DIE Zeitschrift für Erwachsenenbildung

"Déja vu ..."

Zwischenruf zur Kompetenzdiskussion

Jörg Knoll

Es gibt Situationen, da reibt man sich verwundert die Augen und denkt: Das kennst du doch, das hast du doch schon gehört, vielleicht sogar schon selber gedacht und getan — und jetzt begegnet es dir als Entdeckung, als neue Erfindung ... Merkwürdig ...

So geht es mir zur Zeit angesichts der Diskussion um Kompetenz und Kompetenzentwicklung.

Um kein Mißverständnis aufkommen zu lassen: Klärungen sind notwendig und Weiterentwicklungen fruchtbar.

So lohnt es sich durchaus zu prüfen, ob der Qualifikationsbegriff noch all das erfaßt, was heutzutage nötig ist, um den Alltag, das eigene Leben sinnvoll zu gestalten, die Existenz zu sichern, oder ob er durch bisherige Verwendungszusammenhänge so geprägt, vielleicht sogar derart in Mißkredit geraten ist, daß er lieber abgetan werden sollte.

Ebenso lohnt es sich, darüber nachzudenken, daß angesichts der gegenwärtigen Herausforderungen in den Erwerbsverhältnissen, in der Gesellschaft, in der Politik ein Verständnis und eine Praxis von Weiterbildung nicht mehr ausreichen, die auf immer neue Gegebenheiten mit immer neuen Anpassungsmaßnahmen reagieren; daß die Ausrichtung an dem, was den Menschen (vermeintlich) fehlt, zumindest zu ergänzen und vielfach sogar zu ersetzen ist durch den Blick auf das, was sie können und haben; also Ressourcen- statt Defizitorientierung als zukunftsgerichtetes Leitmotiv.

Schließlich sei zugestanden, daß diejenigen, die in der Erwachsenen- bzw. Weiterbildung denken und arbeiten, ihre handlungsleitenden Begriffe und Modelle zu einem Gutteil selber erfinden müssen, damit sie sie tatsächlich verstehen und billigen und sich danach richten können — auch wenn das in der Abfolge der Berufsgenerationen manchmal mühsam ist für die einen, die ihren Schwung des Neuen mit jenem "Kennen-wir-schon" der anderen konfrontiert sehen, und für die anderen, die akzeptieren müssen, daß in der lebendigen Arbeit mit Menschen und Systemen eigene Identität immer wieder neu zu erringen und zu profilieren ist, und sei es durchs Neu-Erfinden von schon Bekanntem.

Der Einspruch setzt da an, wo Fronten aufgebaut oder Originalitätsansprüche überzogen werden — beispielsweise, wenn "die" Erwachsenenbildung bzw. "die" Weiterbildung (und ich gestatte mir zu ergänzen: die "bisherige") gleichgesetzt wird mit fachlich-funktionaler Qualifizierung oder mit Vermittlung von Fachwissen oder mit Lehrgangs- und Seminarlernen, und wenn dem die Kompetenzentwicklung als etwas wesentlich Neues gegenüber gestellt wird wegen ihres Prozeßcharakters und ihrer Selbstorganisationselemente; oder wenn interaktive Lehr-Lern-Formen als die Neuentwicklung gepriesen werden, belegt mit dem Planspiel als vermeintlich neuem Modell und verbunden mit dem Hinweis auf den Vorrang der Moderations- vor der Vermittlungstätigkeit im erwachsenenbildnerischen Handeln.

Solche Akzentsetzungen haben ihren Sinn z.B. angesichts der Trostlosigkeit mancher Lehrgangs- oder Kurssituationen (wobei ich an Referentenmonologe denke, aber auch an die finstere Exekution moderner Moderationsmethoden, die — wenn sie nur als "Technik" perfektioniert werden — nicht weniger über die Köpfe und Herzen hinweggehen als der Dauervortrag oder die flotte Folienfolge). Sie machen auf Konstitutionsprobleme in der (beruflichen) Weiterbildung aufmerksam, schärfen den Blick für pädagogische Absurditäten mancher Förderrichtlinien, verweisen auf Fortbildungsbedarf bei den Mitarbeitenden.

Schief werden sie da, wo sie sich verabsolutieren und Anknüpfungsmöglichkeiten übersehen — etwa an die Leistungen der Gruppendynamik in der Erwachsenenbildung; an den Ertrag der Diskussionen und praktischen Bemühungen um Zielgruppen- und Teilnehmerorientierung; an die Forderungen und Aktivitäten zur Verbindung von beruflicher und politischer Bildung z.B. in der gewerkschaftlichen Tradition; an all das, was im Zusammenhang mit stadtteilorientierter Arbeit der Volkshochschulen erörtert und entwickelt wurde, und zwar durchaus nicht nur punktuell; an die offen zutage liegenden und an die hintergründigen Wirkungen der kirchlichen Erwachsenenbildung mit ihren Methoden einer person- und gemeinschaftsorientierten Gruppenarbeit; und um hinter die siebziger und sechziger Jahre bis in die Weimarer Zeit zurückzugehen: an die Prinzipien selbsttätigen Wissens- und Fähigkeitserwerbs durch die "Arbeitsgemeinschaft" der "Neuen Richtung" oder an die wechselseitige Verknüpfung von Persönlichkeitsbildung, Kultur, Beteiligung an der Entwicklung eines demokratischen Gemeinwesens und Erwerbsarbeit in der "Leipziger Richtung". Wenn schon die fortwirkende Praxis nicht jedem und jeder gegenwärtig ist, so gibt es in der Literatur wahre Schätze. Jene Buchreihe, die einstmals schwarz war und dann tiefblau, bevor sie ins Hellere überging (für alle, die sich — wie ich — eher an Farben als an Buchstaben erinnern), ist voll davon, und einige Titel sind für das Thema "Kompetenzentwicklung" noch heute konstitutiv; ebenso manche Veröffentlichungen in der (übrigens gelben) Reihe "berichte materialien planungshilfen" aus der "alten" PAS, als es z.B. um Vereinsvorstände und Erwachsenenbildung ging oder um berufliche Weiterbildungen, die sich auf Lebenslagen beziehen. Die Farbangaben und Kürzel mögen als Anregung dienen, um zu suchen.

Schließlich sei auf ein Problem aufmerksam gemacht, das an den Kern der Sache rührt. Bei "Kompetenz" handelt es sich um einen Relationsbegriff: Es geht um den Menschen in seinem Verhältnis zu sich selbst, zu den Mitmenschen und zu allem, was ihn bestimmt und fordert. Dieser sachliche Gehalt schließt Wahrnehmung ein — der eigenen Person und ihres Umfeldes — und Wechselbeziehung. Wenn nun im Reden über Kompetenz und ihre Entwicklung Abgrenzungen auftauchen, Frontlinien sich abzeichnen, Negativzuweisungen entstehen, Absolutheitsansprüche aufscheinen, dann lohnt es sich aufzumerken: Denn dann beschäftigt sich das Argumentieren mit diesem Gegenstand zwar auf der Ebene der Worte, aber in der Sache droht es ihn zu verfehlen. Trotz aller guten Absicht. Oder vielleicht wegen ihr ...