DIE Zeitschrift für Erwachsenenbildung

Stichwort »Glück«

Detlef Oppermann

Derzeit ist eine populäre Inflation an Glücksversprechen zu beobachten. Unter einem kruden philosophischen Deckmantel wurde das Glück zum Markenartikel und leicht erwerblichen Heilsversprechen. Jüngster Höhepunkt ist sicher »Die Glücksformel« des Hirnforschers Stefan Klein (2002). Philosophisch indes kommt das Glück etwas weniger leichtfüßig daher.

»Es gibt Sehnsüchte, die nicht altern. Sie werden höchstens einmal, von Zeit zu Zeit unmodern – und dann wieder von Zeit zu Zeit modern. Zu diesen ewig jungen Uralten gehört das Glück« (Marcuse 1972, S. 11).

Mit diesen Worten beginnt Ludwig Marcuse seinen gelungenen, Maßstäbe setzenden Blick auf die Denker des Glücks und ihre Fragestellungen. Nicht nur philosophisch, sondern auch praktisch für das Glück und seine Ermöglichung einzutreten, war seit jeher anrüchig und machte verdächtig. Die antike Klassik von den Sophisten bis Epikur hatte das Glück noch in den Mittelpunkt ihres philosophischen Denkens gestellt. Doch spätestens seit Augustins Religiosierung des Glücks und zuletzt seit Kants Pflichtethik wurde es umgebogen zum Sollen, und aus der areté wurde eine moralisch belastete Tugend. Mit literarisch spitzer Feder kennzeichnet Marcuse diesen Wandel, wenn er sagt: »Man hat das Glück gekidnappt und stellt es, wohl verkleidet, als Pflicht vor« (Marcuse 1972, S. 316).

Dennoch hat der Anspruch auf Glück die conditio humana als Traum und Utopie immer begleitet, ja, die Sehnsucht nach dem Glück ist älter als alle Philosophie. Sie steht schon am Anfang der existentiellen Bewusstwerdung des Menschen.

Schon im 5. vorchristlichen Jahrhundert hatte Demokrit das Glück genauer definiert und eine Trennung von äußerem und innerem Glück vorgenommen. Mit der Formulierung »Unsere erste Sorge gilt der Seele, sie ist das Wesentliche am Menschen, der Körper Gefäß oder Werkzeug. Glück wohnt in der Seele« (zit. nach Schmidt 1976, S. 56) hatte dieser materialistische Philosoph den Weg beschritten, auf dem dann Aristoteles in seiner »Nikomachischen Ethik« das antike Glücks-Denken einem abschließenden Höhepunkt entgegenführte. Aristoteles hat es zum Menschenrecht gemacht, »aber um den Preis, daß es Gegenstand von Lernen und Üben, von ‚Askesis’ sei« (Neschke 1997, S. 22). Womit bei Aristoteles als Einfallstor in das Glück die intellektuelle Mühe, die zur möglichen Erkenntnis führt, angesprochen ist. Materielles Glück, die Frage »Wie werde ich ein Glückspilz«, rangiert bei ihm deutlich hinter dem Bild vom »Glücklichsein«.

Auch der heute so häufig anzutreffende Begriff »gelungenes Leben« geht auf diesen großen Denker zurück. So findet sich die Glücksausdeutung des Aristoteles wie folgt beschrieben: »Das menschliche Glück besteht in der aktualen Betätigung der besten Fähigkeiten unserer Lebenskraft und der dadurch ausgelösten Freude; Glück ist gelungenes Leben (euzoia) in dem Sinne, daß unser bewußtes, mit allen Lebewesen geteiltes Streben nach Freude verwirklicht wird ... Menschliches Glück bedarf nach Aristoteles der Anstrengung, führt aber dann zu einem solchen Höhepunkt des gelingenden Tuns und der Freude über das Tun, daß der Mensch hier seine conditio humana fast überschreiten kann« (ebd., S. 25).

Die Einheit von tätigem und reflektierendem Leben – von vita activa und vita contemplativa – führt (nicht nur bei Aristoteles) zur eudaimonia, zur Glückseligkeit eines gelungenen Lebens, weil der daimon, das gute Licht, in uns leuchtet.

Damit ist aber auch die Brücke hergestellt, die Glückseligkeit und Erkenntnisfähigkeit, die Glück und Bildung miteinander verbindet. Der Skeptiker des Glücks, Immanuel Kant, hat in seinem Werk über die praktische Vernunft demzufolge für die Beziehung von Erkenntnisfähigkeit und Glück als die wichtigsten Konstanten für das innere Glück dem Menschen vier Fragen vorgelegt, sie lauten: Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen? Was ist der Mensch? Das Wissen geht also voran, motiviert zum Handeln, das indes keine Sicherheit geben kann, nur Hoffnung auf ein geglücktes Leben, in dem dann – möglicherweise – das Bild aufleuchtet: Das ist der Mensch.

Literatur
Klein, St. (2002): Die Glücksformel oder wie gute Gefühle entstehen. Reinbek bei Hamburg
Marcuse, L. (1972): Philosophie des Glücks. Von Hiob bis Freud. Zürich
Neschke, A. (1997): Gelungenes Leben. Die Glücksproblematik bei Aristoteles. In: Angehrn, E./Baertschi, B. (Hrsg.): Die Philosophie und die Frage nach dem Glück (Studia philosophica 56). Bern, S. A–B
Schmidt, A. (1976): Zum Begriff des Glücks in der materialistischen Philosophie. In: Hommes, U. (Hrsg.): Was ist Glück? Ein Symposion. München, S. 55–107

Prof. Dr. Detlef Oppermann ist Verbandsdirektor des VHS-Verbandes Saar.