DIE Zeitschrift für Erwachsenenbildung

Stichwort: »1957, ein Gründungsjahr« 

 Elisabeth Meilhammer 

Das DIE wird fünfzig Jahre alt. Zwar ist es als »Deutsches Institut für Erwachsenenbildung« längst noch nicht so alt, aber in ihm ist die Pädagogische Arbeitsstelle des Deutschen Volkshochschul-Verbandes (PAS) aufgegangen, die im November 1957 unter der Leitung des nach Deutschland zurückgekehrten Sozialwissenschaftlers Willy Strzelewicz ihre Arbeit aufnahm. Dieses wissenschaftliche Dienstleistungsinstitut sollte »einen geistigen Sammelpunkt dar[stellen], der die Vielfalt der Volkshochschularbeit widerspiegelt«, und zugleich »als allgemeines Informationszentrum eine Verbindung zwischen den Einrichtungen untereinander sowie zwischen wissenschaftlicher Forschung und Erwachsenenbildung [vermitteln]« (PAS 1970) – ein Auftrag, den es konsequent und äußerst erfolgreich verfolgt hat.

Eine Reihe anderer Gründungen ist für das Jahr 1957 kennzeichnend. Besonders wichtig ist die Unterzeichnung der Römischen Verträge, die den Anfang der Europäischen Union markiert. Fragen der Bildung freilich spielten damals im Vertragswerk noch keine Rolle. Trotzdem wurde schon 1957 der Grundstein dafür gelegt, dass später der politische Wille der Mitgliedsstaaten zu einer gemeinsamen europäischen, also übernationalen Verantwortung für die Bildung zum Ausdruck gebracht werden konnte. Eine internationale Perspektive ist auch in Zeitschriften der Erwachsenenbildung von 1957 präsent, so in der »Volksbildung in Hessen« in mehreren Beiträgen. Überhaupt nahm sich die Erwachsenenbildung politisch-sozialer Themen an, z.B. der Problematik der Integration von Kriegsheimkehrern und Vertriebenen oder der Frage der Massenmedien.

Charakteristisch für die politisch-soziale Kultur dieser Zeit war die ernüchternde und für viele Menschen leidvolle Erfahrung, dass sich nach dem Trauma des Zweiten Weltkriegs die Welt in unversöhnliche politische Blöcke spaltete. Als eine entscheidende Waffe im Kalten Krieg entpuppte sich die naturwissenschaftliche und technologische Forschung, allem voran die Raumfahrttechnik (siehe den Beitrag von Seiverth zum »Sputnik-Schock« u., S. 32 ff.) und die Kernforschung (vgl. hierzu den Beitrag von Beer, u., S. 40 ff.) mit der Inbetriebnahme des ersten deutschen Forschungsreaktors in Garching (»Atom-Ei«) im Oktober 1957. Wenige Monate vorher war das Abkommen von Bund und Ländern zur Einrichtung des Wissenschaftsrats verabschiedet worden, und analog dazu wurde auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs der Forschungsrat der DDR konstituiert. Zudem war offensichtlich geworden, dass es einen Zusammenhang von Exzellenz in der Forschung und Qualität der Bildung gibt, und auch, wie in einem Aufsatz von Fritz Borinski aus dem gleichen Jahr zum Ausdruck kommt, dass die Gestaltung einer menschenwürdigen Zukunft auf Bildung angewiesen ist.

Verknüpft damit sind auch hochschulpolitische Zäsuren des Jahres 1957, für die der Gedanke der Ausweitung des Studiums leitend ist, sowohl was den Personenkreis als auch was die Studienmöglichkeiten betrifft. Mit dem sog. Honnefer Modell, dem Vorläufer des BAFöG, wurde eine soziale Förderung von Schüler/inne/n und Student/inn/ en eingeführt. Der Gedanke der Erweiterung möglicher Studienfachkombinationen und der Flexibilisierung des Studiums steht hinter der Einführung des akademischen Grades »Magister Artium«, der 1957 erstmals in Deutschland, und zwar an der Freien Universität Berlin, verliehen wurde.

Ansätze zur Verwissenschaftlichung der Erwachsenenbildung aus dem Jahr 1957 sind vor allem Wolfgang Schulenbergs später als »Hildesheim- Studie« bekannt gewordene Untersuchung über »Ansatz und Wirksamkeit der Erwachsenenbildung« und Franz Pöggelers »Einführung in die Andragogik«. Fritz Blättner schreibt in der »Internationalen Zeitschrift für Erziehungswissenschaft« über »Universität und Erwachsenenbildung « und A. O. Schorb äußert sich in der »Volkshochschule im Westen « zum »Ort der Erwachsenenbildung in der pädagogischen Theorie«.

1957 ist auch Gründungsjahr auf Institutions- und Verbandsebene: Ins Leben gerufen wurden die Katholische Bundesarbeitsgemeinschaft für Erwachsenenbildung (KBE ), die Akademie für Politische Bildung in Tutzing, die Führungsakademie der Bundeswehr in Bad Ems (heute Hamburg), aber auch etwa der Landfrauenverein Saar, um Bäuerinnen in ihren Interessen zu vertreten und sie »in ihrem Wissen und Können laufend zu fördern«. Die Erwachsenenbildungslandschaft wurde 1957, wie schon in den Jahren zuvor, differenzierter und pluralistischer. Gewöhnlich gelten ja die 1950er Jahre als nicht besonders aufregende Zeit der Konsolidierung der Erwachsenenbildung nach dem Zweiten Weltkrieg; angeblich sollen sie von einem idealistischen Geist geprägt gewesen sein, der mit sich gebracht habe, dass die Erwachsenenbildung, von der sog. »reflexiven Wende« noch nichts ahnend, sich auf reale Bildungsbedürfnisse und spezifische Bildungsinteressen noch nicht besann. Vielleicht kann der Abstand von fünfzig Jahren hilfreich dabei sein, im Blick auf die Ereignisse von 1957 manche klischeehaften Vorstellungen über die 1950er Jahre zu überwinden.

Literatur: 
PAS (1970): Pädagogische Arbeitsstelle des DVV . In: PAS (Hrsg.): Die Volkshochschule. Handbuch für die Praxis der VHS-Leiter und -Mitarbeiter. Loseblattsammlung. 3. Lfg. Frankfurt a.M., Kapitel 18.500 

PD Dr. Elisabeth Meilhammer ist wissenschaftliche Oberassistentin am Lehrstuhl für Erwachsenenbildung der Friedrich-Schiller-Universität Jena und übernimmt dort im WS 2007/08 die Lehrstuhlvertretung.