DIE Zeitschrift für Erwachsenenbildung

Viele Wege führen in die Umschulung

Die Berücksichtigung von Vorleistungen am Beispiel der Umschulung zum Garten- und Landschaftsbauer

Jens Matthes

Dipl.-Agrarpädagoge, Fachbereichsleiter und Ausbilder am tbz Leipzig, einem privaten Bildungsträger; seit 1993 Mitglied des Prüfungsausschusses der Landschaftsgärtner beim RP Chemnitz. Promoviert an der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät der Universität Leipzig über die „Notwendigkeit und Entwicklung einer ganzheitlichen, auf gesellschaftlichen Bedürfnissen und individuellen Fähigkeiten ausgerichteten Konzeption der beruflichen Bildung von Arbeitslosen im Beruf Gärtner, Fachrichtung Garten- und Landschaftsbau“

Geht es nach Jens Matthes, brauchen Menschen, die Garten- und Landschaftsbauer werden wollen, nicht mehr unbedingt eine einschlägige Ausbildung oder Berufserfahrung vorzuweisen, wenn sie zur Prüfung zugelassen werden wollen. Es reicht, wenn sie in Nachbarberufen brauchbare Erfahrungen gesammelt haben und eine modularisierte Vorbereitungsmaßnahme durchlaufen. Für DIE stellt er sein Konzept für die Anerkennung von Vorleistungen vor, das von einem Expertenforum [1] im November 2001 zur Erprobung empfohlen wurde. Die Arbeitsverwaltung, beschäftigt mit der Schadensbegrenzung in Sachen Vermittlungsstatistik, zögert noch.

Normalerweise kann eine Prüfung zum Landschaftsgärtner ablegen, wer die festgelegte Ausbildungszeit durchlaufen hat. Alternativ kann auch die vorhandene Berufserfahrung den Ausschlag geben. Hierzu ist eine Zulassung per Einzelfallentscheidung erforderlich, die § 40 (2) BBiG regelt. Die dort nachzuweisende einschlägige Berufspraxis beläuft sich auf sechs Jahre bzw. reduziert sich auf vier, falls ein anderer Ausbildungsabschluss oder Abitur/Fachhochschulreife vorliegen. So weit, so bekannt. Interpretiert man hierbei den Begriff „einschlägig“ eng, so kommen für eine Zulassung also nur Frauen und Männer infrage, die tatsächlich als Landschaftsgärtner/in gearbeitet haben. Diese enge Auslegung der Einschlägigkeit stellt ein großes Hindernis dar für Arbeitskräfte aus benachbarten Berufen, die die Prüfung zum Landschaftsgärtner ablegen möchten (Bauarbeiter, Straßenbauer, Baumaschinisten, Betonfacharbeiter, Tiefbauer). Viele ihrer Fertigkeiten sind „einschlägig“ zu nennen, weil sie Teil der Ausbildung zum Garten- und Landschaftsbauer sind. Jemand, der auf dem Bau zwei Jahre lang als Pflasterer gearbeitet hat, kann mit Fug und Recht behaupten, in dieser Zeit „einschlägige Berufserfahrung“ für den Garten- und Landschaftsbau gewonnen zu haben. Wie also können Wege gefunden werden, die Prüfungen für Menschen mit solchen Vorerfahrungen zu öffnen?

Das Procedere

Zunächst müssen die Stellen, die zur Prüfung zulassen, die in fremden Feldern erworbenen Fertigkeiten als „einschlägig“ anerkennen. Dies ist vom Ablauf her unkompliziert möglich, insofern die Zulassung nach § 40 (2) ohnehin als Einzelfall entschieden wird. Nun muss aber auch eine Einzelfallentscheidung gewissen Regeln genügen. Es ist nicht damit zu rechnen, dass sich die grundsätzlich enge Auslegung der Einschlägigkeit im BBiG verändern wird.[2] Aber vielleicht lässt sich im hier betroffenen Bereich eine spezifische Lösung finden: Es zeichnet sich die Tendenz ab, den Garten- und Landschaftsbau weniger dem Agrarbereich, sondern aufgrund der Tätigkeit vielmehr dem Bauwesen zuzurechnen (vgl. Ausbilder-Info 2002, S. 1). Dies zeigt, dass die begriffliche Zuordnung der Einschlägigkeit zumindest im Garten- und Landschaftsbau tätigkeitsorientiert und damit im weiten Sinn erfolgt. In Interviews mit Fachleuten aus Hochschulen, der Meisterausbildung und berufsständischen Verbänden wurde eine breite, nach der Tätigkeit ausgerichtete Auslegung befürwortet.

Mit der rechtlichen Ermöglichung allein ist es nicht getan. Es braucht eine „Umschulung neuen Typs“, die eine modulare Struktur hat, damit die vorhandenen Fertigkeiten mit den Modulen der Vorbereitungsmaßnahme (Umschulung) abgeglichen werden können. Der Bildungsträger erfasst und überprüft die Vorerfahrungen. Er stellt sicher, dass die Vorleistungen gleichwertig, aktuell und verwertbar sind. Jedes einzelne Modul ist von fachlich versiertem Personal aus dem Bereich Garten- und Landschaftsbau mit mehrjähriger Ausbildungs- und Prüfungserfahrung zu prüfen und ggf. anzuerkennen. Die Erfassung der Vorleistungen ist von ihrer Bewertung zu trennen. Für das gesamte Verfahren sind 2 Monate zu veranschlagen („Feststellungsmaßnahme“).

Die Erfassung erfolgt schriftlich-standardisiert durch die zuständige Stelle und erfordert Kopien der relevanten Unterlagen. Hier entscheidet sich, ob der Teilnehmer über § 40 (2) oder über den normalen Weg einer Berufsausbildung (§ 39) zur Prüfung zugelassen wird. Letzteres ist der Fall, wenn die einschlägige Berufspraxis für nicht hinreichend lang befunden wird. Sie muss vier bzw. sechs Jahre betragen, wobei die zwei Monate Feststellungs- und 24 Monate Vorbereitungsmaßnahme darauf angerechnet werden können. Faktisch benötigt ein ausgebildeter Tiefbauer demnach nur 22 Monate Berufspraxis vor der Umschulung, ein ungelernter entsprechend nur 46 Monate. Die zeitgleich beim Träger stattfindende Bewertung der Vorkenntnisse gliedert sich in einen schriftlichen und einen praktischen/mündlichen Prüfungsteil. Aufgrund der erzielten Ergebnisse ergibt sich dann der ganz persönliche Ausbildungsplan.

 

Warum ist das alles sinnvoll?

Für die erwachsenengerechte Gestaltung von Umschulungen sollte es eigentlich selbstverständlich sein, auf berufliche Vorerfahrungen der Teilnehmer Rücksicht zu nehmen. Warum sollten diese auch Ausbildungsabschnitte absolvieren, deren Inhalte sie nachgewiesenermaßen beherrschen und richtig anwenden können? Sie fühlen sich gebraucht, anerkannt und zusätzlich motiviert. Das Verfahren ist zudem ressourcenschonend, weil nicht unnötig Arbeitszeit der Ausbilder oder Verbrauchsmaterial beansprucht werden. Es senkt die Klassenstärke für die einzelnen Module und ermöglicht damit intensivere pädagogische Zuwendung.

Die Notwendigkeit für ein Anerkennungsverfahren von Vorleistungen ergibt sich aber auch schon arbeitsmarktpolitisch durch den Fachkräftemangel im GaLaBau bei gleichzeitiger hoher Arbeitslosigkeit von Menschen mit brauchbaren Vorerfahrungen. Unter dem Druck sinkender Auszubildendenzahlen werden Umschulungsmaßnahmen immer wichtiger. Es hat sich in der Praxis gezeigt, dass Arbeitslose mit einschlägigen Vorleistungen sehr genau wissen, worauf sie sich einlassen. Sie kennen die Anforderungen und Besonderheiten der Branche und lassen daher eine höhere Berufsmotivation und geringere -fluktation vermuten. Teilnehmer aus anderen Sparten kennen die Anforderungen, Inhalte und Aufgaben oft nur unzureichend. In den neuen Bundesländern haben sehr viele Menschen durch ABM oder Jobrotation oder als ehemalige DDR-Gärtner und -Landwirte Arbeitserfahrungen vorzuweisen und wissen, welche Besonderheiten der Gartenbau hat. Diese Menschen sollten für die „Umschulung neuen Typs“ gezielt gewonnen werden.

Literatur:

o.A. (2002): Mehr Berufsinteressenten durch Reduzierung der Ausbildungsqualität. In: Ausbilder-Info des AuGaLa, Garten-, Landschafts- und Sportplatzbau. AuGaLa (Hrsg.), Jg. 2002, Nr. 1, S. 1-2.

Herkert, Josef (Hrsg.) (2001): Berufsbildungsgesetz – Kommentar mit Nebenbestimmungen. Regensburg/Berlin; Walhalla Verlag



[2] Der Gesetzeskommentar versteht unter „einschlägiger Berufserfahrung“, „dass ausreichende Fertigkeiten und Kenntnisse erworben wurden, und zwar im Sinne des gesamten Berufsbildes“ (Herkert 2001, S. 8). Diese enge Auslegung wurde dem Autor gegenüber auch vom Referenten für Berufsbildung im Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft, Heym, vertreten, ebenso seitens des Referenten für Berufsbildung beim Regierungspräsidium Chemnitz, Abt. Landwirtschaft, Drechsler.


Deutsches Institut für Erwachsenenbildung
Juli 2002

Jens Matthes, Viele Wege führen in die Umschulung. Online im Internet:
URL: http://www.diezeitschrift.de/32002/positionen9.htm
Dokument aus dem Internetservice Texte online des Deutschen Instituts für Erwachsenenbildung
http://www.die-bonn.de/publikationen/online-texte/index.asp