DIE Zeitschrift für Erwachsenenbildung

BNE als schwer kommunizierbares Label

»Betrifft mich nicht!«

Dietmar Fahnert

Dr. Dietmar Fahnert betreibt die Info-Servicestelle Umweltbildung bei der Akademie für Natur und Umwelt des Landes Schleswig-Holstein in Neumünster.


Die Umweltakademie des Landes Schleswig-Holstein hat in den vergangenen Jahren die Umweltbildung in Richtung auf BNE erheblich professionalisiert und gilt bundesweit als Vorreiterin auf dem Gebiet. Über die Modellversuche zur Qualitätsentwicklung und Zertifizierung im Sinne des BNE-Ansatzes wird an anderer Stelle im Heft berichtet (S. 46). Dass die Akademie dabei ihre Bodenhaftung nicht verloren hat, sondern über die Probleme durchaus im Bilde ist, die das Konzept der BNE in der Praxis aufwirft, zeigt der folgende, bewusst zugespitzte Beitrag von Dietmar Fahnert. Er hat mit seiner bei der Umweltakademie angesiedelten »Info-Servicestelle Umweltbildung« recht unmittelbaren Zugang zu Einstellungen außerschulischer Anbieter im Bereich Eine-Welt- und Umweltbildung des Landes.

Das Monstrum »Bildung für nachhaltige Entwicklung«, kurz: »BfnE«, inzwischen nur noch »BNE« - warten wir noch ein wenig, vielleicht geht es dann ganz wieder weg wie Halsschmerzen -, was will es von uns? Der geradezu verzweifelte Wunsch von Politik und Verwaltung, über mehr Öffentlichkeit (eine ganze UN-Dekade lang!) einem Gedankengut zum Durchbruch zu verhelfen, welches nach Überzeugung vieler eine dringende Notwendigkeit darstellt, ist mit der Worthülse Agenda 21 doch schon einmal gescheitert - nicht nur in Schleswig-Holstein werden reihenweise Agenda-Büros wieder eingestampft, was ich als Indiz für eine ermüdungsbedingte Abkehr vom einstmals mit Optimismus eingeschlagenen Weg zur Umsetzung der Beschlüsse von Rio auf lokaler Ebene werte. Warum sollte es jetzt, da daraufhin ein offenbar als kurz- und langfristig zielführenderer angesehener Teilaspekt der Agenda 21 (die Bildung nämlich!) als Hebel für die weitere Umsetzung und für die Öffentlichkeitsarbeit isoliert wurde, mit der nächsten Worthülse BNE anders verlaufen?

Es gibt Markenbegriffe wie Tesafilm oder Nutella, die zur Produktbezeichnung geworden sind. Es gibt aber auch andere, die ein Paket markieren sollen, dessen Inhalt für viele recht unbestimmt und den meisten sogar völlig gleichgültig ist - möglicherweise auch bleiben soll! Gleichwohl sind sie - oft ziemlich unreflektiert - in aller Munde, weil sie täglich, auch von Prominenten, vielfach gebraucht werden. Große Steuerreform, Agenda 2010 und andere politische Programme funktionieren so - Bildung für nachhaltige Entwicklung ebenfalls, nur ist dieses Label nicht attraktiv genug, um auf den Inhalt auch nur im geringsten neugierig zu machen! Es ist gar so umständlich, dass es zu dem für Nicht-Experten vollends unbegreifbaren Kürzel BNE kommen musste. So hat kürzlich ein Kreisbeauftragter für Umwelterziehung in Schleswig-Holstein mehr als 1,5 m2 Pressemitteilungen über gute Beispiele schulischer Umsetzung von BNE-Ansätzen präsentiert, ohne dass eine der für jene Beispiele verantwortlichen Lehrkräfte sich bewusst gewesen wäre, im Sinne von BNE gewirkt zu haben!

Ich beobachte trotz der internationalen, nationalen oder regionalen Auftaktveranstaltungen zur UN-Dekade statt wachsender Begeisterung eine nachhaltige Reserviertheit den öffentlich kommunizierten Bemühungen gegenüber. Wenn mit derart gestelzten und übergestülpten Ansätzen überhaupt eine Assoziation erreicht wird, dann doch wohl eher die: »Das betrifft mich nicht - lasst es die machen, die etwas davon verstehen!«, was fatal ist und die zumindest in unserem Bundesland nicht unerheblichen Anstrengungen rechtfertigt, wenigstens die Bildungsakteure vom Gegenteil zu überzeugen. Mein Eindruck ist sogar der, dass man mit diesem Getöse - freilich vor dem Hintergrund durchaus gebotener Eile angesichts der globalen Problementwicklungen - alle diejenigen überfährt, die man als Partner für den Prozess doch dringend benötigt: die Lehrenden nämlich, die aber auch ihre Zeit brauchen, sich dem Neuen anzunähern und es zu ihrer Sache zu machen! Wer geht denn schon gerne unvorbereitet mit auf eine Reise mit verschwommenem Ziel? Für eine richtige Bewegung aber müssen viele bewegt sein und in Bewegung kommen - das geht jedoch nicht per Dekret!

Die Erfahrung so mancher BNE-Zusammenkunft an runden und eckigen Tischen lehrt, dass hauptamtlich mit dieser Materie befasste Zeitgenossen eine aus verschiedenen Quellen zusammenkonstruierte Vorstellung von dem haben, um was es hier geht. Konstruktivismus hin oder her - ein gewisser allgemeiner Minimalkonsens, der über die Wahrnehmung der drei Säulen Ökonomie, Ökologie und Soziales unter besonderer Berücksichtigung der Begrenztheit unserer einen Welt auch in der Bildungsarbeit hinausginge und stattdessen konstatierte, was das für eben diese Bildungsarbeit konkret bedeutet, wäre sicher nicht ohne Charme, schon gar, wenn er sich in wenigen Sätzen zusammenfassen ließe! Denn so lange noch nicht einmal diejenigen, die für die eigentlichen Prozesse der BNE als Lehrende verantwortlich sind, klare Vorstellungen davon haben, was man von ihnen will, sollte man die, die schließlich über die Bildung für die nachhaltige Entwicklung unserer Welt verfügen sollen, vorerst mit den Hintergründen in Ruhe lassen. Es müssen nicht alle wissen, was man mit ihnen bildend vorhat.

Ein Party-Gespräch vor 15 Jahren: »Was machen Sie denn so beruflich?« »Ach, ich mache naturkundliche Erlebnisveranstaltungen.« »Oh, wie spannend, erzählen Sie doch mal ...!«
Das gleiche Gespräch zehn Jahre später: »...« »Ach, ich bin in der Umweltbildung tätig.« »Soso, ja, ich bin auch für die Umwelt ...!«
Heute: »...« »Ach, ich mache BNE. Wenn Sie eine halbe Stunde Zeit haben, erkläre ich es Ihnen schnell.« »Danke, muss nicht sein. - Trinken Sie auch noch was?«
Was soll man seinen ahnungslosen Mitmenschen sagen, wenn sie fragen (würden), womit man seine Zeit und Geisteskraft auf nicht mehr zählbaren Sitzungen, Informations- und Motivationsveranstaltungen über oder wegen BNE verbra(u)cht hat - und vermutlich noch mindestens eine UN-Dekade lang verbringen und verbrauchen wird?

Nun ist speziell in Schleswig-Holstein die BNE-Qualifizierung der Lehrenden bereits einen Schritt vorwärts gekommen: Im Anschluss an ein Gutachten zum Stand der BNE in der außerschulischen Bildung aus dem Jahre 2002 sind Qualifizierungsmaßnahmen inhaltlicher und methodisch/organisatorischer Art sowie die stärkere Vernetzung vor allem von Umwelt- und entwicklungspolitischer Bildung vorangebracht worden. In der Schule wie außerhalb scheint mir bei vielen Lehrenden das »Betrifft mich nicht!« überwunden.

Für diese Maßnahmen, die im Rahmen der Nachhaltigkeitsstrategie der Landesregierung auf den Weg gebracht wurden, gibt es mittlerweile eine schwerfällige Bereitschaft, aber nach wie vor wenig Euphorie. Gründe dafür sind zweifellos personelle Engpässe, aber auch eine tradierte Konkurrenzsituation von Umwelt- und entwicklungspolitischer Bildung um begrenzte Fördermittel, die einem Miteinander trotz großen Potenzials an inhaltlicher Befruchtung im Wege steht. Und dann ist da noch der Zwang zur Vermarktung, der aufgrund schwindender öffentlicher Förderung außerschulischer Partner wächst: In einem Urlaubsland wie Schleswig-Holstein ist es nicht gerade der Bildungsmarkt, auf dem man seine Ware feilbietet! Was eben noch Umweltbildung hieß, wird besser als Naturerlebnis verkauft - der Anforderung zur Niederschwelligkeit sei Dank. Andererseits soll das Angebot inhaltlich in Richtung BNE aufgewertet werden - wo aber haben die Anstrengungen eine größere Rendite? Auf die schlichte Frage »Was habe ich eigentlich von BNE?« wollen Bildungsanbieter alsbald eine klare Antwort erhalten, die - wie im Fall der »zertifizierten Bildungspartner für Nachhaltigkeit« in Schleswig-Holstein - nicht nur auf einen gemeinsamen Web-Auftritt verweisen darf.

Mein Credo: Lasst uns nicht länger über BNE reden, sondern über Anforderungen an eine zeitgemäße Bildung - faktisch ist es dasselbe. Hier gibt wenigstens der Titel der Veranstaltung keine Rätsel auf. - Verstört die Akteure nicht länger mit bildungstheoretischen Begründungen für diese zeitgemäße Bildung (was nicht besagt, dass letztere gerade in der politischen Diskussion als Argument entbehrlich wären!), sondern gebt ihnen noch mehr Beispiele dafür, einigermaßen sicher dorthin zu gelangen! Lasst uns alle - außerschulische Umweltbildner, entwicklungspolitische Gruppen und Lehrkräfte an Schulen - gemeinsam ein Bildungsangebot entwickeln, welches Lehrenden am authentischen Ort mit pädagogisch und fachlich qualifizierten Partnern die Unterstützung gibt, deren ein Lernprozess nach heutiger Erkenntnis bedarf. Machen wir dazu die Lehrenden fit, indem wir nicht mehr dem Anspruch folgen, sie für alle denkbaren Fragen der Lernenden mit richtigen Antworten zu versorgen, sondern lieber mit dem Rüstzeug, auch Vertrautes in Frage zu stellen und gemeinsam mit den Lernenden Wege zu suchen, um Antworten zu finden! An die Bildungsverantwortlichen und Politiker richte ich den Appell, sich vermehrt mit guten Antworten auf die Frage »Was soll das denn schon wieder?« von Betroffenen zu wappnen und nicht zu zögern, ein Projekt zu verwerfen, wenn sich solche Antworten partout nicht finden lassen.