DIE Zeitschrift für Erwachsenenbildung

Verpufftes Feuerwerk an Ideen?

Was wird aus den Vorschlägen der Expertenkommission »Finanzierung Lebenslangen Lernens«?

Udo Witthaus

Die Diskussion um die Ergebnisse der »Timmermann-Kommission« ist von der DIE Zeitschrift intensiv begleitet worden. Mit diesem Text ergreift ein Vertreter der Weiterbildungspraxis das Wort. Ernüchtert stellt der Leiter der VHS Minden fest, dass sich, seit der Schlussbericht der Expertenkommission vorliegt, außer einer Verschärfung der Unterinvestitionsseite nichts verändert habe. Sein Text ist entstanden, bevor der Zuschnitt der Bundesbildungspolitik nach der Wahl vom 18. September bekannt geworden ist. Ändern dürfte sich durch eine neue Bundesregierung aber wenig, soll doch rigide gespart werden und Bildungsverantwortung dem Vernehmen nach noch stärker als bisher an die Länder übergehen. Der Autor apelliert an die Weiterbildungsakteure, sich vermehrt und offensiver der Argumente der Kommission zu bedienen.

Der Schlussbericht der Expertenkommission »Finanzierung Lebenslangen Lernens« liegt Politik, Weiterbildungspraxis und Öffentlichkeit seit Juli 2004 vor. In der Wissensgesellschaft bedienen sich Parlamente und Regierungen immer öfter des Sachverstandes externer Experten(kommissionen). Doch von diesem Expertenwissen gehen unterschiedliche Effekte aus. Einige Expertenberichte lösen über die tagesaktuelle Aufmerksamkeit und mediale Aufgeregtheit hinaus lebhafte Debatten aus und finden Eingang in Reformen. So sind Hartz (Arbeitsmarktreform) und Rürup (Rentenversicherungsreform) fast überall bekannt.

Der bisweilen Timmermann-Bericht genannte Schlussbericht hat bislang allenfalls eine bestimmte Weiterbildungsszene erreicht. Im Juli 2004 wurde der Bericht von Politik und Weiterbildung wohlwollend aufgenommen (vgl. DIE, Supplement zu II/2004, S. 18f.). Trotz interessenspezifischer Fokussierungen und Divergenzen verbreiteten unterschiedliche Akteure seinerzeit rhetorisch Aufbruchstimmung. Und die Kommissionsmitglieder haben seither auf vielen Tagungen und in verschiedenen Gremien ihre Ergebnisse vorgestellt. Aber nach mehr als einem Jahr muss man nüchtern Bilanz ziehen, dass die Bildungspolitik die zentralen Botschaften kaum aufgegriffen hat. Nichts ist zu hören von der politischen Kampagne, die die Umsetzung der vorgeschlagenen Instrumente begleiten sollte und »die Einsicht, dass Lebenslanges Lernen sowohl aus der Sicht der Individuen als auch der Unternehmen wie der Gesellschaft insgesamt die für die Zukunft wichtigste Form der Investition ist, wecken, verbreiten und vertiefen muss« (Expertenkommission 2004, S. 311) .

Droht dem »Feuerwerk an Ideen« somit das Schicksal jedes echten Feuerwerks? Nach langer professioneller Vorbereitung wird mit hohem Ressourceneinsatz eine brillante Performance mit grandiosen Bildern abgeliefert, die für den Moment hohe Aufmerksamkeit erzeugt. Die Begeisterung überdauert noch eine Weile das Verglühen der letzten imposanten Feuerbilder, bevor der Alltag zurückkehrt und neben Erinnerung bestenfalls die Sehnsucht nach dem nächsten Feuerwerk bleibt. Was also ist zu tun, damit die Ideen nicht verpuffen, sondern Chancen auf deren Umsetzung erhalten bleiben?

Wenn Politik die Impulse nicht aufnimmt, dann müssen Weiterbildungseinrichtungen von sich aus die Befunde und Empfehlungen der Kommission in Diskurse einbringen. So hat die VHS Minden seit Vorliegen des Berichtes die Finanzierungsvorschläge immer wieder auf die Tagesordnung ihrer Gremien gesetzt. Dozenten und Teilnehmern wurden zentrale Befunde vorgestellt und die lokalen Politiker mit Vorträgen informiert. Und jedes Mal wird der zentrale Appell gesendet: »Bildungsinvestitionen müssen mehr denn je oberste Priorität haben!«

Die Kommission mahnt dringenden Handlungsbedarf zur Förderung lebenslangen Lernens bei Individuen, Unternehmen und Staat an. Die deutsche Gesellschaft insgesamt müsse Bildung eine höhere Priorität einräumen als in den vergangenen 20 bis 30 Jahren, um nicht weiter im internationalen Wettbewerb zurückzufallen. Bildung und lebenslangem Lernen »gebührt der erste Platz in der Präferenzen- und Prioritätenliste der deutschen Bevölkerung und Politik« (ebd., S. 311). Diese klare Prioritätensetzung für Bildungsinvestitionen erfolgt wohlwissend, dass Altersvorsorge- und Gesundheitsreformen konkurrierende gesellschaftliche und individuelle Aufgaben sind. Wenn Bildung die wichtigste Investition ist, dann müssen alle drei Akteursgruppen Bereitschaft, Wille und Motivation zum Lernen und zum stärkeren Investieren eigener finanzieller sowie zeitlicher Ressourcen aufbringen.

Konfrontiert mit den Vorschlägen fordert die bildungspolitische Realität (nicht nur) den Weiterbildungsakteuren einen mentalen Spagat ab: So erlebt die Praxis seit Jahren und in der jüngeren Vergangenheit vermehrt eine Drosselung der Finanzierungsströme. NRW hat in den Jahren 2004 und 2005 die im Weiterbildungsgesetz fixierten Fördermittel um 15 Prozent reduziert. Die kommunale Fehlbetragsfinanzierung ist wegen der katastrophalen kommunalen Haushaltslagen faktisch vielerorts in eine Festbetragsfinanzierung* umgewandelt worden. So wurde z.B. für den Zweckverband VHS Minden die kommunale Umlage schon 2003 um 20 Prozent dauerhaft gesenkt.

Der Rückgang öffentlicher Gelder hat gravierende Verschiebungen der Finanzierungslasten zur Folge. Um die Einnahmeseite zu stärken, werden vielfach die Teilnehmerbeiträge erhöht. Entgelterhöhungen – selbst moderater Art – führen zu Nachfragerückgang, die erhofften Mehreinnahmen werden nicht realisiert und Teilnehmereinbrüche auch nach einer Beruhigungsphase nicht wieder aufgeholt. Am Beispiel VHS Minden lässt sich ablesen, dass von der alten Ko-Finanzierungsidee (1/3 Land, 1/3 Kommune, 1/3 Teilnehmer) nicht viel geblieben ist. Für das Jahr 2003 lag der kommunale Anteil bei 20 Prozent, die Landeszuwendung betrug 29, die Gebühren machten 50 Prozent aus. Die häufig als ergiebige Alternativen genannten Finanzierungsquellen wie Auftragsmaßnahmen für Firmen oder die Agentur für Arbeit unterliegen ebenfalls dem Drosselungsprinzip. Betriebliche Ausgaben für formale Weiterbildung gehen zurück, die Agentur für Arbeit hat drastisch ihr Weiterbildungsbudget reduziert.

Gegenläufig zum gut begründeten Kommissionsappell ist somit empirisch festzustellen, dass sich die Unterinvestition in Weiterbildung eher verschärft. Die Investitionszurückhaltung lässt sich für jede Akteursgruppe gut erklären: Unternehmen unterliegen einem solchen Kostendruck, dass Investitionen in Humankapital auf das Allernötigste beschränkt werden; Privatpersonen müssen von ihrem verfügbaren Einkommen vermehrt Mittel zur privaten Altersvorsorge und zur Absicherung von Krankheitsrisiken aufwenden; Politiker auf allen Entscheidungsebenen sollen mit immer weniger Mitteln wachsende Aufgaben und Leistungsansprüche befriedigen.

»Öffentliches Interesse – ein ambivalentes Regulativ«

Für Volkshochschulen ist es besonders erfreulich, dass die Expertenkommission die Finanzierung des lebenslangen Lernens nicht auf berufliche Bildung bzw. in der Arbeitswelt verwertbare Kompetenzen reduziert. Explizit wird öffentliche Verantwortung für bürgerschaftliche, allgemeine, politische und kulturelle Bildung eingefordert. Als Begründungszusammenhang wird auf Globalisierung, Internationalisierung von Kontakten und eine Dienstleistungs- und Informationsgesellschaft verwiesen, die vermehrt Abstraktionsfähigkeit, soziale Kompetenzen und allgemeine Basisqualifikationen erfordern. Die seit den 1970er Jahren gewachsene Lerninfrastruktur für Erwachsene sei wichtig für Dialogforen, in denen sich Bürger artikulieren und austauschen und sich Wissen für bürgerschaftliches und zivilgesellschaftliches Engagement aneignen. Die flächendeckende Grundversorgung mit Angeboten allgemeiner, politischer und kultureller Weiterbildung soll auch weiterhin über eine institutionelle Sockelfinanzierung durch Länder und Kommunen sichergestellt werden, die an einem bestimmten Prozentsatz des jeweiligen Haushalts festgemacht werden soll.

Was sich prinzipiell gut anhört, wird durch eine wesentliche Einschränkung erheblich zurückgenommen. Die Kommission empfiehlt die Trennung der Förderung von »Angeboten, die im öffentlichen Interesse liegen, von solchen, die ausschließlich im privaten Interesse sind« (ebd., S. 218). Der Bericht umschreibt Angebotsbereiche mit öffentlichem Interesse: politische Bildung, arbeitswelt- und berufsbezogene Bildung, kompensatorische Grundbildung mit Alphabetisierung und Deutsch als Fremdsprache, abschlussbezogene Allgemeinbildung, lebensgestaltende Bildung inklusive sozialer und interkultureller Kompetenzen, Schlüsselqualifikationen einschließlich Fremdsprachen sowie Familienbildung. Ein besonderes öffentliches Interesse wird Angeboten unterstellt, die Kompetenzen und Wissen für bürgerschaftliches und ehrenamtliches Engagement fördern (vgl. jeweils ebd., S. 221).

Diese Inhalte sind exemplarisch zu verstehen, denn öffentliches Interesse wird nur formal als Verfahren bestimmt. »Was im öffentlichen Interesse liegt, kann nur Ergebnis politischer Setzungen bzw. politischer Aushandlungs- und Entscheidungsprozesse sein« (ebd., S. 218). Hinter dieser Formulierung steckt die Absage an eine Förderpolitik, die staatliche Intervention nur bei Marktversagen zulässt. Zugleich wird realistisch eingeschätzt, dass bei stagnierender öffentlicher Förderung und Überwälzung der Finanzierungslasten auf die Teilnehmer bestimmte Nachfragergruppen von Weiterbildung ausgeschlossen werden bzw. schwerer Zugang zu Weiterbildung haben. Deshalb wird das Kontinuum (von Angeboten von besonderem öffentlichen Interesse über solche mit öffentlichem Interesse bis hin zu Angeboten von privatem Interesse reichend) mit der Idee einer abnehmenden Ko-Finanzierung verbunden. Während für Angebote mit besonderem öffentlichen Interesse staatliche Finanzierung eingefordert wird, sollen Angebote ohne öffentliches Interesse gegen (voll)kostendeckende Gebühren bereitgestellt werden.

»Die Nachfragesouveränität zur falschen Zeit gestärkt?«

Wie muss man sich nun aber diese politischen Aushandlungs- und Entscheidungsprozesse vorstellen? Welche öffentlichen Interessen können und werden sich dort artikulieren oder gar durchsetzen? Solche Prozesse dürften in Zeiten knapper Kassen zumeist der zynischen Maxime folgen, die einem ehemaligen Kultusminister zugeschrieben wird: Demnach ist Bildungsbedarf das, was bezahlt werden kann. Es besteht somit die berechtigte Befürchtung, dass Angebote im öffentlichen Interesse mit Hinweis auf die Kassenlage minimiert werden statt objektive Bedarfslagen abzudecken.

Wenngleich der Bericht staatliche Leistungen für den Erhalt und Ausbau der Weiterbildung reklamiert, so übernimmt er in vielen Teilen die Mainstream-Argumentation, wonach Individuen stärker in die Pflicht zu nehmen und deren Eigenverantwortung zu stärken seien. Individuen müssen aktiv Wissensvorsorge betreiben, um ihre private und berufliche Zukunft abzusichern. Konsequenterweise werden daher von der Kommission Rahmenbedingungen empfohlen, die Anreize und Handlungssicherheiten für das Individuum bereitstellen: Durch Bildungssparen, Lernzeitkonten oder auch Leistungen aus einem Erwachsenen-bildungsförderungsgesetz sollen Nachfrager ihre Finanzierungsanteile für lebenslanges Lernen systematisch planen können.

Diese Instrumente werden aber erst mittelfristig greifen und können auch erst dann handlungs- und entscheidungsrelevant für Weiterbildungsnachfrager sein. Selbst wenn auf gesetzlicher, tarifvertraglicher oder privatrechtlicher Ebene – wofür derzeit wenig spricht – solche Instrumente schnell implementiert werden, so können mit ihnen den Individuen erst mittelfristig Finanzmittel für Weiterbildung bereitgestellt werden: Beim Bildungssparen und bei den Lernzeitkonten müssen zunächst Guthaben aufgebaut oder aber Kredite aufgenommen werden. Aktuell und in naher Zukunft ändert sich damit für die meisten Nachfrager nichts. Der Bericht vermerkt zudem, dass Eigenverantwortung für lebenslanges Lernen im Erwachsenenalter steigt, aber selbst erst Folge gelungener Bildungsprozesse ist (vgl. ebd., S. 205). Es ist zu fragen, wie viele Erwachsene derzeit dieser Eigenverantwortung im Hinblick auf private Bildungsinvestitionen gerecht werden, zumal sie zwischen konkurrierenden Absicherungsprojekten für die eigene Zukunft wählen müssen. Insofern fehlen Expertenhinweise darauf, wie die Nachfrageseite kurzfristig stimuliert werden kann. Ohne solche Impulse wird sich das unzureichende Investitionsverhalten fortsetzen und damit das Problem strukturell verfestigen.

»Fazit: Gehör verschaffen!«

Um den grundlegenden Prioritäten- und Präferenzenwechsel einzuleiten, bedarf es eines intensiven öffentlichen Diskurses. Wenn dieser von Seiten der Politik nicht aufgegriffen wird, dann müssen ihn die Weiterbildungsakteure initiieren. Die Ergebnisse der Kommission erlauben es, mindestens rhetorisch die jahrelange Defensivstrategie aufzugeben. Sich der Argumente offensiv bedienen heißt, Bildung als notwendige Investition darzustellen. Adressaten eines solchen Diskurses sind nicht nur Politik und Unternehmen, sondern auch die Individuen. Das öffentliche Bewusstsein, insge­samt mehr in Bildung zu investieren, lässt sich nicht von jetzt auf gleich verändern. Öffentliche Bildungseinrichtungen wie Volkshochschulen sind ­daher besonders gefordert, in der breiten Bevölkerung für mehr Bildungsinvestitionen und den Nutzen von Bildung zu werben.

Literatur
Expertenkommission Finanzierung Lebenslangen Lernens (Hrsg.) (2004): Finanzierung Lebenslangen Lernens – der Weg in die Zukunft. Bielefeld

Dr. Udo Witthaus ist Direktor der VHS Minden und Lehrbeauftragter an der Universität Bielefeld.