DIE Zeitschrift für Erwachsenenbildung

Gespräch mit Klaus Luther

Klaus Luther  - Foto: Ekkehard Nuissl von Rein„Bildung muss zu den Menschen kommen“

Klaus Luther, Diplom-Volkswirt, hat vor einigen Wochen die Leitung der Unterabteilung „Allgemeine Bildung, Lebenslanges Lernen“ im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) übernommen. Er war Assistent am Institut für Regionalforschung an der Universität Kiel, wissenschaftlich koordinierender Sekretär der Enquete-Kommission „Zukünftige Bildungspolitik – Bildung 2000“, Consultant bei der OECD und lange Jahre in der Fraktion der SPD für Bildungsfragen/ Weiterbildung zuständig, bevor er 1998 in das BMBF zurückkehrte und das neue Referat „Bildungsreform, Lebenslanges Lernen“ übernahm. - Das DIE-Gespräch mit Klaus Luther (K.L.) über die Bedeutung der Regionen, das Programm „Lernende Regionen – Förderung von Netzwerken“ und zukünftige Perspektiven der regionalen Vernetzung führte Ekkehard Nuissl.

DIE: Herr Luther, wir haben in den letzten zwei, drei Jahren einen Bedeutungszuwachs des Begriffs der Regionen in der deutschen Diskussion erlebt. Dies nicht nur unter dem Aspekt der ökonomischen Prosperität, sondern auch unter dem Bildungsaspekt. Warum hat aus Ihrer Sicht der Begriff der Regionen an Bedeutung gewonnen und ist auch unter der Bildungsperspektive wichtiger als früher?

K.L.: Die deutsche Einheit hat allen noch deutlicher sichtbar gemacht, dass wir in einem Land leben, das ganz vielfältige Regionen mit unterschiedlichen ökonomischen, sozialen, kulturellen und politischen Bedingungen hat. Auf der einen Seite soll das zusammenwachsen, auf der anderen Seite gibt es aber auch regional unterschiedliche Bedürfnisse und Möglichkeiten. Insofern finde ich es konsequent, wenn Bildungspolitik sich nicht nur auf das gesamte Staatsgebiet bezieht, sondern sich auch mit der Frage beschäftigt, wie vor Ort Bildungspraxis – besonders innovative Praxis – künftig aussehen soll. Wir müssen dabei dem Spannungsverhältnis Rechnung tragen zwischen Globalisierungstendenzen und dem Gefühl vieler Menschen, dass so etwas wie Heimat, regionale Geborgenheit, regionale Identität eigentlich von wachsender Bedeutung ist. Und die beiden Dinge widersprechen sich nicht.

DIE: Ist das denn nicht eine Aufgabe, die stärker eine Angelegenheit der Länder als eine des Bundes ist?

K.L.: Das ist richtig, das ist auch ein wichtiger Punkt in unseren Programmüberlegungen. Wir haben die Idee zum Programm „Lernende Regionen“ von Anfang an den Ländern vorgestellt – ebenso der Konzertierten Aktion Weiterbildung (KAW) – und zusammen mit den Ländern und unter Nutzung von Anregungen der Mitglieder der KAW weiter entwickelt. Die Länder waren also von Anfang an beteiligt und haben – worüber ich sehr froh und auch dankbar bin – dem Förderprogramm zugestimmt.

DIE: Der Begriff der Regionen ist ein sehr offener Begriff. Gibt es denn Regionen, die länderübergreifend sind?

K.L.: Es gibt grenzüberschreitende, aber auch länderübergreifende Regionen. Ein Beispiel dafür ist die Metropol-Region Hamburg/Schleswig-Holstein, sie wird sich möglicherweise auch Richtung Süden entwickeln, obwohl ich da etwas Probleme habe mit dem Regionsbegriff. Ein zweites Beispiel ist die Bodensee-Region, die ist ebenfalls länder- und sogar grenzübergreifend, und es ist davon auszugehen, dass wir noch weitere übergreifende Konzepte im Rahmen des Förderprogramms bekommen werden, z. B. im Berlin-Brandenburger Raum, wo es ebenfalls schon Ansätze gibt.

DIE: Sehen Sie auch Schwierigkeiten bei dem Regionsbegriff?

K.L.: Ich persönlich habe damit keine Schwierigkeiten. Die Antragsteller, vielleicht auch manchmal die Ländervertreter im Lenkungsausschuss des Förderprogramms, haben damit Probleme. Ich glaube, dass es Sache der Beteiligten vor Ort ist, zu definieren, wo die Reichweite ihrer lernenden Region endet. Das kann in einigen Fällen etwas Kleinräumiges sein, das kann etwas sein, was sich hundertprozentig mit Verwaltungsgrenzen deckt oder zum Beispiel auch mit Arbeitsamtsgrenzen. Aber es kann auch Stadtteile umfassen, die spezifische Probleme haben, für die sich eine Gruppe von Akteuren gemeinsam verantwortlich fühlt. Anfang 1999 hat mich der frühere Vorsitzende der KAW, Herr Dohmen, auf ein Regionalkonzept hingewiesen, das in Finnland unter dem Stichwort „Studienzirkel“ entwickelt worden ist. Man hat gesagt, wir kümmern uns um unsere regionale Kultur und unsere Wurzeln und dadurch erwächst ein neues Bewusstsein, dass es besser ist, in der Region zu bleiben, statt in die Stadt zu gehen. In der Diskussion auf einer Tagung im Haus Neuland ergaben sich weitere Anregungen, wie z. B. das Konzept der Bibliothek 21 in Stuttgart, nämlich die Einbeziehung beispielweise des kulturellen Umfeldes in künftige bildungspolitische Aktivitäten. Also raus aus der Volkshochschulveranstaltung im Grundschulklassenzimmer, wie ich es vielfach selbst erlebt habe, hin zu etwas mehr Spaß und Freude und auch zu konkreten Anlässen für Lernen. Ich glaube nämlich, dass Menschen lernen, wenn sie sehen, es entspricht ihren Bedürfnissen und sie haben auch etwas davon.

Bildungspolitische Innovationen auf regionaler Ebene

DIE: Das Stuttgarter Bibliotheksprojekt läuft ja schon und wird vom DIE wissenschaftlich begleitet. Es hat einige ganz interessante Ergebnisse, die nächstes Jahr präsentiert werden. Warum sind die Regionen denn gerade für ein Bildungsressort von besonderem Interesse? Das Programm „Lernende Regionen“ gehört ja mit zu den größten des Ministeriums, die ich persönlich aus den letzten 30 Jahren kenne, was die Ausstattung angeht, was die bundespolitische Reichweite angeht, die Zusammenarbeit mit europäischen Behörden usw. Also warum gerade als Aufgabe des Bildungsministeriums und nicht vielleicht des Arbeits- und Sozialministeriums oder des Wirtschaftsministeriums?

K.L.: Eine Überlegung ist, dass unsere Gesellschaft von Innovation und Qualifikation lebt. Qualifikation nicht in einem engen ökonomischen Sinne und als Reaktion auf arbeitsmarktpolitische Bedarfe, die man nach meiner Einschätzung ohnehin schwer identifizieren kann, sondern umfassender verstanden. Man muss, um ökonomische und gesellschaftliche Ziele verwirklichen zu können, versuchen, die strategische Bedeutung von Innovation, das ist also unsere Forschungsperspektive, und Qualifikation, das ist die Bildungsperspektive dieses Ministeriums, zu verknüpfen und das gemeinsame Neue stärker vor Ort praktisch zu verwirklichen.

DIE: Nehmen wir mal an, ich käme aus dem Wirtschaftsministerium und würde Sie fragen: „Herr Luther, warum beschäftigt sich ein Bildungsressort mit Fragen, die eigentlich für uns besonders wichtig sind, etwa mit der Frage der Prosperität der Region oder der dynamischen Entwicklung, der Industrieansiedlung, des Arbeitsmarktes, usw.?“

K.L.: Einer der Ansatzpunkte des Programms „Lernende Regionen – Förderung von Netzwerken“ ist, dass sich lebenslanges Lernen künftig stärker an den Bedürfnissen, den Möglichkeiten und der Nachfrage der Nutzer orientieren muss, und die sind eben vor Ort. Die Angebote müssen sich auf die Individuen, also Bildungsinteressierte auf der einen Seite, aber auch andere Nachfrager, das können z. B. Unternehmen oder Verwaltungen sein, beziehen. Nachfrager können sich auch in Projekten zur Förderung benachteiligter Jugendlicher, in Umweltprojekten, Agenda-21-Prozessen, usw. „verstecken“. Diese mit der Frage zu konfrontieren, welche Bildungsbedürfnisse habt ihr eigentlich, ist ein wichtiges Anliegen. Oder: Sind in euren Gesprächszusammenhängen nachhaltige Organisationen und potenzielle Bündnispartner entstanden? Wie kann man gemeinsam versuchen, eher bessere Bildungsbedingungen und damit auch bessere Voraussetzungen für sozialen, ökonomischen, gesellschaftlichen Zusammenhalt, Wohlstand etc. herzustellen? Das ist mit Sicherheit auch für Wirtschafts- oder Regionalpolitiker interessant. Und wenn Bildung und Qualifikation ein entscheidender Schlüssel der Entwicklung für ein rohstoffarmes Land ist, dann muss man eine innovative, bildungspolitische Praxis auch in eine solche sozio-ökonomische Richtung entwickeln.

DIE: Wie können durch das Programm „Lernende Regionen“ innovative Entwicklungen gefördert werden?

K.L.: Das Programm ist so angelegt, dass es innovative Praxisermöglicht. Wir schreiben nicht vor, was in den „Lernenden Regionen“ gemacht werden soll, wir geben einen relativ weiten Rahmen. Übrigens haben auch die Länder zugestimmt, dass das Programm so angelegt wird. Ich finde, das ist durchaus ein neues Verständnis von Politik, also eine Stärkung der Autonomie,die Entwicklung von bildungspolitischen Innovationen nunmehr auf regionaler Ebene. Das schafft Freiraum, erfordert seitens des Staates auch das Akzeptieren von innovativen Profilen vor Ort und ist zugleich, meiner Einschätzung nach, eine Voraussetzung dafür, dass solche Projekte auch tatsächlich in Gang kommen. Wenn nämlich die Beteiligten sich nicht gegängelt fühlen, sondern wenn man sie auffordert, selbst initiativ zu werden, selbst kreative Gedanken zu entwickeln und zugleich – in begrenztem Umfang, aber immerhin – in einem doch durchaus finanzpolitisch beachtlichen Umfang die Ressourcen dafür zur Ver fügung stellt, dann – finde ich – hat man schon gewonnen. Dann kann man Prozesse in Gang setzen, wie sie auf anderem Wege nicht möglich sind. Also das Konzept ist keine Kopfgeburt, sondern es ist etwas, was sich vor Ort verwirklichen soll.

Lernen ist eine soziale Angelegenheit

DIE: So wie Sie die Relevanz von Bildung vor Ort beschrieben haben, geht das von einem Bild aus, das Menschen in „leiblicher Gebundenheit“ sieht, die körperlich anwesend sind in einer bestimmten Region, und dort spielt sich das ab, was mit Bildung zu tun hat. In welchem Zusammenhang steht denn dieses Bild von Bedarfsorientierung und Bedürfnisartikulation zu den neuen Diskussionen über Mobilität, virtuelle Welten, über Lernangebote in Medien? Was nutzt uns etwa die Region, wenn es um das Erlernen einer Fremdsprache geht, was man im Internet inzwischen schon teilweise in ganz guten Angebotsformen machen kann, da ist die Region doch völlig uninteressant, oder?

K.L.: Nein, das glaube ich nicht. Nehmen Sie zum Beispiel die Volkshochschulen, diese bieten mit großem Erfolg Gesprächsrunden an, in denen das am Computer Gelernte miteinander geübt und erprobt wird. Das macht den Beteiligten auch sehr viel Spaß, sich mit anderen, die dasselbe Bildungsbedürfnis hatten, zu unterhalten und voneinander zu lernen. Insofern glaube ich nicht, dass die Zukunft der Bildung ausschließlich mit Medien gestaltet wird. Es wird in Zukunft, das ist jetzt auch ein Allgemeinplatz geworden, einen immer größeren Bedarf an einer Flankierung durch „lehrende“ Moderatoren etc. geben. Lernen ist, nach meiner Einschätzung, eine soziale Angelegenheit, und das heißt automatisch, dass man nicht, jedenfalls nicht ausschließlich, allein lernt bzw. lernen soll.

DIE: Welche Kompetenzen sollen dabei besonders gefördert werden?

K.L.: Eine der Kompetenzen, von denen relativ viel geredet wird, heißt Teamfähigkeit, und die kann ich nicht allein lernen, ich kann sie auch nicht allein am PC lernen. Ich kann es vielleicht begreifen, aber einüben kann ich es nur an konkreten Projekten. Gleichzeitig ist Lernen immer auch mit Anstrengung verbunden, und diese Anstrengung muss zunächst das Individuum aufbringen. Das Individuum muss motiviert werden, und das ist eine der Aufgaben, die eine solche „lernende Region“ helfen kann zu bewältigen. Ziel ist dabei vor allem, Menschen zu motivieren, selbstständig zu lernen. Man muss sich in diesem Zusammenhang auch mit den Erwachsenen und mit deren Möglichkeiten zu lernen beschäftigen. Ich finde, dass man bei der Entwicklung von Unterstützungsangeboten viel stärker von Erfahrungen, auch konkreten Lebenssituationen, ausgehen sollte. Vor diesem Hintergrund kann man sich dann eben Bildung nicht mehr nur als eine Veranstaltung im Klassenzimmer oder im Hörsaal vorstellen. Bildung muss zu den Menschen kommen. Das kann in verschiedenen Formen geschehen, da bin ich völlig offen. Das soll ausprobiert werden, also möglichst vielfältig und bunt sollte die künftige Lernwelt sein. Je stärker lernende Regionen regional differenziert, auch unterschiedlich sind, desto glücklicher bin ich eigentlich, weil eine der Grundannahmen des Programms bestätigt ist. Die Menschen sind schließlich nicht nur eigenverantwortlich, sondern sollten in ihrer Selbstständigkeit – ich betone: – gefördert werden.

DIE: Ihre Fördermittel gehen ja nicht an die Endverbraucher, sondern an bestimmte Akteure, Institutionen, Verbände usw. Woher bekommen Sie das „missing link“, bei dem Sie sagen, es ist wichtig, dass die Lernenden aktiviert werden? Wie stellen Sie sich vor, dass Ihr Ziel, die Lernenden zu fördern, über die Förderung der Akteure erreicht wird?

K.L.: In dem Programm stecken Bundesmittel und Mittel aus dem Europäischen Sozialfonds. Mit das Wichtigste ist: Wir fördern das auch aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds, was zugleich auch ein Ansporn ist, sich im Wettbewerb der Ideen in Europa um die Verwirklichung lebenslangen Lernens große Mühe zu geben. Zu den Akteuren: Es ist richtig, dass wir überwiegend diejenigen als Akteure haben, die für einzelne Bildungseinrichtungen Verantwortung haben, z. B. Volkshochschulen vor Ort. Wir haben aber von vornherein in die Förderrichtlinien hineingeschrieben, dass beispielsweise Unternehmen und nicht nur Kammern, einzelne Bildungseinrichtungen und nicht nur Trägerverbände,aber eben auch Umweltgruppen, – soziale und kulturelle-Projekte, die von den Betroffenen selbst gestaltet und verantwortet werden, Zugang zu den regionalen Netzwerken haben sollten, die als Verbund einen Antrag stellen und die Projekte dann auch konkret durchführen. Ob es gelingt, die Nutzer im Sinne von Verbraucherinteressen in persona in die lernenden Regionen zu bekommen, das weiß ich noch nicht. Das wird man praktisch erproben müssen. Ich kann mir kaum vorstellen, dass die Bildungsinteressierten einer Region sich in einem Verein zusammenschließen und damit selbst ein solches Netzwerk bilden. Aber es gibt bereits solche Ansätze, beispielsweise ein Projekt in Berlin – das einzige, das wir bisher in der Förderung haben, das von Frauengruppen allein gestaltet wird, wo die Nutzerinnen selbst Antragsteller sind. In anderen Projekten sind es Akteure, die die Interessen der Nutzer vertreten. Wir hoffen, dass die stärkere Orientierung an den individuellen Bedürfnissen der Nutzergruppen von den Akteursgruppen auch als Kerngedanke selbst erkannt wird und sie sich bei ihren Kunden rückversichern, welche Bedürfnisse sie eigentlich haben, welche Möglichkeiten sie für ein Projekt sehen.

DIE: Lassen Sie uns noch auf einen anderen Aspekt der Diskussion kommen. Dass die Menschen lernen, ist bekannt. Inwiefern lernen die Regionen?

K.L.: Ich glaube, dass eine lernende-Region so etwas wie ein Markenzeichen für die Region selbst sein kann. Eine Region ist mehr als eine Addition von Einzelinteressen. Es gibt eine regionale Identität. Man kann es vielleicht am Beispiel Verkehrssystem in einer Region verdeutlichen. Gleichzeitig kann man an diesem Beispiel überlegen, ob man daraus auch ein Bildungsbedürfnis ableiten kann. Wenn eine Region für sich erkennt, dass es keinen Sinn macht, mehr Straßen zu bauen, sonderndass es im Interesse der Region ist, öffentliche Verkehrssysteme auszubauen und stärker zu fördern und zu optimieren, hat das ja dann eine andere Dimension als die Addition von Einzelinteressen. Das Einzelinteresse sagt: Ich will mit meinem Auto zu jeder beliebigen Tages- und Nachtzeit von A nach B fahren. Das Gesamtinteresse steht dem entgegen. Und der Zugang von Bildung wäre dann – Stichwort Umweltbildung –, hieraus ein Konzept zu machen, den Gedanken des Gesamtinteresses auch über Bildungsaktivitäten nicht nur abstrakt, sondern auch praktisch zu verwirklichen. Eine Idee, die damit verbunden werden könnte, ist zum Beispiel, die Bildungsbedürfnisse auch stärker an Umweltprojekten zu orientieren. Ich will in diesem Zusammenhang wissen, ob erst einmal ein abstraktes Lernen oder erst das praktische Bedürfnis im Vordergrund stand.

Lebenslanges Lernen und Nachhaltigkeit

DIE:. Für mich ist die Frage: Wo ist denn da der Hebel für Bildung?

K.L.: Wenn ich ein umfassenderes Beispiel nehme: Agenda-21-Prozesse. Der Ansatzpunkt des Kapitels 21 der Rio-Erklärung war ja, dass Umweltveränderung etwas mit Bewusstseinsänderung zu tun hat und haben muss, und zwar sowohl für die Konsumenten wie auch für die Produzenten. Bewusstseinsänderungsprozesse müssen sich in den Köpfen vollziehen und in den Verhaltensweisen der Menschen in jedem Lebensbereich auswirken, sowohl im privaten Bereich wie auch in der Arbeitswelt und selbstverständlich auch im kulturellen Bereich. Das Verändern von Bewusstsein und das konkrete Einüben von Verhaltensweisen sind nach meiner Einschätzung wesentliche Aufgaben von Bildung im Sinne von lebenslangem nachhaltigem Lernen. Hier hat der Begriff „Nachhaltigkeit“ somit eine doppelte Bedeutung. Nachhaltige Bildungspolitik heißt hier: einen Beitrag zu unserer Umwelt und Natur zu leisten; heißt aber auch: dauerhafte Veränderung der Verhaltensweisen.

DIE: Und eine solche Nachhaltigkeit soll auch die Netze für das lebenslange Lernen auszeichnen, die in den Regionen entstehen?

K.L.: Sie haben Recht, dies ist die dritte Bedeutung des Begriffs „Nachhaltigkeit“. Der Bund kann und darf aufgrund seiner Zuständigkeiten nur zeitlich befristete Projekte fördern, Modellvorhaben, innovative Projekte. Das Programm „Lernende Regionen – Förderung von Netzwerken“ versucht auszuloten, inwieweit wir in größerer Breite als bisher solche Innovationen anstoßen und auch fester etablieren können. Nachhaltigkeit heißt auch, dass sich die geförderten Projekte von Anfang an mit der Frage beschäftigen müssen, wie es nach Auslaufen der Bundesförderung weitergeht. Es wäre sinnlos, einfach nur die Bundesmittel zu verpulvern. Wir wollen, dass nach Beendigung der Bundesförderung etwas übrig bleibt. Die Idee ist natürlich, dass die konkreten Projekte weiterlaufen. Das kann nur mit Hilfe des Einsatzes entsprechender Ressourcen vor Ort geschehen.

DIE: Wann sind denn solche Netze oder Aktivitäten für lernende Regionen aus Ihrer Sicht uninteressant? Es gibt ja sicher mehr Anträge für das Programm, als man bewilligen kann oder möchte?

K.L.: Die Nachfrage nach dem Programm war und ist erfreulich groß und größer als die uns zur Ver fügung stehenden Mittel und Möglichkeiten. Uninteressant sind für uns Netzwerke, die nicht bildungsbereichs- und nicht trägerübergreifend sind. Das ist eine der Voraussetzungen für die Förderung. Uninteressant sind für uns auch Projekte, die kein innovatives Profil für die Region haben. Beim Lesen aller Anträge habe ich mir immer die Leitfrage gestellt: Haben die Beteiligten eine Vision ihrer Lernenden Region entwickelt und ein angemessenes Umsetzungskonzept entworfen? Das ist für mich die zentrale Fragestellung in beiden Ausschreibungsrunden. Und ich glaube, dass wir mit dieser Fragestellung den Projekten auch tatsächlich gerecht werden. Das war bzw. ist der Filter, an dem sich die geförderten und die nicht geförderten Projekte scheiden lassen. Damit will ich aber diejenigen, die wir nicht fördern, nicht schlecht machen. Das steht mir gar nicht zu. Diese Antragsteller, die ich nicht als „Verlierer“ bezeichne, können sich nach Überarbeitung in weiteren Ausschreibungsrunden mit guten Chancen bewerben.

DIE: Nun engen natürlich solche Kriterien wie trägerübergreifend und erkennbarer Ansatz von Nachhaltigkeit den Freiraum ein. Welche Kriterien gibt es für den Erfolg einer Vernetzung in einer lernenden Region? Wenn Sie dieses Programm anschauen und sagen, dass es in fünf Jahren aufgrund der befristeten Anlage des gesamten Programms und der Zuständigkeiten des Bundes zu Ende ist: Was soll denn dann am Ende rauskommen? Wann sind Sie zufrieden und sagen, das Programm hat erreicht, was wir erreichen wollten?

K.L.: Das Programm ist befristet. Die Erstförderung geht erst einmal bis 2006, aber ich hoffe, dass das Programm danach auch weiterlaufen wird, um neuen Vorhaben eine Chance zu geben. Mein Traum ist, dass die Idee der Lernenden Regionen aus der bildungspolitischen Diskussion nicht mehr wegzudenken ist, sondern dass sie auch über das Ende des Programms hinaus Bestand haben wird. Ich bin auch guter Hoffnung. Ich habe Anfang der 1980er Jahre die Möglichkeit gehabt, Kooperationsverbünde zwischen Hochschulen und Gewerkschaften zu fördern. Die fünf Verbünde existieren alle noch, jedenfalls nach außen sichtbar, wenn sie sich auch möglicherweise in ihren Aufgabenstellungen, in der Arbeitsweise und der Zusammensetzung der Kooperationspartner inzwischen wesentlich verändert haben mögen. Es gibt aber solche Verbünde – in Hamburg, Oldenburg, Kassel, Tübingen und Dortmund. Die Idee der lernenden Regionen halte ich für ein tragfähiges Konzept. Nicht umsonst wurden im UNESCO-Bericht der Delors-Kommission überzeugende Begründungen für eine solche Konzeption der „lernenden Gesellschaft“, der „lernenden Organisationen“, der „lernenden Regionen“ und des „lernenden Individuums“ entwickelt.

DIE: Wenn Sie aber jetzt auf ein einzelnes Projekt schauen: Wann wäre denn für Sie in einem Projekt ein positives Ergebnis erzielt?

K.L.: Ich würde mich freuen, wenn ich nach einer angemessenen Zeit ein Projekt entdecken würde, das deutlich macht: Lernen macht Spaß. Die Menschen lernen aus eigenem Antrieb und sie lernen gern. Man muss sie nicht zum Lernen zwingen. Lernen entfaltet schöpferische Kräfte in Personen und auch in sozialen Gemeinschaften. Für mich ist Lernen ein zentrales humanes und demokratisches Merkmal. Deshalb, finde ich, sind lernende Regionen auch ein Stück politische, demokratische und humane Kultur. Das Programm soll dazu beitragen, dass dieses – nicht nur in herkömmlicher Weise – auch so verwirklicht wird, dass Bildung zum Beispiel durchlässiger wird, dass allgemeine und berufliche Bildung gleichwertiger werden, dass alle Begabungen gefördert werden, dass der Mensch im Mittelpunkt aller Bildungsprozesse steht. Ich habe diese Vision von Lernen – sie ist vielleicht auch romantisch und verklärt. Aber man muss in den Zeiten, in denen sich vieles verändert und nicht alles einfach ist, auch noch Träume haben.


Deutsches Institut für Erwachsenenbildung
Dezember 2001

Klaus Luther, Ekkehard Nuissl, Bildung muss zu den Menschen kommen.
Online im Internet:URL: http://www.diezeitschrift.de/12002/gespraech_mit_klaus_luther.htm
Dokument aus dem Internetservice Texte online des Deutschen Instituts für Erwachsenenbildung
http://www.die-bonn.de/publikationen/online-texte/index.asp