DIE Zeitschrift für Erwachsenenbildung

Entwicklungspolitische Wurzeln und umwelt­pädagogische Blüte

Zur Geschichte der »Bildung für nachhaltige Entwicklung«

Heino Apel

Die Rede von der »nachhaltigen Entwicklung« ist derart in aller Munde, dass kaum vorstellbar ist, wie kurz die Begrifflichkeiten erst auf dem »Sprach-Markt« sind: 1987 von der UN auf die Tagesordnung gesetzt, hat sich das Wort »Nachhaltigkeit« ab 1992 zögernd mit der »Bildung« verbündet und kämpft seit spätestens 1998 als »BNE« gegen die bleibend isolierte Wahrnehmung seiner vormals selbstständigen Teile.

Wer über nachhaltige Bildung spricht, muss unter Pädagogen erst einmal klären, was er darunter versteht. »Nachhaltig« bedeutet umgangssprachlich »länger anhaltend«. Danach wird ein Bildungsangebot und insbesondere ein Bildungsprojekt als »nachhaltig« bezeichnet, wenn es langfristige und strukturbildende Wirkungen hinterlässt. »Nachhaltig« in diesem Sinne ist in jüngster Zeit geradezu ein Lieblingswort der Bildungspolitik geworden, weil in Zeiten knapper öffentlicher Finanzen die Hoffnung verständlich ist, mit wenig Mitteleinsatz mög­lichst langfristige Wirkungen erzielen zu wollen. Der unter der kleinen Schar von Umwelt- und entwicklungsorientierten Pädagogen gebrauchte Begriff »Bildung für nachhaltige Entwicklung« zielt dagegen nicht auf langfristige Bildungswirkung, sondern auf ihre Wirkung im Hinblick auf die Fähigkeit, unsere Gesellschaft so zu entwickeln, dass sie langfristig tragfähig (überlebensfähig, zukunftsfähig etc.) wird. Auch diese Konnotation von Nachhaltigkeit findet vermehrten Gebrauch in Wirtschaft und Politik. Betriebe geben »Nachhaltigkeitsberichte« heraus, mit denen sie ihr sozial-ökologisches Engagement unterstreichen, die Bundesregierung besitzt einen Nachhaltigkeitsrat, und der BDI begrüßt eine nachhaltige Standortsicherungspolitik.

Diese inhaltliche Ausrichtung von »Nachhaltigkeit« hat ihren Ursprung in der Brundtland-Kommission 1987 (World Commission 1987), die im UN-Auftrag nach globalen entwicklungspolitischen Leitlinien suchte. Während die entwickelten Nationen die Gefahr einer Ressourcenübernutzung sahen und der unterentwickelten Welt »small is beautiful« empfehlen wollten, drängte die Dritte Welt auf Teilhabe am technischen Fortschritt und an den westlichen Segnungen. Die Kompromissformel des Berichtes lautete »sustainable development« (SD), was in Anlehnung an die forstwirtschaftliche nachhaltige Waldnutzung zu »nachhaltige Entwicklung« eingedeutscht wurde. Erstmals wurden darin ein intergenerationeller Ausgleich und ein Ausgleich zwischen sozialer, wirtschaftlicher und ökologischer Entwicklung der Länder angestrebt.

Allerdings gibt es keine einheitliche Definition des Begriffs. Die UN-Kommission für nachhaltige Entwicklung definiert sehr allgemein: »Development that meets the needs of the present without compromising the ability of future generations to meet their own needs.« Je nach politischer Couleur wird in konkreteren Definitionen mehr die Ressourcenseite (man darf nicht mehr entnehmen, als nachwächst), die intergenerationelle (die Optionen der zukünftigen Generationen nicht beeinträchtigen) oder die soziale Seite (den sozialen Ausgleich zwischen Klassen und Ländern anstreben) betont.

In der Welt-Entwicklungskonferenz in Rio de Janeiro im Jahre 1992 wurde unter massiver Beteiligung von Nichtregierungsorganisationen unter anderem ein Konvolut »Agenda 21« verfasst, das als eine Leitorientierung im Sinne des sustainable development angesehen werden kann, dem alle vertretenen Staaten beipflichteten. Danach sollen in allen Kommunen mit den relevanten gesellschaftlichen Akteuren lokale Foren gegründet werden, die nachhaltige Leitbilder entwerfen (die »Lokalen Agenden«), die dann den politisch Verantwortlichen anempfohlen oder mit ihnen zusammen gestaltet werden. Kapitel 36 der Agenda 21 ist den Aufgaben der Bildung gewidmet: Ihr wird die Aufgabe gestellt, an dieser »zukunftsfähigen« Entwicklung maßgeblich mitzuwirken. Es wird dort auf fächerübergreifende Themenbehandlung, neue Methodiken, Öffnung der Lernorte (in die Gesellschaft einbringen) und insbesondere auf eine Verbindung von Umweltbildungsansätzen mit entwicklungsorientierten Ansätzen hingewiesen. Der Text ist so offen gehalten, das sich eine konkrete Bestimmung einer »education for sustainable development« daraus nicht entnehmen lässt. Kritiker sagen, dass hier der Bildung etwas aufgepfropft wurde, was zuförderst Aufgabe der Politik gewesen wäre.

In der Bundesrepublik erfolgten unmittelbar nach 1992 weder Lokale-Agenda-Bewegungen noch wurde über Bildung für eine nachhaltige Entwicklung diskutiert. Die Rio-Ergebnisse waren nur wenigen Eingeweihten in der Politik und bei den Nichtregierungsorganisationen bekannt. Das änderte sich 1995, als das Wuppertal-Institut im Auftrag von BUND und Misereor seine Studie »Zukunftsfähiges Deutschland« vorlegte, die eine unmittelbare Umsetzung des Nachhaltigkeitsleitbildes für Deutschland bedeutete. Mit großem Publicity-Aufwand gelangte das Thema in die breite Öffentlichkeit. Rezipiert wurden die Visionen und Entwicklungsvorschläge besonders von Vertretern der Umweltbildung (in Folge der BUND-Verantwortlichkeit) und von Dritte-Welt-Gruppen (in Folge der Misereor-Beteiligung). »Bildung« kam in dieser Veröffentlichung zwar nicht vor, aber es war allen Beteiligten schnell klar, dass für die Umsetzung eines solchen visionären Leitbildes Aufklärung und Bildung eine wichtige Voraussetzung sind.

Es begannen die ersten Lokalen Agenden, in denen häufig Bildungseinrichtungen oder kirchliche, entwicklungsengagierte Gruppen als initiierende Akteure mitwirkten. Das Bundesbildungsministerium und die Bundesumweltstiftung nahmen sich des Themas an, es gab erste Bildungsarbeitsgruppen und erste Projekte, und nicht zuletzt das DIE hat sich mit seiner damaligen »Clearingstelle Umweltbildung« auf vielen Tagungen als Multiplikator in Sachen Nachhaltigkeit betätigt.

In dieser Zeit war der Aufschwung, den die Erwachsenen-Umweltbildung v.a. in den 1980er Jahren genommen hatte, einer Stagnation gewichen bzw. der Bereich hinsichtlich Veranstaltungs- und Teilnehmerzahlen gering rückläufig geworden (vgl. Abb. 1). Einerseits traten wirtschaftliche Themen in den Vordergrund, andererseits entsprachen die Angebotskonzepte häufig nicht mehr dem Zeitgeist und nicht zuletzt mussten sich die Einrichtungen zunehmend auf marktgängige Produkte konzentrieren.

Dies war fruchtbarer Boden für eine Debatte um den Sinn und Unsinn einer BNE neben oder anstelle der klassischen Umweltbildung. Einige erkannten hier ein Modernisierungskonzept für die Umweltbildung, etliche Pädagogen sahen in dem Konzept aber nur »alten Wein in neuen Schläuchen«, was einerseits als Reformresistenz angesehen werden konnte, anderer­seits aber auch eine gewisse Berechtigung hat, wenn man an die ökopädagogischen Konzepte der 1970er Jahre denkt, die als Begleitung zur Bürgerinitiativbewegung lokalpolitisches Engagement einforderten, Interdisziplinarität und Gestaltung eines besseren Lebens der Betroffenen (z.B. mit dem Instrument Zukunftswerkstatt) anstrebten – allesamt Kennzeichen der BNE.

Politischer Druck wurde vom Bundesbildungsministerium und von der Bundesumweltstiftung ausgeübt, weil spätestens ab 1998 aus dem Umweltumfeld nahezu nur noch Projekte genehmigt wurden, die einen Nachhaltigkeitsbezug hatten. Dieser Erneuerungsimpuls erfasste aber kaum die Vertreter der allgemeinen Weiterbildung, so dass BNE eine Angelegenheit für Umweltpädagogen oder für in Drittweltfragen Engagierte blieb, obwohl allen bewusst war, dass das Konzept einen fachübergreifenden Anspruch hatte.

Auch wenn im Kapitel 36 der Agenda 21 explizit gefordert worden war, dass Umweltinteressierte und Entwicklungsinteressierte zu einem gemeinsamen Bildungsverständnis kommen sollten, fanden in Deutschland die bislang getrennten Kreise der Erwachsenen-Umweltbildung und der Vertreter der entwicklungsorientierten Bildung über die Kommunikationsprozesse zum neuen Bildungsverständnis nicht zueinander. Selbst in der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft (DGfE) hat jedes Lager eine eigene Kommission. Das »Umweltlager« versuchte in seinen Konzeptenwürfen, die maßgeblich von Gerhard de Haan beeinflusst waren, im thematischen Bezug dem Dreieck Ökologie, Wirtschaft und Soziales unter Einbezug der globalen Fragen gerecht zu werden, während sich die »Eine-Welt-Gruppierungen« mehr auf die entwicklungspolitischen, wirtschaftlich-sozialen und interkulturellen Aspekte konzentrierten, was im Konzept des »Globalen Lernens« seinen Niederschlag fand. In der Verbandserklärung »Globales Lernen als Aufgabe und Handlungsfeld entwicklungspolitischer Nichtregierungsorganisationen« (www.globales-lernen.de/konzept/venropap.htm) vom Dezember 2000 wird ein ausgefeiltes didaktisches Konzept vorgelegt, das sich auch auf das Kapitel 36 der Agenda 21 bezieht, aber den Begriff »Bildung für nachhaltige Entwicklung« tunlichst vermeidet.

Die erste deutsche offizielle bildungspolitische Stellungnahme zur BNE liefert das BLK-Heft 69 »Bildung für eine nachhaltige Entwicklung – Orientierungsrahmen« aus dem Jahre 1998. Sie setzt in ihren didaktischen Prinzipien weitgehend auf die damalige aktuelle pädagogische und weiterbildungspolitische Debatte. Der Konstruktivismus wird bereits bemüht, der Übergang von der Qualifikations- zur Kompetenzdebatte wird sichtbar, und der Begriff »Lebenslanges Lernen« hält Einzug. Das Papier enthält neben didaktischen Prinzipien eine Bestandsaufnahme aller Bildungsbereiche.

Mehr mit dem Blick auf Schulpädagogik ist das Gutachten zum BLK-Programm »Bildung für eine nachhaltige Entwicklung« (de Haan/Harenberg 1999) zu lesen. Darin beziehen sich die Autoren in ihren bildungstheoretischen Konzeptionen wesentlich auf den Orientierungsrahmen, wobei sie dessen partizipative Schlüsselkompetenzen zum Begriff »Gestaltungskompetenz« bündeln, der im BLK-Programm 21 das Hauptlernziel für schulische Curricula darstellt. Dabei werden acht Teilkompetenzen unterschieden, in denen Lernende für die Zukunft ausgebildet werden sollen (vgl. de Haan 2002):

Das 1999 mit einer Laufzeit von fünf Jahren gestartete »21«-Programm übte einen maßgeblichen Einfluss auf die Umsetzung der BNE in der Schule aus und entwickelte didaktische Konzepte zur BNE. Ein solch einflussreiches Programm fehlt bislang für die Erwachsenenbildung.

Ende der 1990er Jahre wurde im Auftrag der Bundesumweltstiftung eine bundesweite Umfrage bei allen Trägern außerschulischer Umweltbildung durch­geführt, um Ausmaß und Inhalt der Angebote zu erfassen (vgl. Giesel u.a. 2001). Ca. ein Drittel aller Einrichtungen gab an, in ihrem Angebot auch BNE-Themen zu führen. Das DIE führte mehrfach Lehrplananalysen an Umweltbildungseinrichtungen durch, die diesen hohen Prozentsatz nicht bestätigen. Die jüngste Untersuchung aus dem Jahre 2004 (internes Dokument) an den 50 Volkshochschulen, die nach ihrer Statistik Umweltbildung im größeren Umfang anbieten, ergab, dass in nur wenigen Einrichtungen Angebote zur Unterstützung des lokalen Agenda-Prozesses vorliegen, dass aber Bildungsangebote, die deutlich zur BNE gezählt werden könnten, nahezu nicht vorkommen. Fehlanzeige auch in den übrigen Sparten der allgemeinen Bildung: Wenn eine Fachgebietsbezeichnung im Programmheft auftaucht, dann wird der Begriff »Umweltbildung« oder »Ökologie« gewählt. Eine Online-Umfrage (Apel 2005) bei Vertretern der außerschulischen Umweltbildung belegte, dass diese Profession mit dem Konzept vertraut ist, in der Abgrenzung zur Umweltbildung noch Unsicherheiten hat und BNE-Angeboten gegenüber aufgeschlossen ist. Seit Jahren liegt damit in der Erwachsenenbildung eine Situation vor, dass die aus dem Umweltkontext stammende Klientel das Konzept richtig findet, aber noch keine Wege gefunden hat, über welche Formen und inhaltliche Ausrichtung BNE-Konzepte erfolgreich am freien Bildungsmarkt angeboten werden können. (Die jüngere Entwicklung der BNE ist ergänzend im folgenden Beitrag beschrieben, d. Red.)

Literatur

Apel, H. (2005): Umweltbildung und »Bildung für eine nachhaltige Entwicklung« – was denken die Multiplikatoren darüber? URL: www.die-bonn.de/esprid/dokumente/doc-2005/apel05_01.pdf

de Haan, G. (2002): Die Vermittlung von Gestaltungskompetenz als Ziel der Bildung für eine nachhaltige Entwicklung und ihre Verknüpfung mit einem schulischen Nachhaltigkeitsaudit. URL: www.prosina.de/pdf/Gestaltungskompetenz.pdf

de Haan, G./Harenberg, D. (1999): Bildung für eine nachhaltige Entwicklung – Gutachten zum Programm (BLK-Heft 72). Bonn

Giesel, K.D./de Haan, G./Rode, H./Schröter, S./Witte, U. (2001): Außerschulische Umweltbildung in Zahlen. Die Evaluationsstudie der Deutschen Bundesstiftung Umwelt. Berlin

World Commission on Environment and Development (1987): Our Common Future. Oxford

Dr. Heino Apel ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Institut für Erwachsenenbildung (DIE)