausschließlich auf Honorarbasis. Nach den empirischen Daten lassen sich vier Typen von Mitarbeiterinnen in der EEB charakterisieren:

Die Gesprächskreisleiterin:

Sie ist als langjährige Mitarbeiterin hauptsächlich auf der Gemeindeebene tätig, wo sie ihre aufgabenbezogenen Kontakte unterhält und woher sie die Anregungen für die Themen ihrer Angebote bekommt.

Die Kursleiterin:

Sie ist jüngeren Alters mit eher kurzfristigen Bindungsabsichten, die größtenteils ,oberhalb` der Kirchengemeinde auf Honorarbasis arbeitet. Ihre tätigkeitsrelevanten Kontakte unterhält sie mit hauptamtlichen pädagogischen MitarbeiterInnen. Die Themen ihrer Veranstaltungen gründen hauptsächlich in ihrem Fachwissen.

Die ehrenamtliche Funktionsträgerin:

Sie ist eine langjährige Mitarbeiterin fortgeschrittenen Alters, die unentgeltlich in Gemeinde und Kirchenkreis tätig ist. Durch ihr vielschichtiges Engagement _ im Hintergrund der direkten pädagogischen Arbeit _ für das ,Funktionieren des Betriebes` wirkt sie wie ein Bindeglied zwischen den verschiedenen Personen und Gremien, die mit der EEB befaßt sind.

Die Kirchenaktivistin:

Sie ist ebenfalls eine eher ältere, unentgeltlich tätige Mitarbeiterin, die sich vor allem dadurch auszeichnet, daß sie auch außerhalb der EEB in weiteren kirchlichen Bereichen aktiv ist. Für die EEB ist sie in der Angebotsplanung und Gremienarbeit auf Gemeindeebene tätig. Hauptsächlich hier hat sie ihre tätigkeitsbezogenen Kontakte ..."4

Diese Differenzierungen trennen nicht so sehr konkrete Personen voneinander, sie überschneiden sich. Sie beschreiben jedoch sehr präzise den sozialen Raum der EEB und die Dimensionen ihres erwachsenenpädagogischen Handelns. Welches Selbstverständnis haben die MitarbeiterInnen, und wie gestaltet es sich in diesem spezifischen Überschneidungsbereich von Erwachsenenbildung und kirchlichem Engagement?

Der Zugang zur nicht-hauptberuflichen Tätigkeit in der EEB fällt häufig in eine Lebensphase, in der die Kinder nicht mehr der ständigen Betreuung bedürfen und an einen ehemals gelernten oder auch ausgeübten Beruf nicht angeknüpft werden kann. Der Hunger, aus dem Eingebundensein in Haushalt und Familie herauszukommen, ist groß, der Wunsch nach einer abwechslungsreichen Tätigkeit
mit anderen Menschen tritt in den Vordergrund. Da die Familie in das Leben der Kirchengemeinde einbezogen ist und hier zahlreiche Kontakte und Bindungen unterhält, liegt es nahe, daß viele auf Anfrage der Gemeinde zur Erwachsenenbildung stoßen.5 Kirchliches Aufgabenbewußtsein verknüpft sich mit gemeinschaftlich religiöser Orientierung und erwachsenenbildnerischen Interessen.6

Die nicht-hauptberuflichen Mitarbeiterinnen verstehen sich als Mitlernende und Partnerin ihrer Teilnehmenden in einem gemeinschaftlichen Bildungsprozeß. Sie identifizieren sich als Gleiche unter Gleichen in einer Lerngruppe, die häufig aus dem ähnlichen Umfeld kommt. Sie befürchten, durch die hervorgehobene Rolle als Gesprächskreis- oder Kursleiterin die egalitäre Struktur der Gemeinschaft zu gefährden, und bevorzugen die partnerschaftliche Teamarbeit. Dieses Selbstverständnis ist umso ausgeprägter, je näher der Einsatzort des Engagements zur Gemeinde rückt. Als sachkundige pädagogische Vermittlerin verstehen sich hingegen Mitarbeiterinnen eher jüngeren Alters auf übergemeindlicher Ebene, deren Gruppenleitungsfunktion durch Fortbildungen und Kontakte zu hauptberuflichen pädagogischen MitarbeiterInnen gestärkt wird.7 Während letztere eine starke erwachsenenbildnerische Identität haben und fachliche Kompetenz für sich beanspruchen, die honoriert werden muß, grenzen sich Gesprächskreisleiterinnen und Aktivistinnen fortgeschrittenen Alters eher von pädagogischer Professionalität ab und betrachten ihr Engagement als freiwilligen Beitrag in einer „Kirche als Lerngemeinschaft".

Gemeinsam ist beiden ein Verständnis von Bildung und Lernen, das alle Lebensbezüge des Menschen aufnimmt und auf aktuelle Bedürfnislagen reagiert. „Das Programmprofil ... ist anspruchsvoll, stark auf die Lebenslagen/Lebenssituationen hin orientiert und als Aufklärungsarbeit angelegt, und es gibt Anstöße zur persönlichen und gesellschaftlichen Aktivierung. Aber auch Individualisierungsinteressen und Suchbewegungen finden hier unterstützende Angebote".8

Auch wenn der empirische Blick auf die Arbeitsverhältnisse in der EEB es sinnvoll erscheinen läßt, zwischen der Bildungsarbeit in der Gemeinde (Gemeindepädagogik) und der ausdifferenzierten Organisation der Evangelischen Erwachsenenbildung in kirchlicher Trägerschaft zu unterscheiden, so wäre es irreführend, die Unterscheidungslinien thematisch festzumachen. „Gemeindebildungsarbeit wendet sich heute selbstverständlich auch lebensweltlichen Fragen und Problemen zu, wie umgekehrt in der EEB selbstverständlich Glaubensfragen ihren Platz haben".9

Mit der Profilierung der Erwachsenenbildung in evangelischer Trägerschaft als pädagogisches Handeln hebt sich die EEB entschieden von anderen kirchlichen Handlungsfeldern wie Seelsorge, Verkündigung und Diakonie ab. Dementsprechend entwickelte die DEAE im Anschluß an die empirische Studie über nicht-hauptberufliche Mitarbeiterinnen auch „Empfehlungen für die Fortbildung von ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern"10. Die Inhalte können an dieser Stelle nur kurz umrissen werden:

Didaktisch-methodische Kenntnisse und Fähig-keiten

Eine Profilierung im pädagogischen Handeln durch den Erwerb erwachsenenbildnerischer Kenntnisse zu forcieren ist nach wie vor Ansatz von Langzeitfortbildungen. In ihrem Mittelpunkt stehen Aspekte wie Programmplanung und Themenfindung, Gesprächsleitung und Gruppenpädagogik, Gruppendynamik und Persönlichkeitsentwicklung. Diese Bausteine eines Curriculums spiegeln sich in dem seit 1975 bestehenden bundesweiten Aus- und Fortbildungsinstrument „Fernstudium für neben-, ehren- und hauptamtliche Mitarbeiterinnen der EEB" und in länderspezifischen, zeitlich reduzierten Fortbildungen (z.B. 1 x 1 der EB, Gruppenleitung in der Gemeinde, eeb-praktisch).

Reflexion des Selbstverständnisses und Person-Sein im Gruppengeschehen

Wie die Untersuchungen zeigen, sind die Bezüge der nicht-hauptberuflichen MitarbeiterInnen zur EEB nicht eindeutig, ist das „Institutionenbewußtsein" oft diffus. Die Stärkung des Selbst- und Tätigkeitsverständnisses ist daher ein wichtiges Moment von Fortbildung, Betreuung und Beratung. D. h., die Einbindung der eigenen Arbeit vor Ort in verbandliche und öffentliche Strukturen der EEB muß thematisiert werden. Ferner muß Fortbildung die Wechselwirkungen zwischen Funktionen in der EEB, in der Kirche und spezifische Arbeitserfahrungen und -möglichkeiten zum Thema machen.

Zeit- und arbeitszeitorganisatorische Fragen

Durch das Netz sozialer Arbeitsbeziehungen in Kirche und EEB entstehen häufig zeitliche Probleme und das Gefühl des Sich-Verzettelns. Die Praxisreflexion und -beratung erhält daher einen großen Stellenwert. In ihr ist die Selbstwahrnehmung in bezug auf die eigenen Fähigkeiten und Grenzen ebenso zu thematisieren wie die Entwicklung von Fähigkeiten zur Zusammenarbeit im Team. Dazu gehört für die Institution eine Überprüfung der Rahmenbedingungen: Sind Fortbildungen in ihrer zeitlichen Gestaltung und räumlichen Entfernung mit der Arbeitszeitsituation der nicht-hauptberuflichen Mitarbeiterinnen vereinbar?

Würdigung, Anerkennung und Beteiligung

Mangelnde Anerkennung, Isolation und finanzielle Schwierigkeiten sind die häufig genannten Stolpersteine in den Arbeitsbeziehungen. In Fortbildungen müssen daher Fragen des Status und Entgelts ihren Platz haben und daraus entstandene Enttäuschungen angesprochen werden. Gratifikationen in geldlicher und unentgeltlicher Form sind mit dem Ziel zu erörtern, personen- und umfeldgerechte Lösungen zu erarbeiten. Das Training von Verhaltensweisen zur Erreichung der status- und gratifikationsbezogenen Ziele spielt eine große Rolle.

Ansatz dieses Selbstverständnisses von Fortbildung ist der Leitgedanke, daß der Lebens- und Arbeitsfeldbezug der Mitarbeiterinnen eine gleichberechtigte Akzentuierung neben pädagogischen und didaktisch-methodischen Inhalten erfährt. Verbunden ist damit zum einen die Hoffnung, daß die Relevanz von Fortbildung für die nicht-hauptberuflichen Mitarbeiterinnen in der EEB gefördert wird und die „menschliche Seite" des Engagements für Erwachsenenbildung deutlicher hervortritt.

Dieses Engagement ist _ wie sich gezeigt hat _ in der EEB weiblich, wenn es um inhaltliche Arbeit, Gesprächs- oder Kursleitung und Fortbildung geht. Es trägt als lebensweltorientierte Bildung zur Selbstaufklärung von Krisen und problem- und aufgabenlösenden Lernprozessen bei. Dieses Engagement trägt die Organisation, die ihrerseits daher verpflichtet ist, Hilfen für eine befriedigende und entlastende Gestaltung von Mitarbeit anzubieten.

Anmerkungen

1 vgl. Gutachten „Evaluation in der Weiterbildung" von Gieseke/ Lenz/ Meyer-Dohm/Schlutz/Timmermann. Soest, Landesinstitut für Schule und Weiterbildung 1997

2 Orientierung in zunehmender Orientierungslosigkeit, Ev. Erwachsenenbildung in kirchlicher Trägerschaft _ eine Stellungnahme. Gütersloh 1997

3 Die Daten wurden erhoben im Projekt „Qualifizierungsbedarf ehrenamtlicher MitarbeiterInnen in der kirchlichen Erwachsenenbildung", das von der DEAE unter der Leitung von Prof. Dr. D. H. Jütting in den Jahren 1988-1991 durchgeführt wurde.

4 H. Jochinke/D. H. Jütting/A. Knoblauch-Flach: Zwischen Hausarbeit und Erwerbsarbeit, Ehrenamtlichkeit und Hauptberuflichkeit. In: DEAE Informationspapier Nr. 104-106, Karlsruhe 1993

5 vgl. Kerstin Kronemeyer: Perspektiven der Weiterbildung für Frauen in der Familienphase. In: EEB Niedersachsen (Hrsg.): Jahrbuch 1995/96

6 vgl. M. Jochinke/D.H. Jütting/A. Knoblauch-Flach, a. a. O.

7 vgl. K. Kronemeyer, a. a. O.

8 W. Gieseke: Zum Bildungsbegriff in der Evangelischen Erwachsenenbildung. In: EEB Niedersachsen (Hrsg.): Gesichtspunkte 2/1995

9 Orientierung in zunehmender Orientierungslosigkeit, a.a.O

10 DEAE (Hrsg.): Empfehlungen für die Fortbildung von ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Evangelischen Erwachsenenbildung. Karlsruhe 1992