DIE Zeitschrift für Erwachsenenbildung

"Grundgesetze" der Bildungsfinanzierung

Trends und Gesetzmäßigkeiten am Beispiel von internationalen Schlüsselkennziffern

Richard Deiss

Bildungsfinanzierung ist ein komplexes Thema. Finanzielle und andere Mittel fließen oft in vielfältiger und komplizierter Weise zwischen Quellen – Privathaushalten, Unternehmen und der öffentlichen Hand – und Empfängern – den verschiedenen Bildungsebenen und -bereichen, und teilweise fließen Mittel auch in zwei Richtungen. Dieser Artikel stellt sieben wichtige allgemeine Gesetzmäßigkeiten in Bezug auf die Bildungsfinanzierung zusammen und illustriert sie an europäischen Schlüsselkennziffern. Das Verständnis des Themas soll dadurch erleichtert werden.

Höhe der Bildungsausgaben in Deutschland und Europa

Bildung ist teuer. In der EU beliefen sich die öffentlichen Bildungsausgaben im Jahr 2000 auf 4,94 % des Bruttoinlandsproduktes, oder etwa 450 Milliarden Euro (zum Vergleich: USA. 5 %, Japan 3,5 %). Die höchsten Werte wiesen dabei die nordeuropäische Länder auf (Dänemark 8,4 %, Schweden 7,4 %, Finnland 6,0 %). Relativ niedrige Werte finden sich dagegen in Südeuropa (Griechenland 3,8 %, Spanien 4,4 %, Italien 4,6 %). Deutschland lag dabei mit etwa 4,5 % des Bruttoinlandsproduktes etwas unter dem EU-Durchschnitt. In den Beitrittsländern wird dagegen der EU-Durchschnitt knapp erreicht.

Zu den öffentlichen Ausgaben kommen noch Privatausgaben von etwa 2 % des BIP (genaue Angaben liegen nicht vor), davon etwa drei Viertel (150 Milliarden Euro) von Unternehmen und ein Viertel von Privathaushalten. Insgesamt werden in der EU pro Jahr also fast 700 Milliarden Euro für den Bildungsbereich ausgegeben, das entspricht 7 % des Bruttoinlandsproduktes, oder fast 2000 Euro pro Kopf der Bevölkerung.

Trends und Gesetzmäßigkeiten

1. Die Baumol’sche Kostenkrankheit

Dienstleistungen mit geringer Abhängigkeit zum technischen Fortschritt
Trotz der in den letzten Jahrzehnten in Europa gesunkenen Geburtenraten sind die Bildungsausgaben in der Vergangenheit gestiegen. Das liegt zum einen daran, dass der Geburtenrückgang durch die längere Verweildauer im Bildungssystem kompensiert wurde und deshalb die Zahl der Schüler und Studenten nicht zurückging. Zum anderen liegt das an einem Phänomen, das nach dem amerikanischen Ökonomen William Baumol (geboren 1922) als Baumol’sche Kostenkrankheit bezeichnet wird. Personalintensive Dienstleistungen, die wenig vom Produktivitätswachstum durch den technischen Fortschritt profitieren können, sind von kontinuierlichen Kostensteigerungen betroffen. Das liegt daran, dass sich die Lohnsteigerungen in allen Sektoren in etwa am allgemeinen Produktivitätswachstum orientieren, während die Produktivität in diesen Dienstleistungen kaum steigt. Ein Beispiel dafür sind der Gesundheitsbereich, kulturelle Dienstleistungen wie Opernaufführungen oder etwa eben auch der Bildungsbereich. Potenziell steigen also die Kosten im Bildungsbereich, der Rückgang der Geburtenzahlen hat jedoch in der Vergangenheit gewisse Entlastungen gebracht. Wie personalintensiv der Bildungsbereich ist, zeigt sich an ein paar Zahlen: Insgesamt sind in der EU etwa 11 Millionen Menschen im Bildungsbereich tätig, verglichen mit nur 6 Millionen in der Landwirtschaft. Allein die Zahl der Lehrer beläuft sich in der EU auf 5 Millionen. Damit stellen die Lehrer eine der größten Berufsgruppen dar.

http://www.econ.nyu.edu/dept/vitae/baumol.htm

2. Das Brecht´sche Gesetz

Öffentliche Ausgaben pro KopfNach dem Brecht’schen Gesetz, das nach dem Politikwissenschaftler Arnold Brecht (1877-1974) benannt ist, steigen die öffentlichen Ausgaben pro Kopf der Bevölkerung im Allgemeinen mit der Größe einer Agglomeration. Das hat verschiedene Gründe. Ein Grund ist die höhere Zentralität großer Städte, die Einrichtungen für Umlandbewohner vorhalten. Auch sind die Löhne, Mieten und Baukosten in Großstädten höher als auf dem Land. Zudem ist die soziale Kohäsion in großen Städten geringer und die Kosten, objektive und subjektive Sicherheit zu gewährleisten, sind deshalb höher als in kleineren Städten.

Die für die deutschen Bundesländer vorhandenen Statistiken zeigen, dass das Brecht´sche Gesetz auch auf die Bildungsausgaben zutrifft. In den drei Stadtstaaten betrugen die öffentlichen Ausgaben pro Schüler im Jahr 2000 im Durchschnitt über 5000 Euro, in Hamburg wurde sogar ein Wert von 5800 Euro erreicht, während der Durchschnitt der Flächenstaaten nur bei 4000 Euro lag.

http://www.uni-trier.de/~vwl-fbs/download/fiwi/Stbl-aus96.pdf

http://www.bmbf.de/pub/GuS2002_ges_dt.pdf

3. Konjunkturzyklen und öffentliche Bildungsausgaben

Konjunkturzyklen und öffentliche BildungsausgabenIn Zeiten von Hochkonjunktur sinkt tendenziell der Anteil der öffentlichen Bildungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt, während er in Rezessionszeiten eher steigt. Dies liegt daran, dass die Bildungsausgaben geringere Schwankungen aufweisen als die Konjunktur und deshalb in Boomzeiten langsamer wachsen als die Wirtschaftsleistung, während sie in einer Rezession wiederum weniger zurückgehen als das Sozialprodukt. Bestimmte mit Arbeitsförderungsmaßnahmen zusammenhängende Bildungsausgaben steigen sogar in konjunkturellen Schwächephasen, welche ja normalerweise durch einen Anstieg der Arbeitslosigkeit gekennzeichnet sind.

http://europa.eu.int/comm/eurostat/newcronos/queen/display.do?screen=detail&language=en&product=STRIND_INNORE&root=STRIND_INNORE_copy_303537699022/innore_copy_680414916384/ir010_copy_598439700219

http://europa.eu.int/comm/eurostat/Public/datashop/print-product/EN?catalogue=Eurostat&product=KS-NK-03-022-__-N-EN&mode=download

4. Rückgang des Anteils des Primarbereichs an den Bildungsausgaben

Anteil des Primarbereichs an den BildungsausgabenDer Anteil des Primarbereichs an den Bildungsausgaben geht tendenziell zurück. Dies liegt daran, dass der Primarbereich voll zum Pflichtschulbereich gehört. In diesem Bereich beträgt die Bildungsteilnahme bereits 100 %, und die stagnierenden und langfristig sogar sinkenden Jahrgangsstärken können also nicht durch eine Ausweitung der Bildungsteilnahme kompensiert werden, wie es in Bezug auf die Sekundarstufe zwei oder den tertiären Bildungsbereich der Fall ist. So stagnierte in der EU im Zeitraum 1998-2001 die Zahl der Grundschüler mit einem Zuwachs von nur 0,7 %, während die Zahl der Schüler in der Sekundarstufe 2 um 6,7 % anstieg und die Zahl der Studenten um 8,8 % zunahm.

http://www.eurydice.org/documents/cc/2002/en/CC2002_EN_chap_I.pdf#nameddest=fig_i10

5. Ausgaben pro Schüler und Bildungsstufe

Ausgaben pro Schüler/StudentDie Kosten und Ausgaben pro Schüler steigen allgemein mit der Bildungsstufe. In der EU beliefen sie sich im Jahr 1999 im Durchschnitt pro Schüler/Student auf 3860 Euro für die Primarstufe, 5270 Euro für die Sekundarstufe und 7940 Euro für den Hochschulbereich. Grund dafür sind die höheren Kosten pro Lehrkraft und die mit Bildungsstufe sinkende Schülerzahl pro Lehrkraft. Auch die Infrastruktur wird in den höheren Bildungsstufen anspruchsvoller, und damit steigen auch deren Kosten.

http://www.eurydice.org/documents/cc/2002/en/CC2002_EN_chap_I.pdf#nameddest=fig_i14

6. Das Engel’sche Gesetz

Engels KurveDer Anteil der Ausgaben für Nahrungsmittel sinkt mit zunehmendem Einkommen. Dies wird als Engel’sches Gesetz bezeichnet (benannt nach dem deutschen Statistiker und Ökonom Ernst Engel, 1821-1896). Der Anteil der Ausgaben für die meisten anderen Güter und Dienstleistungen, die Bildung eingeschlossen, nimmt dagegen mit steigendem Einkommen zu. Güter, für die mit zunehmendem Einkommen proportional weniger ausgegeben wird, nennt man auch inferiore Güter, während Güter, deren Anteil wächst, auch superiore Güter genannt werden. Beispiele für inferiore Güter sind Nahrungsmittel und Bekleidung. So sank der Anteil der Nahrungsmittel und nichtalkoholischen Getränke an den Ausgaben der Privathaushalte in der EU von 18 % im Jahr 1988 auf 16 % im Jahr 1994 und nur noch 14 % im Jahr 1999. In den Beitrittsländern, deren Einkommen niedriger liegt, lag dieser Anteil im Jahr 1999 noch bei 33 %, in Rumänien und Bulgarien sogar bei über 50 %.

Für die Bildung gaben die Privathaushalte in der EU im Jahr 1988 0,5 % des Einkommens aus, bis zum Jahr 1999 war dieser Anteil auf 0,7 % gestiegen. Die Trends im Bildungsbereich sind jedoch keineswegs eindeutig. Auch sind die statistischen Angaben zu den Privatausgaben nicht sehr genau, sie sind eng abgegrenzt und stellen eher die Untergrenze der Ausgaben dar.

Dennoch lässt sich feststellen, dass die privaten Bildungsausgaben in den USA und Japan wesentlich höher sind als in Europa. Das liegt in den USA unter anderem an den relativ hohen privaten Ausgaben für das Hochschulstudium, so liegen etwa die Studiengebühren der privaten Eliteuniversitäten wie Harvard und Stanford auf sehr hohem Niveau. In Japan liegt es eher an den Ausgaben für private Nachhilfestunden, die oft in so genannten Paukschulen gegeben werden. Allein dafür geben die Japaner pro Jahr bereits 12 Milliarden Euro aus, mehr als das doppelte dessen, was die EU-Haushalte insgesamt dafür ausgeben (ca. 5 Milliarden Euro, davon Frankreich und Deutschland jeweils 1 Milliarde).

http://faculty.washington.edu/krumme/resources/engel.html

7. Liebigs Minimumgesetz

EntwicklungsfaktorenDas für die Landwirtschaft geltende Minimumgesetz wird auch auf die Regionalentwicklung angewandt. Das Minimumgesetz besagt, dass das Entwicklungsniveau durch Engpassfaktoren bestimmt wird. Eine Verbesserung des Bildungssystems wird sich vor allem dann positiv auf die Regionalentwicklung auswirken, wenn das Bildungssystem und das dadurch geschaffene Angebot an qualifizierten Kräften wirklich einen Engpass für die Entwicklung darstellt. Wird die Entwicklung durch andere Faktoren gehemmt, wirken sich Investitionen in den Bildungsbereich weniger stark aus. Durch die zunehmende interregionale und internationale Mobilität ist die Qualität des Bildungssystems auf kleinräumiger Ebene allerdings immer weniger als Engpass anzusehen. Eine gewisse Rolle verbleibt ihr dennoch, da die Qualität der Bildungseinrichtungen auch ein Faktor von Standortentscheidungen privater Haushalte darstellt.

Dagegen ist die Bedeutung der Bildung als Faktor für die wirtschaftliche Entwicklung auf nationaler Ebene durch die entstehende Wissensgesellschaft eher gestiegen. Für Deutschland wird die zur Zeit ungünstige Wirtschaftsentwicklung auch mit Defiziten im Bildungssystem in Zusammenhang gebracht.

http://www.soils.wisc.edu/~barak/soilscience326/lawofmin.htm