DIE Zeitschrift für Erwachsenenbildung

European Citizenship und Employability als Zielvorgaben

Gespräch mit Dr. Klaus Draxler

Dr. Klaus Draxler (K.D.) ist Direktor für Berufsbildungspolitik bei der Europäischen Kommission in Brüssel. ­ Das DIE-Gespräch über Veränderungen in der europäischen Weiterbildungspolitik, über Ziele und Inhalte neuer Programme und die künftige Rolle der Erwachsenenbildung führte Ekkehard Nuissl (DIE) am Rande der europäischen Weiterbildungskonferenz in Manchester im Mai 1998.

DIE: Herr Draxler, wofür sind Sie als Direktor für Berufsbildungspolitik bei der Europäischen Kommission konkret zuständig?

K.D.:Ich bin Direktor für Berufsbildungspolitik in der Generaldirektion 22, die sich mit allgemeiner und beruflicher Bildung und Jugend befaßt. Dazu gehört auch die Durchführung des Programmes LEONARDO.

DIE:Und SOKRATES ressortiert in einem anderen Direktorat?

K.D.:Wir haben innerhalb der Generaldirektion 22 drei Direktorate, die u.a. jeweils für die drei Programme, SOKRATES für allgemeine Bildung, LEONARDO für Berufsbildung und JUGEND, zuständig sind.

DIE:Ende '99 laufen die bisherigen Programme aus. Sie haben in den politischen Gremien, aber natürlich auch in der DG 22, darüber diskutiert, was und wie es danach weitergehen soll. Jetzt wären wir natürlich daran interessiert zu erfahren, was die Hauptlinien dieser neuen Programmatik sind.

K.D.:Die drei Programme SOKRATES, LEONARDO und JUGEND laufen Ende Dezember '99 aus. Die Vorbereitung einer neuen Generation von Programmen begann im letzten Jahr mit einer Veröffentlichung der Kommission (Für ein Europa des Wissens) über Richtlinien für eine einschlägige Politik ­ eine Politik, die diese drei Bereiche enger zusammenbringen soll, da im Sinne eines lebenslangen Lernens die traditionelle Trennung zwischen Erstausbildung und Weiterbildung nicht mehr zielführend ist. Jetzt legt die Kommission Ende Mai Vorschläge für drei neue Programme vor, die dann von den Mitgliedsländern, dem Europäischen Parlament und den anderen zuständigen Gremien beraten werden. Spätestens im Herbst 1999 sollten diese Vorschläge angenommen werden, damit am 1. Januar 2000 mit den neuen Programmen begonnen werden kann.

DIE:Sie sagen, die Trennung soll überwunden werden. Können Sie vielleicht ein paar Beispiele dafür nennen, mittels welcher Regelungen das erfolgen soll?

Lebenslanges Lernen erfordert programmüberschreitende Zusammenarbeit

K.D.:Die neuen Programmvorschläge sind einerseits eine Fortführung der bewährten alten Programme, andererseits ein Versuch, neue Entwicklungen wie das bereits erwähnte lebenslange Lernen einzubeziehen. Ein besonderes Anliegen ist, die programmüberschreitende Zusammenarbeit zu fördern. Wir haben ausdrücklich einen Artikel in den Programmentwürfen vorgesehen, der diese Zusammenarbeit zwischen den drei Programmen, aber auch zu anderen einschlägigen Programmaktivitäten der Europäischen Kommission wie dem Europäischen Sozialfonds vorsieht.

DIE:Das heißt, LEONARDO und SOKRATES sollen enger zusammenarbeiten. Heißt das auch, daß Projekte nur noch dann bewilligt oder gefördert werden, wenn sie nachweisen, daß allgemeinbildende Projekte auch berufsbildende Kooperationspartner haben und vice versa?

K.D.:So weit gehen wir nicht, daß nur solche Projekte, wo eine solche Zusammenarbeit ausdrücklich ausgewiesen ist, durchgeführt werden. Wir laden dazu ein, wir schreiben aber nicht zwingend vor. Auch die neuen Programmvorschläge richten sich an alle in den Mitgliedsländern, die einen Beitrag zur Gestaltung und Verbesserung der Bildungssysteme in Europa über europäische Projekte im Bereich der allgemeinen und/oder beruflichen Bildung einbringen wollen.

DIE:Also Sie schreiben wieder aus, wie das bei den bisherigen Programmen auch üblich war?

K.D.:Die bewährte Durchführung von Programmen über Ausschreibungen soll beibehalten werden. Die von der Europäischen Kommission vorgeschlagenen neuen Verfahren und Regelungen aber sind eindeutig einfacher und übersichtlicher.

DIE:Wir hatten bei SOKRATES etwa die Regel, daß es mindestens drei Partnerländer sein müssen, die ein Projekt durchführen. Wird diese Regel weiterbestehen?

K.D.:Ich will mich nicht darauf einlassen, wie im Einzelfall die Regeln aussehen werden. Sie werden sicher Gegenstand ausführlicher Diskussionen mit den Mitgliedsländern sein.

DIE:Ich kenne SOKRATES ganz gut, weil ich das Projekt koordiniert habe, das die Evaluation der Aktion Erwachsenenbildung zum Ziel hatte. In diesen Projekten und auch in den Programmen war unter dem Gesichtspunkt eines europäischen Mehrwerts ­ European Added Value ­ der Aspekt der European Citizenship besonders wichtig. Ist das weiterhin ein wichtiger Topos?

K.D.:Als wir die neuen Programme vorbereiteten, wurden bestimmte Zielvorgaben gemeinsam erarbeitet, die sowohl für SOKRATES und LEONARDO, aber auch für JUGEND gelten. Dazu gehört neben European Citizenship auch Employability.

DIE:Wie gehen Sie mit den unterschiedlichen Regionen Europas um? Wir haben doch die Erfahrung gemacht, daß beispielsweise Griechenland ganz andere Erfordernisse und Probleme hat als Großbritannien und Irland wieder andere als Italien? Gibt es da eine bestimmte Schwerpunktsetzung oder Akzentuierung, oder wie wird das aufgegriffen in den Programmrichtlinien?

Regionale Gegebenheiten berücksichtigen

K.D.:Die regionale Zusammenarbeit ist ein ganz wesentliches Element aller Programme, die in der Generaldirektion 22 durchgeführt werden. Unser Anliegen ist, neue Entwicklungen zu fördern. Was ist neu, und was ist Innovation? Die Auffassungen sind recht unterschiedlich: Man hat z.B. darüber in Griechenland andere Vorstellungen als in Großbritannien. Lokale und regionale Gegebenheiten sind zu berücksichtigen.

DIE:Ist also Innovation dann auch etwas, was in einer Region eine good practice ist und in einer anderen noch gar nicht wahrgenommen worden ist?

K.D.:Innovation ist in diesem Sinn ein relativer Begriff. Good practice bedeutet nicht eine Eins-zu-Eins-Übertragung, sondern erfordert entsprechende Anpassungen.

DIE:Es ist in der ,europäischen Szene' beklagt worden, daß das Programm SOKRATES in der konkreten Projektpolitik materiell schlechter ausgestattet war als LEONARDO. Sehen Sie das auch so, und wie wird das in Zukunft sein?

K.D.:Ich glaube, da liegt ein Irrtum vor: SOKRATES verfügt über mehr Geld als LEONARDO.
Der Mittelrahmen für SOKRATES liegt in der Größenordnung von 950 Mio. Ecu, für das LEONARDO-Programm von 700 Mio. Ecu.

DIE:Aber SOKRATES hat auch ein breites Spektrum mit LINGUA und COMENIUS. Wird es Erwachsenenbildung als Aktion weiter geben in SOKRATES?

K.D.:Die Rolle der Erwachsenenbildung in SOKRATES, unabhängig von der Berufsbildung, könnte in verbesserter Form weitergeführt werden, wobei dabei insbesondere dem Aspekt des lebensbegleitenden Lernens eine bedeutende Rolle zukommt und die allgemeine Erwachsenenbildung als Grundvoraussetzung für eine europäische Bürgerschaft und ,Employability' von Personen angesehen werden kann. Hier ist aber ein Ansatzpunkt für gemeinsame Projekte. Sicherlich wird Erwachsenenbildung einer der Bereiche sein, wo diese neue Möglichkeit der Zusammenarbeit von beiden Programmen besonders genutzt werden soll.

DIE:Aber es wird weiter eine Aktion Erwachsenenbildung geben?

K.D.:Ich glaube, es ist zu früh, im Detail Definitives zu sagen, da der Vorschlag ja auch erst noch mit den Mitgliedsländern beraten werden wird. Ich denke aber, daß der allgemeinen Ewachsenenbildung eine gewichtige Rolle im neuen SOKRATES-Programm zukommen wird.

DIE:Könnten Sie vielleicht aus dem Bereich Erwachsenenbildung und berufliche Bildung, wenn Sie das zusammen sehen, ein paar Beispiele nennen, wo Akzente sitzen?

K.D.:Gerade das ist zu früh. Wir haben bislang kaum größere Beispiele für eine Zusammenarbeit zwischen SOKRATES und LEONARDO. Weil das ein Mangel war, soll dies in den nächsten Programmen entsprechend verankert werden.

DIE:Wir haben bei der Evaluation der SOKRATES-Erwachsenenbildungsprojekte auch empfunden, daß da eine stärkere Zusammenarbeit sein muß. Da ist natürlich immer die Frage, ist das eine gleichberechtigte Partnerschaft? Können wir sagen, das Ziel ist es, gleichberechtigt ...

K.D.:... Das Ziel ist, gute Projekte auf die Beine zu stellen, unabhängig von Besitzständen und anderen ähnlichen Überlegungen.

DIE:Gibt es andere oder neue Überlegungen zur Frage der Zusammenarbeit von Bildungsprogrammen, also des Gesamtbereichs LEONARDO/SOKRATES, mit anderen europäischen Programmen, mit dem Sozialfonds beispielsweise oder im Zusammenhang mit den Struktur-Überlegungen?

K.D.:Es gilt für beide Programme, daß die Zusammenarbeit mit anderen Aktionen, insbesondere mit dem Sozialfonds, besonders berücksichtigt ist. Es ist unser Anliegen, klarzustellen, wo die Aufgaben eines Programmes wie SOKRATES und LEONARDO und wo die Aufgaben der künftigen Initiativen im Rahmen des Sozialfonds liegen. Es werden nämlich gleichzeitig nicht nur neue Bildungsprogramme vorgeschlagen, sondern es läuft auch die Diskussion über die Reform des Sozialfonds, und entsprechende Initiativen werden Ende dieses Jahres vorgeschlagen.

DIE:Erwarten Sie Änderungen?

K.D.:Der Vorschlag der Kommission im Zusammenhang mit dem Sozialfond zielt auf eine Neuordnung, vor allem im Hinblick auf die zu erwartende Erweiterung der Europäischen Union. Diese Diskussion ist derzeit noch nicht abgeschlossen.

DIE:Wo liegt der Streit?

K.D.:U. a. in der Neuordnung der Zielsetzungen und in den Vergabekriterien.

DIE:Natürlich! Das Prinzip der Subsidiarität bleibt dabei aber unangetastet?

Subsidiarität bleibt ein Grundsatz

K.D.:Die Subsidiarität bleibt ein Grundsatz der europäischen Bildungspolitik. Der Amsterdam-Vertrag, der einige Änderungen gegenüber dem Maastricht-Vertrag bringt, bedeutet nicht, daß die Artikel 127 und 128 geändert werden.

DIE:Wo, denken Sie, werden im Jahr 1999 die Hauptdiskussionen im Bereich Erwachsenenbildung liegen?

K.D.:Die Diskussion im nächsten Jahr wird sich hauptsächlich mit den Strukturen der beiden Programme und deren Durchführungsbestimmungen befassen wird. Die jährlichen Arbeitsprogramme für SOKRATES und LEONARDO können erst nach Abschluß der Verhandlungen in Angriff genommen werden. Wir beabsichtigen, ein mittelfristiges Arbeitsprogramm zu erarbeiten statt jährlich neue Prioritäten festzusetzen, um hier eine größere Sicherheit für den Benutzer des Programmes sicherzustellen. Die Erwachsenenbildung als Teil des lebenslangen Lernens, einer Politik, die quer durch alle Elemente des Programmes geht, wird dabei entsprechend den Vorstellungen der Mitgliedsländer zu berücksichtigen sein.

DIE:Letzte Frage: Sie waren nicht sehr glücklich in Manchester über die Anhäufung aller möglichen Logos und die relativ unter der anderer Logos liegende Bedeutung des Europa-Logos. Haben Sie öfter mit solchen Situationen zu tun, und kann Erwachsenenbildung dazu beitragen, daß ein stärkeres Bewußtsein sich auch logo-mäßig ausdrückt?

K.D.:Wir machen die Erfahrung, daß Veranstaltungen in einem Land, aber auch Projekte, vornehmlich als Veranstaltungen und Projekte dieses Landes gesehen werden, auch wenn es sich um gemeinsame Aktivitäten handelt. Diese Konferenz wurde von der britischen Präsidentschaft nicht nur mit lokalen und regionalen Partnern, sondern auch mit der Europäischen Kommission gemeinsam vorbereitet. Unsere Mitarbeit wurde zwar geschätzt, aber bei der Ankündigung beinahe vergessen.

DIE:Da spricht schon etwas Enttäuschung mit.

K.D.:Es ist sicher eine Aufgabe der Erwachsenenbildung, ein Europabewußtsein zu entwickeln, das die Gemeinsamkeit, die Bedeutung der Mitarbeit anderer europäischer Partner gebührend berücksichtigt.