DIE Zeitschrift für Erwachsenenbildung

Strukturwandel auf nordrhein-westfälisch

Projektförderung ersetzt Infrastruktursicherung

Udo Witthaus

Im bevölkerungsreichsten Bundesland sind die Landesmittel für Weiterbildung kontinuierlich gesenkt worden. Das jüngste Kürzungsvorhaben wurden mit der Zusage garniert, stattdessen jährlich zwölf Millionen Euro aus dem Europäischen Sozialfonds (ESF) bereitzustellen. Diese Umsteuerung von institutioneller Sockel- auf projektbezogene Förderung ist für die Weiterbildung eine große Herausforderung. Der folgende Beitrag eines Volkshochschuldirektors analysiert die ersten erfolgten Strukturveränderungen und fragt nach langfristigen Folgen.

Das nordrhein-westfälische Weiterbildungsgesetz (WbG) galt lange als vorbildlich und zukunftsweisend. Zu diesem Ergebnis kam auch die Evaluation des Gesetzes 1997 durch eine Sachverständigenkommission (Landesinstitut für Schule und Weiterbildung 1997), deren Empfehlungen weitgehend in die Gesetzesnovelle einflossen. Das novellierte WbG, in Kraft seit dem 1.1.2000, steht denn auch formal weiter auf bewährten Fundamenten: Weiterbildung als kommunale Pflichtaufgabe zur Absicherung einer flächendeckenden Mindestversorgung, plurale Trägerlandschaft mit breiter Angebotsstruktur und zurückhaltenden Zielvorgaben sowie institutionelle, infrastrukturelle Förderung mit starker Ausrichtung an Professionalität und Hauptamtlichkeit. Kritisch wurde seinerzeit unter anderem die Förderpraxis beurteilt, die kleinteilige Strukturen belohnt, ohne die Wahlfreiheit für Teilnehmer/innen zu verbessern. Vor allem wurde die festgestellte Stagnation der Fördermittel des Landes kritisiert, verbunden mit der deutlichen Warnung, weitere Kürzungen verschärften die Finanzierungsproblematik der Träger und schränkten zugleich die Steuerungs­fähigkeit des Landes ein.

»Drosselung als paradoxes Förderungsprinzip«

In der ersten Jahreshälfte 2004 evaluierte die Sozialforschungsstelle Dortmund die Wirksamkeit des novellierten Gesetzes und rückte Finanzierungsaspekte in den Vordergrund. Unter anderem sollte geklärt werden, ob ein Ausloten des Gleichgewichts von fachlichen Vorgaben und finanziellen Leistungen möglich sei und ob alternative Förderkonzepte anzustreben seien.

Zwischenzeitlich hatte die damalige rot-grüne Landesregierung bereits die im WbG fixierten Finanzmittel per Haushaltsgesetz erheblich gedrosselt: für 2003 um fünf Prozent, für 2004 und 2005 um 15 Prozent, jeweils bezogen auf den Förderansatz des Gesetzes. Zugleich wertete die rot-grüne Landesregierung rhetorisch das lebenslange Lernen auf und – soviel zur Lernfähigkeit von Regierungen – beschwor vielstimmig den Zusammenhang von Bildung und Wirtschaftswachstum.

Diese drastischen Kürzungen waren der Einstieg in das aus dem Erdölmarkt bekannte Prinzip der Drosselung: Der lebenswichtige Rohstoff wird verknappt und für den Verbraucher so sehr verteuert, dass dieser sparsamer mit den nicht nachwachsenden Ressourcen umgeht. Eine ähnliche Verbraucherreaktion im Fall der Ressource Weiterbildung wäre fatal, sollte sie doch systematisch gepflegt und ausgebaut werden, um die individuell wie gesellschaftlich anstehenden Gegenwarts- und Zukunftsaufgaben
zu bewältigen.

Zugleich haben die Kürzungen den Zielkonflikt zwischen steigenden Erwartungen an öffentliche Bildungsverantwortung und zur Verfügung gestellten Ressourcen weiter verschärft. Die Dortmunder Gutachter konstatierten, dass sinkende Fördermittel des Landes nicht durch andere öffentliche Zuschüsse über- (EU) oder untergeordneter Ebenen (Träger) oder Private kompensiert werden könnten. Als normative Steuerungsvorgabe empfahlen sie, die lokale und regionale Ebene zu stärken und das Aktionsfeld des Landes stärker auf Steuerungs- und Controllingfunktionen zu beschränken.

Die Leitidee der stabilen Innovation sollte mit einer ausbalancierten Förderstrategie aus Projektförderung (um neue Strategien zu implementieren) und nachhaltiger institutioneller Förderung realisiert werden. Empfohlen wurden verstärkte, regional und lokal zu spezifizierende Zweckbindungen; die Ausweitung eines Innovationsfonds zu Lasten der Regelförderung, das heißt eine Budgetierung nach Handlungsfeldern (5 % für Innovatio­nen/Modellprojekte, 10 % für Regionalfonds, 85 % für Grundversorgung und zweckgebundene Maßnahmen, vgl. Landesinstitut für Qualifizierung 2004, S. 154).

»Kürzungen mit neuen ESF-Mitteln garniert«

Der zwischenzeitliche Regierungswechsel in Düsseldorf hatte die Verstetigung der Kürzungen zur Folge. Entgegen den Ankündigungen im Wahlkampf und den Absichtserklärungen in den Koalitionsvereinbarungen hat die CDU/FDP-Regierung 2006 die im WbG vorgesehenen Landesmittel um 20 Prozent gekürzt. Für das Jahr 2007 waren im Regierungsentwurf sogar Kürzungen von 38 Prozent vorgesehen.

Diese Politik widerspricht bildungspolitischen Verlautbarungen (auch wenn von Herrn Müntefering zu lernen ist, es sei unfair, Politiker an ihren Wahlaussagen zu messen!) und Notwendigkeiten. Das Kürzungsvorhaben wurde gleichsam politisch garniert mit der Zusage, in den kommenden Jahren bis 2010 jeweils zwölf Millionen Euro ESF-Mittel für die anerkannten Weiterbildungseinrichtungen in NRW bereitzustellen. Diese zwölf Millionen fließen dem zuständigen Ministerium für Schule und Weiterbildung aus dem Arbeitsministerium zu. Es handelt sich also um eine reine Umverteilung mit der Folge, dass diese Mittel dort fehlen. Von den zugesagten Mitteln sollen sechs Millionen auf vorgegebene Projektlinien des Arbeitsministeriums entfallen, die restlichen sechs Millionen sind reserviert für Aktionsfelder, die das Ministerium für Schule und Weiterbildung festlegt.

Die Absicht der Landesregierung hat zu massiven Protesten geführt mit dem Ergebnis, dass die ursprüngliche Kürzungsabsicht von 38 auf 28 Prozent reduziert wurde. Sollte dieser Ansatz realisiert werden, dann wäre die Förderung nach WbG von rund 120 Millionen im Jahr 2000 auf 88 Millionen im Jahr 2007 gekürzt worden. Nachdem es zunächst geheißen hatte, dieser Ansatz solle bis 2010 stabil bleiben, ist davon nicht mehr die Rede. Für den genannten Zeitraum wird nur noch die Bereitstellung der ESF-Mittel im Umfang von jährlich 12 Millionen verlässlich genannt. Allerdings hat die jüngere Vergangenheit gezeigt, dass Förderung immer stärker nach Kassenlage betrieben wurde, weshalb Aussagen zur Verlässlichkeit wenig vertrauenswürdig sind. Selbst wenn es zu einer Stabilisierung der projektbezogenen Finanzflüsse kommen würde, dürften sich daraus erhebliche Veränderungen in der Struktur der Weiterbildungslandschaft ergeben.

Den Umstieg auf die Projektförderung werden nicht alle Weiterbildungsein­richtungen mitmachen (können). Die Anforderungen an die Beantragung
und Durchführung der Projekte ge­­stalten sich so, dass insbesondere kleine Einrichtungen schwerer partizipieren können. Ihnen mangelt es oft an strukturellen Voraussetzungen (Personal, Know-how). Für das Jahr 2006 gab es eine sehr kurze Bewerbungsfrist um einen reduzierten Projektfördertopf (5 Millionen Euro). Eingereicht wurden beim Landesverband der VHS 172 Anträge mit einem Volumen von ca. 4.570.000 Euro, verteilt auf vier Förderbereiche. Bewilligt wurde in allen vier Bereichen jeweils weniger als die Hälfte der beantragten Mittel:

»Startvorteile bei großen Einrichtungen«

Noch lässt sich nicht erkennen, welche Struktur die Antragsteller zum Beispiel hinsichtlich Größe und räumlicher Lage bilden. Allerdings beteiligten sich am Verfahren nur knapp 40 Prozent aller Volkshochschulen (55 von 138).1 Da zudem eine ganze Reihe von großvolumigen Anträgen erfolgreich platziert wurde, verteilen sich die zusätzlichen ESF-Mittel sehr ungleich. Die Zersplitterung der Landschaft in Gegenden, die viele ESF-Mittel binden, und solche, die wenig damit versorgt werden, dürfte auch auf unterschiedliche strukturelle Ausgangsbedingungen zurückzuführen sein. Zum einen liegen Startvorteile bei großen Einrichtungen, die innerhalb ihres Personalstamms am ehesten über Antragsspezialisten verfügen sowie Freiräume für die Entwicklung und Abwicklung solcher Anträge schaffen können. Weiterhin haben Einrichtungen Vorteile, die schon in der Vergangenheit an Drittmittelprojekten beteiligt waren. Es wird zu beobachten sein, inwiefern sich hieraus Verfestigungen ergeben.

Unabhängig von der empirischen Entwicklung beinhaltet Projektförderung die Einführung struktureller Unsicherheit in das System. Bestehende Erwartungshaltungen im Hinblick auf die Finanzierung werden systematisch unterlaufen. Weiterbildungseinrichtungen müssen sich auf wechselnde und unstetige Finanzierungsflüsse einstellen. Unsicherheit ergibt sich zudem daraus, dass Projektanträge mit Wettbewerb verknüpft sind und damit auch die Gefahr des Scheiterns beinhalten. So ist keineswegs sicher, dass die in Anträge investierte Zeit auch tatsächlich durch die Zuweisung von Projektmitteln aufgewogen wird. Diese Fehlinvestition wird teuer erkauft, weil die investierte Zeit von anderen Arbeiten abgezogen werden muss.

Da zudem Projektförderung auf bestimmte Themenfelder fokussiert wird, müssen diese Themengebiete zum Teil auch inhaltlich neu erschlossen werden. Im Einzelfall bedarf es sehr spezifischer Kompetenzen, um allein die formalen Kriterien zu erfüllen. Die Beantragung und Durchführung von Projekten ist zudem mit einem erheblichen bürokratischen Aufwand verbunden, so dass sich ein erhöhter Personalbedarf ergibt. Fraglich ist außerdem, ob die politisch gesetzten Themen überall im Land gleich relevant sind und ob es nicht zwangsläufig zur Ausblendung regionaler Besonderheiten kommen muss. Schließlich ist seit langem bekannt, dass begonnene Entwicklungen bei Projektende oft abbrechen. Dafür sind nur zum Teil unzureichende Transferansätze verantwortlich, wenn Projektsubventionen nicht schon im Projektverlauf voll zurückgenommen werden. Oft müssen Personalfluktuationen aufgefangen werden, weil Teile des Projektpersonals schon vor Projektabschluss neue Aufgaben übernehmen oder gerade in der kritischen Projektendphase Anträge für Anschlussprojekte ausarbeiten.

»Atmende« Weiterbildungs­einrichtung?

Der immer weiter fortschreitende Rückzug des Landes aus einer verlässlichen Förderung hat auch bei den Trägern der Weiterbildungseinrichtungen zu starken Protesten geführt. Die Arbeitsgemeinschaft der kommunalen Spitzenverbände NRW hat auf die erneute Verletzung des Konnexitätsprinzips verwiesen. Die den Kommunen vom Land auferlegte Pflichtaufgabe Weiterbildung wird hinsichtlich der Finanzierungslasten immer stärker auf die Kommunen abgewälzt. Diese sind aber immer weniger bereit und in der Lage, wegfallende Landesmittel zu kompensieren. Insofern steht zu befürchten, dass die weitergehenden Folgen der umgesteuerten Finanzierung perspektivisch den Kern des Gesetzes erschüttern: die pflichtige flächendeckende Grundversorgung.

Im Produktionsbereich wurde vor Jahren das Bild der atmenden Fabrik als innovatives Organisationsmodell diskutiert, das auf wechselnde Auftragslagen adäquat reagiert und seine Personalstrukturen entsprechend anpasst. Für Weiterbildungseinrichtungen erscheint dieses Leitbild wenig tragfähig. Zwar müssen angesichts wachsender Umweltturbulenzen und sich wandelnder Vorgaben aus der Förderumwelt die inhaltlichen und strukturellen Anpassungsprozesse schneller ablaufen als in der Vergangenheit. Doch der allseits propagierte Aufbau eines Systems lebensbegleitenden Lernens erfordert es, kontinuierlich fachliche Kompetenzen vorzuhalten. Dafür braucht es einen langen Atem statt permanentem Hecheln, das nötig ist, wenn die gesamte Einrichtung immer wieder aufs Neue und immer schneller auf kurzfristig konzipierte Fördertöpfe ausgerichtet werden muss.

Anmerkung

1Als Antragssteller fungieren drei Projekt­agenturen (Landesverband der VHS, Bildungswerk der Erzdiözese Köln für die konfessionellen Träger, Arbeit und Leben NRW für alle nicht kommunalen und nicht-konfessionellen Träger), die Anträge ihrer Mitglieder sammeln und jeweils bestimmte Budgets zugeteilt bekommen. Die Budgetgröße bestimmt sich aus dem Anteil der Trägerverbünde an der Gesamtförderung.

Literatur

Landesinstitut für Schule und Weiterbildung (Hrsg.) (1997): Evaluation der Weiterbildung. Gutachten. Bönen

Landesinstitut für Qualifizierung NRW (Hrsg.) (2004): Evaluation der Wirksamkeit des Weiterbildungsgesetzes NRW. Gutachten. Soest

Dr. Udo Witthaus ist Direktor der VHS Minden und wird in Kürze die Leitung der VHS Bremen übernehmen.