DIE Zeitschrift für Erwachsenenbildung

Akkreditierung von Kompetenzen

Internationale Vergleichbarkeit möglich?

André Schläfli
Dr. André Schläfli ist Geschäftsführer der Schweizerischen Vereinigung für Erwachsenenbildung (SVEB) und hat am SOKRATES-Evaluationsprojekt MOPED mitgearbeitet.

Wie können unter dem Primat einer künftigen ´Lerngesellschaft`Akkreditierungssysteme entwickelt werden, die nicht nur traditionelle Bildungs- und Berufsabschlüsse nachweisen, sondern individuelle Kompetenzen erfassen und beurteilen? Gibt es Kriterien für die internationale Vergleichbarkeit von Akkreditierungen? - André Schläfli beschreibt Akkreditierungsmodelle und -methoden in verschiedenen europäischen Ländern und skizziert aktuelle Diskussionsstränge und Erfahrungen auf europäischer Ebene.

Die Verbindungen und Verflechtungen zwischen den einzelnen Ländern werden intensiver, vielfältiger und tendenziell schwieriger zu durchschauen, für die einzelnen ebenso wie für Bildungsanbieter und Arbeitgeber. Da liegt es auf der Hand, nach der Vergleichbarkeit von Akkreditierungssystemen nicht nur im nationalen, sondern auch im internationalen Kontext zu fragen. Was dabei zum Ausdruck kommt, ist n.a. ein Wunsch nach Transparenz und Orientierung über Ländergrenzen hinweg. Bei der aktuellen Tendenz zur weiteren Ausdifferenzierung und möglichen Zersplitterung von (Aus-/Weiter-)Bildungswegen stellt sich allerdings die Frage: Kann es ein übergreifendes Akkreditierungs-Konzept geben, das offen und flexibel genug ist? Gibt es für die individuellen Anerkennungen Kriterien, die genügend klar sind, um als Bezugspunkt für unterschiedlichste Länder, Menschen und Lernformen zu gelten?

Das Thema ‘europaweite Vergleichbarkeit von Akkreditierungen’ ist seit einigen Jahren aktuell und wird seine Aktualität in den nächsten Jahren in zahlreichen Ländern noch weiter steigern. Im Rahmen der EU-Programme SOKRATES und LEONARDO haben sich diverse Projekte mit Validierungs- und Akkreditierungsfragen befaßt. MOPED, selbst ein SOKRATES-Projekt, hat solche Projekte evaluiert und nach Anhaltspunkten für künftige Entwicklungen gesucht. Von seiten der Europäischen Union (EU) ist vorgesehen, das Thema mit den beiden Bildungsprogrammen SOKRATES und LEONARDO weiter zu verfolgen; bei der Neuformulierung der Programme für die Periode 2001-2004 werden die Fragen der Anerkennung im Vorschlag der Europäischen Kommission an das Europäische Parlament wiederum aufgegriffen (bei SOKRATES unter Aktion 3: Erwachsenenbildung und Grundtvig, bei LEONARDO unter der Aktion „Innovative Projekte").

Akkreditierung für welches Lernen?

Konzepte des Lebenslangen Lernens und der Lern-Gesellschaften basieren auf einem offenen, integrativen Lernbegriff, der Lernen als umfassenden Prozeß begreift und alle Lernformen einbezieht: formales, non-formales, informelles und Erfahrungs-Lernen, und zwar unabhängig davon, in welchem Verhältnis es zu beruflichen Tätigkeiten steht.

Im Zentrum dieser Ansätze steht der lernende Mensch, was dazu führt, daß Kompetenzen zum unverzichtbaren Schlüsselbegriff werden. Ein solcher integrativer Zugang erlaubt es, die alte Dichotomie allgemeine/berufliche (Weiter-)Bildung durch einen integralen, prozeß- und kompetenzorientierten Lernbegriff zu ersetzen, der den lernenden Menschen im Kontext seiner ganzen Lebens- und Arbeitsverhältnisse betrifft.

Was heißt dies nun für die Entwicklung von Akkreditierungssystemen?

Unter den Bedingungen einer künftigen Lerngesellschaft können sich Akkreditierungen nicht darauf beschränken, traditionelle Bildungs- und Berufsabschlüsse nachzuweisen. Sie müssen vielmehr flexible und doch einfache, aber präzise Instrumente sein, die sich auch auf wechselnde und uneinheitliche Verhältnisse anwenden lassen. Damit individuelle Kompetenzen akkreditiert werden können, müssen sie außerdem überhaupt erst erfaßt werden. In diesem Zusammenhang lassen sich drei Teilprozesse unterscheiden: Erfassen, Beurteilen und Validieren:

Teilprozesse

Zielsetzung

Resultate

Instrumente

Erfassen

Inventar aufnehmen.

Vorhandene Ressourcen bewußt machen.

Bilanz der Ressourcen

Portfolio, Assessment, persönliches Lernhandbuch, Curriculum

Beurteilen

In Beziehung zu Anforderungen setzen

Bilanz der Kompetenzen

Portfolio, Assessment, Qualifikationsgespräche

Validieren / Akkreditieren

Kompetenzen anerkennen durch Behörden, Firmen, Verbände etc.

Qualifikationen, Ausweise

Ausweise, Zertifikate, Bildungs-Chip-Karte

 
Modelle individuell ansetzender Kompetenzerfassung

Die zur Zeit bekanntesten Modelle dieser Art sind Portfolio und Assessment:

Als Methode, um außerschulisch erworbene Kompetenzen zu dokumentieren, hat sich das Portfolio entwickelt. Es kann die Form einer Lernmappe oder einer Qualifikationsmappe annehmen und hat seinen Wert darin, daß es institutionell nicht anerkannte Lern- und Lebenserfahrungen erfaßt. Bisher bevorzugte Einsatzbereiche des Portfolios bilden unentgeltliche Tätigkeiten (v.a. von Frauen), Sprachen, Lernerfahrungen während der Erwerbslosigkeit sowie modulare Weiterbildung. Die Portfolio-Methode ist schon recht weit entwickelt und verbreitet.

Beim Assessment werden Kompetenzen anhand einer Reihe komplexer Aufgaben geprüft, wobei mehrere Personen als Beobachter anwesend sind und im Anschluß an die Prüfung ihre Einschätzungen zusammentragen. Zum Einsatz kommt diese Methode als Eignungsabklärung für die Aufnahme in Ausbildungsgänge, zur Lernerfolgskontrolle bei Abschlußprüfungen, zum Training sozialer Kompetenzen sowie zur Bedarfsanalyse bei Förder- und Ausbildungsmaßnahmen.

Während Assessment-Methoden eher fremdbestimmt sind und in der Wirtschaft verwendet werden, kommt das Portfolio eher für Selbstevaluationen und Standortbestimmungen in der Weiterbildung zum Einsatz.

Europäische Erfahrungen der institutionell geregelten Akkreditierung

Auf seiten der institutionell geregelten Akkreditierung von Kompetenzen ist das englische NVQ nicht nur das bekannteste System, sondern auch der häufigste Bezugspunkt in Diskussionen und Projekten auf europäischer Ebene.

„National Vocational Qualification" (NVQ) ist ein Akkreditierungssystem mit landesweiter Geltung, das Fähigkeiten und Kompetenzen zertifiziert. Das seit 1986 existierende System bescheinigt Leistungen von nationalem Standard; den Zugang zur NVQs ermöglichen anerkannte Ausbildungsstätten, die sich in Unternehmen, bei Aus- und Weiterbildungsinstitutionen sowie in Hochschulen befinden können. Die NVQs werden in fünf Niveaustufen angeboten, die in allgemeiner Form definiert sind. Stufe 1 zum Beispiel bescheinigt „Fähigkeiten, die die Anwendung von Kenntnissen in einer Reihe von vielfältigen Arbeitsaktivitäten umfassen, von denen die meisten routinemäßig und vorhersehbar sind." Die höheren Stufen beziehen sich entsprechend auf anspruchsvollere Tätigkeiten inklusive Fähigkeiten zur Übernahme von Verantwortung, Mittelzuteilung, Planung und Evaluation usw.

Andere interessante Varianten und Modellkombinationationen bestehen zum Beispiel in Schweden und Frankreich.

Soweit es sich bislang abschätzen läßt, setzen sich Kombinationen von Modellen durch, die individuell ansetzende Methoden der Kompetenzerfassung mit institutionell gesteuerten Akkreditierungen kombinieren. Als interessantes Beispiel ist hier das Sprachen-Portfolio zu erwähnen, das bereits in mehreren Ländern eingesetzt wird und alle oben genannten Teilprozesse in einer Weise umfaßt, die Vergleichbarkeit zuläßt. Ähnliche Modelle sind auch in anderen Bereichen denkbar, z.B. in der Informatik.

Im Auftrag der Europäischen Union wurden letztes Jahr alle Projekte im SOKRATES-Programm Erwachsenenbildung evaluiert. Projekte zur Erfassung und Akkreditierung von Kompetenzen waren allerdings nur spärlich vertreten. Zahlreicher vertreten ist dieser Bereich im LEONARDO-Programm; diese über 30 Projekte zur Akkreditierung wurden von Seiten der EU aber bisher nicht evaluiert. Eine Auswertung wäre umso interessanter, als mehrere Projekte die Entwicklung und Prüfung europäischer Normen und Erfassungs-Instrumente zum Ziel haben (Euroqualifikations-Bücher, Chip cards, Bildungspässe).

Zur Vergleichbarkeit

Betrachtet man die skizzierten Modelle Assessment, Portfolio und NVQ, so zeigen sich Gemeinsamkeiten in der Ausrichtung. Alle drei gehen von Kompetenzen aus und versuchen, diese zu erfassen, zu fördern und zu bewerten. Eine weitere Gemeinsamkeit besteht darin, daß die drei Modelle tendenziell alle möglichen Lernformen und Lernorte berücksichtigen können, d.h., sie koppeln Validierung und Akkreditierung nicht zwingend an bestimmte Institutionen und vorgegebene Ausbildungsgänge. Damit sind einige Kriterien gegeben, die sich mit dem Paradigma des Lebenslangen Lernens vereinbaren lassen und prinzipiell in unterschiedlichen strukturellen und historischen Verhältnissen anwendbar sind.

Ist damit aber auch bereits potentielle europaweite Vergleichbarkeit gegeben?

Die Erfahrungen geben Anlaß zur Annahme, daß Vergleichbarkeit in den Teilprozessen ‘Erfassen’ und ‘Beurteilen’ möglich ist (Beispiel: Sprachenportfolio). Im dritten Teilprozeß, demjenigen der Akkreditierung, ist jedoch anzunehmen, daß die Umsetzung in die Praxis zu sehr unterschiedlichen und nur schwer vergleichbaren Wegen und Resultaten führt: Die strukturellen und gesellschaftlichen Verhältnisse der einzelnen Länder mit ihrer sehr verschiedenen Geschichte, ihren Traditionen und Philosophien lassen gemeinsame Standards zumindest mehr als fraglich erscheinen.

Bevor über mögliche Vergleichbarkeit der Akkreditierungssysteme entschieden wird, ist aber darauf hinzuweisen, daß ‘Vergleichbarkeit’ nicht ‘Gleichheit’ bedeutet. Das heißt, es ist sehr genau zu klären, auf welcher Ebene Vergleichbarkeit anzusiedeln ist und wie weit sie gehen kann und soll. Als erste Unterscheidung empfehlen sich die drei oben genannten Teilprozesse: Erfassen, Beurteilen, Validieren/Akkreditieren. Darüber hinaus ist als grundlegendes Moment festzustellen: Vergleichbarkeit heißt zunächst einmal Kriterien definieren, die die Bewertung von Lernleistungen ermöglichen. Als Minimalforderung kann festgelegt werden, daß Kompetenzen und Niveaustufen das Grundgerüst der Methoden und Instrumente bilden sollten. In dieser Weise gefaßt, spricht nichts dagegen, europaweite Vergleichbarkeit anzustreben.

Weitere Ansatzpunkte für die künftige Entwicklung bilden Lernnetzwerke zwischen Institutionen und Modulen; darin liegen vielversprechende Möglichkeiten zur einheitlichen Validierung von Kompetenzen, die auf verschiedenen Wegen und bei verschiedenen Institutionen erworben werden können.

Allerdings: Der Wunsch nach einem lückenlosen System der Vergleichbarkeit, das alle formalen, non-formalen und informellen Lernaktivitäten europaweit ins gleiche Raster pressen würde, scheint nicht nur unbezahlbar und ein bürokratisches Unding, sondern wirft auch die Frage auf, was damit überhaupt gewonnen wäre. Es wird kaum möglich sein, eine offene Lerngesellschaft zu entwickeln und zugleich alle Lernprozesse lückenlos erfassen, dokumentieren und kontrollieren zu wollen.

Zukünftige Entwicklungen im Rahmen der EU-Programme

Die Erfahrungen mit NVQ, Portfolio und Assessment bilden eine wertvolle Grundlage für die Weiterentwicklung von Validierung und Akkreditierung von Kompetenzen. Das Thema Akkreditierung wird auch in der nächsten Zukunft weiter an Aktualität zunehmen. Es empfiehlt sich daher, die Entwicklung nicht nur passiv zu verfolgen, sondern mitzugestalten. Die EU-Programme SOKRATES und LEONARDO werden weiterhin eine Plattform für Entwicklung und Austausch von Erfahrungen mit Akkreditierungsmethoden bieten. Während in SOKRATES eher qualitative Ansätze und das Portfolio dominieren, neigen die LEONARDO-Projekte eher zu quantitativen Methoden und bevorzugen das Assessment. Aus Sicht der Weiterbildung ist zu bedauern, daß die Trennung zwischen SOKRATES (Erwachsenenbildung) und LEONARDO (Berufsbildung) auch für die nächste Periode 2001-2004 aufrechterhalten wird. Bleibt also zu wünschen, daß die Projektverantwortlichen der beiden Programme intensiv zusammenarbeiten und sich in beiderseitigem Interesse aufeinander beziehen.

Literaturhinweis: Demnächst erscheint: Nuissl, E., u.a.: Adults Teaching and Learning in Europe. Brüssel 1998 (auch französisch und deutsch).