DIE Zeitschrift für Erwachsenenbildung

Innovation als Chance?

Projekt zu Multimedia in der Erwachsenenbildung

Richard Stang / Andrea Nispel

Andrea Nispel
ist wisssenschaftliche Mitarbeiterin im DIE-Projekt Pädagogische Innovation mit Multimedia in der Erwachsenenbildung".
Richard Stang
ist Referent für Kultur und Medien am Deutschen Institut für Erwachsenenbildung und DIE-Redakteur.

Wie kann Multimedia Erwachsenenbildung verändern? Welche Perspektiven gibt es hinsichtlich neuer Konzepte, Lernarrangements, Lernorte und organisatorischer Strukturen? ­ Der Beitrag skizziert Ergebnisse und Erfahrungen eines DIE-Projekts zu Multimedia: die Analyse von exemplarischen Programmangeboten, gute Praxisbeispiele und ein Fortbildungskonzept für ErwachsenenbildnerInnen.

Innovation ist zum Schlagwort einer Zeit geworden, die durch einen rasanten technischen Wandel geprägt ist. Vor allem in dem Bereich Informations- und Kommunikationstechnik werden die technischen Innovationszyklen immer kürzer. Besonders auffällig wird dies an der nur noch schwer nachvollziehbaren Erneuerung der Computergenerationen". Kaum ist ein Computer gekauft, bedarf es schon der Nachrüstung, um die neueste Software auf dem Markt nutzen zu können. Innovation wird immer mehr zu einer quantitativen Kategorie: größer (Speicherkapazität), schneller (Rechnergeschwindigkeit), weiter (Vernetzung).

Für die Analyse qualitativer Dimensionen der innovativen Potentiale neuer Techniken bleibt kaum noch Zeit. Deshalb verwundert es nicht, daß Allgemeinplätze wie Die Gesellschaft muß innovativer werden" oder Die Zukunft Deutschlands hängt von der Innovationsfähigkeit ab" die politischen Diskussionen bestimmen. Hierbei geht es allerdings weniger um eine zukunftsorientierte Veränderung der Gesellschaft als vielmehr um die Sicherung der Stellung Deutschlands auf dem internationalen Markt. Die Richtung der Entwicklung ist dabei klar: von der Informationsgesellschaft zur Wissensgesellschaft. Doch liegen auf dem Weg dorthin viele Hindernisse. Eines der größten ist von Wirtschaft und Politik längst ausgemacht: die Bildung.

Mit Schule, Hochschule und Weiterbildung sind derzeit alle Bereiche unseres Bildungssystems in der Kritik. Die zentrale Frage, die sich in diesem Zusammenhang stellt, lautet: Ist unser Bildungssystem noch zeitgemäß? Leicht kommt als Antwort ein Nein" über die Lippen. Allerdings wird einem schnell bewußt, daß diese pauschale Antwort den aktuellen Entwicklungen und Veränderungsprozessen nicht gerecht wird. Vielmehr bedarf es eines differenzierteren Blickes auf das Feld der Bildung.

Für die Erwachsenenbildung wird dieser differenzierte Blick vom Deutschen Institut für Erwachsenenbildung (DIE) (http://www.die-frankfurt.de) mit dem Projekt Pädagogische Innovation mit Multimedia in der Erwachsenenbildung" entwickelt. Das Projekt wird vom Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie (BMBF) (http://www.bmbf.de) gefördert und in Zusammenarbeit mit dem Adolf Grimme Institut (http://www.grimme-institut.de) bearbeitet. Ziele sind: den aktuellen Stand der Entwicklungen im Bereich Multimedia in der Erwachsenenbildung" zu eruieren, gute Praxisbeispiele ausfindig zu machen und darzustellen sowie eine Konzeption für zukünftige Fortbildungsaktivitäten für ErwachsenenbildnerInnen zu entwickeln. Im Zentrum steht weniger der Bereich der beruflichen Weiterbildung, sondern vor allem die allgemeine Erwachsenenbildung (politische Bildung, kulturelle Bildung, Umweltbildung usw.). Bislang gibt es auf diesem Feld keine Informationsbasis, die einen Überblick über die Entwicklungen in Deutschland erlaubt.

Schon zu Beginn des Projektes Ende 1996 wurde deutlich, daß es einer Entscheidung bedarf, welche Bereiche der Informations- und Kommunikationstechniken unter dem Begriff Multimedia" überhaupt zusammengefaßt werden sollten. Dabei kristallisierte sich heraus, daß es sinnvoll ist, sowohl Offline- als auch Online-Anwendungen zu berücksichtigen. Durch die zunehmende Konvergenz der einzelnen technischen Ebenen wird es immer schwieriger, einzelne Bereiche eindeutig voneinander abzugrenzen. Deshalb ging die Projektarbeit von einem offenen Verständnis des Begriffes Multimedia" aus.

Ein zentrales Element stellt die Analyse von exemplarischen Programmangeboten zu Multimedia in der Erwachsenenbildung dar. Unter repräsentativen Gesichtspunkten wie z.B. Siedlungsstruktur, Trägerschaft und Gesamtangebot wurden 55 Volkshochschulen ausgewählt, deren Programme über drei Semester (Frühjahr 1996 (96/I), Herbst 1996 (96/II), Frühjahr 1997 (97/I)) vollständig nach Angeboten im Bereich Multimedia ausgewertet wurden. Insgesamt fanden sich 597 Ausschreibungstexte, die für die Analyse von Relevanz waren.

Auffallend war die Dynamik in der Angebotsentwicklung. Während sich die Anzahl der klassischen" Angebote zu einzelnen Techniken zur Erstellung multimedialer Anwendungen (Bildbearbeitung, Soundbearbeitung, Grafik usw.) eher langsam steigerte (96/I: 45; 96/II: 64; 97/I: 67), schnellte die Zahl der Angebote im Bereich Internet" deutlich nach oben (96/I: 68; 96/II: 113; 97/I: 176). Auch Angebote, die beide Bereiche integrieren, hatten immensen Zuwachs ((96/I: 3; 96/II: 24; 97/I: 37). In dieser Angebotsentwicklung spiegelt sich der Boom wider, der im Bereich der Online-Kommunikation" eingesetzt hat.

Auf der inhaltlichen Ebene läßt sich feststellen, daß das Gros der Angebote sich auf die Vermittlung der Technik bezieht. Politische Reflexionen über Multimedia finden begrenzt im Rahmen von politischer Bildung statt, künstlerisches Experimentieren mit den neuen Techniken kommt kaum vor, auch bei Sprachlernangeboten wird die Verwendung von Multimedia in den Ankündigungen kaum genannt.

Betrachtet man jedoch die Entwicklung des Bildungsangebots der Volkshochschulen im Online-Bereich differenzierter, so fällt folgendes auf: Die Frage nach dem Nutzen des Internet für eng eingegrenzte Zielgruppen (z.B. Juristen oder Umweltschützer) taucht immer häufiger auf. Auch die Zahl der Angebote, die sehr spezifische Informationssegmente im Internet zugänglich machen (z.B. für Klein- und Mittelunternehmen relevante EU-Datenbanken) hat eine erhebliche Steigerungsrate in den drei untersuchten Semestern gehabt. Allein die Nutzung multimedialer Anwendungen zur Erweiterung des didaktisch-methodischen Repertoires in der Erwachsenenbildung hat Seltenheitswert. Deshalb fällt sofort ein Angebot ins Auge, bei dem in einem Rhetorik-Seminar ein multimediales Lernprogramm für eine Selbstlern-Sequenz in einem Gruppenlernprozeß zum Einsatz kommt.

Insgesamt macht die Analyse der exemplarischen Programmangebote deutlich, daß derzeit die Auseinandersetzung mit der Technik noch im Mittelpunkt der Bildungsaktivitäten steht. Es gibt nur wenige Ansätze, um Multimedia als didaktisches Mittel in Lerprozesse zu integrieren. Gerade hier bedarf es in den nächsten Jahren verstärkter Aktivitäten und vor allem mehr Experimentierfreude.

Auch eine Analyse der Fachliteratur weist Multimedia als Boom-Thema der letzten Jahre aus, doch gibt es kaum detaillierte und empirisch abgesicherte Analysen über den Einsatz und den Nutzen von Multimedia in der Erwachsenenbildung. Wenn, dann liegen vor allem erste Erfahrungen mit Angeboten zu Telelearning vor, die von Universitäten und Fachhochschulen realisiert werden. Noch immer fehlt es an groß angelegten Untersuchungen über innovative Potentiale des Einsatzes von Multimedia in der Erwachsenenbildung. Hier gibt es einen erhöhten Forschungsbedarf.

Wie Multimedia Erwachsenenbildung verändern kann, läßt sich derzeit am besten an relevanten Praxisbeispielen zeigen. Im Rahmen des Projektes wurden solche Beispiele auf zwei ExpertInnen-Kolloquien präsentiert und diskutiert. Bewußt wurden für diese Kolloquien auch neue Lernorte" ausgewählt, die durch ihr Ambiente und den Zugang zu den medialen Welten jeweils einzigartig in Deutschland sind: das Heinz Nixdorf MuseumsForum in Paderborn (http://www.hnf.de) und das Zentrum für Kunst und Medientechnologie in Karlsruhe (http://www.zkm.de).

Unter den präsentierten Projekten war u.a. die Tele-Akademie der Fachhochschule Furtwangen (http://www.tele-ak.fh-furtwangen.de). Mit dem weiterbildenden Fernstudium Neue Bildungsmedien: Multimedia und Tele-Lernen" bietet die Tele-Akademie eine berufsbegleitende Weiterbildung für Personen aus dem Bildungswesen an, die auf der Kommunikation im Internet basiert. Die Studieninhalte sind Bildungsmanagement, Mediendidaktik, Medienpädagogik, Medieninformatik. Die Studienbriefe werden über das Internet bereitgestellt und weitere Materialien auf CD-ROM zugeschickt. Im Virtuellen Campus" werden Lerngruppen eingerichtet, deren TeilnehmerInnen via Internet kommunizieren können. Die Tele-Akademie erprobt damit eine neue Form der Weiterbildung über das Netz. Hierbei treten die neuen Medien nicht nur als Lerninhalt in Erscheinung, sondern sie werden als Instrumente des Lernens eingesetzt.

Mit der Stadtbücherei Stuttgart (http://www.s.shuttle.de/buecherei) präsentierte sich ein traditioneller Lernort, der mit Hilfe von Multimedia verändert wird. So entwickelt sich die Kinderbibliothek zum Kindermedienzentrum, bei dem u.a. PC-Plätze mit Lernprogrammen neben den Büchern zur Verfügung stehen. Die Erwachsenenbibliothek gestaltet Nachfrageschwerpunkte zu Lernateliers aus, in denen die verschiedenen Medien in Lernzusammenhängen präsentiert werden. Die Einführung ins Internet gehört genauso zum Service wie medienpädagogische Angebote, die die produktive künstlerische Nutzung des Internet fördern. Durch den Aufbau eines Angebots Lernen im Netz" sollen Online-Lernangebote recherchiert, thematisch zusammengefaßt und im Web für die NutzerInnen der Stadtbücherei bereitgestellt werden. So entwickelt sich die Bibliothek immer mehr zum multimedialen Lernzentrum.

Einen neuen Weg geht auch die Volkshochschule Hagen (http://www.vhs-hagen.de) mit dem Projekt Internet-Café". Gemeinsam mit der Stadtbücherei, mit der sie seit April 1997 im Amt für Weiterbildung und Medien zusammengelegt ist, wurde das Konzept eines Internet-Cafés für arbeitslose Jugendliche entwickelt. Im Rahmen dieses Projektes sollen öffentliche Internet-Zugänge zur Verfügung gestellt werden, um die informationelle Grundversorgung der Hagener Bevölkerung zu sichern. Außerdem sollen Bildungsungewohnte über das Internet an Weiterbildung herangeführt und mit Multimedia Medienkompetenz vermittelt werden. Dezentral, u.a. in Räumen der Stadtteilbibliotheken und der VHS sowie dem AllerWelthaus, stehen die öffentlichen Zugänge zum Internet zur Verfügung, und die NutzerInnen werden durch Einführungen und Beratungen von den MitarbeiterInnen betreut.

An diesen Beispielen wird deutlich, daß sich durch den Einsatz von Multimedia nicht nur die Zugänge zum Lernen, sondern auch die Lernorte und -kontexte verändern werden. Die Diskussion über eine neue Didaktik und neue Methoden im Zusammenhang mit multimedialen Lernanwendungen zeigt darüber hinaus die Notwendigkeit von Innovationen in der Erwachsenenbildung. Es geht zur Zeit nicht mehr darum, punktuelle Veränderungen vorzunehmen, sondern Erwachsenenbildung mit ihren Konzepten, ihren Lernarrangements, ihren organisatorischen Strukturen und nicht zuletzt ihrer Profession neu zu denken.

Das Projekt Pädagogische Innovation mit Multimedia in der Erwachsenenbildung" hat erste Ansätze aufgezeigt und die Diskussion über die Perspektiven vorangetrieben. Durch die Koordination von Kommunikationsprozessen konnte die Vernetzung gefördert werden. Mit der Konzeption von Fortbildungsbausteinen, die es ermöglichen, Fortbildungsaktivitäten zielgerichtet in diesem differenzierten Feld durchzuführen, wurden Grundlagen zur Professionalisierung der Erwachsenenbildung geschaffen.

Die Notwendigkeit zur konzeptionellen Innovation der Erwachsenenbildung, die vor allem durch die technischen Herausforderungen offensichtlich wird, könnte eine große Chance für den zukunftsorientierten Umbau der Erwachsenenbildung darstellen. Diese Chance läßt sich aber nur nutzen, wenn die VertreterInnen der Politik den Sonntagsreden" auch Taten folgen lassen, die ErwachsenenbildnerInnen ihre Rolle hinterfragen lernen und nicht zuletzt die traditionellen Institutionen der Erwachsenenbildung den Umbau aktiv betreiben. Mit Innovation ist immer auch das Risiko des Scheiterns verbunden. Doch wer die Zukunft mitgestalten will, muß dieses Risiko eingehen.