DIE Zeitschrift für Erwachsenenbildung

Wissenschaftler/innen intensivieren Methodendiskussion
2. Workshop Weiterbildungsforschung der Sektion Erwachsenenbildung und des DIE

Eine ausführliche Analyse der Diskussionen und Arbeitsergebnisse

Carola Iller, Christiane Hof, Wolfgang Jütte, Susanne Kraft, Burkhard Schäffer, Sabine Schmidt-Lauff, Josef Schrader

Nicht erst die Debatten über eine notwendige empirische Fundierung der Bildungswissenschaften haben verdeutlicht, dass die Etablierung eines forschungsmethodischen Reflexionsdiskurses, also die Institutionalisierung eines kritischen Austausches über gegenstandsangemessene For­schungsmethoden und -verfahren für die Weiterentwicklung der Weiterbildungsforschung wichtig ist. Kein Wunder also, dass der „Workshop Weiterbildungsforschung“, der ein solches Forum zur Diskussion quantitativer und qualitativer empirischer Weiterbildungsforschung bietet, nun schon zum zweiten Mal mit reger Beteiligung und positiver Resonanz durchgeführt werden konnte (Bergisch-Gladbach, 17./18.2.2004). Vortragende und Teilnehmende waren vor allem Doktorand/inn/en, Habilitand/inn/en und andere an einem forschungsmethodischen Austausch Interessierte, die in insgesamt fünf Arbeitsgruppen Beiträge aus laufenden oder in der Planung befindlichen Forschungsvorhaben diskutierten.

Die AG 1 (moderiert von PD Dr. Burkhard Schäffer) beschäftigte sich in drei von vier Beitragen mit dem methodischen Zugang des leitfadengestützten Interviews; mit dem vierten Beitrag wurde methodisches Neuland insofern betreten, als mit den Mitteln der Inhaltsanalyse ein wissenschaftlicher Sachtext untersucht wurde. Zu den vier Beiträgen im Einzelnen:

  • Dr. Agnes Dietzen und Bernd Selle vom Bundesinstitut für Berufsbildung widmeten sich dem „Expertenwissen von Beratern und Begleitern betrieblicher Veränderungen als Beitrag zur Früherkennung neuer Qualifikationsentwicklungen (EXPERT)“. In ihrer Präsentation entfalteten sie zunächst die Hintergründe ihrer Studie (u.a. einen komplexen Qualifikationsbegriff) und stellten im Anschluss hieran das Sample, das methodische Design sowie die Konstruktion der Interviewleitfäden vor. Bei den Interviews handelte es sich um solche mit Unternehmensberatern, betrieblichen Prozessbegleitern, Beratern aus gewerkschaftlichen Technologieberatungsstellen und Beratern von Bildungsdienstleistern. Anhand eines exemplarisch ausgewählten Ausschnitts mit einem selbstständigen Berater wurden Probleme der Interviewführung (u.a. Konkurrenz zwischen Interviewer und Interviewtem) und der Auswertung ausführlich besprochen.
  • Dr. Olga Zitzelsberger und Susanne Schätzle von der TU Darmstadt stellten eine prozessorientierte Evaluationsforschung unter Zuhilfenahme leitfadengestützter Interviews am Beispiel einer Qualifizierungsmaßnahme für Migrant/inn/en vor. Um das Prozesshafte und vor allem die Qualität bzw. die Ergebnisse der Maßnahme zu erfassen, wurden ausgesuchte Teilnehmer/innen einer 10-monatigen Weiterqualifizierung zu „Integrationsassistentinnen und -assistenten im Bereich Migration“ zu Beginn und am Ende der Maßnahme interviewt. Im Workshop wurden u. a. Textausschnitte von drei Teilnehmer/inne/n behandelt. Darüber hinaus widmete man sich Fragen nach der Protokollierung während des Interviews, der „Paraphrasierung“ des Materials und der Kombination dieser beiden Datensorten.
  • Julia Kreimeyer von der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster stellte ihr Dissertationsprojekt zu Lernprozessen im freiwilligen Engagement von jungen Erwachsenen vor. Mittels leitfadengestützter Interviews sollen hier informelle Lernprozesse beim freiwilligen Engagement im Kontext von Jugendverbandsarbeit genauer herausgearbeitet werden. Nach einer systemtheoretisch-konstruktivistischen Verortung des Vorhabens (mit Bezug auf die Arbeiten von Schäffter), einer genaueren Eingrenzung der Fragestellung auf den erlebnis- und erfahrungsgebundenen Charakter der Lernprozesse und einer Darstellung der Leitfadeninterviews im Kontext einer Triangulation mit Gruppendiskussionen, stellte Kreimeyer einen längeren Ausschnitt aus ihrem Material vor – ein Interview mit einem 30jährigen Jugendverbandsleiter, das zu regen Diskussionen Anlass gab.
  • Schließlich stellte Frank Berzbach aus Bonn ein Dissertationsprojekt zu „ethischen Implikationen konstruktivistischer Lernkulturen in der Erwachsenenbildung“ vor. Er unternimmt hier den interessanten Versuch, einen in der Erwachsenenbildung prominenten Text mit den Mitteln der qualitativen Sozialforschung (Inhaltsanalyse nach Mayring) zu analysieren. Bei dem Text handelt es sich um die von Rolf Arnold und Horst Siebert verfasste „konstruktivistische Erwachsenenbildung“. Mittels verschiedener systematischer Durchgänge durch das „Material“ (Kategorien: „Rezeption“, „Programmcharakter“ und „Moralische Kommunikation“) und mit einem starken Bezug auf das Konzept der moralischen Kommunikation bei Luhmann, gelang es Berzbach plausibel zu machen, welchen semantischen Wandlungsprozessen konstruktivistische Theoreme unterzogen werden müssen, um für eine spezifisch pädagogische Theoriebildung passfähig zu werden.

 

Die Arbeitsgruppe 2 (Moderation: PD Dr. Christiane Hof) beschäftigte sich mit Fragen der Rekonstruktion von Lern- und Interaktionsprozessen. Im Zentrum der Arbeit stand dabei die Präsentation des methodischen Vorgehens der einzelnen Projekte sowie die gemeinsame Interpretation des mitgebrachten Textmaterials. Die theoretische Diskussion zeichnete sich – neben konkreten, auf die einzelnen Forschungsprojekte bezogenen Fragen – dadurch aus, dass immer wieder das Verhältnis von Theorie und Empirie angesprochen wurde. Im einzelnen wurden vier Forschungsprojekte vorgestellt:

  • PD Dr. Bettina Dausien und Daniela Rothe berichteten aus einer Studie, in der die Lernkultur und die Lernprozesse von Teilnehmerinnen und Teilnehmern einer biographieorientierten Fortbildung rekonstruiert werden sollen. Diese Absicht erfordert neben der detaillierten hermeneutischen Analyse von Kursmitschnitten auch eine theoretische Beschäftigung mit dem Thema ‚Lernen’. Diese Herausforderung beantworteten die Referentinnen mit der Entwicklung eines am Pragmatismus und am symbolischen Interaktionismus orientierten komplexen Lernbegriffes, der sowohl die Perspektive des Lernenden als auch den sozialen (Interaktions-)Kontext einbezieht.
  • Jörg Dinkelaker berichtete aus einer Arbeit, in der er mit Hilfe der Konversationsanalyse Formen und Funktionen lernbezogener Bewertungen in Interaktionen herausarbeiten will. Das besondere daran ist, dass das Datenmaterial nicht organisierten pädagogischen Veranstaltungen entspringt. Diese – interessante – Voraussetzung seines Forschungsanliegens führt nun allerdings zu der Frage, ob es erforderlich ist, eine Definition pädagogischer Interaktion an den Anfang zu stellen – und etwa das Kriterium der Absicht einzuführen – oder ob die hermeneutische Analyse ohne derartige theoretische Vorgaben auskommen kann.
  • Der Frage, wie sich das Handlungsschema der Beratung in konkreten Interaktionen vollzieht, widmet sich Cornelia Maier. Anhand konkreter Mitschnitte von Beratungssituationen möchte sie die Strategien und Techniken heraus arbeiten, mit deren Hilfe Beratungssituationen realisiert werden. Ihre Ergebnisse sollen dazu dienen, ein empirisch fundiertes Modell professioneller Anforderungsstrukturen zu entwerfen.
  • Die Arbeit von Helmut Keller befasst sich mit Wissensnetzwerken in Unternehmen. In der – bislang noch im vor-empirischen Stadium befindlichen – Untersuchung möchte er Orte des Austausches und der Entwicklung von Wissen analysieren und darauf hin befragen, ob und wie sie derart beeinflusst werden können, dass durch Netzwerke Lernanlässe ermöglicht bzw. verbessert werden können.

 

Die Auseinandersetzung der Arbeitsgruppe 3 (Moderation Prof. Dr. Josef Schrader und Dr. Susanne Kraft) mit grundlegenden Fragen der Evaluations- und Begleitforschung wurde durch die Tandemstruktur von Referat und Koreferat vorbereitet. Die Referate skizzieren konkrete Projekte aus der Praxis der Evaluations- und Begleitforschung, die Koreferate hatten den Stellenwert von Kommentaren. Sie sollten durch eine kritische Auseinandersetzung mit dem vorgestellten Evaluationsvorhaben die Arbeitsgruppe zur Diskussion anregen und zudem den Referentinnen Impulse für die weitere Forschungsarbeit geben – eine Arbeitsform, die sich als produktiv sowohl für die Arbeitgruppe als auch die referierenden Wissenschaftler erwiesen hat.

  • Zunächst stellte Dr. Stefanie Hartz von der Universität Tübingen ihr Konzept der Systemevaluation vor, das im Kontext eines Bund-Länder-Projektes zur Implementierung eines Qualitätsmanagementmodells in die Weiterbildung angewandt wird. Hartz ordnete das System der Weiterbildung entlang der systemtheoretischen Ebenendifferenzierung und entwickelte vor diesem Hintergrund das Evaluationsdesign und die zum Einsatz gebrachten Methoden. Ziel der von ihr vorgestellten formativen Evaluation ist die Generierung steuerungsrelevanten Wissens, das den Entscheidungsträgern im Feld angeboten wird. PD Dr. Harm Kuper von der FU Berlin griff in seinem Koreferat die systemtheoretische Perspektive auf und nutzte sie als zweifachen Angelpunkt seiner Kommentierung: Zum einen fokussierte er die Leistungen und Grenzen, die die Anwendung der Systemtheorie auf ein Evaluationsdesign mit sich bringt; zum anderen problematisierte er die kontingente Nutzung des in Evaluationen durch die Wissenschaftler generierten Wissens.
  • In einem zweiten Referat führte Dr. Rita Meyer von der Bundeswehruniversität Hamburg ihr Untersuchungsdesign eines Entwicklungs- und Begleitforschungsprojektes zur arbeitsprozessbezogenen Qualifizierung von IT-Spezialisten vor. In der komplexen Projektarchitektur werden die Entwicklungsarbeit mit der Praxis auf der einen Seite und die Forschungsarbeiten auf der anderen Seite in Personalunion vollzogen. Meyer verortete ihr Evaluationstätigkeit unter dem Paradigma der Handlungsforschung: Die Wissenschaftler changieren zwischen dem strukturierenden, wissensbasierten Eingriff in die Praxis und der wissenschaftlichen Beobachtertätigkeit. Die daraus resultierenden Anforderungen bildeten den Ausgangspunkt des Koreferates von Dr. Alexander Wörner von der Universität Tübingen. Er nahm die Ambivalenzen, die eine solche Doppelrolle mit sich bringt, in den Blick und problematisierte das spezifische Theorie-Praxisverhältnis, das über derartige Settings eröffnet wird.
  • Der dritte Beitrag bewegte sich in einem klassischen Feld der Erwachsenenbildung – nämlich der Evaluation von Lehr-Lern-Interaktionen: Katja Tödt vom ArtSet-Institut Hannover beschäftigte sich in ihrem Beitrag mit der Frage der Messbarkeit von Lernerfolg. Im Anschluss an die Lerntheorie Holzkamps begab sie sich im Rahmen eines Projektes zur Qualifizierung von Analphabeten auf die Suche nach einem Konzept, mit Hilfe dessen Lernerfolg messbar gemacht werden kann. Die Koreferentin, Alexandra Ioannidou von der Universität Tübingen, griff die Operationalisierung des Lernbegriffs auf und verwies auf die Komplexität, mit der eine Indikatorenbildung in diesem Fall einhergeht. Zudem thematisierte sie Friktionen, die zwischen Evaluator, Evaluationsgegenstand und Aussagekraft des über die Evaluation generierten Wissens aufzutreten vermögen.

Das Verbindende der Beiträge zeigte sich, so ein Befund der abschließenden Diskussion, in methodologischen Fragen der Evaluations- und Begleitforschung. Es wurden grundlegende Fragen zum Stellenwert von Begleitforschung sowie zur Abgrenzung von Evaluation, Handlungsforschung und empirischer Forschung diskutiert. Geht es bei Evaluation im weitesten Sinne immer um die Bewertung und die Bereitstellung steuerungsrelevanten Wissens, zielt Handlungsforschung über die Wissensbeschaffung hinaus auf Intervention in die Praxis durch die Wissenschaftler selbst. Die empirische Forschung im traditionellen Sinn dagegen konzentriert sich auf den Erkenntnisgewinn in Form von Theorieprüfung bzw. Theoriegenerierung. Vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen wurden die Rolle des Forschers bzw. Evaluators sowie das Theorie-Praxis Verhältnis thematisiert. Zudem führten die Abgrenzungs- und Differenzierungsdiskurse zu Fragen nach der jeweiligen Relevanz des generierten Wissens für die Weiterentwicklung der Praxis und nach den jeweiligen Möglichkeiten wissenschaftlich fundierter Theoriebildung. Nicht zuletzt wurden – übergreifend über alle drei Projekte – Fragen zum Einsatz spezifischer Forschungsmethoden bzw. zu ihrer Kombination in additiven oder auch triangulierenden Designs erörtert. Methodologische Fragen, wie sie in der Arbeitsgruppe erörtert wurden, gewinnen aktuell an Bedeutung, was sich u.a. an den von der DFG aufgegriffenen Diskussionen über eine „nutzeninspirierte Grundlagenforschung“ ablesen lässt oder auch an der amerikanischen Diskussion über Konzepte der „Design-Forschung“.

 

In der AG 5 (moderiert von Dr. Carola Iller und Dr. Sabine Schmidt-Lauff) wurden zwei Perspektiven betrachtet: zum einen Online-Forschungsmethoden zum anderen Weiterbildungsforschung über virtuelle Lernräume. Daraus ergeben sich unterschiedliche Einschätzungen über Probleme und offene Fragen, die sich auf den drei Ebenen: technische Umsetzung, Forschende und Beforschte konkretisieren. Den Input lieferten die Beiträge von Sabine Lauber über das Projekt „KOSFO - Kompetenzentwicklung von Lernmittlern in selbstorganisierten Foren als neue Organisationsform“, von Dr. Gregor Hovemann zur „Methodischen Konzeption zur Schaffung von  Orientierungsgrundlagen für die Gestaltung von Fort-  und Weiterbildungsangeboten. Das Beispiel der Geschäftsfeldplanung an der Deutschen Sporthochschule Köln“ und von Dr. Christiane Schmidt über „Studentische Leitfadeninterviews als Forschungsmethode und Lerngegenstand eines virtuellen hochschulübergreifenden Seminars“. Fragen nach der Wahrung der Anonymität trotz IP-Adressen, der Gefahr des Mehrfachausfüllens bzw. Rücklaufs von Online-Fragebögen aus nicht beabsichtigten Zielgruppen oder das Erreichen eines spezifischen Samplings konnten an den in den beiden ersten Beispielen vorgestellten Online-Befragungen gut verdeutlicht werden. Denn in dem einen Fall war wegen der Offenheit der Zielgruppenansprache nicht eindeutig zu klären, ob die Stichprobe repräsentativ und der Rücklauf ausreichend ist. In dem anderen Fall konnte wegen der betriebsinternen Durchführung der Befragung die Anonymität praktisch nicht sicher gestellt werden. Am Beispiel der virtuellen Lehrveranstaltung wie auch der Online-Befragungen wurde deutlich, dass ein Mix aus Online- und Offline-Kommunikation notwendig ist.  Als offenes Problem wurde die generelle Ausgrenzung durch Online-Methoden extrahiert. Im Gegenzug dazu konnten jedoch auch neue Chancen, z.B. durch Steuerungsmöglichkeiten aufgrund technischer Datentransparenz, Teilhabe der Befragten an entstehenden Ergebnissen, Anregungen zur Motivation und Selbstreflexion, die Vereinfachung von Nachbefragungen, die Integration (verlinkter) Hintergrundinformationen bzw. Kontakte und veränderte Kommunikationsformen (technisch-methodisch; synchron-asynchron, langfristig-different) ausgemacht werden. Letztlich zeichnete sich in der AG ab, dass das Ziel einer sinnvollen Integration von Online-Verfahren nur durch eine erweiterte ‚reflektierende Methodologie’ zu erreichen ist, die sowohl Erkenntnisinteresse, als auch Thema und virtuelle Methoden miteinander in Beziehung setzt.

 

Der Workshop wurde auch diesmal von der „AG Weiterbildungsforschung“ der Sektion Erwachsenenbildung der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft (DGfE) in Kooperation mit dem Deutschen Institut für Erwachsenenbildung (DIE) organisiert. Die positive Resonanz auf die bisherigen Veranstaltungen hat die Organisator/inn/en dazu bewogen, die Workshop-Reihe im nächsten Jahr fortzuführen. Der Workshop wird am 23./24. Februar 2005 in Bergisch-Gladbach stattfinden. Nähere Informationen finden Sie dazu demnächst auf den Websites des DIE und der Sektion Erwachsenenbildung der DGfE: http://www.uni-flensburg.de/allgpaed/sektion_eb/index2.html

 

Deutsches Institut für Erwachsenenbildung
Mai 2004

Carola Iller u. a., Wissenschaftler/innen intensivieren Methodendiskussion -
2. Workshop Weiterbildungsforschung der Sektion Erwachsenenbildung und des DIE.
Online im Internet:
URL: http://www.diezeitschrift.de/22004/iller04_01.htm
Dokument aus dem Internetservice Texte online des Deutschen Instituts für Erwachsenenbildung
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