DIE Zeitschrift für Erwachsenenbildung

E-Learning meets Wissensmanagement

Wie Qualifikations- und Kompetenzentwicklung in Betrieben zugleich erfolgen

Maximiliane Bönnighausen / Uwe Wilkesmann

Erwachsenenbildung findet nicht nur informell außerhalb von organisatorischen Kontexten, sondern im Rahmen des berufsorientieren, lebenslangen Lernens immer häufiger auch in Organisationen statt. Dabei handelt es sich zum einen um Organisationen, deren primäres Ziel es ist, Erwachsenenbildung zu veranstalten, und zum anderen um Arbeitsorganisationen, in denen Menschen Produkte oder Dienstleistungen erstellen. Um dies aber heute überhaupt machen zu können, müssen sich moderne Organisationen durch ein hohes Potential an Lernfähigkeit auszeichnen. Unternehmen z.B. müssen sich nicht nur ständig auf neue Marktanforderungen einstellen, sondern auch neues Wissen produzieren. Heute besteht die Wettbewerbsfähigkeit vieler Produkte und Dienstleistungen gerade in ihrem inkorporierten Wissen. Dies trifft aber nicht nur auf Wirtschaftsunternehmen zu, sondern auf alle Organisationen. Besonders wird dies in den Management-Ansätzen des organisationalen Lernens und des Wissensmanagement reflektiert. Klassische Formen der Weiterbildung stoßen in diesem Falle an ihre Grenzen, da es darum geht, neues Wissen zu generieren und nicht nur (vorhandenes) Wissen weiterzugeben. Die Entwicklung von Kompetenzen wird durch den technologischen Wandel in der heutigen Gesellschaft immer wichtiger. Klassische Qualifikationen rücken – nicht zuletzt auch durch die allgemeine Inflation der Bildungsabschlüsse – in den Hintergrund. Doch wie kann man Qualifikations- und Kompetenzentwicklung zusammenbringen? Zuerst werden Entwicklungen des Lernens in Organisationen kurz vorgestellt, um nachfolgend die Begriffe Kompetenz und Qualifikation voneinander abzugrenzen sowie Qualifikations- und Kompetenzentwicklung näher zu definieren. Im weiteren Verlauf werden Trends der Integration von Wissensmanagement und E-Learning betrachtet und anhand eines Praxisbeispiels näher erläutert.

Lernen in Organisationen

Nach dem Diskurs um das organisationale Lernen (Wilkesmann 1999, 2004), in dem die Wechselwirkungen zwischen individuellem, kollektivem und organisationalem Lernen analysiert worden sind sowie die Bedingungen der Entwicklung neuen Wissens in Organisationen im Vordergrund standen, ist nun der Diskurs zum Wissensmanagement in den Vordergrund getreten, der besonders die Voraussetzungen der Speicherung von Wissen sowie die Wissensweitergabe in den Blick nimmt (Wilkesmann/Rascher 2004). Beiden Diskursen ist gemein, dass neues Wissen nur entwickelt und in der Organisation entsprechend weiter gegeben werden kann, wenn die Organisationsmitglieder lernen. Betriebliche Weiterbildung lokalisierte sich bislang immer in der klassischen Form von Weiterbildungsabteilungen. Interessant ist nun, dass sowohl im wissenschaftlichen Diskurs als auch in der betrieblichen Praxis beide Seiten wenig voneinander Notiz genommen haben. Die Weiterbildung hat mit eigenen Konzepten des E-Learnings und des Blended Learnings IT-gestütze Tools entwickelt, ähnlich wie im Wissensmanagement, ohne die Entwicklung auf der anderen Seite wahrzunehmen. Analog existieren in der betrieblichen Praxis Weiterbildungsabteilung und Stabsstellen zum Wissensmanagement nebeneinander, ohne dass Integrationsversuche vorgenommen werden, obwohl beide sehr ähnliche Ziele verfolgen. Der Hauptunterschied zwischen beiden liegt aber traditionell in der Hervorhebung jeweils eines unterschiedlichen Ziels: Die betriebliche Weiterbildung setzt vornehmlich auf die Entwicklung der Qualifikation; im Wissensmanagement wird die Kompetenzentwicklung betont.

Qualifikation und Kompetenz und deren Entwicklung

Um Qualifikation und Kompetenz im organisationalen Kontext voneinander zu unterscheiden, werden hier, in Anlehnung an Elsholz (2002), Qualifikationen als von außen an die Organisationsmitglieder herangetragene Erwartungen definiert, wie etwa formale Bildungsabschlüsse, wohingegen Kompetenzen als Fähigkeiten, Fertigkeiten und Kenntnisse aus der Perspektive des Subjekts betrachtet werden. Durch Qualifikationen werden Organisationsmitglieder in die Lage versetzt, das formal Gelernte in regelgebundenes Handeln umzusetzen (know that). Kompetenzen dagegen beinhalten selbständiges, reflexives und evaluatives Handeln der Organisationsmitglieder (know how). Qualifikationen sind eine notwendige aber keineswegs hinreichende Voraussetzung, um Kompetenzen entwickeln zu können. Kompetenzen sind stets auf die Erreichung eines bestimmten Zieles ausgerichtet und basieren vor allem auf praktischem Wissen, d.h. Kompetenzen stellen die Befähigung des lernenden Menschen in den Mittelpunkt (know how). Wissen ist somit ein elementarer Faktor im Hinblick auf die Definition von Kompetenzen (vgl. Sydow u.a. 2003). Kompetenz bedeutet also, mit relevantem Wissen umgehen zu können, Wissensbestände anzuwenden, etwas in die Tat umzusetzen, sowie eine Technik zu beherrschen.

Die Entwicklung von Kompetenzen ist immer an eine zeitliche Dimension gekoppelt und darum als Prozess zu verstehen, der im Kompetenzentwicklungsdiskurs entweder als selbstgesteuert oder fremdgesteuert definiert wird. Ausgehend von diesem Verständnis des Kompetenzbegriffes wird Kompetenzentwicklung von zwei Seiten her bestimmt: Zum einen von der Situation (Anforderungsseite) und zum andern von der Person selbst (persönliche Ressourcen). Bei der Kompetenzentwicklung aus der Perspektive der Anforderungssituation handelt es sich allerdings – dem oben beschriebenen Verständnis nach – um den reinen Erwerb bzw. der Entwicklung von Qualifikationen. Welche Qualifikationen bei wem entwickelt werden, ist vom jeweiligen Bedarf der Wirtschaft abhängig (vgl. Wittwer 2003), d.h. die Relevanz kann sowohl ‚freiwilliger’ als auch ‚auferlegter Natur’ sein. Unter dem Blickwinkel der Fremdsteuerung kommt daher noch eine machttheoretische Perspektive ins Spiel, indem definiert wird, was Qualifikation bedeutet bzw. was als qualifiziertes Handeln anerkannt wird. Denn die Zuwendung zu einem Problem kann durchaus autoritativ angeordnet werden, indem gewisse Probleme als relevant und andere als vernachlässigbar erklärt werden. Doch handelt es sich bei diesem Ansatz nicht um Kompetenzentwicklung. Vielmehr geht es aus der fremdgesteuerten Perspektive eher um eine (Weiter-)Qualifizierung der Organisationsmitglieder.

Kompetenzentwicklung geht daher über das klassische Verständnis von beruflicher Handlungskompetenz hinaus. Eingeschlossen wird dadurch gewissermaßen eine permanente Selbstevaluation des eigenen Handelns. Dies schließt dabei auch die Selbstorganisation des Lernprozesses mit ein. Selbstorganisiertes Lernen geht allerdings keineswegs von der Unbeeinflussbarkeit von Lernprozessen aus. Eigene Lernprozesse müssen immer wieder neu in Gang gesetzt, gesteuert und ausgewertet werden (vgl. Arnold/Pätzold 2003). Knowles (1975), der als einer der ersten den Begriff des ‚self-directed learning’ verwendet, meint damit aktives, selbstbestimmtes nachfragendes Lernen im Austausch mit anderen (z.B. Berater, Helfer, Informationsquellen).

Qualifikationen stellen demnach im Kontext des Lernens in Organisationen, es wird hier nur dieser Kontext und nicht das Lernen im Kleinkindalter thematisiert, die Voraussetzung zur Entwicklung von Kompetenzen dar. Worin der Unterschied zwischen einem qualifizierten und einem kompetenten Organisationsmitglied besteht, kann in Anlehnung an das fünfstufige Entwicklungskonzept von Dreyfus und Dreyfus (1988) definiert werden. Sie konstruieren ein Stufenmodell, bei dem auf dem Weg vom Novizen zum Experten bestimmte Fähigkeiten entwickelt werden, die es dem Experten letztendlich ermöglichen, völlig intuitiv zu handeln.

Der Begriff der Kompetenz soll hier allerdings nicht als Stadium definiert werden, sondern Kompetenz wird verstanden als die Fähigkeit des Experten, Probleme selbständig zu lösen und sein Wissen immer wieder eigenständig umstrukturieren zu können. Aufgegriffen werden soll in diesem Zusammenhang auch, dass durch Qualifikationen neue Organisationsmitglieder (Novizen) zunächst in die Lage versetzt werden, das formal Gelernte in regelgebundenes Handeln umzusetzen (know that). Kompetenzen dagegen beinhalten selbständiges, reflexives und evaluatives Handeln der Organisationsmitglieder (know how), das zum größten Teil informell erworben wird. So bleibt noch einmal festzuhalten, dass Qualifikationen eine notwendige, aber keineswegs hinreichende Voraussetzung sind, um Kompetenzen entwickeln zu können. Desweiteren besitzt ein Experte Kompetenzen, um die Relevanz von Problemen bestimmen zu können und gegebenenfalls Wissen umzustrukturieren. Er kann aber auch zu der Erkenntnis kommen, dass er in einem bestimmten Wissensbereich Novize ist und sich dort erst einmal Qualifikationen aneignen muss.


 

Wissenserwerb

Wissensart

Handlungsfolge

Organisationale Auswirkungen

Lernform

 

know how

Experte

informell

praktisches Transferwissen

selbstständiges, reflexives,
evaluatives Handeln

Neues Set an Regeln entwerfen


> Ressourcen und Strukturen verändern

Wissens-management

Kompetenz

Know that

Novize

formal

regelgebundenes Wissen

regelgebundenes Handeln

Vorhandene Regeln und Ressourcen anwenden


> Strukturen reproduzieren

E-Learning

Qualifikation

Abbildung 1: Qualifikation und Kompetenz – vom Novizen zum Experten (eigene Darstellung).

 

E-Learning und Wissensmanagement

Anfang der 1990er Jahre begann man sowohl Wissensmanagement-Ansätze als auch E-Learning-Ansätze in den Organisationen mit technischen Tools zu implementieren. Beide Ansätze unterscheiden sich bezüglich ihrer Hauptaufgaben und nicht zuletzt auch von den beabsichtigten Prozessen her. Die Anfänge der Ansätze allerdings sind beiderseits geprägt von der Begeisterung der technologischen Möglichkeiten, so dass technikorientierte Konzepte bei der Umsetzung zur Schaffung einer technischen Infrastruktur, sprich die Bereitstellung von Lernplattformen beim E-Learning und die Installation von Intranetportalen und daran angebundenen Datenbanken beim Wissensmanagement, zunächst eine große Rolle spielten (Wilkesmann/Rascher/Bönnighausen 2003).

Aufgrund der geringen Akzeptanz in beiden Bereichen kam es schnell zur Desillusionierung: Auf Seiten des E-Learning machte sich dies in Form einer hohen Drop-out-Quote bemerkbar, beim Wissensmanagement kennzeichnen zwei Variationen diese technikorientierte Phase: Entweder wurden zu viele Daten unstrukturiert in Datenbanksysteme eingegeben, oder es wurden gar keine Daten eingegeben, was letztendlich zum Aufkommen von ‚Datenfriedhöfen’ führte – zu Datenbanken, die kein Organisationsmitglied nutzen konnte (Wilkesmann/Rascher 2004).

E-Learning und Wissensmanagement erfordern ein hohes Maß an Autonomie auf Seiten der Anwender, doch müssen Organisationsmitglieder erst einmal überhaupt die Möglichkeit haben, Kompetenzen zu entwickeln, um selbstgesteuert lernen und arbeiten zu können. Äußere Rahmenbedingungen spielen daher eine wichtige Rolle, wenn es darum geht, E-Learning und Wissensmanagement im Sinne der Qualifikations- und Kompetenzentwicklung nutzbar zu machen. Dabei muss Lernen sowohl von den Organisationsmitgliedern als auch von Seiten der Organisation selbst gewünscht sein. Neben strategischen Überlegungen muss sich eine Lernkultur entwickeln, die Kompetenzentwicklung faktisch fördert. Nicht selten allerdings verhindern mikropolitische Auseinandersetzungen eine übergreifende Kooperation, zumal in Organisationen die Entwicklung und Implementierung von E-Learning- und Wissensmanagement-Tools in unterschiedlichen Abteilungen beheimatet sind: Zum einen gibt es Projektmanager für Wissensmanagement und zum anderen gibt es die Personalentwickler, die sich mit E-Learning beschäftigen. Diese agieren oftmals völlig autonom. Rein technisch gesehen ließe sich Wissensmanagement unter der Berücksichtigung von Standardisierungsentwicklungen und der Generierung von Metadaten zukünftig auf der Basis einer integrierten Plattform realisieren. Damit wären zumindest (wieder) die technischen Voraussetzungen geschaffen, um eine nachhaltige Kompetenzentwicklung der Organisationsmitglieder zu fördern.

Die große Chance liegt also in Zukunft in der Verbindung von Wissensmanagement und E-Learning. In vielen Unternehmen scheitern Wissensmanagement-Projekte am Willen der Mitarbeiter, ihr Wissen mit andern zu teilen. Wissensteilung kann allerdings in Form von kooperativen Lernszenarien in E-Learning Modulen durchaus geübt werden.

E-Learning und Wissensmanagement tragen nur dann zur Qualifikations- und Kompetenzentwicklung bei, wenn sie von den Organisationsmitgliedern zunächst als Enabler erkannt werden und ferner als solche genutzt werden. Novizen (Dreyfus/Dreyfus 1988) benötigen in der Anfangsphase klare Direktiven, um nicht von der Fülle an Informationen (lost-in-hyperspace-Effekt) überfordert zu werden; somit benötigen Novizen zunächst Qualifikationen. Organisationsmitglieder müssen dabei aus dem Pool an Informationen und Lernangeboten in der Lage sein, das situationsadäquate Wissen herauszufiltern. Wissen und somit auch Kompetenzen entwickeln sich in der konstruktiven und eigenständigen Auseinandersetzung des Lernenden mit einem Problem. Das bedeutet auch, dass Lernprozesse nicht zwangsläufig in Form von Unterricht bzw. Mitarbeiterfortbildungen organisiert sein müssen. Wenn das Organisationsmitglied im Stadium des Experten Defizite erkennt, besitzt derjenige die Fähigkeit, seine Kompetenzen weiterzuentwickeln, wobei er sich dann in bestimmten Fällen durchaus auf das Niveau des Novizen begibt. In dieser Phase müssen dem Experten Tools zur Verfügung stehen, um die selbstevaluierten Defizite eigenständig kompensieren zu können. Dieses selbstgesteuerte Handeln schließt die Selbstorganisation der Lernprozesse mit ein und findet hauptsächlich informell statt. Die soeben genannten Faktoren führen (nach und nach) zu einem sich positiv selbst verstärkenden Prozess, demgemäß zu einer Entwicklung vom Novizen zum Experten. Die Nutzung von Wissensmanagement und E-Learning zur Kompetenzentwicklung kann dann unter den o.g. Bedingungen von Experten zur Handlungsroutine im Organisationsalltag werden, erst dann wird der Handlungsraum ausgefüllt. Während Qualifikation mit Hilfe von E-Learning durchaus unter Zwang ‚verordnet’ werden kann, indem keine Alternative zur Weiterqualifizierung in Form von Präsenzveranstaltungen gegeben wird, ist die Anwendung und Nutzung von Wissensmanagement zur Kompetenzentwicklung eher freiwilliger Natur und hängt stark von der individuellen Motivation ab. Inwiefern Wissensmanagement und E-Learning als Enabler zur Qualifikations- und Kompetenzentwicklung gemeinsam genutzt werden können, wird im Folgenden dargestellt.

Trends der Integration in der Praxis

In der betrieblichen Praxis sind Wissensmanagement- und Weiterbildungsabteilungen häufig mit unterschiedlichen Befugnissen ausgestattet. Häufig sind nur Wissensmanagementaktivitäten auf der obersten Konzernebene mit entsprechender Richtlinienkompetenz angesiedelt, wohingegen Weiterbildungsaktivitäten und das Erstellen von E-Learning-Angebote häufig in einzelne Unternehmensbereiche ausgegliedert sind. Werden die Prozesse auf oberster Ebene konzernweit (top down) angetrieben, so werden diese in der Regel auch mit wesentlich größerem finanziellem Aufwand etabliert. Mikropolitische Auseinandersetzungen innerhalb einzelner Abteilungen und zwischen Konzern- und Bereichsebene spielen dabei eine besondere Rolle. Aus diesem Grund sollte der Diskurs zum E-Learning um den Aspekt der Mikropolitik angereichert werden. Auch in den Ansätzen zum Wissensmanagement werden mikropolitische Aspekte nur rudimentär beachtet (Wilkesmann/Romme 2003).

Eine der weltweit führenden Fluggesellschaften dient hier als konkretes Praxisbeispiel anhand dessen die zukünftigen Trends der Integration von Qualifikations- und Kompetenzentwicklung – am Beispiel von Wissensmanagement und E-Learning – sehr gut gezeigt werden können. In den 1990er Jahren begann man sich im Unternehmen in Form von parallel gestarteten Projekten dem Thema E-Learning und Wissensmanagement zuzuwenden. E-Learning, wenn man es als jede Art von Lernen mit elektronischen Medien definiert, berücksichtigte das Unternehmen schon sehr früh zur ständigen Weiterqualifizierung von Piloten. Piloten müssen sich regelmäßigen Zertifizierungen unterziehen, so dass in diesem speziellen Unternehmensbereich sehr früh Lerninseln an größeren internationalen Flughäfen in Betrieb genommen wurden. Bis vor vier Jahren hatten die einzelnen Geschäftsfelder eigene Intranetportale, diese wurden in letzter Zeit in Form eines Portals integriert und datentechnisch standardisiert. Neben speziellen Content-Management-Tools sind auch Tools vorgesehen, welche die Personalisierung des Intranetangebotes weiter verfeinern können. Zentrales Element dieses neuen E-Learning- und Wissensmanagement-Tools ist eine spezielle personalisierte Rubrik (‚Arbeitsplatz’). Dort können Mitarbeiter sehen, an welchen E-Learning Modulen sie aktuell teilnehmen, zusätzlich finden sich auch Applikationen, die zur Erledigung des Tagesgeschäfts benötigt werden.

Im Bereich E-Learning hat aus der Sicht des Unternehmens mittlerweile ein Umdenken stattgefunden: E-Learning wird im Unternehmen im Großen und Ganzen als neue Lernform am Arbeitsplatz und in der Arbeitszeit akzeptiert. Gelernt wird vornehmlich mit unternehmenseigenen kleinen Lernmodulen von max. 15 bis 60 Minuten. Eine wichtige Rolle spielt dabei, dass Kollegen diese Module selbst erstellt haben und auf diese Weise praxisnahe Beispiele, Interaktionsübungen und beispielsweise Fotos einbringen. Von strategischer Seite wird daher besonders auf einen modularen Aufbau bei der Content-Erstellung geachtet, so dass ein Mitarbeiter zu einem bestimmten Thema immer nur die benötigten Informationen erhält. Diese kleinen Module helfen in der Praxis jedem Novizen, aber auch den erfahrenen Mitarbeitern sich eigenständig Wissen anzueignen, aufzufrischen oder nachzubereiten.

Der gewählte Lernmodulansatz wird auf der einen Seite dem konstruktivistischen Konzept der mediendidaktischen Überlegungen gerecht, indem die kleinen Expertenlernmodule einen situierten Lernkontext herstellen, der den Austausch zwischen Experten fördert. Wissen wird vom Lernenden nicht passiv rezipiert, sondern ‚selbst konstruiert’, d.h. aufgrund der eigenen Vorerfahrungen werden die Informationen aktiv aufgenommen und verarbeitet. Einen besonderen Vorteil bietet diese Art der Content-Aufbereitung auch, weil Experten aus dem Unternehmen für das Unternehmen diese Module selbst erstellen. E-Learning-Maßnahmen per Standard-Content sind nämlich häufig am unternehmensspezifischen Bedarf vorbei konzipiert.

Auf der anderen Seite sind die an den Lernmodulen arbeitenden Experten häufig intrinsisch hoch motiviert, da sie einen großen Handlungs- und Entscheidungsraum besitzen und somit eine hohe Bedeutung ihrer Aufgabe attribuieren (vgl. Hackman/Oldham 1980).

Auf das webbasierte und datenbankbasierte Autoren-Tool haben im Großen und Ganzen alle Mitarbeiter Zugriff. Auf diese Weise können abteilungsspezifisch Lernmodule erstellt werden und in das System hochgeladen werden. Die Anwender können über eine Suchfunktion bestimmte Information abfragen, wenn sie ein Problem haben. Als Ergebnis findet die Suchfunktion sowohl Dokumente aus den organisationsinternen Datenbanken – also die klassische Dokumentenstruktur des IT-gestützten Wissensmanagements – als auch Lernmodule des E-Learnings.

Die Besonderheiten im Praxisbeispiel liegen zum einen in der gemeinsamen Verortung der Abteilungen für Wissensmanagement und E-Learning auf Konzernebene – ein Faktor, welcher bei der strategischen Umsetzung eine wichtige Rolle spielt, weil sonst die Wahrscheinlichkeit groß ist, dass Konkurrenzsituationen zwischen den Bereichen auftreten. Zum anderen verfügt das Unternehmen über eine langjährige Erfahrungspraxis, was den Umgang und das Lernen mit elektronischen Medien anbetrifft. Wenn in strategischer Hinsicht Wissensmanagement und E-Learning Enabler zur Qualifikations- und Kompetenzentwicklung in Form von Lernprozessen just in time genutzt werden sollen, dann müssen die bereitgestellten Lerninhalte und Informationen möglichst in verschiedenen Kontexten anwendbar und von verschiedenen Stellen aus erreichbar sein. Nur wenn Informationen – auch in Form von selbst erstellten kleinen Lernmodulen – in sinnhafte semantische Netze eingebunden sind, können E-Learning und Wissensmanagement als didaktische Medien einen Beitrag zur Konstruktion neuen Wissens und somit auch zu Kompetenzentwicklung von Organisationsmitgliedern leisten. Der Technik kommt zum Beispiel in Form der personalisierten Arbeitsoberfläche und der Integration des Autoren-Tools für die eigene Erstellung von Lern-Content lediglich die Funktion eines Enablers zu. Insgesamt gesehen werden E-Learning und Wissensmanagement zukünftig als Qualifikations- und Kompetenzentwicklungs-‚Enabler’ zu einer hybriden virtuellen Welt in Organisationen verstärkt zusammenwachsen, um nicht zuletzt auch den geänderten Anforderungen an Organisationen nachzukommen.

Literatur

Arnold, R./Pätzold, H. (2003): Lernen ohne Lehren. In: Wittwer, W./Kirchhof, S. (Hrsg.) (2003): Informelles Lernen und Weiterbildung. Neue Wege zur Kompetenzentwicklung. München, S. 107–126

Dreyfus, H./Dreyfus, S. E. (1988): Künstliche Intelligenz. Von Grenzen der Denkmaschine und dem Wert der Intuition. Reinbek b. Hamburg

Elsholz, U. (2002): Kompetenzentwicklung zur reflexiven Handlungsfähigkeit. In: Dehnbostel, P./Elsholz, U./Meister, J./Meyer-Menk, J. (Hrsg.) (2002): Vernetzte Komptenzentwicklung Alternative Positionen zur Weiterbildung. Berlin, S. 31–43

Hackman, J. R./Oldham, G. R. (1980): Job Diagnostic Survey (JDS). In: Hackman, J. R./Oldham, G. R (1980): Work redesign. Reading, S. 275–294

Knowles, M. (1975): Self-directed-learning. A Guide for Learners and Teachers. New York/Chicago

Sydow, J./Duschek, S./Möllering, G./Rometsch, M. (2003): Kompetenzentwicklung in Netzwerken. Eine typologische Studie. Wiesbaden

Wilkesmann, U. (1999): Lernen in Organisationen. Frankfurt a.M.

Wilkesmann, U. (2004): Lernende Organisation, Wissensmanagement und Lernkulturentwicklung – schöne Worte oder mehr? Überlegungen aus organisationstheoretischer Sicht. In: Zeitschrift für Berufs- und Wirtschaftspädagogik 100, H. 3, S. 383–397

Wilkesmann, U./Romme, A./Georges L. (2003): Organisationales Lernen, zirkuläres Organisieren und die Veränderung der interorganisatorischen Herrschaftsverhältnisse. In: Arbeit – Zeitschrift für Arbeitsforschung, Arbeitsgestaltung und Arbeitspolitik 12, H. 3, S. 228–241

Wilkesmann, U./Rascher, I. (2004): Wissensmanagement. Theorie und Praxis der motivationalen und strukturellen Voraussetzungen. München/Mering

Wilkesmann, U./Rascher, I./Bönnighausen, M. (2003): Wissensmanagement – Analyse und Handlungsempfehlungen. Düsseldorf (Hans-Böckler Stiftung, edition 96)

Willke, H. (1998): Systemisches Wissensmanagement. Stuttgart

Wittwer, W. (2003): „Lern für die Zeit, wird tüchtig fürs Haus. Gewappnet ins Leben trittst du hinaus“. Förderung der Nachhaltigkeit informellen Lernens durch individuelle Kompetenzentwicklung. In: Wittwer, W./Kirchhof, S. (Hrsg.) (2003): Informelles Lernen und Weiterbildung. Neue Wege zur Kompetenzentwicklung. München,. S. 13–41