DIE Zeitschrift für Erwachsenenbildung

Traumatisierung und Notstandssemantik

Bildungspolitische Kontinuitäten vom Sputnik- zum PISA-Schock

Andreas Seiverth

Nachdem im Herbst 1957 eine sowjetische Rakete den ersten Satelliten erfolgreich ins All transportiert hat, ändern die USA ihre Bildungspolitik. Wieso und unter welchen Bedingungen war das Sputnik-Experiment ein »Schock«? Die Analysen des folgenden Beitrags führen in die semantischen Tiefen des »Kalten Krieges« und heben erstaunliche Parallelen zu demjenigen »Schock«, der im Jahre 2000 die deutsche Bildungslandschaft getroffen hat: PISA. Ein Beitrag über erklärte Notstände und Bildung als Machtressource, zunächst in der Auseinandersetzung zwischen Systemblöcken und später zwischen Konkurrenten innerhalb des globalisierten Kapitalismus.

Im Zeitalter des Satellitenfernsehens bereitet es einige Schwierigkeiten, sich vorzustellen, welche Reaktionen der gelungene Transport eines Mini-Satelliten mit Hilfe einer russischen Trägerrakete in den Weltraum am 4. Oktober 1957 auszulösen vermochte. Mit dem Sputnik-Experiment wurde erstmals die Erdatmosphäre verlassen und das »Zeitalter der Raumfahrt« eröffnet. Sofort aufbrechende Phantasien über Ausflüge ins Weltall sind dabei nur die optimistische Variante von wilden Vermutungen und Gerüchten, »dass der Sputnik geheimnisvolle Waffen bei sich führe und mit Infrarotkameras ganz Amerika fotografiere« – so eine populärwissenschaftliche »Illustrierte Weltgeschichte« aus dem Jahr 1983. Nun, diese Befürchtung ist mit »GoogleEarth« und Verkehrsnavigatoren Bestandteil unserer Alltagswelt geworden.

Dem Sputnik-Experiment vorausgegangen war bereits am 26. August 1957 der erfolgreiche Test einer russischen Interkontinentalrakete, die aufgrund ihrer Reichweite und Geschwindigkeit von den russischen Militärs als »unverwundbar « bezeichnet wurde.

In einem vor kurzem erschienenen Artikel des amerikanischen Wissenschaftsjournalisten Victor McElheny wird die Wirkung des russischen Sputnik- Erfolgs anhand der ersten kollektiv- traumatischen Erfahrung Amerikas verdeutlicht: »All die Geschichten aus den fünfzig Jahren Weltraumerkundung machen es allzu einfach, die sozialen Auswirkungen des Rennens in den Weltraum zu vergessen. Amerikaner und Europäer nahmen Sputnik 1 nahezu wie Pearl Harbor wahr. Es war ein Schock, verursacht von einer Diktatur, die auf Wissenschaft und Technik setzte« (SZ online vom 30.08.2007).

Für einen »Schock« bedurfte es des »Kalten Krieges«

Die historische Konstellation, die einen »Sputnik-Schock« erst ermöglichte, ist mit dem Epochenbegriff »Kalter Krieg« zutreffend benannt. Damit ist nichts weniger als der »Ausnahmezustand « gemeint.

Die praktischen politischen Konsequenzen einer solchen Begriffsvorgabe, in der sich Realitätsbeschreibung und Interpretation ununterscheidbar vermischen, lässt sich für uns heute an den Auswirkungen ablesen, die die aus dem Stand getroffene Feststellung des amerikanischen Präsidenten hatte, als dieser bereits wenige Tage nach den Terroranschlägen des 11. September 2001 erklärte, die Anschläge seien eine »Kriegserklärung an den Westen«, die mit einem »Krieg gegen den Terrorismus « beantwortet werde.

Er hat nicht nur in den USA ein Klima des permanenten Ausnahmezustandes erzeugt und die seit Bestehen der USA weitestgehenden Eingriffe in Bürgerrechte sowie die Schaffung eines faktisch rechtsfreien Raums im Gefangenenlager Guantánamo ermöglicht, sondern eine Ideologie eines Kulturkampfes zwischen dem »freien Westen« und dem »aggressiven Islam« erzeugt, eine Konfrontations- und wechselseitige Bedrohungsideologie, die sich wie eine politische Droge zur Dauermobilisierung von Angst-, Sicherheits- und Angriffsphantasien nutzen lässt.

Die Verwendung des Begriffs »Krieg« war – anders als heute in den politischen Auseinandersetzungen mit »dem Islam« – für den »Kalten Krieg« spätestens seit dem Ende des Korea- Krieges »übereinstimmend (…) in Ost und West als zutreffende Beschreibung der Auseinandersetzungen akzeptiert« (Stöver 2006, S. 8 f.).

Wenn auch wegen seiner historischen Konnotationen (vgl. Goebbels’ Sportpalast- Rede vom 18. Februar 1943!) überraschend, so doch nicht weniger überzeugend ist dabei die These, dass sich der Kalte Krieg rasch zu einem »totalen Krieg« entwickelte, »in dem mit Ausnahme der atomaren Waffen, (…) alles Verfügbare zur Anwendung kam, um diesen Konflikt zu gewinnen. Der Kalte Krieg war eine politisch-ideologische, ökonomische, technologisch-wissenschaftliche und kulturell-soziale Auseinandersetzung, die ihre Auswirkungen bis in den Alltag zeigte« (ebd., S. 9).

»Mobilisierung aller Machtressourcen«

In dieser sozialen Gesamtkonstellation, in der alle Machtressourcen gleichermaßen mobilisiert wurden, konnte ein einziges Ereignis wie der erfolgreiche Transport eines kleinen Satelliten in den Weltraum zum symbol- und machtpolitischen Zeichen und »Beweis« für eine nicht nur militärische, sondern eine alle Machtressourcen (vgl. Mann 1994, S. 40 ff.) betreffende Unterlegenheit des einen gegenüber dem anderen »Machtblock« und »Wertesystem« werden.

Der schon zitierte McElheny fährt fort: »Die Menschen aus dem Westen wollten die an die Russen verlorene Führung wiedererlangen. Das löste eine Explosion der Ausgaben für die Wissenschaft aus, sowie einen Wandel im Unterricht der naturwissenschaftlichen Fächer an Schulen.«

Stöver schließt in einem historischen Überblick zur Geschichte des Kalten Krieges die militärpolitische Konsequenz mit der bildungspolitischen gleichsam kurz, wenn er schreibt: »Der ‚Sputnik-Schock’ im Westen sorgte für eine neue Runde in der Waffentechnik. Er war zugleich der Ausgangspunkt einer westlichen Bildungsinitiative, die in den USA schon 1958 (‚National Defense Education Act’) einsetzte und zur Neugründung von Universitäten sowie zur verstärkten Rekrutierung der technisch-wissenschaftlichen Intelligenz führte« (Stöver 2006, S. 54).

Will man den der Psychopathologie entlehnten Terminus »Schock« in seiner traumatisierenden Wirkungskraft verstehen, muss man sich die ideologische und mit technologisch-militärischen Mitteln direkt ausgetragene Systemrivalität vergegenwärtigen. In genauer Entsprechung zur psychopathologischen Klassifizierung eines traumatischen Ereignisses werden auch in der politischen (und propagandistischen) Verwendung des Schock- Begriffs spezifische Verhaltensreaktionen als »direkte Folge der akuten schweren Belastung oder des kontinuierlichen Traumas« erklärt (WHO u.a. 2006, S. 161 f.).

Welches Ereignis die Qualität eines Traumas annehmen kann und welche Umstände oder Dispositionen es begünstigen, ist ebenso variabel wie die – klinisch ausgedrückt – »Vulnerabilität « der Betroffenen.

Das Vokabular der Psychopathologie unterscheidet jedoch Schock und Trauma hinsichtlich der zeitlichen Dauer und der Intensität der eingetretenen Störungen. Diese zeigen sich in Beeinträchtigungen der Wahrnehmungs- und Erinnerungsfähigkeit, der Erregbarkeit und in Beschränkungen der sozialen Handlungs- und kognitiven Beurteilungskompetenzen.

Umso mehr stellt sich die Frage, wie sich die Wiederholung des gleichen begrifflichen Vokabulars und damit die Kontinuität der politischen Semantik verstehen lässt, also die Tatsache, dass der der Psychopathologie entlehnte Terminus »Schock« in gleicher Weise verwendet wird für die Interpretation eines technologischmilitärischen Erfolges im Jahr 1957 wie für die Deutung der Ende 2000 veröffentlichten PISA-Ergebnisse und der Wirkungen der Terroranschläge im September 2001.

Einen Hinweis enthielt bereits die propagandistische Kommentierung, die Interkontinentalrakete sei unverwundbar, weil sie dem Gegner nur wenige Sekunden zur Gegenreaktion lasse. Damit wird der Besitzer der Waffe zugleich aber unbesiegbar. Ist Unverwundbarkeit das Vermögen (die Kompetenz), den individuellen und kollektiven Anspruch auf Unversehrtheit und Selbsterhaltung zu sichern, dann folgt aus der Unbesiegbarkeit und dem instrumentellen Vermögen, sie zu gewährleisten, die Fähigkeit zur unbegrenzten Durchsetzung des eigenen Willens und damit zur totalen Macht.

Das nicht nur atomare Wettrüsten, sondern die alle sozialen Machtressourcen (im Sinne von Michael Mann) umfassende Mobilisierung im Kalten Krieg führte auf internationaler Ebene zu eben dem Zustand, den Thomas Hobbes als den vorrechtlichen Naturzustand der Menschen charakterisierte. Dessen Beschreibung enthält darüber hinaus schon eine glasklare Analyse »asymmetrischer Macht« und damit des individuellen und in der Konsequenz auch (zwischen)staatlichen Terrors, den nur unsere Konvention »Krieg« zu nennen uns vorschreibt: »Erwägt man, wie schwer es ist, gegen Feinde, selbst von geringer Zahl und Macht, die mit der Absicht, uns zu unterdrücken und zu vernichten, uns angreifen, zu schützen: so kann man nicht leugnen, dass der natürliche Zustand der Menschen, bevor sie zur Gesellschaft zusammentraten, der Krieg (Herv. im Orig.) gewesen ist, und zwar nicht der Krieg schlechthin, sondern der Krieg aller gegen alle. Denn was ist der Krieg anderes als jene Zeit, wo der Wille, mit Gewalt seinen Streit auszufechten, durch Worte oder Taten deutlich erklärt wird? Die übrige Zeit nennt man Frieden“ (Hobbes 1968 [1642], S. 83 f.).

Die USA haben in ihrer Reaktion auf den Sputnik-Schock, die ebenso prompt wie selektiv erfolgte, das gesamte Bildungssystem als die entscheidende Machtressource erkannt und es dementsprechend behandelt. Aus der seit 1947 geltenden prinzipiellen Handlungslogik des Kalten Krieges und aus der »Situationslogik der Schockerfahrung«, überwältigt worden und somit potenziell besiegbar geworden zu sein, ist dies eine zwingende und pragmatisch plausible Konsequenz.

PISA: »Sieger und Unterlegene im Wettbewerb um ökonomische Ressourcen«

Ging es damals »nur« um den Ausgleich eines offenkundig gewordenen, empfindlichen technologischen Rückstandes (»Raketenlücke«) gegenüber dem Gegner im Kalten Krieg, so schafft das internationale Ranking der PISA-Vergleichsstudien nun innerhalb des Bildungssystems Sieger und Unterlegene im Wettbewerb um ökonomische und politische Machtressourcen.

Gewiss ist die – medial vermittelte – Schock-Wirkung der negativen schulischen Kompetenzvergleiche trotz ihrer für eine nationale Mobilisierungskampagne politisch instrumentalisierbaren Qualität bei weitem nicht mit der Schock-Wirkung zu vergleichen, die ein einziger erfolgreicher Test einer russischen Interkontinentalrakete und einer Weltraumträgerrakete in Amerika auszulösen vermochte, und noch viel weniger mit dem Trauma, das der Terror im September 2001 auslöste.

Deshalb darf über der semantischen Kontinuität der Schock-Metapher nicht der realgeschichtliche Bruch ausgeblendet werden, den die Epochenzäsur der Jahre 1989 bis 1991 mit der Maueröffnung und dem Ende der Sowjetunion markiert. Die bis zu dieser Epochenzäsur bestehende Systemkonkurrenz zwischen West und Ost hat sich danach mit den vielfältigen ökonomischen und technischen Mechanismen der Globalisierung und ihrer politischen und rechtlichen Flankierung in eine historisch beispiellose, systemimmanente Entfesselung von Konkurrenzmechanismen transformiert.

Wirft man vor dem Hintergrund der amerikanischen Verarbeitung des Sputnik-Schocks einen Blick auf die Bundesrepublik Deutschland, muss man erstaunt eine gähnende Leere konstatieren. Es geschah nichts; man glaubte sich unterm atomaren Schutzschild der USA vor den Russen sicher, und nach dem Wahlsieg der CDU, der ihr die absolute Mehrheit brachte (54,2%), auch vor Innovationen, hatte die Siegerpartei den Wahlkampf doch auch mit der Parole gewonnen: »Keine Experimente«.

Rückblickend betrachtet überrascht es daher nicht, dass es sieben Jahre dauerte, bis mit einem heute nur noch schwer vorstellbaren publizistischen Donner Georg Picht »Die deutsche Bildungskatastrophe « ausrief. Dieses in der Tat ungewöhnliche Buch – eine zu einer Dokumentation erweiterte Artikelfolge der Zeitung »Christ und Welt« – lieferte auf der Grundlage (und nur auf dieser!) einer von den Kultusministern der elf Bundesländer am 14. März 1963 vorgelegten »Bedarfsfeststellung 1961 – 1970« eine so bestechende Analyse, dass sich der Deutsche Bundestag am 4. März 1964 zu einer Debatte zusammenfand, von der man laut Picht »erwarten durfte, dass sie (…) den Auftakt zu einer neuen Epoche der westdeutschen Kulturpolitik geben würde« (Picht 1964, S. 88).

Georg Pichts Analyse liest sich wie ein vorweggenommenes PISA-Ergebnis und die diskursive Begründung für die Rationalität der amerikanischen Schockreaktion in einem; und sie endet mit dem »Entwurf eines Notstandsprogramms«: Nach der Feststellung des Abiturienten- und Lehrermangels weist Picht auf »Rückstände im internationalen Vergleich« hin (ebd., S. 24 ff.), um diesen Abschnitt mit den Worten zu beschließen: Andere »Nationen (haben) längst begriffen, dass die Selbstbehauptung eines Staates nicht von der Zahl der Divisionen, sondern allein von der Fähigkeit abhängt, in jenem Leistungswettbewerb nicht zurückzubleiben, der das Gesicht der heutigen Welt bestimmt« (ebd., S. 28).

Und auch das, was in der deutschen Diskussion der PISA-Ergebnisse neben den »Kompetenzrückständen« als zweites (aber milieu- und parteipolitisch unterschiedlich) »schockierendes « Resultat festgestellt wurde, die hochgradige soziale Selektivität des deutschen Schulsystems, findet sich nüchtern folgendermaßen beschrieben:

»Man spricht heute gerne von der ‚mobilen’ oder auch von der ‚nivellierten’ Gesellschaft und vergisst, das in der wissenschaftlich-technischen Zivilisation [dem Vorläufer der »Wissensgesellschaft «, A.S.] ein neues Prinzip der klassenähnlichen Schichtung die Struktur der Gesellschaft wesentlich mitbestimmt. Durch das Schulsystem werden schon zehnjährige Kinder – und in der Regel definitiv – in Leistungsgruppen eingewiesen, die durch das Berechtigungswesen einer entsprechenden Gruppierung der sozialen Positionen zugeordnet sind. Die so geschaffene Klassifizierung durch Bildungsqualifikationen überlagert mehr und mehr die noch fortbestehende Klassenstruktur der bisherigen Gesellschaft. Die Interferenz zwischen diesen beiden Schichtungsprinzipien ergibt dann jene gesellschaftliche Wirklichkeit, mit der es die heutige Sozialpolitik zu tun hat. Die Schule ist deshalb ein sozialpolitischer Direktionsmechanismus, der die soziale Struktur stärker bestimmt als die gesamte Sozialgesetzgebung der letzten fünfzehn Jahre« (ebd., S. 31 f.). Die Sätze finden sich in einem Abschnitt mit dem Titel »Schulpolitik: die Sozialpolitik von heute«. Eine Wirkung des Sputnik-Schocks wird man aber vielleicht doch finden: In der Sprache der Bildungstechniker und der Offiziere begann dann auch in Deutschland eine Kampagne zur »Mobilisierung der Begabungsreserven « – das heutige Pendant dazu ist der zur politischen Alltagsrhetorik der »Krisenbewältigung« und der »pädagogischen Dauerreform« mutierte PISA-Schock.

Betrachtet man die Geschichte des deutschen Bildungsdiskurses im Horizont des »den Westen« (genauer: seine Führungsmacht) erschütternden Sputnik-Schocks und den durch Georg Picht initiierten nationalen Notstandsdiskurs, dann lassen sich die zehn Jahre zwischen der deutschen Einigung und der Veröffentlichung der PISA-Ergebnisse als das lange Erwachen aus einem Überlegenheitstraum der Deutschen in Sachen Bildung verstehen. Diese zehn Jahre brauchte es auch, um in der deutschen Bildungspolitik in der Gegenwart eines konkurrenzlosen und darum umso konsequenter das Konkurrenzprinzip forcierenden Kapitalismus anzukommen. Um aber die entsprechenden Weihen, politisch gesprochen, die Legitimation und die Kraft zu den nun fälligen »einschneidenden Reformen« zu erlangen, die man nicht »aus sich selbst« aufzubringen vermochte, mussten alle relevanten Akteure erst einmal in die gelobten Länder der Bildungssieger pilgern, um dann auf der Rückreise die gewonnenen Erkenntnisse für Deutschland brauchbar und adaptionsfähig zu machen.

Ihr Ergebnis sind verordnete Bildungsstandards und ein politisch instrumentalisiertes Qualitätsmanagement. Sie sind die normative Restmenge, die übrig bleibt, wenn man das »Menschenrecht auf Bildung« aus seiner normativen Verankerung in einer Ver fassung herauslöst, also mit seiner sozial- und rechtsstaatlichen gleichzeitig auch seine demokratietheoretische und ver fassungsrechtliche Einbettung zerstört – wenn es sie denn vorher gegeben hat. In Deutschland hat das Sozialstaatsprinzip noch nie das Recht auf Bildung eingeschlossen, und „im Unterschied zum skandinavischen und zum angelsächsischen Raum (wird) die Bildungspolitik nicht zur Sozialpolitik gerechnet“ (Kaufmann 1997, S. 23). Dafür ist die föderale Kompetenzstruktur für das Bildungswesen (mit der nicht unbedeutenden Ausnahme des Berufsbildungsgesetzes) ein äußerliches, formales Indiz.

»Auf einen neuen Schock hoffen«

Auch wenn es bedauerlich ist: An dieser Systembedingung des deutschen Bildungssystems wird sich auf absehbare Zeit nichts ändern. Und solange dies so ist, muss man fataler Weise auf einen neuen Schock hoffen, der vielleicht dann auch die Einsicht bringt: Es bedürfte einer politischen Systemqualität und eines verfassungsrechtlich verankerten Wertebezugs, um zu verhindern, dass sich das Menschenrecht auf Bildung unter den Händen der Finanz- und Bildungspolitik, unter den Imperativen der Bildungsprogramme »der Wirtschaft« und in den Widersprüchen des »eigenverantwortlichen Arbeitskraft- (und Lebenszeit verbrauchenden) Unternehmers « – männlichen und weiblichen Geschlechts – in eine immer knapper werdende Überlebensressource verwandelt.

Literatur
Hobbes, Th. (1968, Orig. 1642): Vom Menschen/ Vom Bürger. Hamburg
Kaufmann, F.-X. (1997): Herausforderungen des Sozialstaates. Frankfurt a.M.
Mann, M. (1994): Geschichte der Macht. Erster Band: Von den Anfängen bis zur griechischen Antike. Frankfurt a.M./New York [1990 engl.]
Picht, G. (1964): Die deutsche Bildungskatastrophe. Analyse und Dokumentation. Olten/Freiburg
Stöver, B. (2006): Der Kalte Krieg. München
Weltgesundheitsorganisation/Dilling, H./ Freyberger, H.J. (2006): Taschenführer zur IC D-10-Klassifikation psychischer Störungen

Andreas Seiverth ist Bundesgeschäftsführer der Deutschen Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Erwachsenenbildung