DIE Zeitschrift für Erwachsenenbildung

Generation Power Point

Unzeitgemäßes zur visuellen Power-Point-Kultur

Frank Berzbach

Wer kennt sie nicht, die quälenden Momente des »mediengestützten Zuhörens«? Wenn mal wieder der Techniker gerufen werden muss, weil sich Laptop und Beamer nicht verstehen. Oder weil ein Vortrag nur darin besteht, dass Spiegelpunkte von Foliensätzen erstens nacheinander durchgegangen und zweitens bloß kommentiert werden. Offenbar ist der beamergestützte Vortrag in die Krise geraten. Frank Berzbach hat das (Un-)Wesen des Power-Point-Vortrags im ganz großen historischen Zusammenhang untersucht und herausgefunden, dass noch immer das Popcorn fehlt.

Der englische Schriftsteller Charles Dickens war ein brillanter Vortragskünstler. Seine Lesungen waren hoffnungslos überfüllt, die Atmosphäre spannungsgeladen: manche Frauen vielen in Ohmacht, wegen der drastischen Schilderungen des Elends. Um seine Zuhörer zu fesseln reichten Mimik, Gestik und wohlgesetzte Worte völlig aus. Diese Zeiten sind vorbei. Wer heute das Medium Sprache beherrscht und darauf baut, der beginnt seinen Vortrag meist mit einer Entschuldigung. Denn ein bloßer Vortrag ist beinah peinlich, heute wird nämlich nur noch »präsentiert«. Tauchen also tatsächlich Referenten ohne Folien oder Power-Point-Präsentation auf, so sind das entweder von Zeitgeistkonzessionen freie Professoren oder waghalsige Kandidaten, die meinen nicht beweisen zu müssen, wie unglaublich modern und professionell sie sind.

Seit dem sprachmächtigen 19. Jahrhundert hat die Wissensvermittlung, wozu auch der Vortrag einmal gehört hat, eine rasante Evolution der Visualisierung erlebt. Man könnte auch zeitgeistiger sagen: einen iconic turn. Zuerst wurden die Kreidetafeln hinzugenommen, an denen Generationen von Schülern traumatisiert wurden, weil sie vorrechnen oder vordeklinieren mussten. Heute tauchen Kreidetafeln nur noch in der journalistischen Fotografie auf: voller unverständlicher mathematischer Formeln gekritzelt, davor steht meist ein etwas wirr dreinschauender Naturwissenschaftler. Dann kamen die Folien und Overheadprojektoren. Damit verbindet man hauptsächlich die völlig verrückte Anfrage des Referenten ans Publikum: »Kann man das lesen?«. Man konnte es niemals lesen, aber dennoch blieben alle bei der von Word voreingestellten 12-Punkt-Schriftgröße. Der abgedunkelte Raum wurde allerdings durch die Projektoren gemütlicher, es kam beinah Kinoatmosphäre auf. Nur das Popcorn fehlte, und Schlafen wurde nun unauffälliger.

Die dritte Stufe der Entwicklung erweiterte das Spiel aber ungemein. Jetzt kamen Techniker ins Spiel, teure Beamer und empfindliche Laptops, viele Farben, bewegte Bilder, Sonderzeichen und Fotos, sogar Musik, Stimmen und Geräusche. Die Tafel und der Projektor verschwanden, der Referent war plötzlich wieder an einen Standort gefesselt, ans Klicken der Maus. Die Power-Point-Präsentation hat sich nicht nur durchgesetzt, sie ist quasi obligatorisch geworden. Inzwischen funktionieren die Beamer zuverlässiger, Tagungshäuser ohne professionelle Technikbetreuung geraten ins Abseits. Der Techniker heute ist wichtiger als die Raucherpause und die Qualität des Kuchens. Das ist alles wunderbar. Nichts macht technikverliebten Männern (und leider auch den sprachbegabteren Frauen) mehr Freude, als die Möglichkeiten des Microsoft-Programms auszutesten. Endlich fühlt man sich bei der Vorbereitung von »Vorträgen« wie ein Filmemacher: Man schneidet Filme, verschiebt Sounddateien, wählt Fotos aus, Schriftgrößen und Bewegungen, gestaltet farblich. Endlich wird das sonst unsichtbare Wissen der Wissenschaften sichtbar. So eine unterhaltende Präsentation fasziniert die eigenen Kinder, die Lebenspartner und sogar noch die Eltern.

»Rasante Evolution der Visualisierung«

Das Monopol der Präsentation allerdings hat sich abgenutzt. Tagungen sind geworden wie eine lange Kinonacht, in der alle drei Teile vom »Herrn der Ringe« gezeigt werden. Natürlich ist Peter Jacksons Fantasie-Trilogie auf der Ebene der digitalen Tricks und der künstlichen Landschaften und Wesen ein Erlebnis, allerdings nur, wenn man alle Dialoge und eigentlich die ganz unsäglich infantile Handlung des Films ignoriert. Nur: Durch den Hokuspokus auf der visuellen Ebene vergisst man glatt, dass es Inhalte und eine Geschichte einmal gab. Übertragen auf die Vortrags-Kultur kann man feststellen, dass die Protagonisten der Generation Power Point immer blasser werden hinter den visuell expandierenden Aspekten ihrer Präsentationen. Tagungsfotos sehen daher aus wie aus dem Bildkatalog der Werbeagenturen: smarte Referenten, kurzhaarige Männer in Anzug mit eckigen Brillen, Frauen mit Pagenkopf und Kostüm, rhetorisch glatte Sprache und Gestik – videotrainiert –, attraktiv, idealgewichtig, makellos, sympathisch. Es betrifft aber auch viele ältere Referenten, die nun mit einer gelassenen Selbstverständlichkeit am Laptop ihre Modernität, Jugendlichkeit und Professionalität belegen können. Aktuell muss das Medium sein, nicht der Inhalt. Es würde bei Alten und Jungen allerdings kaum auffallen, wenn Atavare diesen Part übernähmen oder Schauspieler – wäre es ein Unterschied?

Auch die Interaktion mit dem Publikum ist betroffen. Als es noch wie ursprünglich »Vortrag mit Diskussion« hieß, ließen sich nicht alle Zuhörer mit einer bloßen Präsentation abspeisen. Aber die glatte Perfektion der Präsentation, die Vielzahl an Grafiken, O-Tönen und Filmen versetzt den Hörer in Fernsehstimmung. In der ist man gewöhnt umzuschalten, aber nicht nachzufragen. Nach einer gelungenen Präsentation entstehen überhaupt gar keine Fragen mehr, es sind einfach keine im Kopf der Zuhörer, weil es keine Irritationen gab. Alles klingt plausibel, vor allem: es sieht schlüssig und rund aus. Tauchen tatsächlich Fragen auf, dann gibt es nur noch Antworten wie »Da haben Sie mich falsch verstanden«, »Ich wollte damit keinesfalls sagen, dass ...« oder schlimmer noch: »Ach, das konnte man schlecht lesen«.

Damit wird deutlich, dass die technische Entwicklung und die unbändige Freude daran keinen Fortschritt für die Aneignung gebracht haben. Im Kopf hat man, wie auch nach dem Fernsehen, die Bilder, Töne und Farben. Vielleicht das wiederkehrende Logo der Uni, die Marke des Laptops oder die Pannen der Technik. Man wurde unterhalten, nur das Popcorn fehlte noch. Aber was hat man gelernt? Was weiß man nachher, was man vorher nicht wusste? Vielen nehmen neue ästhetische Anregungen für die eigene Präsentation mit nach Hause. Das Medium ist die message. Bei Wissenshungrigen erzeugt das eine seltsame Sehnsucht: nach den alten Hasen, die ihre Muttersprache noch so gut beherrschten, dass irritierende Sätze, Begriffe und Gedanken auftauchten; deren Vorträge zwar nicht unterhaltend waren, man aber nach vier Wochen immer noch das eine oder andere davon im Kopf hatte. Es ist ein wenig wie bei den Kurzromanen von Arno Schmidt, für die man zwar länger braucht als für 600 Seiten Stephen King – von denen aber dennoch mehr hängen bleibt.

»Seltsame Sehnsucht nach den alten Hasen«

Wie die Schreibmaschine Auswirkungen auf die schöne Literatur hatte, so formt die Technik der Präsentation sehr subtil das vermittelte Wissen. Für die Power-Point-Präsentation muss alles in Stichworte passen. Die Inhalte werden farblich, typographisch, durch Fotos und Geräusche vorinterpretiert. Es geht hier primär um Ästhetik, nicht um Wissen. Es geht um Inszenierung, nicht um Lernen. Zudem sind die Präsentationen so gestaltet, dass sie meist ohne den Referenten rezipierbar sind, wie ein gutes Script. Nach der Tagung stehen sie als pdf im Netz, der Referent ist also per se überflüssig. Der nächste Schritt der Visualisierung ist damit natürlich angedeutet: Auch die persönliche Präsentation durch einen Referenten wird überflüssig, Tagungen an sich werden überflüssig. Kuchen gibt es bei jedem Bäcker, jeder besitzt ein Telefon, und Kinos gibt es in jeder Stadt – und da gibt es auch Popcorn.

Frank Berzbach, geb. 1971, arbeitet an der Universität Tübingen und der Fachhochschule Köln. Er ist Chefredakteur des online-Magazins sciencegarden.de

Deutsches Institut für Erwachsenenbildung
Oktober 2004
Frank Berzbach , Generation Power Point
URL: http://www.diezeitschrift.de/42004/berzbach04_01.htm
Dokument aus dem Internetservice Texte online des Deutschen Instituts für Erwachsenenbildung
http://www.die-bonn.de/publikationen/online-texte/index.asp