DIE Zeitschrift für Erwachsenenbildung

„Wir sind die Volkshochschule"?

Soziales Netz für KursleiterInnen: Fehlanzeige

Barbara Weisel
Barbara Weisel ist Kursleiterin für Politische Bildung und Frauenbildung an hessischen Volkshochschulen, Sprecherin des Arbeitskreises KursleiterInnen im Hessischen Volkshochschulverband (HVV) und 2. stellvertretende HVV-Vorsitzende.

Unter welchen sozialen Bedingungen arbeiten Kursleitende als freie MitarbeiterInnen in der Erwachsenenbildung? _ Anhand von Fallbeispielen beschreibt Barbara Weisel die soziale Situation sowie Absurditäten, Hürden und Initiativen im Zusammenhang mit einer sozialen Absicherung von Honorarbeschäftigten in Bildungseinrichtungen.

  „Wir sind die Volkshochschule" _ dies ist der Titel des ersten Flugblatts des Arbeitskreises KursleiterInnen im Hessischen Volkshochschulverband. „Wir sind das Sparschwein der Volkshochschule", sagen wir heute mit noch mehr Nachdruck als damals. Wir gleichen durch unsere niedrige Bezahlung und fehlende Sozialleistungen ständig sinkende Zuschüsse der öffentlichen Hand aus und ermöglichen so ein noch bezahlbares Bildungsangebot für alle BürgerInnen.

Der Arbeitskreis KursleiterInnen, 1991 gegründet, hatte sich die Aufgabe gestellt, arbeitsvertragliche Gestaltungsmodelle und Vorschläge zur sozialen Absicherung der Honorarbeschäftigten mitzuerarbeiten. Die Aufgabe wurde erledigt, die soziale Situation der Honorarbeschäftigten hat sich weiter verschlechtert. Ein Tarifvertragsmodell für arbeitnehmerähnliche Personen liegt vor, Tarifverträge gibt es nicht.

Wer weiß schon, unter welchen Bedingungen KursleiterInnen arbeiten? Ihre Teilnehmenden sicher nur in Ausnahmefällen. Auch bei den zuständigen Fachbereichsleitungen herrscht meist Unkenntnis. Kein Wunder, sind die für KursleiterInnen geltenden Bedingungen doch meilenweit von denen im „Normalarbeitsverhältnis" entfernt. Merke: Das Sozialrecht für KursleiterInnen gleicht einem Dschungel. Nichts, komme es einem auch noch so absonderlich vor, ist unmöglich. Durchsetzungskraft, List und Pfiffigkeit sind gefragt, wenn Frau und Mann durchblicken, womöglich sogar die Idee zu einer minimalen sozialen Sicherung erhalten wollen.

Grundsätzlich gilt: KursleiterInnen sind frei, „freie Mitarbeiter", d.h. frei von allen Rechten, nicht unbedingt aber von Pflichten. Sie sind allein zuständig für die Versteuerung ihres Einkommens und auch dafür, sich sozial abzusichern. Daß sie dies unter den gegenwärtigen Bedingungen erreichen können, muß bezweifelt werden. Einige Beispiele:

Sarah M., 34 Jahre alt, ledig, schafft es nicht. Sie unterrichtet an mehreren Volkshochschulen, hält insgesamt 8 Kurse mit je 2 Wochenstunden. Sie bereitet ihren Unterricht intensiv vor und ist damit nochmals 16 Stunden beschäftigt. Nicht nur, weil sie vertraglich dazu verpflichtet ist, sondern auch, weil sie sich für die Belange der Volkshochschule interessiert, nimmt sie an Besprechungen und Konferenzen teil; pro Woche gerechnet nimmt das eine Stunde in Anspruch. Um ihren und den berechtigten Ansprüchen der Teilnehmenden zu genügen, nimmt sie regelmäßig an Fortbildungen teil, in ihrer Freizeit, versteht sich. Sie hat aber Glück: Die Seminargebühren übernimmt ihre VHS. Pro Woche kommt für Fortbildung eine weitere Stunde Arbeitszeit hinzu.

Sarah M. zieht Bilanz: Sie hat 34 Stunden in der Woche gearbeitet und erhält dafür 592,00 DM, das sind 8.880,00 DM im Semester, was bedeutet, daß sie im Monat 1.480,00 DM verdient hat. Wenig genug, denn davon abgezogen werden müssen z.B. noch Ausgaben für Fachliteratur. Steuern zahlen muß sie nicht. Allerdings ist sie Mitglied in einer gesetzlichen Krankenkasse und kann kaum fassen, welchen Beitrag diese monatlich von ihr verlangt: 481,26 DM inkl. Pflegeversicherung soll sie zahlen. Die Pflegeversicherung ist Pflicht, die Krankenversicherung nicht. Trotzdem bleibt sie Mitglied in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Sonst könnte sie als Kursleiterin (freie Mitarbeiterin) nie mehr Mitglied werden und stünde womöglich im Krankheitsfall ohne jede Versicherung da.

Sie geht aber der Frage nach, wie es zu diesem Beitrag kommt, der in keinem Verhältnis zu ihrem Einkommen steht, und erfährt: Der Beitragseinstufung freiwilliger Mitglieder in der GKV ist ein Mindesteinkommen zugrundezulegen, das jährlich der Einkommensentwicklung angepaßt wird. Sie kann als freie Mitarbeiterin in der GKV nur freiwilliges Mitglied sein. Das ihrer Beitragsbemessung zugrundeliegende Einkommen beträgt 1997 3.350,00 DM _ sie hat nicht einmal die Hälfte davon wirklich verdient. Krankengeldversicherung und Berufsunfähigkeitsversicherung fallen dem Sparzwang zum Opfer. Über ihre Altersversorgung macht sie sich zwar ab und zu Gedanken, verdrängt diese aber immer wieder, weil sie nicht weiß, wie sie die Beiträge für die Rentenversicherung zahlen soll. Diese müßte sie aber zahlen, denn selbständige LehrerInnen sind rentenversicherungspflichtig. Befreiung ist nur möglich, wenn eine gleichwertige Altersversorgung nachgewiesen wird. Nur über ihre Absicherung gegen Arbeitslosigkeit muß sie sich keine Gedanken machen, weil die Versicherung dieses Risikos für freie MitarbeiterInnen gar nicht möglich ist. Sarah M. ist, wenn sie länger krank wird und auch im Alter ein Fall für die Sozialhilfe. Sie will erfahren, wie KollegInnen mit der Situation umgehen, ob es vielleicht doch andere Möglichkeiten gibt. Sie erfährt Erstaunliches.

Kollege Volker P. ist fassungslos: Das hat er alles nicht gewußt. Ihn trifft es auch nicht, denn er ist als einer der wenigen nebenberuflich Tätigen an der VHS in seinem Hauptberuf voll sozial abgesichert. Das Honorar stellt für ihn einen willkommenen Nebenverdienst dar, steuerfrei und nicht sozialabgabenpflichtig.

Kollegin Vera B. versteht sie sofort: Sie ist schon lange Kursleiterin, auch nicht verheiratet, unterrichtet zwar ein paar Stunden mehr. Ihre Schwierigkeiten, sich sozial abzusichern, sind dieselben. Vera B. erinnert sich noch gut an die Zeit, als ihr Krankenkassenbeitrag noch nach ihrem tatsächliche Einkommen berechnet wurde. Damals waren KursleiterInnen, selbständige LehrerInnen, nämlich noch versicherungspflichtig. Sie hat deshalb auch sofort gegen die Neuregelung vor dem Sozialgericht geklagt, ihre Klage wurde in der 1. Instanz abgewiesen und liegt seit 1995 beim Landessozialgericht, das bis jetzt noch keinen Verhandlungstermin angesetzt hat.

Kollegin Edith L. ist entsetzt: Sie verdient ebenfalls 1.480,00 DM monatlich, zahlt aber nur 183,00 DM monatlich für ihre Krankenversicherung und 24,66 DM für die Pflegeversicherung. Des Rätsels Lösung: Edith L. ist verheiratet und in der Beitragsgruppe Sonstige versichert, die Beitragsbemessung beginnt in dieser Gruppe bei einem Einkommen von 1.550,00 DM. Edith L. hat ihrer Krankenkasse erklärt, daß sie nicht hauptberuflich selbständig tätig sei; von einer Rentenversicherungspflicht hat sie noch nie gehört, sie sieht ihre Altersversorgung über ihren Ehemann als gesichert an. (Da könnte sie irren.) Sie glaubt aber, daß da evtl. auch noch eine Lebensversicherung existiere. Darum wird sie sich jetzt kümmern, denn womöglich für Jahre in die Rentenversicherung nachzahlen will sie nicht.

Kollegin Brigitte W., verheiratet, zwei Kinder, hatte auf eine Stelle im Schuldienst verzichtet, weil sie lieber mehr Zeit für ihre Familie haben wollte, und unterrichtet mit viel Engagement und Begeisterung an der VHS. Ihr Honorareinkommen beträgt monatl. 700,00 DM. Sie ist bei ihrem Ehemann in der GKV mitversichert. Das darf sie aber nur bis zu einem Einkommen von 610,00 DM monatlich sein. Außerdem erfährt sie nun, daß sie Beiträge in die Rentenversicherung zahlen müßte. Wieviel bleibt übrig, wenn sie die Versicherungsbeiträge von ihrem Honorar abzieht? Soll sie sehr viel mehr arbeiten, nur um krankenversichert zu sein, was sie doch sowieso schon ist, oder lieber etwas weniger und damit weiter bzw. wieder legal familienversichert?

Gibt es denn gar keinen Lichtblick? fragt sich Sarah M. langsam verzweifelt. Schon, aber leider keinen, der auf sie übertragbar wäre: Sibylle K. hat sich erfolgreich eingeklagt. Sie ist jetzt festangestellte Weiterbildungslehrerin, mit bezahltem Urlaub, Sozialversicherungsbeiträgen vom Arbeitgeber, Mutterschutz, Mitbestimmungsrechten. Sibylle K. unterrichtet in einem Schulabschlußkurs, und das Bundesarbeitsgericht hat festgestellt, daß sie u. a. persönlich abhängig, weisungsgebunden und damit Arbeitnehmerin ist. Auf Sarah M. trifft dies nicht zu. Sie unterrichtet in ganz „normalen" Sprachkursen, aber sie freut sich mit. Wenigstens eine hat es mal geschafft.

Perspektiven bietet auch, was Kollege Werner W. erzählt: Er unterrichtet genauso viel wie sie, aber nur an einer VHS. Werner W. hat auch Schwierigkeiten mit Krankenkassen- und Rentenbeitrag, aber er konnte sein Honorar etwas aufbessern, er erhält nämlich bezahlten Urlaub. Werner W. ist eine arbeitnehmerähnliche Person, d.h., er erfüllt die Voraussetzungen des § 12a TVG: Er erbringt seine Leistungen persönlich, beschäftigt keine Arbeitnehmer, ist mehr als nur geringfügig tätig und bezieht von einer Person bzw. Institution, der VHS, mehr als die Hälfte seines Erwerbseinkommens.

Arbeitnehmerähnliche Personen haben Urlaubsansprüche nach dem Bundesurlaubsgesetz und in Hessen auch nach dem Bildungsurlaubsgesetz. Sie sind wahlberechtigt nach dem hessischen Personalvertretungsgesetz. Für sie können auch Tarifverträge abgeschlossen werden. Werner W. kennt den Tarifvertragsentwurf des Hessischen Volkshochschulverbandes und hofft, daß sich in dieser Sache endlich etwas bewegt. Er hält es für möglich, daß viele KursleiterInnen ihre Rechte gar nicht kennen, glaubt aber auch, daß einige die Anerkennung als arbeitnehmerähnliche Person deshalb nicht beantragen, weil sie Nachteile befürchten. Zum einen, daß dann Sozialversicherung etwas an der Legalität vorbei nicht mehr möglich ist, zum anderen aber auch, daß sie womöglich in Zukunft weniger Kursstunden bekommen. Prompt sind sie nicht mehr arbeitnehmerähnlich, weil eine der Voraussetzungen entfallen ist.

Haupthindernis aber ist etwas anderes: Sehr viele KollegInnen sind an vielen verschiedenen Volkshochschulen und auch bei anderen Bildungseinrichtungen tätig und können so bei keiner Einrichtung mehr als 50% ihres Einkommens erzielen. Lösungsmöglichkeit bietet hier der Zusammenschluß der Volkshochschulen zu einer „Person".

Neiderblassend vernimmt Sarah M., was Uta H. ihr erklärt. Uta H. unterrichtet viel und an vielen Volkshochschulen. Sie verdient wesentlich mehr als Sarah M., 3.333,00 DM monatlich, aber sie zahlt einen niedrigeren Krankenkassen- und Rentenversicherungsbeitrag: exakt 253,32 DM für Kranken- und Pflegeversicherung gegenüber 481,26 DM bei Sarah M. Uta H. unterrichtet auch in ganz „normalen" Kursen, daran liegt es also nicht. Sie ist auch freie Mitarbeiterin, nicht einmal arbeitnehmerähnliche Person wie Werner W., ihre „normalen" Kurse unterscheiden sich von denen
Sarahs aber doch: Uta H. ist Musikerin und lehrt Musik. Als Künstlerin ist Uta H. über die Künstlersozialkasse pflichtversichert, sie zahlt Beiträge nur für ihr tatsächliches Einkommen und nur die Hälfte des gesetzlichen Beitragssatzes, wie eine Arbeitnehmerin.

Ein derartiges Versicherungsmodell für alle freien MitarbeiterInnen in Bildungseinrichtungen, dazu Tarifverträge für die arbeitnehmerähnlichen Personen unter ihnen und möglichst auch WeiterbildungslehrerInnenstellen, das wäre die Lösung für die KursleiterInnen, aber auch für ihre Teilnehmenden, die sich dann darauf verlassen könnten, Qualität und Kontinuität geboten zu bekommen.

Sarah M. wird sich zusammen mit ihren KollegInnen für die Verbesserung der sozialen Absicherungsmöglichkeiten einsetzen, auch im Interesse des öffentlichen Weiterbildungsangebots, das auf Dauer nur erhalten werden kann, wenn sich die Arbeitsbedingungen der Unterrichtenden grundlegend verändern.