DIE Zeitschrift für Erwachsenenbildung

Interdisziplinär und pragmatisch

Entwicklung und Einsatz von Multimedia in den USA ­ Ein Reisebericht

Richard Stang
ist Referent für Kultur und Medien am Deutschen Institut für Erwachsenenbildung und DIE-Redakteur.

 

Eine stärker als hierzulande entwickelte Kultur des interdiziplinären Arbeitens in Forschung und Praxis sowie Pragmatismus und Experimentierfreude hat Richard Stang bei einer Recherche-Reise zum Thema Multimedia und Erwachsenenbildung" in den USA festgestellt. Er stellt eine Auswahl von Projekten und Aktivitäten vor ­ mit der Möglichkeit gezielterer Recherchen im Internet.

Jahrelang galten die USA in Fragen der Bildung nicht als erste Adresse. Spätestens aber seit die Auseinandersetzung um die Qualität der Bildung in Deutschland angesichts der Herausforderungen durch die neuen Techniken intensiver geführt wird und von einer Bildungskrise die Rede ist, scheint der Blick über den großen Teich von besonderem Interesse. Dort sind Multimedia und Internet längst selbstverständlicher Bestandteil der Schulbildung, der Hochschulausbildung und nicht zuletzt der Weiterbildung. Wenn dies auch nicht für alle gesellschaftlichen Schichten im gleichen Umfang zutrifft, so läßt sich doch feststellen, daß der Verbreitungsgrad von Computern und vor allem der Zugang zu ihnen an amerikanischen Bildungseinrichtungen besser ist als bislang in Deutschland.

Die selbstverständliche Nutzung multimedialer Anwendungen wie Lernsoftware auf CD-ROM oder Internet hat aber auch eine kulturelle Dimension. In den USA ist die Bereitschaft größer, neue Techniken zu nutzen, auch wenn die Chancen und Gefahren der Entwicklung noch nicht abzusehen sind. Es wird ausprobiert und experimentiert. Dieser pragmatische Umgang mit der Technik ist die Voraussetzung für eine schnellere Entwicklung von multimedialen Anwendungen und deren selbstverständlichen Einsatz auch im Bildungsbereich.

Die Entwicklung und der Einsatz von Multimedia im Bereich der Weiterbildung wird in den USA auf vielen Ebenen vorangetrieben. Im folgenden werden exemplarisch Institutionen und Projekte vorgestellt, die ich im Rahmen einer Recherche-Reise zum Thema Multimedia und Erwachsenenbildung" in den USA besucht habe. Dabei geht es nicht um einen umfassenden Überblick, der hier überhaupt nicht zu leisten wäre, sondern um Momentaufnahmen, die durch die eigene Internet-Recherche vertieft werden können. Auf der Homepage der DIE Zeitschrift finden Sie diesen Artikel mit den jeweiligen Links aktiviert. Der Text erschließt sich nur in allen Dimensionen, wenn Sie ihn medienadäquat ­ im Internet ­ durcharbeiten.

Das zentrale Anliegen des Institute for the Learning Sciences (ILS) an der Northwestern University Evanston (http://www.ils.nwu.edu) ist die Entwicklung innovativer, computergestützter Lernumgebungen. Als interdisziplinäres Forschungs- und Entwicklungszentrum entwickelt es Lernsoftware für den Einsatz in Unternehmen und in der Bildung. Ziel ist es dabei, selbstgesteuertes Lernen zu unterstützen, indem Lernprogramme auf der Basis von Simulationen entwickelt werden, die Feedback-Elemente wie ExpertInnenmeinungen, Aufzeigen positiver und negativer Dimensionen der jeweiligen Entscheidungen usw. enthalten und damit die zentrale Rolle im Lerndesign spielen. Die Programme werden unter anderem für den universitären Kontext entwickelt, wie z.B. Chemlab" (ein virtuelles Chemielabor) oder Is it a Rembrandt?" (ein kunstgeschichtliches Lernprogramm für Studenten anhand der Echtheitsüberprüfung eines Gemäldes von Rembrandt). Diese Programme werden im Studienkontext eingesetzt und in bezug auf Nutzung und Effektivität evaluiert.

Begleitet wird diese Arbeit mit der Publikation von Forschungsreports, um die wissenschaftliche Diskussion über neue Lernkulturen zu fördern. Auffallend ist ­ wie in vielen anderen Institutionen auch ­ die sehr gut funktionierende interdisziplinäre Zusammenarbeit. Hier arbeiten Ingenieure, Informatiker, Pädagogen, Soziologen und Psychologen an gemeinsamen Projekten. Dadurch wird ein permanentes Feedback ermöglicht, was zur Verbesserung der Qualität der Produkte beiträgt.

Mit der Learning Science Corporation (LSC) in Chicago (http://www.lscorp.com) wurde vom ILS eine Firma gegründet, die die kommerzielle Auswertung multimedialer Lernumgebungen betreibt, die auf der Basis der Forschungs- und Entwicklungsergebnisse des ILS entwickelt werden. In der Lernsoftware werden ­ wie im ILS ­ Forschungsergebnisse der Kognitionswissenschaft, der Künstlichen Intelligenz und der Erziehungswissenschaften integriert.

Der Einsatz von multimedialen Simulationsprogrammen schafft die Voraussetzung für eine Lernumgebung, die es NutzerInnen ermöglicht, bestimmte Aufgaben in Angriff zu nehmen, dabei Fehler machen zu können, sich zu verbessern und nicht zuletzt Tips von ExpertInnen aus dem jeweiligen Feld auf Video abzurufen. Programme wie z.B. Anixter Coach" (ein Programm für die Firma Anixter, um die Manager im Bereich der Personalführung zu schulen) oder Yes ­ The Interactive Negotiator" (ein Simulationsprogramm, das das Einüben verschiedener Verhandlungsstrategien ermöglicht) machen die Qualität dieser multimedialen Lernkonzeption deutlich. Für diese technisch und didaktisch sehr gut aufbereiteten Simulationsprogramme gibt es in Deutschland kaum Vergleichbares.

An der Michigan State University in East Lansing arbeitet das Center for Language Education and Research (CLEAR) (http://polyglot.cal.msu.edu/clear/home.html), in dem innovative Projekte im Bereich Fremdsprachenlernen bearbeitet werden. CLEAR ist eines der nationalen Zentren auf diesem Gebiet. Ein Schwerpunkt der Arbeit ist der Einbezug neuer Technologien für das Vermitteln von Fremdsprachen. Dabei werden in interdisziplinären Teams Konzepte für die Nutzung von Multimedia und Internet entwickelt, die dann im Unterricht getestet und evaluiert werden. Neue Entwicklungen im Bereich Telelearning werden hier genauso gefördert wie die Entwicklung von multimedialen Materialien für das Sprachenlernen. Für die StudentInnen werden hierfür spezielle Seminare angeboten.

Viele Universitäten in den USA haben inzwischen im Rahmen der Angebote für die Weiterbildung, die oft an Universitäten angesiedelt ist, Konzepte für Telelearning-Angebote entwickelt; so auch die School of Professional Development and Continuing Studies an der State University of New York at Sony Brook (http://www.sunysb.edu/spd/). Mit dem Electronic Extension Program" (http://www.sunysb.edu/spd/ELECTRIC.htm), das über einen privaten Provider technisch organisiert wird (http://www.tmn.com), werden Kurse für die berufsbegleitende Weiterbildung im Internet angeboten. Dadurch wird dem zunehmenden Bedürfnis der Weiterbildungsinteressierten nach zeitlicher Flexibilität und räumlicher Unabhängigkeit Rechnung getragen. Allerdings hat sich auch bei diesen Angeboten schon gezeigt, daß der Arbeitsaufwand der DozentInnen zur individuellen Betreuung der Teilnehmenden größer ist als bei traditionellen Weiterbildungsangeboten. Die technische Betreuung wird zwar vom Provider übernommen, doch die inhaltliche Organisation der Lern- und Kommunikationsprozesse erfordert intensive Vorbereitung und Betreuung.

Das National Center on Adult Literacy (NCAL) (http://ncal.literacy.upenn.edu) und das International Literacy Institute (ILI) (http://ncal.literacy.upenn.edu/ili/index.html), beide an der University of Pennsylvania in Philadelphia, gehören zu den wichtigsten nationalen bzw. internationalen Instituten in den Bereichen Grundqualifikationen und Alphabetisierung. Für diese Bereiche entwickeln diese Institute Multimedia- und Online-Angebote. Eines der größten Programme ist LiteracyLink (http://www.pbs.org/literacy), das u.a. in Zusammenarbeit mit dem Public Broadcasting Service (PBS) entwickelt wurde, um PädagogInnen mit Materialien für die Arbeit im Bereich Grundqualifikation und Alphabetisierung zu unterstützen.

Betrachtet man nur diese kleine, nicht repräsentative Auswahl an Projekten und Aktivitäten im Bereich Multimedia und Weiterbildung", so wird deutlich, wie vielfältig die Entwicklungen in den USA sind. In allen Bereichen der Bildung wird intensiv an Konzeptionen für multimediale Lernumgebungen gearbeitet. Bemerkenswert dabei sind der Pragmatismus und die Experimentierfreude, mit denen an die Herausforderungen herangegangen wird. Vor allem durch die Kultur des interdisziplinären Arbeitens sowohl in Forschung und Entwicklung als auch in der Weiterbildungspraxis werden interessante, innovative Ergebnisse erzielt. Hierin liegt meiner Ansicht nach auch der Erfolg bei der Entwicklung von multimedialen Lernangeboten. Längst sind uns die USA auf diesem Gebiet voraus, und es gilt nun, aus den Erfahrungen dort hier in Deutschland zu lernen.