DIE Zeitschrift für Erwachsenenbildung

Preiswürdig
Preis für Innovationen in der Erwachsenenbildung

ANGELA VENTH

Innovation in der Erwachsenenbildung ist derzeit in vielfältigen Ausprägungen vorhanden, jedoch als weitgehend unerkanntes Potential. Als Antriebsmoment von Qualitätsentwicklung wird Innovation dort bisher noch nicht gesehen. - Der Beitrag von Angela Venth beschreibt Hintergründe und Ziele der vom Arbeitskreis "Pädagogische Innovation" am Deutschen Institut für Erwachsenenbildung vorbereiteten Preisverleihung für beispielhafte innovative Ansätze und Modelle.

Was Innovation bedeutet, ist im schulpädagogischen Bereich sehr viel einfacher zu beschreiben als für die Erwachsenenbildung. Heute wird im Schulwesen all das als innovativ bezeichnet, was sich aus dem Rahmen traditioneller Schulorganisation löst. Als rückschrittlich, bestenfalls als stabil gilt die eng fachbezogene Gestaltung des Unterrichts, als fortschrittlich seine mehr problem- und anwendungsbezogene Ausrichtung. Überlieferte, zentral konzentrierte Steuerungs- und Kontrollmuster treten in jüngster Zeit zunehmend in Widerspruch zu neuen Vorstellungen von einer größeren Eigenständigkeit bei der einzelnen Schulverwaltung, der Unterrichtsplanung und -durchführung. Die veralteten Schablonen im Verständnis von Schule und Unterricht können - mit fachöffentlichem Einverständnis - relativ klar umrissen werden; Veränderungsresistenzen sind eindeutig auf die Starre von Strukturen, Zuständigkeits- und Verantwortungsregelungen zurückzuführen.1 Innovativ wirkt bereits auf den ersten Blick das, was sich von dieser Folie abhebt, noch unabhängig von einer Bewertung der neuen Form. Überalterung und Erneuerung stehen gleichsam im Entweder-Oder-Verhältnis zueinander, so daß die Analyse weiterführender Entwicklungen keine erheblichen Schwierigkeiten bereitet.

Für die Erwachsenenbildung waren im gegenläufigen Sinn in den 70er und 80er Jahren das Ringen um eine überregional vergleichbare Struktur und die öffentlich geförderte Verankerung als System charakteristisch. Durch möglichst weitgehende Standardisierung sollte eine Verbindlichkeit des Angebots die breite Anerkennung schaffen, die der Mangel an flächendeckend gesicherten Strukturen nicht selbstverständlich bot.2 So durchzieht viele Erklärungen jener Zeit latent oder explizit die bildungspolitische Forderung, Weiterbildung als anerkannten Teil, als vierte Säule ins Bildungssystem zu integrieren. Dieses 'Stiefkind'-Syndrom scheint massiver verinnerlicht worden zu sein, als dezidierte Hinweise auf die Leistungen organisierter Erwachsenenbildung es erkennen lassen. Die Bemühung um Gleichberechtigung im Bildungssystem führte dazu, Angebote am Vorbild des Schulwesens und seiner Logik von Fach- und Stoffgebieten auszurichten, ungeachtet des gleichzeitig proklamierten Ziels, sich an der Bildungsnachfrage von Erwachsenen zu orientieren.

Das Prinzip der Teilnehmerorientierung, wie es für die Schule und für Schüler vergleichbar nicht gilt, trat und tritt in der Erwachsenenbildung in Widerstreit mit Standardisierungsbemühungen, die sich vorwiegend auf eine fachliche Spezifik berufen. Dieser Grundwiderspruch prägt auch die aktuellen Versuche, in der Debatte um Qualitätssicherung zu erwachsenenbildungstypischen und passenden Standpunkten und Verfahrensweisen zu gelangen. Qualität in der Erwachsenenbildung - soviel wird heute offenkundig - ist jenseits schulischer Maßstäbe auch mit Normen für Produktionsprozesse in der Wirtschaft nicht adäquat zu erfassen und kann nicht daran gemessen werden, inwieweit Teilnehmerorientierung schlicht zur Kundenorientierung abgeflacht wird. Die Klärung angemessener Qualitätskriterien - lange Zeit als Anforderung vorbewußt behandelt - setzt erst ein. Sie verlangt nach einer "Stärkung des erwachsenenpädagogischen Erfolgsbewußtseins"3 und damit nach gezielter Unterstützung, die vorhandene Qualitäten recherchiert, bildungspraktisch handhabbar benennt, professionell vertieft und neue Qualitäten als Anregung für die Zukunft erschließt.

Zwischen der Trennung von alten und der Suche nach neuen Vergleichsmöglichkeiten wird Innovation bisher als bewegliches Antriebsmoment von Qualitätsentwicklung noch nicht erkannt. Sie ist aber der Standardisierung, die notwendigerweise Überprüfungskategorien festschreibt, unmittelbar verwandt. Erst in direktem Bezug aufeinander bewirken beide Qualität in der Erwachsenenbildung.

Dieser Mangel gab dem Deutschen Institut für Erwachsenenbildung 1995 Anlaß, einen Arbeitskreis "Pädagogische Innovation" zu etablieren, um eine Preisverleihung vorzubereiten. In der Ausschreibung ist als Zielsetzung des Arbeitskreises hervorgehoben: "Die Entwicklungsgruppe wird in der Diskussion über die und mit den Modellprojekten versuchen, beispielhafte pädagogische Ansätze zu unterstützen und in der Öffentlichkeit wirksam zu präsentieren"4. Alle Mitglieder der Gruppe, VertreterInnen aus Bildungstheorie und -praxis, waren sich darin einig, keine Maßgaben für Innovation normativ setzen zu wollen. Statt dessen verständigten sie sich auf Kriterien, die im Zuge der Vorstellung und Begutachtung von eingesandten Modellen eine Verdichtung von innovativen Merkmalen im Prozeß wechselseitiger Verständigung zuließen. Auf induktivem Weg erschlossen, mit wissenschaftlichen und handlungspraktischen Kontexten abgeglichen, bildete sich so die Kontur eines Setting von Beurteilungskriterien heraus, nach dem über sechzig Einsendungen gesichtet wurden.

Das induktive Vorgehen hat dem Arbeitskreis ermöglicht, wissenschaftlich abgesicherte und praktisch begründbare Kriterien für Innovation zu entwickeln. Ihre besondere Qualität gewinnen sie dadurch, daß sie rückgebunden sind an einen Wertmaßstab, in den Elemente eines "fortschrittlichen" Bildungsverständnisses eingehen: Selbstbewußtsein der Lernenden, humanitäre Ziele, Freiheit und Verbindlichkeit des Lernens selbst und anderes mehr. Auch mit einem entwickelten Wertmaßstab und empirisch überprüfbaren Kriterien ist es schwer, übergreifend zu Urteilen zu kommen. Eine Sekundärevaluation von Modellen der Erwachsenenbildung, die 1982 von der Arbeitsgruppe für Empirische Bildungsforschung5 in Heidelberg vorgelegt wurde, hat etwa das zentrale Problem der Vergleichbarkeit zwischen beruflicher und politischer Bildung gezeigt. Der Wertmaßstab zur Beurteilung muß daher noch gefiltert werden durch bildungspolitische und erwachsenenpädagogische "Prüffragen".

Innovation in der Erwachsenenbildung, dies ergab die Arbeit der Entwicklungsgruppe, ist in verschiedenen Ausprägungen vorhanden, allerdings als unerkanntes Potential. Dieses Potential wirkt sich noch nicht als Qualitätskennzeichen einer Einrichtung oder als professionelles Charakteristikum der Beschäftigten aus, stellt also kein konstituierendes Element eines 'Erfolgsbewußtseins' dar. Anders als im schulischen System steht auch das, was als erneuernd zu bezeichnen wäre, nicht kurzerhand in Absetzung von verhärteten, unproduktiv wirkenden Strukturen bereits fest. Innovative Akzente können sich durch besondere didaktische Arrangements zur Aktivierung von TeilnehmerInnen ebenso ergeben wie durch Initiativen, die Lernkulturen in bildungsfremden Umfeldern verankern, Qualitätssicherung als Anliegen auf die eigene Bildungsinstitution anwenden oder ein integratives Angebot stärker dem Lebensalltag von TeilnehmerInnen annähern. Die Erwachsenenbildungspraxis erprobt im Moment durchaus ihre innovative Kraft, darauf lenkt das Deutsche Institut für Erwachsenenbildung mit der Entwicklungsgruppe, der Verleihung von Preisen und einer besonderen Öffentlichkeitsarbeit die Aufmerksamkeit.

Für eine Innovierung von Bildungsarbeit eröffnen sich vielgestaltige Wege, deshalb kann auch kein einzelner Preis als Auszeichnung vergeben werden. Ein Ensemble von Preisen will zum Ausdruck bringen, daß die Realisierung von pädagogischer Innovation erst beginnt, ihr Spektrum sich zukünftig auffächern wird und der Dialog über ihren Stellenwert noch zu führen ist. In diesem Sinne kann die Preisvergabe als Signal verstanden werden, dieser verdeckten Seite der Qualitätsentwicklung mehr Aufmerksamkeit zuzuwenden. Im fachlichen Gespräch über die Bedeutung von Innovation kann der gesamtgesellschaftliche Nutzen, den Erwachsenenbildung in einer sozial zunehmend divergenten Welt erfüllt, klarer beschrieben und besser verstanden werden.

Die Vergabe der Preise aus der ersten "Evaluationsrunde" zur erwachsenenpädagogischen Innovation wird im Frühjahr 1997 erfolgen; sie wird unterstützt von einschlägigen Fachverlagen, die sich mit der Erwachsenenbildung insgesamt oder mit einzelnen Teilen befassen. Von der Vergabe der Preise wird nicht nur eine zusätzliche Motivation erwartet, neue oder zunächst unerwartete Wege pädagogischer Arbeit zu begehen, sondern auch ein bildungspolitisches Signal für Kreativität und Beweglichkeit von Erwachsenenbildung auch und gerade in Institutionen, welche in vielen Fällen die notwendige Bedingung für Innovation sind. Zugleich ist davon auszugehen, daß die öffentlich bekannten Preise, die auch mit Blick auf die zugrunde gelegten Bewertungskriterien begründet werden, die Diskussion über Qualität und Qualitätssicherung in der Erwachsenenbildung weiter anregen und konkretisieren. Dies mag dazu führen, daß die nächste Evaluationsrunde und die nächste Preisvergabe bereits auf dem Fundus einer Verständigung über gemeinsame Kriterien pädagogischer Innovation erfolgen können.

Anmerkungen

1 Vgl. R. Brockmeyer: Reformerfahrungen und Entwicklungsperspektiven. In: Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung: Innovationen im Bildungswesen als übernationale Aufgabe. Bonn 1995

2 Vgl. Strukturplan Weiterbildung. Köln 1975

3 R. Arnold: Verfälschung der Erwachsenenbildung durch ISO-Illusion und Bildungscontrolling. In: Qualität in der Weiterbildung, DIE-Materialien für Erwachsenenbildung, Band 3. Frankfurt/Main 1995, S. 58

4 DIE Zeitschrift für Erwachsenenbildung, I/96. Frankfurt/Main 1996, S. 46

5 Y. Kejcz u.a.: Modellversuche in der Weiterbildung, Band 1 und 2, Heidelberg 1982